Gelöstes CO₂

Was Sie schon immer über Wein wissen wollten, aber nie zu fragen wagten
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amateur des vins
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Gelöstes CO₂

Beitrag von amateur des vins »

Gerade las ich in einem Weinblog:
Ich hatte [die Weinflaschen] auf Anraten des Winzers nicht nur 48 Stunden vor der Probe geöffnet, sondern auch das CO₂ rausgeschüttelt.
Das hat mich ein wenig gewundert, sind doch bei mir selbst Schaumweine - wenn denn überhaupt mal was übrigbleibt - eigentlich immer spätestens am übernächsten Tag nur noch schale Plörre. Bei Stillweinen sinkt das CO₂, selbst wenn es zunächst auffällig war, nach wenigen Stunden unter meine Wahrnehmungsgrenze.

Wie ist denn das so mit dem zeitlichen Verlauf des gelösten CO₂ in offenen, aber auch geschlossenen Flaschen? Kann das jemand quantifizieren? Und ist es nicht ein bißchen fragwürdig, erst soviel CO₂ einzubringen, um dann zu empfehlen, es auszuschütteln? Immerhin verändert es ja das Geschmacksprofil.

tl;dr:
Warum noch schütteln, wenn die Flaschen eh 2 Tage offenstehen?
(Die Aufbewahrungstemperatur ist nicht bekannt, aber ziemlich sicher wurden die Weine vor der Probe temperiert.)
Besten Gruß, Karsten
Ollie
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Re: Gelöstes CO₂

Beitrag von Ollie »

Aus dem Internetz (pdf):
Kohlenstoffdioxid ist in Wasser zu mehr als 99 % physikalisch gelöst. Der geringe Teil, der chemisch gelöst ist (durch Bildung von H^+, HCO^3- und CO3^2-), spielt für das Ausgasen und Spritzen von Mineralwasser keine Rolle.

Das Ausgasen verläuft relativ langsam, weil zur Bildung der ersten kleinen Gasbläschen vergleichsweise viel Energie nötig ist. Bei Zimmertemperatur steht diese Energie nur bedingt zur Verfügung, daher kann eine Mineralwasserflasche, die ruhig gestanden hat, auch geöffnet werden, ohne dass es zum Verspritzen kommt. Das Ausgasen kann aber durch jede Art von „Keimen“ begünstigt werden. Im Zusammenhang mit der Aufgabe werden hierzu parallel zwei Vorgehensweisen präsentiert, aus denen die Lernenden im Vergleich die richtigen Schlüsse ziehen sollen:
  • Beim Schütteln einer geschlossenen Mineralwasserflasche werden kleine Gasbläschen in der Flüssigkeit verteilt, die die anschließende Bildung von größeren Gasblasen begünstigen.
  • Beim Einstreuen von Salz, Zucker oder Sand in ein Glas mit Mineralwasser kommt es ebenfalls zur schnellen Bildung von Gasblasen. Hier wirken die Feststoffteilchen als Keime für die Blasenbildung.
Dass sich überhaupt Blasen bilden, hat damit zu tun, dass bei Mineralwässern das Kohlenstoffdioxid mit erhöhtem Druck in die Flüssigkeit gepresst wird; es handelt sich also um eine übersättigte Lösung, d. h. es ist erheblich mehr Kohlenstoffdioxid enthalten, als sich unter Normaldruck im Wasser lösen würde. Da mit zunehmender Temperatur immer weniger Gas in Wasser gelöst werden kann, schäumt eine geschüttelte Mineralwasserflasche im warmen Zustand heftiger, als wenn sie gut gekühlt ist.

Ähnliche Effekte, die im Anschluss an die Bearbeitung der Aufgabe mit den Schülerinnen und Schülern untersucht und analysiert werden können, sind die Gasblasenbildung bei Wasser kurz vor dem Kochen – hier entweichen gelöste Luftbestandteile – und das Aufbrausen von eben siedendem Wasser beim Einstreuen von Kochsalz – hier wirken die Salzkristalle als Keime für die Bildung von Wasserdampf-Blasen.
(Hervorhebung von mir, da für den Vergleich zum Schaumwein relevant.) Stellt sich also die Frage, ob die Löslichkeit des CO2 in Stillwein (v.a. filtriertem) nicht doch so hoch bleibt, daß ein erheblich geringerer Teil "von alleine" ausgast (Partialdruck von CO2 in der Berliner Luftluftluft), als es der Fall wäre, wenn man mechanisch durch Schütteln nachhülfe, jeweils über die gleiche Zeit betrachtet (Zeitkonstante des Ausgasens und, bei mechanischer Nachilfe, erneuter Lösung von Umgebungs-CO2). Keine Ahnung, müsste ich noch mehr googeln drüber nachdenken. Ich denke aber, diese "CO2-Problematik" ist ein Sturm im Weinglas, denn nie habe ich ein blutjunges GG pop'n'pour runtergewürgt und dann sehr unbefriedigt gerülpst "jeschüttelt wäret schöner jewesen". (Den Spruch merke ich mir aber für die nächste Champagner-Probe.)

Aber mal zu was komplett Differentem: Wie im Blogbeitrag auch tatsächlich geschrieben, entwickeln sich Weine in der Flasche anders als in der Karaffe. Ich habe also nie gesehen, welchen praktischen Nutzen solche Versuche mit über mehrere Tage offenen Weinen haben. Neben dem Problem der variierenden Tagesform: Wie verändert sich das Ergebnis nach drei, sechs, 36 Monaten Flaschenreife? Würde irgendjemand ein zehnjähriges GG so behandeln? Macht wirklich jemand außer Keller-Fans am Donnerstag Abend ein Jung-GG auf, damit es am Samstag zum Dinner steht wie eine Eins?

Cheers,
Ollie
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Gerald
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Re: Gelöstes CO₂

Beitrag von Gerald »

Na ja, ich schätze einmal, das "Rausschütteln" bringt gar nicht so viel CO2 aus dem Wein, sondern hingegen einiges an Sauerstoff in den Wein. Bei (noch zu) jungen Weinen sicherlich kein Nachteil, aber mit dem CO2 hat das vermutlich nicht so viel zu tun, so meine bescheidene Vermutung ...

Grüße
Gerald
amateur des vins
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Re: Gelöstes CO₂

Beitrag von amateur des vins »

Gerald hat geschrieben: Mi 15. Okt 2025, 13:04 Na ja, ich schätze einmal, das "Rausschütteln" bringt gar nicht so viel CO2 aus dem Wein, sondern hingegen einiges an Sauerstoff in den Wein. Bei (noch zu) jungen Weinen sicherlich kein Nachteil, aber mit dem CO2 hat das vermutlich nicht so viel zu tun, so meine bescheidene Vermutung ...
Beides dürfte der Fall sein.

Ich habe selber schon Weinflaschen geschüttelt, um überschüssiges CO₂ weitgehend zu entfernen, und das funktioniert auch. Aber das war, wenn ich den Wein sofort trinken wollte. 2 Tage Belüften kommt bei mir nur mit Resten vor, und ich habe noch nie signifikant viel CO₂ nach dieser Zeit bemerkt. Ich habe aber auch zugegebenermaßen noch nie Wein mit zuviel CO₂ deswegen solange stehenlassen.
Besten Gruß, Karsten
amateur des vins
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Re: Gelöstes CO₂

Beitrag von amateur des vins »

Ollie hat geschrieben: Mi 15. Okt 2025, 12:13 Aber mal zu was komplett Differentem: Wie im Blogbeitrag auch tatsächlich geschrieben, entwickeln sich Weine in der Flasche anders als in der Karaffe. Ich habe also nie gesehen, welchen praktischen Nutzen solche Versuche mit über mehrere Tage offenen Weinen haben. Neben dem Problem der variierenden Tagesform: Wie verändert sich das Ergebnis nach drei, sechs, 36 Monaten Flaschenreife? Würde irgendjemand ein zehnjähriges GG so behandeln? Macht wirklich jemand außer Keller-Fans am Donnerstag Abend ein Jung-GG auf, damit es am Samstag zum Dinner steht wie eine Eins?
Das dürfte ziemlich verschlußabhängig sein: Ich hatte schon mehrfach Flaschen mit offenbar "hermetisch dichten" Schraubern, die auch in erklecklichem Alter signifikant CO₂ zeigen (Plopp, Bläschenrand).

Könnte übrigens im Umkehrschluß den fraglichen Fall erklären: Diese konkreten Weine werden mit Kork verschlossen. Neben dem geschmackliche Einfluß, wird CO₂ ja v.a. bei der Abfüllung eingesetzt, um andere Gase einschließlich O₂ auszuspülen. Wenn man es da "gut meint", sprich: reichlich nimmt, vielleicht noch bei höherem Druck, um die Weine langsamer reifen (oxidieren) zu lassen, ist es kurz nach der Abfüllung vielleicht einfach zuviel: Man kann ja nur einen "mittleren" Wert einstellen, weil Korken eben nicht hermetisch dicht sind.

Übrigens lautete der Winzerhinweis genaugenommen, wie mir eben erst auffiel:
Weine vor Genuss karaffieren damit das CO₂ entweichen kann.
Weder steht da etwas von Schütteln, noch zum zeitlichen Ablauf - ich vermute, der Winzer kam bei seiner Empfehlung schlicht nicht auf die Idee, jemand könnte die Weine mit 2 Tagen Vorlauf öffnen.

Ich gehe mal davon aus, daß das ausschließlich in der Verantwortung des Bloggers zu suchen ist...

Vielleicht raffe ich mich ja noch auf, den Winzer anzuschreiben. Unwahrscheinlich (nicht meine Baustelle), aber wenn, gibt's hier ein Follow-up.
Besten Gruß, Karsten
Ollie
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Re: Gelöstes CO₂

Beitrag von Ollie »

Von Lauer habe ich 2015er GGs, aber noch keines ist mir wegen seines CO2-Gehalts aufgefallen. (Wie machst du denn den Index 2?)
Gerald hat geschrieben: Mi 15. Okt 2025, 13:04 Na ja, ich schätze einmal, das "Rausschütteln" bringt gar nicht so viel CO2 aus dem Wein, sondern hingegen einiges an Sauerstoff in den Wein. Bei (noch zu) jungen Weinen sicherlich kein Nachteil, aber mit dem CO2 hat das vermutlich nicht so viel zu tun, so meine bescheidene Vermutung ...
Dann wäre aber ein Doppel-, (ggf. Sturz-)Karaffieren genauso(?) hilfreich, und man müsste nicht tagelang auf das GG warten. Oder reißt das Geysir-artige Ausgasen des CO2 Aromamoleküle aus dem Wein? Dann ginge aber Schütteln erst recht nicht. Hmmm. Ach so, der Winzer selbst redet vom Karaffieren, na dann.
amateur des vins hat geschrieben: Mi 15. Okt 2025, 13:41 Das dürfte ziemlich verschlußabhängig sein: Ich hatte schon mehrfach Flaschen mit offenbar "hermetisch dichten" Schraubern, die auch in erklecklichem Alter signifikant CO₂ zeigen (Plopp, Bläschenrand).
Nachdem ja sogar noch dreißigjähriger Champagner unter Kork ploppt, bin ich jetzt nicht so beeindruckt von deiner Beobachtung. :lol: Aber du hast nicht gesagt, ob du diese Wein auch Tage vorher öffnest, ursächlich weil du diese CO2-Situation von einer vorherigen Testflasche kennst.

Der infragestehende Blogger ist ja nicht alleine in seiner Vorgehensweise, Hofschuster schreibt manchmal auch "am 3. Tag am besten" (sinngemäß), als ob man daraus irgendetwas für den Reifeverlauf ableiten könne. Sogar bei Rotweinen mit Neuholz halte ich das für ein "aus Falschem folgt Falsches", deswegen meine Frage hier im Forum: Macht das wirklich jemand mit deutschen Riesling-GGs, und zwar nicht testweise, sondern regelmäßig?

Cheers,
Ollie
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Re: Gelöstes CO₂

Beitrag von amateur des vins »

Ollie hat geschrieben: Mi 15. Okt 2025, 14:23
amateur des vins hat geschrieben: Mi 15. Okt 2025, 13:41 Das dürfte ziemlich verschlußabhängig sein: Ich hatte schon mehrfach Flaschen mit offenbar "hermetisch dichten" Schraubern, die auch in erklecklichem Alter signifikant CO₂ zeigen (Plopp, Bläschenrand).
Nachdem ja sogar noch dreißigjähriger Champagner unter Kork ploppt, bin ich jetzt nicht so beeindruckt von deiner Beobachtung. :lol:
Nunja, dreißigjähriger Champagner beginnt sein Leben mit mindestens dem 5-fachen, eher 10-fachen des gelösten CO₂ eines Stillweins, und der Korksitz im Flaschenhals und somit die Kompression dürfte auch geringfügig straffer als bei jenem sein... ;)

Ollie hat geschrieben: Mi 15. Okt 2025, 14:23 Der infragestehende Blogger ist ja nicht alleine in seiner Vorgehensweise, Hofschuster schreibt manchmal auch "am 3. Tag am besten" (sinngemäß), als ob man daraus irgendetwas für den Reifeverlauf ableiten könne. Sogar bei Rotweinen mit Neuholz halte ich das für ein "aus Falschem folgt Falsches", deswegen meine Frage hier im Forum: Macht das wirklich jemand mit deutschen Riesling-GGs, und zwar nicht testweise, sondern regelmäßig?
Finde ich auch zweifelhaft, aber da geht's doch eher um Turbooxidation (oder?). Und wenn das wiedergefunden werden soll, vielleicht besser einen eigenen Thread dafür aufmachen?



__________
/offtopic
Ollie hat geschrieben: Mi 15. Okt 2025, 14:23 Wie machst du denn den Index 2?
Entweder copy&paste aus lokaler oder internetter Zeichensatztabelle oder Quelle,
oder in meinem Linux Tumbleweed:
Ctrl+Shift+u 2082 Enter|Space
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Re: Gelöstes CO₂

Beitrag von amateur des vins »

Fällt mir gerade noch ein:
Um mal ein Beispiel dafür zu geben, wie sehr Weine um das CO₂ herum gebaut sein können, und daß das in beide Richtungen problematisch sein kann, hier (Link) nochmal meine Erfahrung mit den geschraubten 2023er Luckert-GG (auch, wenn andere hier das anscheinend nicht nachvollziehen konnten).
Besten Gruß, Karsten
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