Do 9. Jan 2014, 10:45
Gestern Abend habe ich mich durchgerungen, mal eine absolute Risikoflasche aufzumachen. Bei mehreren Flaschen Rüdesheimer Berg Rottland Spätlese der Staatsweingüter, die ich gekauft hatte, war auch eine
trockene Spätlese dabei, und zwar aus 1975. So viele alte Rieslinge habe ich ja in meinem Leben noch nicht getrunken, und so verwundert es evtl. nicht, dass dies der älteste als trocken
deklarierte Riesling war, den ich bislang getrunken habe. Sehr gespannt war ich natürlich, ob sie noch was taugt, diese
1975 Rüdesheimer Berg Rottland Riesling Spätlese Trocken der Staatsweingüter?
Diverse Proben zu den Anfängen der als trocken deklarierten Rieslinge fielen nach den Berichten eher gemischt aus, siehe z.B.
hier oder
hier. Bei beiden Proben war übrigens 1983 der erste Jahrgang.
Der Rottland ist mit ca. 35 ha die größte Lage auf dem Rüdesheimer Berg und mit ca. 33% Hangneigung die am wenigsten steile. Der Boden besteht aus grauem Schiefer, Quarzit und Kies mit leichter Lößabdeckung. Wie groß der Anteil der Staatsweingüter ist, weiß ich offen gesagt nicht.
Nun aber zum Wein. Das Etikett sieht aus, wie es nunmal aussieht, wenn es aus einem feuchten Keller kommt. Interessant finde ich vor allem die AP-Nr. 006/
79. Ich verstehe das so, dass der Wein erst 1979 durch die Qualitätsprüfung kam. Ich habe mal beim Weingut nachgefragt, ob der Wein so lange im Fass lag oder woran sonst die erst spät erteilte Prüfnummer lag. Mal schauen, ob ich eine Antwort kriege. Der Korken ging problemlos raus. Dann hat mich die Farbe erst einmal erstaunt - sie ist messinggelb. Mehrere zuletzt getrunkene Staatsweingüter Rieslinge aus den 70er Jahren hatten eher eine ins Bernstein-/Colafarben gehende Farbe. Dann die Nase: sie ist - nun ja - nicht so, wie ich sie mir von einem 38 Jahre alten trockenen Riesling vorgestellt habe. Sie ist nämlich frisch, zitronig, leicht floral und weist nur sehr dezente Firne auf. Blind hätte ich wahrscheinlich auf die 90er Jahre getippt. Die Nase wird mit der Zeit immer besser, gewinnt an Komplexität, die Firne treten in den Hintergrund. Auch am Gaumen ist der Wein frisch, trocken, nicht knochentrocken, eher rund als karg, aber sehr schlank und vor allem schön ausgewogen. Die erste Assoziation, die ich hatte, waren gereifte Schlossberg Rieslinge von Breuer - dieses zitronig-kräutrige mit ganz leicht ätherisch-bitteren Noten, das habe ich bei mehreren gereiften Breuer Schlossberg Rieslingen ebenso wahrgenommen.
Der Wein macht richtig Spaß zu trinken, ich musste mich geradezu zwingen, den Wein nach einer halben Flasche wieder zu verschließen. Der Trinkfluss ist grandios. Besonders begeistert bin ich, dass der Wein nicht nur aus "Ehrfurchts-Alters-Gründen" so gut ist, sondern auch als fein gereifter Riesling. Ich bezweifle, dass er sich in den letzten 20 Jahren noch verbessert hat, gleichwohl verändert er mein Weltbild der Lagerfähigkeit trockener Rieslinge. Sehr schön.
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octopussy am Do 9. Jan 2014, 11:34, insgesamt 1-mal geändert.