Martin Kössler - Worte zum Jahresanfang

Hohe Brisanz, kurzes Verfallsdatum
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octopussy
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Re: Martin Kössler - Worte zum Jahresanfang

Beitrag von octopussy »

Danke an susa und Gerald für die gelungenen Beschreibungen. Ich finde es sehr löblich, sich mit den Begrifflichkeiten tatsächlich auseinanderzusetzen.

So ähnlich wie Ihr, susa und Gerald, hätte ich "Industriewein" oder "Massenwein" für mich auch definiert. Sogar das Wort "Industriewein" passt m.E. gut. Firmen wie z.B. Gallo Family Vineyards oder Treasury Wine Estates arbeiten eben überwiegend nach den Standards einer Industrie, d.h. größtenteils mit maschinellen und automatisierten Verfahren und mit Marketing über Marken, bei denen die Marke wichtiger ist als die Herkunft. Industriell ist der Gegensatz zu handwerklich. Das Beispiel Kleidung oder auch Beispiele wie Möbel zeigen, dass man industrielle und handwerkliche Herstellungstechniken durchaus auseinanderhalten kann.

Wie man zu Industrieweinen steht, ist eine andere Frage. Und da kann ich es gut verstehen, wenn man sich ungern belehren lassen will, was man bitte schön trinken soll.
Beste Grüße, Stephan
Einzelflaschenfreund
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Re: Martin Kössler - Worte zum Jahresanfang

Beitrag von Einzelflaschenfreund »

Gerald hat geschrieben:Also nach meinem Verständnis sind die typischen Merkmale industrieller Produktion vor allem die hohe Mechanisierung/Automatisierung sowie eine gleichbleibende Produktqualität einschließlich eines Qualitätssicherungssystems. Auf Wein bezogen also die Verwendung vieler technischer Hilfsmittel beginnend mit dem Vollernter bis zur vollautomatischen Abfüll- und Verpackungsanlage. Dazu eben eine einwandfreie, blitzsaubere Kellertechnik und natürlich auch ein möglichst reproduzierbares Geschmacksbild.

Wenn wir jetzt "handwerklichen" Wein als Gegenpol dazu sehen, würde das bedeuten: geringe Mechanisierung (überspitzt ausgedrückt: der Winzer presst die Trauben selbst mit den Füßen, transportiert/bewegt den Most mit Muskelkraft, füllt die Flaschen selbst auf und verschließt sie mit einem manuellen Verkorkungsgerät). Dazu kommt das Fehlen eines Qualitätssicherungssystems, die Weine sind in manchen Jahrgängen großartig, in anderen wiederum untrinkbar. Fehltöne (z.B. Essigstich) kommen schon mal vor.

Dünger- und Pestizideinsatz werden "nach Gefühl" dosiert und sind vermutlich höher als notwendig.

Durch die ineffiziente Produktion sind die Kosten der Weine - sogar bei vergleichbarer Qualität - deutlich höher als in der "industriellen" Variante. Um einen akzeptablen Preis zu erreichen, arbeiten Winzer und seine Familie teilweise kostenlos (z.B. beim Verkauf) mit. Der Vertrieb ist auch wenig sinnvoll geplant, durch den notwendigen Ab-Hof-Verkauf zu niedrigen Preisen wird der Wein für den Handel wiederum uninteressant.
Guten Morgen,

genau diese polarisierende, simplifizierende Betrachtungsweise ist es, die mich so annervt. Entweder Industrie oder höchste Handwerkskunst, entweder Gesichtslosigkeit oder einzigartiges Terroir. Wo bleiben Maß, Abwägung, Kompromiss (der anscheinend nur noch als "fauler" denkbar ist und nicht mehr als vernünftiger, ausbalancierter)?

Gerald, mir ist schon klar, dass du diese Grobzeichnung betrieben hast, um die Pole sichtbar zu machen und dir damit nicht automatisch eine Sichtweise zu eigen machst, die "dazwischen" nichts wahrnimmt - aber ich fürchte leider, dass eben die Differenzierung und Grauschattierung in breiter Front verloren geht.
Ein anderes Beispiel: An einem ca. 9 Monate alten Rucksack wollte ich am WE eine Plastikschnalle ersetzen lassen, die zum Festziehen des Schultergurts unerlässlich ist. Der Defekt war kein Produktmangel, sondern es war wohl jemand draufgetreten o. Ä. Ich hatte keineswegs vor, den kompletten Rucksack zu tauschen. Aber es gibt von Herstellern, wenn man nicht im Manufaktum-Segment unterwegs ist, offensichtlich keinen Ersatzteilservice. Es lohnt nicht, sowas wird dann getauscht und weggeworfen.

Ähnlich wenig eindeutig (ich bin da überhaupt nicht Dirks Meinung) finde ich z. B. den berühmt-berüchtigten "Gutmenschen": ebenfalls als rein polemisch-diffamierender Kampfbegriff entstanden und wahrscheinlich in für viele Leute "gefühlt"-diffus irgendwie eindeutig, kennzeichnet aber wahrscheinlich ein Spektrum an Personen irgendwo zwischen Jutta Ditfurth, Friedrich Schorlemmer und Norbert Lammert. So ganz arg viel haben die aber nicht gemeinsam.

Beste Grüße
Guido
_AL_
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Re: Martin Kössler - Worte zum Jahresanfang

Beitrag von _AL_ »

Dirk Würtz hat geschrieben: Und als kleine Anmerkung an @AL
Nein, das ist kein Industriewein ...
Dann bitte ich mal um eine Definition für diesen Wein. Was ihn besonders macht, welche Alleinstellungsmerkmale er hat ... Neugier :P

P.S. Werden Regale bei Lidl eigentlich morgens erhitzt und abends eingefroren, dass sie dem Wein so schaden könnten :shock: :lol:

...
Dirk Würtz
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Re: Martin Kössler - Worte zum Jahresanfang

Beitrag von Dirk Würtz »

octopussy hat geschrieben:Danke an susa und Gerald für die gelungenen Beschreibungen. Ich finde es sehr löblich, sich mit den Begrifflichkeiten tatsächlich auseinanderzusetzen.

So ähnlich wie Ihr, susa und Gerald, hätte ich "Industriewein" oder "Massenwein" für mich auch definiert. Sogar das Wort "Industriewein" passt m.E. gut. Firmen wie z.B. Gallo Family Vineyards oder Treasury Wine Estates arbeiten eben überwiegend nach den Standards einer Industrie, d.h. größtenteils mit maschinellen und automatisierten Verfahren und mit Marketing über Marken, bei denen die Marke wichtiger ist als die Herkunft. Industriell ist der Gegensatz zu handwerklich. Das Beispiel Kleidung oder auch Beispiele wie Möbel zeigen, dass man industrielle und handwerkliche Herstellungstechniken durchaus auseinanderhalten kann.

Wie man zu Industrieweinen steht, ist eine andere Frage. Und da kann ich es gut verstehen, wenn man sich ungern belehren lassen will, was man bitte schön trinken soll.
Ich tue mir da wirklich schwer, ich gebe es gerne zu. "Maschinell", "Automatisiert", Standards"... dass sind alles Begriffe, die im normalen Winzeralltag zuhause sind. Die besten und berühmtesten High End Weingüter der Welt sind IFS zertifitziert. Das sind "Industriestandards". Solange Wein aus Trauben gemacht wird und nicht überdacht auf Substrat wächst, habe ich persönlich mit dem Begriff Industriewein ein Problem. MArken etcpp... dass ist alles klar zund das sehe ich auch ganz genauso
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Gerald
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Re: Martin Kössler - Worte zum Jahresanfang

Beitrag von Gerald »

Auf was ich eigentlich hinaus wollte: die meisten der hochgelobten "handwerklichen Winzer" haben viele typische Eigenschaften industrieller Produktion sich zu eigen gemacht, beispielsweise Kellertechnik, Qualitätssicherung bis zu PR und einem internationalen Vertriebsnetz. Der einzige Unterschied ist die relativ geringe und stark differenzierte (Einzellagen!) Produktion.

Eine ganz typische Eigenschaft der allermeisten Handwerksbetriebe - nämlich die individuelle Leistung auf Bestellung - ist ohnehin völlig untypisch für Weingüter, oder?

Grüße,
Gerald
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Charlie
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Re: Martin Kössler - Worte zum Jahresanfang

Beitrag von Charlie »

Verstehe nicht wofür Definitionen hier nötig sind. Der Wunsch nach einer Definition kann dem Wunsch nach Abbruch der Diskussion entspringen. Will sagen: es ist gut sich einigermassen im Klaren und einig zu sein, worüber man redet, was darüber hinausgeht, kann schnell zum kommunikativen Blocker werden.
Zuletzt geändert von Charlie am Mo 23. Jan 2012, 10:06, insgesamt 1-mal geändert.
Dirk Würtz
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Re: Martin Kössler - Worte zum Jahresanfang

Beitrag von Dirk Würtz »

_AL_ hat geschrieben:
Dirk Würtz hat geschrieben: Und als kleine Anmerkung an @AL
Nein, das ist kein Industriewein ...
Dann bitte ich mal um eine Definition für diesen Wein. Was ihn besonders macht, welche Alleinstellungsmerkmale er hat ... Neugier :P

P.S. Werden Regale bei Lidl eigentlich morgens erhitzt und abends eingefroren, dass sie dem Wein so schaden könnten :shock: :lol:

...
Ich weiss nicht, was Du jetzt genau willst... ich nehme mal an provozieren... Aber ich versuche das gerne zu beantworten. Was soll ich definieren? Rotwein, Cuvée aus Dornfelder, Regent und Spätburgunder aus der Pfalz. Hergestellt von normalen Winzerbetrieben, keine Genossen, keine "Industrie"... Probiert, gekauft, verschnitten, filtriert mit etwas Tannin versetzt, fertig. Alleinstellungsmerkmal keines, warum auch?!?! Wenn überhaupt ist Cordula das Alleinstellungsmerkmal.
Und Nein, ich glaube nicht, dass LIDL derartige Dinge mit seinen Regalen tut. Aber das ein Regal im Discounter nicht der optimale Platz zur Weinlagerung ist, dürfte auch klar sein. Die Flaschen die ich noch zu Hause habe schmecken jedenfalls nicht überlagert. Ich hoffe ich konnte Deine Fragen hiermit beantworten
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Re: Martin Kössler - Worte zum Jahresanfang

Beitrag von _AL_ »

Dirk Würtz hat geschrieben:
_AL_ hat geschrieben:
Dirk Würtz hat geschrieben: Und als kleine Anmerkung an @AL
Nein, das ist kein Industriewein ...
Dann bitte ich mal um eine Definition für diesen Wein. Was ihn besonders macht, welche Alleinstellungsmerkmale er hat ... Neugier :P

P.S. Werden Regale bei Lidl eigentlich morgens erhitzt und abends eingefroren, dass sie dem Wein so schaden könnten :shock: :lol:

...
Ich weiss nicht, was Du jetzt genau willst... ich nehme mal an provozieren...
Danke für die ehrliche Antwort (... mit etwas Tannin versetzt ...) und nein, ich wollte Dich nicht provozieren. Ich war wirklich nur neugierig. Witzigerweise hast Du jetzt selbst eine Definition für Industriewein geliefert! ;)

"... Hergestellt von normalen Winzerbetrieben, keine Genossen, keine "Industrie"... "

Dies hieße aber, dass Genossenschaften allein durch die Massenproduktion auch als "Industrie" definiert werden und "normale" Winzerbetriebe nicht :!:

Peace
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Gerald
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Re: Martin Kössler - Worte zum Jahresanfang

Beitrag von Gerald »

Hallo Alexander,
Dies hieße aber, dass Genossenschaften allein durch die Massenproduktion auch als "Industrie" definiert werden und "normale" Winzerbetriebe nicht :!:
das kann man - glaube ich - so nicht sagen, denn bei der Unterscheidung zwischen industrieller und handwerklicher Produktion geht es viel mehr um den Produktionsprozess selbst als um die Menge. Letztere ist oft nur Konsequenz der Automatisierung (bei zu kleinen Mengen rechnet sich das einfach nicht).

Grüße,
Gerald
Dirk Würtz
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Re: Martin Kössler - Worte zum Jahresanfang

Beitrag von Dirk Würtz »

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Danke für die ehrliche Antwort (... mit etwas Tannin versetzt ...) und nein, ich wollte Dich nicht provozieren. Ich war wirklich nur neugierig. Witzigerweise hast Du jetzt selbst eine Definition für Industriewein geliefert! ;)

"... Hergestellt von normalen Winzerbetrieben, keine Genossen, keine "Industrie"... "

Dies hieße aber, dass Genossenschaften allein durch die Massenproduktion auch als "Industrie" definiert werden und "normale" Winzerbetriebe nicht :!:

Peace[/quote]

Ich habe das "keine Industrie" extra in Anführungszeichen gesetzt. Ich sage es noch einmal, ich glaube nicht, dass es so etwas wie eine Industriewein gibt. Wenigstens nicht solange Wein noch aus Trauben hergestellt wird. Aber jetzt mal ganz klar und deutlich:

Ich glaube, dass das grundlegende Problem daran liegt, dass überall auf der Welt definitiv zuviele Trauben und damit auch zuviel Wein hergestellt wird. Diese Übermengen kommen irgendwann auf den Markt, bestes Beispiel aktuell Weine aus Spanien für 27 Cent pro Liter, frei Haus egal wo in europa... Diese Weine sind genauso produziert wie der Großteil aller anderen Weine auf dieser Welt die für den einfachen täglichen Konsum gesacht sind. In diesem Fall landen sie dann eben beim Discounter in der Flasche für plusminus 2,00 Euro und gelten als "Industriewein". Andereseits gibt es natürlich Unternehmen wie Gallo, die mit einem Höchstmaß an Effizienz Trauben herstellen, aus denen dann auch Wein gefertigt wird (man achte bitte auf meine Wortwahl: "herstellen" und "fertigen". Das ist natürlich ein anderer Standart, als das was die Bauern in de La Mancha machen, aber das finale Endergebnis ist das gleiche. Und um noch einmal auf den Unterschied zu "öko" zu kommen: Man betrachte sich bitte ienmal die ganz großen "Öko-Betriebe", auch die in Deutschland. Die sind hochgradig mischinisiert und automaatisiert, ansonsten ginge das alles auch gar nicht.
Während ich dieses postiing schreibe, realisiere ich final, wie schwierig dieses Thema ist und eventuelle Abgrenzungen nur sehr schwer vorzunehmen sind. Vielleicht muss man sich tatsächlich auf das "Alleinstellungsmerkmal" konzentrieren...
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