Pestizidrückstände in GG, Smaragd & Co?

Von der Weinbergspflege bis zur Kellertechnik
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UlliB
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Re: Pestizidrückstände in GG, Smaragd & Co?

Beitrag von UlliB »

Gerald hat geschrieben: Wir wir wissen, gibt es - wie bei den meisten medizinischen Studien - sehr unterschiedliche Ansichten über die tatsächlichen Auswirkungen mäßigen Alkoholkonsums (und Weinkonsums im Speziellen), wahrscheinlich auch abhängig vom jeweiligen Interesse der Autoren bzw. der Auftraggeber.
Ein Großteil der Studien, die mäßigem Alkoholkonsum keine schädigenden Wirkungen oder gar positive zuschreiben, sind tatsächlich gesponsort - weniger von der Weinindustrie, sondern von großen Spirituosenfirmen. Diese Studien kannst Du nur mit der Zange anfassen.
Im Buch von Carlos Falcó - der allerdings auch nicht wirklich neutral zu dem Thema stehen wird ;) - gab es eine schöne Übersicht, wo nicht der Einfluss auf einzelne Erkrankungen betrachtet wurde, sondern die Gesamtsterblichkeit innerhalb eines bestimmten Zeitraums. In dieser Übersicht war die Sterblichkeit bei Menschen mit mäßigem Weinkonsum (ich glaube es waren ungefähr die ohnehin oft genannten Mengen von 20-40 g bezogen auf reinen Ethanol pro Tag, abhängig vom Geschlecht) am geringsten.
Ja, die berühmte "Hockeyschlägerkurve": mit von Null ansteigendem Alkoholkonsum sinkt die Mortalität zunächst ein wenig; erst ab einem bestimmten Punkt steigt das Risiko deutlich an. Diese Behauptung findet man nach wie vor an vielen Stellen in der einen oder anderen Form zitiert. Dumm nur, dass man mittlerweile weiß, dass es sich dabei um ein statistisches Artefakt handelt: die Abstinenzler haben nicht deshalb eine erhöhte Mortalität, weil sie keinen Alkohol trinken - umgekehrt: viele Leute sind Abstinenzler, weil sie krank sind und dewegen keinen Alkohol trinken können oder dürfen. Gleichtzeitig bedingt die bestehende Grunderkrankung eine erhöhte Mortalität. Hier liegt eine Cokorrelation und damit ein klassischer statistical pit fall vor.
Ich hätte gedacht, dass es bei uns um Qualität, nicht um Quantität geht :oops:
Na ja, Quantität: nach heutigem Stand als gesundheitlich unbedenklich gilt bei Frauen eine Aufnahme von 15 Gramm reinem Alkohol / Tag, bei Männnern von 30 Gramm / Tag. Dabei muss man sagen, dass dieser Wert in den vergangenen Jahren auf Grund neuerer epidemologischer Erkenntnisse laufend nach unten revidiert wurde, und ob das jetzt das Ende ist, ist wohl unklar.

Eine 0,75-Liter-Flasche mit 12,5% Vol enthält rund 75 Gramm reinen Alkohol. Noch Fragen?

Gruß
Ulli
Zuletzt geändert von UlliB am Do 16. Aug 2012, 18:39, insgesamt 1-mal geändert.
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Gerald
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Re: Pestizidrückstände in GG, Smaragd & Co?

Beitrag von Gerald »

Die Sache mit den "trockenen" Alkoholikern, die die Sterblichkeit der Nicht-Trinker erhöhen, habe ich auch schon gelesen. Allerdings wird diese These genauso oft für nicht zutreffend angesehen. Mir fehlen die leider die Detailkenntnisse, um selbst nachprüfen zu können, wer Recht hat. Egal, die Unterschiede sind vermutlich ohnehin statistisch nicht signifikant. Dazu kann man mit Studien, die nicht als Experiment (am besten Doppelblindversuch) angelegt sind, sondern einfach bestehende Daten auswerten, ohnehin oft genau das zeigen, was man möchte ;)
nach heutigem Stand als gesundheitlich unbedenklich gilt bei Frauen eine Aufnahme von 15 Gramm reinem Alkohol / Tag, bei Männnern von 30 Gramm / Tag
ja klar, nicht ganz 1/2 Flasche pro Tag bei Männern. In taw gab es einmal eine Umfrage zu dem Thema - und dieser Konsum (2-3 Flaschen pro Woche) wurde am häufigsten von den Teilnehern genannt. Hier im Forum war eine weitere Umfrage, wo allerdings die Auswahlmöglichkeiten etwas anders waren (2-4 Flaschen pro Woche). Wie ehrlich die Antworten waren, kann ich natürlich nicht beurteilen. In meinem Fall stimmt es zumindest ;)

http://www.talk-about-wine.de/topic.asp?TOPIC_ID=5237

http://www.dasweinforum.de/viewtopic.php?f=111&t=298

Grüße,
Gerald
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UlliB
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Re: Pestizidrückstände in GG, Smaragd & Co?

Beitrag von UlliB »

Gerald hat geschrieben: ja klar, nicht ganz 1/2 Flasche pro Tag bei Männern. In taw gab es einmal eine Umfrage zu dem Thema - und dieser Konsum (2-3 Flaschen pro Woche) wurde am häufigsten von den Teilnehern genannt. Hier im Forum war eine weitere Umfrage, wo allerdings die Auswahlmöglichkeiten etwas anders waren (2-4 Flaschen pro Woche). Wie ehrlich die Antworten waren, kann ich natürlich nicht beurteilen. In meinem Fall stimmt es zumindest ;)
Was die Frage provoziert, was gesundheitlich problematischer ist: jeden Tag eine halbe Flasche oder ein paar Tage lang gar nichts und dann auf einmal mal eine ganze (oder auch mehr). Gemittelt kommt das auf's gleiche raus, aber der Organismus mittelt nicht. Ich würde mal vermuten, dass das zweite Verhalten deutlich schädlicher ist als das erste; konkrete Studien dazu habe ich aber bislang keine gefunden.

So, jetzt werde ich angesichts des hier gerade zurückkehrenden Sommers erst einmal ein Fläschchen aufziehen; konventioneller Weinbau mit ordentlich Pestiziden. Nur wegen der gleichmäßigeren Exposition, Du weißt schon... :D

Gruß
Ulli
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Markus Vahlefeld
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Re: Pestizidrückstände in GG, Smaragd & Co?

Beitrag von Markus Vahlefeld »

Was ist denn jetzt die Zusammenfassung aus dieser wirklich interessanten Debatte?

Für mich:

1. Botrytizide sind mit großer Wahrscheinlichkeit im Wein nachweisbar, aber unterhalb der als schädlich geltenden Grenze. Gesundheitsgefahr besteht also nicht.

2. Wie Ulli richtig schreibt (Danke für die Korrektur), ist durch Extrapolation aus der Tradition heraus seit dem neuen Jahrtausend ein Weinstil geschaffen worden, zu dessen Erzeugung man in vielen Jahren Botrytizide benötigt. Dieser Weinstil wird als typisch angesehen und von Kritikern hoch bewertet.

3. RiekeRiesling gibt zu bedenken, dass in manchen Jahren Botrytizide notwendig sind, um überhaupt einen verkäuflichen und geniessbaren Wein zu erhalten.

4. Der Unterbau und Mittelbau von Weinen ist von Botrytiziden sicher weniger betroffen als das Spitzensegment, einfach weil im unteren Segment früher gelesen wird und die Botrytizide sehr teuer sind.

5. Eigentlich sollten Winzer kein Problem haben, den Einsatz von Botrytiziden anzugeben (RiekeRiesling). Aus eigener Erfahrung weiss ich aber: vor allem im Spitzensegment, wo es um Emotionalität und Kult geht, sieht es anders aus. Da wird so übel gelogen, dass ich kotzen wollte.

Daher mein Fazit:

Man kann einfach Wein trinken, weil er schmeckt. Jeden Wein. Auch den den mit Botrytizideinsatz. Wenn es aber um Spitzenqualität und Emotionalität geht, sind Transparenz und Ehrlichkeit FÜR MICH hoch einzustufende Werte (Emotionen). Dort vertraue ich dann eher den Bio-Winzern, die es - zumindest was Botrytizide angeht - nicht nötig haben, mich zu belügen.
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Gerald
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Re: Pestizidrückstände in GG, Smaragd & Co?

Beitrag von Gerald »

Hallo Markus,
1. Botrytizide sind mit großer Wahrscheinlichkeit im Wein nachweisbar, aber unterhalb der als schädlich geltenden Grenze. Gesundheitsgefahr besteht also nicht.
als Einzelsubstanz sind sie vermutlich in den auftretenden Mengen harmlos. Die Frage der Wechselwirkung mit anderen Pestiziden oder anderen Inhaltsstoffen im Wein lässt sich aber nicht so einfach nachprüfen. Da könnten wir noch einige böse Überraschungen erleben ...
4. Der Unterbau und Mittelbau von Weinen ist von Botrytiziden sicher weniger betroffen als das Spitzensegment, einfach weil im unteren Segment früher gelesen wird und die Botrytizide sehr teuer sind.
Habe mal nach Preis und Hektaraufwand von Teldor gegoogelt und bin - bei der höchsten empfohlenen Dosis (1,6 kg/ha) und einem angenommenen Ertrag von 50 hl/ha - auf nicht einmal 2 Cent pro Flasche gekommen. Da glaube ich persönlich nicht, dass es aus Kostengründen nur für die teuersten Weine des Weinguts in Frage kommt.
5. Eigentlich sollten Winzer kein Problem haben, den Einsatz von Botrytiziden anzugeben (RiekeRiesling). Aus eigener Erfahrung weiss ich aber: vor allem im Spitzensegment, wo es um Emotionalität und Kult geht, sieht es anders aus. Da wird so übel gelogen, dass ich kotzen wollte.
Gelogen würde ich gar nicht mal sagen, sondern ins Gegenteil verdreht. In den Medien bzw. Weinguides heißt es "der Winzer hat seine Hausaufgaben bravourös erledigt und perfekte Trauben geerntet". Gemeint ist, der Winzer hat exzessiv Pestizide versprüht, von denen sich ein erheblicher Teil auch in der Flasche wiederfinden wird :o

Mein Résumé: meine Lust auf die genannten Weinstile ist mir (vorerst?) einmal gründlich vergangen, ich werde in nächster Zeit vermehrt Ausschau nach Weinen aus biologischer Produktion halten. Allerdings mit "konventioneller" Behandlung im Keller, die "Naturweine" sind leider nichts für mich ...

Grüße,
Gerald
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Markus Vahlefeld
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Re: Pestizidrückstände in GG, Smaragd & Co?

Beitrag von Markus Vahlefeld »

Gerald hat geschrieben:Gelogen würde ich gar nicht mal sagen, sondern ins Gegenteil verdreht. In den Medien bzw. Weinguides heißt es "der Winzer hat seine Hausaufgaben bravourös erledigt und perfekte Trauben geerntet". Gemeint ist, der Winzer hat exzessiv Pestizide versprüht, von denen sich ein erheblicher Teil auch in der Flasche wiederfinden wird :o
Ja, das mag für Weinkritiker gelten, die lieber hochloben und Teil der Szene bleiben wollen. Sich künstlich doof stellen, gehört sicher in einem special-interest-Bereich wie Wein dazu, um es sich nicht zu verscherzen. Aber für Winzer gilt das nicht. Die Klugen schweigen, die Bauernschlauen versenden noch im November bunte Bildchen ihrer gesunden Trauben, während jeder Nachbar weiss, wie die zustande kommen. Da paart sich Gewieftheit mit Verschweigen, was ich durchaus gewillt bin Lüge zu nennen.
Sebastopol
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Re: Pestizidrückstände in GG, Smaragd & Co?

Beitrag von Sebastopol »

Die Diskussion bewegt sich so fern zumindest meiner Realität als Winzer, das ich eigentlich gar nichts mehr dazu sagen möchte.
Empfehlen würde ich allerdings, sich erst einmal eingehend und umfassend mit dem Thema vertraut zu machen, nicht wild verschiedene Begriffe durcheinander zu werfen, und vor allem andern, sich den Wirkungsgrad von Botrytiziden anzusehen, nicht einfach nur die Produktbeschreibung des Herstellers zu glauben. Vielleicht verbirgt sich da eine überraschende Erkenntnis.
Und wer dann noch möchte kann mal die jährlich genutzten Pflanzenschutzmittelmengen auf einen Hektar umrechnen, und sich dann ein beliebiges anderes Weinland Europas oder der Welt unter gleichem Gesichtspunkt betrachten.


Auch wenn mein Ärger nicht neu ist:
"Doch wir horchen allein dem Gerücht und wissen durchaus nichts." - Homer, Ilias
"A German wine label is one of the things life's too short for, a daunting testimony to that peculiar nation's love of detail and organization."
Kingsley Amis Everyday Drinking
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Alas
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Re: Pestizidrückstände in GG, Smaragd & Co?

Beitrag von Alas »

Sebastopol hat geschrieben:"Doch wir horchen allein dem Gerücht und wissen durchaus nichts."
Und dieses aufgrund der glasklaren Transparenz der Winzer und Weinwirtschaft über An- und Ausbau ihrer Produkte und einer unermüdlichen Aufklärung der Konsumenten.

Salve

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Gerald
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Re: Pestizidrückstände in GG, Smaragd & Co?

Beitrag von Gerald »

Hallo Sebastopol,
Empfehlen würde ich allerdings, sich erst einmal eingehend und umfassend mit dem Thema vertraut zu machen, nicht wild verschiedene Begriffe durcheinander zu werfen, und vor allem andern, sich den Wirkungsgrad von Botrytiziden anzusehen, nicht einfach nur die Produktbeschreibung des Herstellers zu glauben. Vielleicht verbirgt sich da eine überraschende Erkenntnis.
Und wer dann noch möchte kann mal die jährlich genutzten Pflanzenschutzmittelmengen auf einen Hektar umrechnen, und sich dann ein beliebiges anderes Weinland Europas oder der Welt unter gleichem Gesichtspunkt betrachten.
zu so später Stunde fällt es leider nicht mehr ganz so leicht, deine Andeutungen richtig zu interpretieren. Vielleicht kannst du uns auf die Sprünge helfen und deine Kritik konkretisieren. Falls sich in unserer Diskussion falsche Fakten eingeschlichen haben, wäre ich über eine Richtigstellung sehr dankbar.

Grüße,
Gerald
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sorgenbrecher
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Re: Pestizidrückstände in GG, Smaragd & Co?

Beitrag von sorgenbrecher »

dirk würtz hatte zu der offenheit des umgangs mit diesem thema im hinblick auf den 2010er jahrgang auch mal etwas geschrieben: http://wuertz-wein.de/wordpress/2010/10 ... nges-2010/
Gruß, Marko.
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