Martin Kössler - Worte zum Jahresanfang

Hohe Brisanz, kurzes Verfallsdatum
C9dP
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Re: Martin Kössler - Worte zum Jahresanfang

Beitrag von C9dP »

Leider lese ich hier kaum Antworten auf die doch zum Teil interessanten Fragen des Kollegen, fast nur Aussagen a'la:
- ist er doch selber schuld, wenn keiner bei ihm einkauft
- er soll sich nicht bei den Kunden beschweren, dass diese nur beim billigsten Kaufen ist halt Markt
- wenn andere Händler einen kopieren ist das halt Pech und auch wieder Marktgeschehen, auch das darf nicht kritisiert werden
- ...
Natürlich darf er kritisieren. So wie die meisten der hier Schreibenden Dinge, vor allem Weine, kritisieren und zwar positiv wie negativ. Wenn ich kritisiere muss ich aber auch mit Echo rechnen. Und ich kann schon viele der Antworten verstehen. Ich denke, dass jeder der bereit ist, für einen Wein regelmäßig mehr als 10,- Euro auszugeben und diesen per Internet zu ordern sich mit diesem Thema beschäftigt und daher zu einem gewissen Grad informiert ist und herausgeprägte Vorlieben hat. Ich weiß also, was ich suche und welchen Wein ich möchte. Und dann spielt natürlich der Preis eine große Rolle. Hier geht es häufig auch nicht um kleinste Differenzen.

Einfaches Beispiel: Ich habe letztens noch den Belgrave 2009 gesucht. Der Unterschied bei einer 12er OHK waren zwischem dem Angebot eines Händlers, bei dem ich durchaus häufiger bestelle und dem günstigsten Angebot 55,- Euro. Dafür habe ich mir dann noch Weine aus Regionen mitgenommen, die mir bisher eher fremd sind. So gesehen ist es schon merkwürdig, wenn man sich als Kunde dann die Frage stellen muss, ob dadurch die Vielfalt der Weinwelt gefährdet wird. Schließlich bin ich an neuem interessiert, kann mir das aber dadurch leisten, indem ich bei dem Bekannten auf den Preis achte.

Die Discount- und Massenweinkritik ist ja dann durchaus berechtigt. Es darf jedoch stark bezweifelt werden, ob diese Veröffentlichung von einem einzigen überzeugtem Discounterkunden gelesen wird. Und selbst wenn, wird sich dadurch die Einstellung nicht ändern. Insofern ist die Kritik nicht unberechtigt sondern allenfalls sinnlos.

Bei mir als interessiertem Konsumenten wirft eine solche Kritik eher die Frage auf, warum ich mir von einem Händler sagen lassen muss, was ich mögen darf und was nicht. Ich denke nicht, dass ich industrielle Massenweine kaufe auch wenn ich sie bei anderen Händlern kaufe und dabei auf den Preis achte. Schließlich muss ich, wie im übrigen jeder Unternehmer auch, kostenorientiert handeln. Und das fällt bei der Vielzahl an interessanten Weinen und dem nicht beliebig steigerbaren Budget eh schon schwer genug :oops:
Viele Grüße

Aloys
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Charlie
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Re: Martin Kössler - Worte zum Jahresanfang

Beitrag von Charlie »

BuschWein hat geschrieben:Kann mir mal jemand erklären warum das Beschreiben einer aus eigener Sicht falschen Entwicklung immer gleich als Jammern und beschimpfen ausgelegt wird?

Darf man nicht schreiben/sagen, dass einem der Hang zu industriell gefertigten Weinen (oder auch Lebensmitteln) nicht gefällt, dass man hier einen kulturellen Verlust erkennt?

Leider lese ich hier kaum Antworten auf die doch zum Teil interessanten Fragen des Kollegen, fast nur Aussagen a'la:
- ist er doch selber schuld, wenn keiner bei ihm einkauft
- er soll sich nicht bei den Kunden beschweren, dass diese nur beim billigsten Kaufen ist halt Markt
- wenn andere Händler einen kopieren ist das halt Pech und auch wieder Marktgeschehen, auch das darf nicht kritisiert werden
- ...

Schade
Eins sollte klar sein: doch, das darf man alles tun und sagen. Die beiden Texte von Kössler wurden auch mit Interesse gelesen. Man war nur anderer Meinung und sieht die Probleme nicht, die ihr Weinhändler seht. Vielleicht handelt es sich tatsächlich um einen klassischen Fall von Kommunikationshürde aufgrund unterschiedlicher Interessen/Werten/Zielen/Lebenswelten.

Zu den Antworten auf die interessanten Fragen: die werden sowieso nicht in Texten von Weinhändlern oder Broschüren der Winzer oder Prospekten der Weinbauverbände geliefert sondern in erster Linie in der Flasche, und zwar von den Winzern die die konkret guten Weine machen, danach von den Händlern die diese Weine ins Sortiment nehmen, den Gastwirten die sie Ausschenken, den Konsumeten die sie bezahlen und trinken, den Weinkritikern und -journalisten die darüber schreiben und ein bisschen von den vielen Netzschreibern (um den Bogen zu mir zu spannen).
Positiver rum formuliert: wahrscheinlich sagt mir jeder Wein aus Kösslers Portfolio mehr als sein Text.
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Gerald
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Re: Martin Kössler - Worte zum Jahresanfang

Beitrag von Gerald »

Positiver rum formuliert: wahrscheinlich sagt mir jeder Wein aus Kösslers Portfolio mehr als sein Text.
Sehr schön formuliert. Ich glaube eben nur, dass man mit einem solchen Text kaum neue Kunden von der eigenen Sortimentspolitik überzeugen wird, potenzielle Kunden aber vielleicht schon abschrecken, wenn man ihnen erklärt, dass ihr Einkaufverhalten eine Zumutung für die altehrwürdige Wein- und Genusskultur, Umwelt wie auch die Winzer und last not least Weinhändler darstellt. Also kurz gesagt, dass es eigentlich asozial ist, billige Weine zu kaufen ...

Die ganze Sache erinnert mich frappant an das Gejammer mancher Weinprofis über die kostenlosen, aber "qualitativ minderwertigen" Angebote im Web (Blogs, Foren etc.). Wird auch nichts an der Sache ändern und man macht sich höchstens lächerlich, oder?

Grüße,
Gerald
C9dP
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Re: Martin Kössler - Worte zum Jahresanfang

Beitrag von C9dP »

Ich denke, dass man aufpassen muss ein Produkt kundenorientiert zu vermitteln. Das heisst nicht, dass man Bestehendes immer gut heißen muss. Man sollte jedoch aufpassen, nicht als Oberlehrer aufzutreten, sondern mit Diskussionen auf Augenhöhe seiner Kunden und Neukunden zu führen. Wenn ich als Kunde das Gefühl habe, dass ich eigentlich dankbar sein muss, dass der Händler mir dummen Kunden seine wertvolle Zeit opfert kaufe ich aus Prinzip nicht. Wenn aber eine Äußerung kommt wie "Ich habe für nur 1,- Euro mehr einen ganz besonderen Wein, der dazu noch dies oder jenes an Mehrwert bietet" fühle ich mich angesprochen. Oder ich kann halt reagieren und sagen, dass bestimmte Faktoren für mich nicht interessant sind aber dafür ich noch eine andere Frage habe. So kommt ein Gespräch zustande und der schlaue Händler erfährt noch viel mehr. Nämlich Präferenzen, die ihm die Möglichkeit geben mich individuell anzusprechen. Klappt aber nicht, wenn er mit einer großen Keule um sich haut.

Und noch etwas zur Sortimentspolitik. Eigentlich braucht doch jedes Unternehmen seine Zugpferde. Das werden immer etablierte Produkte sein, bei denen man im Zweifel auch auf etwas Marge verzichten muss. Darüber kann man Produkte an den Kunden bringen, die man selber aufbaut und den Markt bildet. Hier hat man dann zumindest eine befristete Zeit ein Alleinstellungsmerkmal und kann auch höhere Margen durchsetzen bis natürlich andere auf den Zug aufspringen. Das sollte doch sollte doch eigentlich im Weinhandel ähnlich sein, oder?
Viele Grüße

Aloys
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UlliB
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Re: Martin Kössler - Worte zum Jahresanfang

Beitrag von UlliB »

BuschWein hat geschrieben: Darf man nicht schreiben/sagen, dass einem der Hang zu industriell gefertigten Weinen (oder auch Lebensmitteln) nicht gefällt, dass man hier einen kulturellen Verlust erkennt?
Hallo Armin,

das Jammern über "kulturellen Verlust" ist so alt wie die Menschheit und zieht sich, seitdem es schriftliche Aufzeichnungen gibt, durch alle Epochen hindurch wie ein roter Faden - völlig unabhängig von den jeweiligen realen Gegebenheiten. Das ist ein mittlerweile über Jahrtausende (!) anhaltender globaler Megatrend, über dessen psychologische Grundlagen schon sehr viel Tinte vergossen wurde.

Was nun die realen Gegebenheiten beim Wein betrifft: wie schon etliche andere hier geschrieben haben, kann auch ich einen "generellen Hang zu industriell gefertigten Weinen" nicht einmal im Ansatz erkennen. Ich trinke Wein seit mittlerweile gut 35 Jahren, und noch nie gab es für den interessierten Weintrinker eine derartige Fülle hoch individueller, handwerklich hergestellter Weine zu kaufen wie heute. Dass es daneben bis in das preisliche Spitzensegment durchaus gewisse Tendenzen zur stilistischen Vereinheitlichung gab und gibt, ist unbestritten; es gibt aber mehr als genug Alternativen zu jeder bestehenden "Mainstream-Stilistik", wenn diese einem nicht gefällt.

Und was den "industriell gefertigten Wein" betrifft: auch der ist heute qualitativ meistens besser als sein Ruf. Wenn ich vor 25 oder 30 Jahren zu Leuten eingeladen war, die nichts von Wein verstanden, habe ich bevorzugt Bier oder Wasser getrunken, weil viele damals im Supermarkt oder Discounter erhältliche Weine dermaßen schlecht waren, dass ich sie einfach nicht herunterbringen konnte und ich mehr als nur einmal auf der verzweifelten Suche nach einem armen Blumentopf war, in dem ich den Inhalt meines Glases unauffällig versenken konnte. Und heute? Fast alles ist zumindest im technischen Sinne einwandfrei und insofern unfallfrei zu trinken, vieles ist natürlich belanglos, manches schon ganz nett, meistens natürlich einem Massengeschmack angepasst. Wenn die Mehrheit der Leute damit zufrieden ist: was ist denn falsch daran? Sich darüber aufzuregen, dass die Leute nur nach "schmeckt / schmeckt nicht" differenzieren, ist eine elitäre Haltung, die auf verdammt wackeligem Grund steht, da alle darüber hinaus gehenden Konzepte wie "Authentizität" oder "Terroir" nicht wirklich zu greifen sind (siehe die endllosen Diskussionen dazu hier und an anderer Stelle) und sehr häufig bei der ersten Blindverkostung - so man sich einer solchen denn stellt - wie ein Kartenhaus in sich zusammenfallen.

Dass die heutige Situation für einen Fachhändler alles andere als komfortabel ist, kann ich durchaus verstehen: seit zwei Jahrzehnten stagnierender Konsum, anziehende Qualitäten im Supermarkt / Discounterbereich (wer sich ein wenig auskennt, kann auch dort mittlerweile durchaus ansprechende Sachen für wenig Geld finden), durch das Internet hohe Preistransparenz und bequeme Einkaufsmöglichkeiten bis über die Landesgrenzen hinaus, auch im Präsenzhandel mehr Konkurrenz als früher: das ist bitter. Aber nicht mein Problem. Und insofern verstehe ich nach wie vor nicht, was mir Herr Kössler denn eigentlich sagen will - außer dass es ihm schon mal besser ging, und dass die Leute, die woanders als bei ihm kaufen, Ignoranten sind.

Gruß
Ulli
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susa
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Re: Martin Kössler - Worte zum Jahresanfang

Beitrag von susa »

Herr Kössler hat nochmal nachgelegt

http://weinquellen.at/blog/weintrinker- ... ustrie.htm

auch wenn er sicher in mancherlei Hinsicht den Finger in die Wunde legt, so nimmt es für mich jetzt langsam notorische Züge an.

Das in Bausch und Bogen Verdammen von Industrie- oder Discounter/Supermarktwein ist meines Erachtens nicht zielführend. Wir müssen akzeptieren, dass es Weintrinker gibt, deren Anspruch nicht besonders hoch ist, die für kleines Geld Wein kaufen wollen, ohne sich in den Fachhandel zu begeben oder sich mühselig in die Materie einzuarbeiten. Das machen die auch nicht bei Schinken, Marmelade oder Geschirrspülmittel. Wein ist ihnen nicht wichtig, Schluss.

Das ist doch auch in Ordnung. Dass man dann Auswüchse bei der industriellen Produktion anprangert, wie Pestzideinsatz etc. ist o.k., aber wenn man alle diese Kunden zum Fachhandel schicken würde und der Bedarf sollte von handwerklich erzeugter Winzerware gedeckt werden, das ist doch sowieso nicht zu leisten.

Dieses Gut-Böse-denken und alles immer auf die Geiz-ist-geil-Mentalität schieben passt mir nicht.

lieben Gruß
susa
Red wine with fish. Well, that should have told me something.
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Gerald
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Re: Martin Kössler - Worte zum Jahresanfang

Beitrag von Gerald »

Ich glaube, hier tust du dem armen Herrn K. unrecht, denn soweit ich das verstanden habe, stammt der Beitrag nicht von Kössler selbst, sondern von dem - mir übrigens unbekannten, obwohl in Wien beheimateten - Leo Quarda. Keine Ahnung, ob ich mich genieren sollte, den Namen nicht zu kennen? :oops:

Grüße,
Gerald
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Re: Martin Kössler - Worte zum Jahresanfang

Beitrag von Gerald »

Hmmm, habe gerade den Blogbeitrag vollständig gelesen. Bei derart qualifizierten und sachlich nachvollziehbaren Ausführungen wie
... ist die vorsätzliche Täuschung der Konsumenten durch die ‘konventionelle’ Weinindustrie welche uns glauben lässt, dass wir tatsächlich ‘natürlichen’ Wein trinken. In Wirklichkeit schütten wir uns chemisch aufgemotzes Lesegut hinter die Binde und freuen uns weil wir den Fusel zu unschlagbaren Preisen erstanden haben.
denke ich, dass ich mich doch nicht dafür schämen muss, den Namen des Autors noch nie gehört zu haben ;)

Grüße,
Gerald
BuschWein
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Re: Martin Kössler - Worte zum Jahresanfang

Beitrag von BuschWein »

http://www.weinhalle.de/blog/2012/01/hi ... -beton-ei/

Sehr guter Essay zum Thema Beton-Ei von Martin Kössler, anscheinend hat er im Moment etwas Zeit zu Schreiben.
Armin
www.gutsweine.com

Dumme Menschen machen immer den gleichen Fehler, intelligente immer Neue ;)
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Gerald
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Re: Martin Kössler - Worte zum Jahresanfang

Beitrag von Gerald »

"Zur Abwechslung" mal ;) wirklich ein guter, seriöser Beitrag. Trotzdem sei es erlaubt zu erwähnen, dass der Inhalt im Wesentlichen aus der Studie der bayer. Landesanstalt stammen dürfte, siehe auch hier: http://www.dasweinforum.de/viewtopic.php?f=32&t=1429

Grüße,
Gerald
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