Kurzer Exkurs zur Unverfügbarkeit: Für Hartmut Rosa ist Resonanz als Gegenbegriff zu Entfremdung ein Zustand, der zwischen zwei Seiten eintreten kann, wobei es sich nicht um zwei Subjekte handeln muss, sondern man auch gegenüber der Natur, einem Kunstwerk oder der Geschichte in Resonanz treten kann, wenn es sich nicht um ein rein instrumentelles Verhältnis handelt. Wesentlich ist dabei, dass beide Seiten für das Gelingen verantwortlich sind und eine Seite nicht über die andere verfügt, der Zustand der Resonanz also nicht wie eine Ware beliebig verfügbar gemacht werden kann. Man kennt das von einem Kunstwerk, das vielleicht an einem Tag zu einem spricht, am nächsten Tag versucht man den Glücksmoment zu wiederholen und es gelingt nicht. Ähnlich ist es beim Wein, wobei sich hier beide Seiten ständig verändern – der Wein je nach Alter, Temperatur, Zeitpunkt nach er Öffnung, etc.; die flüchtige Erfahrung eines Weines an einem Abend lässt sich nie identisch wiederholen, auch nicht, wenn man die gleiche Flasche mehrfach besitzt. In der Unwiederholbarkeit und damit Unverfügbarkeit besteht m. E. die Magie des Weins, die ihn damit etwa vom Bier unterscheidet, von dem man tendenziell immer das gleiche Erlebnis erwartet. (Vermutlich würde aus Hartmut Rosas Perspektive der Palettenkauf des immer gleichen Weines auf ein verdinglichtes Verhältnis zum Gegenstand hinweisen.)
Nun zu den Kohl Apfelsäften: sie verheißen eben genau dieses Resonanzversprechen und jedenfalls ist die Vermarktung ausgefuchst. Sie sind nicht billig (über 5€/Liter) und auch nicht für den alltäglichen Bedarf, sollen wie Wein aus Stielgläsern getrunken werden, auf die adäquate Trinktemperatur von 8-12°C wird Wert gelegt. Allein reine Apfelsäfte (Entschuldigung, Bergapfelsäfte) gibt es 6 verschiedene aus unterschiedlichen, teils fast ausgestorbenen Sorten. Der Clou ist: Sie sind von sauer bis süß skaliert und zu jedem Saft gibt es Speiseempfehlungen.
Die Charakterisierung der Säfte ist ganz offensichtlich der von Wein nachempfunden, so heißt es z. B. beim Rubinette:
Oder die Kurzbeschreibung: Helles Strohgelb, vielschichtiges Bukett, kräftig und harmonisch, anhaltend.Die Leichtigkeit des Seins! Schon die Farbe ist elegant: ein helles Strohgelb, changierend mit Untertönen von Rosé und Apricot. Der Bergapfelsaft der Sorte „Rubinette“ bietet ein intensives Bukett von Aromen wie Trockenfrüchten, Datteln, Quitten und Marillen, gewürzt mit einer dezenten Vanillenote. Elegant und füllig am Gaumen, erfreut der Saft mit einem langen Abgang.
Dieser Saft sei besonders empfehlenswert zu feinem Ziegenkäse, leichten und würzigen Gemüse- und Fleischgerichten.
Zu zu rohem Fisch, Meeresfrüchten, Krustentieren, gebundenen Cremesuppen würde man hingegen dann besser zum „Gravensteiner“ greifen.
Darüber hinaus gibt es aber noch verschiedenste Cuvées, wobei nie Zucker oder gar irgendwelche Aromen hinzugesetzt sind.
Gestern geöffnet habe ich die Komposition Bergapfelsaft & Mandarine. Die Beschreibung verheißt:
In der Tat bietet das Getränk eine Freude am Süß-Säure-Spiel ähnlich wie beim Riesling, mit gemeinem Apfelsaft hat das wenig zu tun; im Gabriel-Weinglas auf 10°C gekühlt ist das ein extrem feines Getränk. Vielleicht, könnte man vermuten, bin ich ganz dem Marketing erlegen; das hat sicherlich seinen Anteil, aber als ich den Saft heute Morgen meiner Frau serviert habe, die von den Hintergründen nichts weiß, war ihre erste Reaktion: „schmeckt wie Wein“.In dieser Cuvée verbinden sich die Aromen des Südens und des Nordens: In der Sonne Siziliens gereifte Mandarinen aus Ciaculli und von der Bergsonne geküsste Äpfel aus unseren Gärten. Der charakterstarke Bergapfelsaft bildet die Struktur des Safts, die aromatische Mandarine tanzt vor diesem Hintergrund und fügt ihm süß-säuerliche Geschmacksreflexe hinzu.
Natürlich tut er das nicht, aber vielleicht: so fein wie Wein, oder fast zumindest; jedenfalls überzeugt die Süß-Säure-Balance und daraus resultierende hohe Spannung.
Ich freue mich auf die Begegnung mit den übrigen Cuvées, die noch verschlossen im Keller lagern.
Jedenfalls alles in allem eine für Weinliebhaber sehr interessante alkoholfreie Alternative. Übrigens: Ich trinke sonst nie Apfelsaft, weil er mir eigentlich gar nicht schmeckt (zu aufdringlich und süß).
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