amateur des vins hat geschrieben:austria_traveller hat geschrieben:Georg R. hat geschrieben:Wenn einer behauptet, dass Weine, die eine lange Reifezeit benötigen, fehlerhaft seien, sollte man diesen Herrn nicht allzu ernst nehmen.
Er verdient nicht mal einen Thread, schon gar nicht in einem Weinforum.
Absolute Zustimmung !
Relativer Widerspruch!
Also da komme ich auch gar nicht mit, eher absoluter Widerspruch!
Man muss doch gerade auch die problematischen Dinge ansprechen dürfen, und gerade, wie das hier geschieht, ist dieser Thread doch mitnichten Werbung für Luca Maroni – eher im Gegenteil! Neulinge, die sich noch keine Meinung über LM gebildet haben, werden nach dem Lesen dieses Threads entweder vor ihm zurückschrecken oder ihn gerade aufsuchen, da sie die Standpunkte hier versnobt finden und sich davon abgrenzen möchten – dann sei es ihnen gegönnt.
Man würde ja in einem Politikforum auch nicht auf den Gedanken kommen, nicht über Trump zu sprechen (ohne Trump und LM im Ausmaß ihres angerichteten Schadens jetzt in irgendeiner Weise vergleichen zu wollen)...
Jedenfalls: So einfach scheint die Frage nach der Qualität ja doch nicht zu sein. An anderer Stellt wart ihr bemüht, zu betonen, wie subjektiv das Gefallen am Wein ist und wie wenig objektivierbar (weshalb es sich auch nicht, jedenfalls ab einem bestimmten Wert, im Preis niederschlagen kann).
Jetzt seid ihr euch aber plötzlich alle einig, dass LM ein Scharlatan ist.
Dabei legt er seine Kriterien ja klar offen und bemüht sich offenbar gerade, die objektivierbaren Qualitätsmerkmale zu beurteilen – sodass, jedenfalls so sein Anspruch, seine Höchstnoten Fehlerfreiheit, "Bekömmlichkeit" und "Frische" verbürgen.
Dass er kritisiert, dass...
Parker, Suckling, Gambero Rosso – niemand erklärt, welche Parameter diese Tester anwenden. Ich würde gerne wissen, wie sie arbeiten. Keiner von ihnen sagt, was Qualität ist. Ich schon. Ich bin der einzige Verkoster der Welt, der das tut und ich bin nicht stolz darauf. Die Menschen haben ein Recht darauf zu wissen, wie man zu einem Urteil kommt.
... ist doch ein Aufruf, mehr über die Grundlagen seiner Urteile zu reflektieren, bevor man andere dafür kritisiert, dass sie auf anderen Grundlagen urteilen – das ist für mich zumindest einfach eine Abkürzung zu viel! Wer entscheidet, wer die "richtigen" Kriterien hat? Warum ist Säure gut und Süße schlecht? (So pauschal gilt das natürlich bei niemandem, aber ihr wisst, was ich meine.)
Ein paar vielleicht inspirierende Gedanken dazu habe ich in einem schon etwas älteren Essay namens "Kleine Frankfurter Schule des Essens und Trinkens" von Detlev Claussen (von 1987) gefunden. Auch Wein wird darin beispielhaft erwähnt.
Das Urteil »Geschmacklosigkeit des Hamburgers« stellt eine Qualität der Ware fest. Überall auf dem Globus kann ich sie einnehmen ebenso wie die Coke – und sie schmeckt gleich. Im Hamburger steckt das Universalitätsprinzip der Ware, die Abstraktion von Zeit und Raum. Ohne dieses Universalitätsprinzip gäbe es keine Wahrheit, aber es selbst ist die Wahrheit nicht. Eine schreckliche Vorstellung, daß die Wahrheit geschmacklos wäre! Der Hamburger bringt uns die Eine Substanz, von der Spinoza sprach: sive Deus, sive Natura – wohlfeil auf den Tisch. Ohne diese Eine Substanz Spinozas wäre die ganze moderne Philosophie nicht, argumentiert Hegel in seiner »Geschichte der Philosophie«. Der Hamburger ist eben mehr als ein Stück Hackbraten, wie der »Spiegel« ihn abfällig nennt: er ist ein »sinnlich übersinnliches Ding«. Das Moment des Übersinnlichen macht gerade seine Geschmacklosigkeit aus.
LM, so scheint mir, sucht das "Allgemeine": sein 99-Punkte-Wein ist wie der perfekte Hamburger, am besten immer gleich.
Ferner schreibt Claussen:
Essen und Trinken, Kultur, d.h. die Dimension gesellschaftlicher Beziehungen, die über die unmittelbare Selbsterhaltung hinausgeht, lebt von der spezifischen Differenz, vom bestimmten Unterschied: Differentia specifica, das Kriterium der Wahrheit. »Über Geschmackläßt sich nicht streiten« heißt ein altes Vorurteil. Selbstverständlich läßt sich über Geschmack streiten – nur nicht gut, wenn man nichts weiß. Zum guten Streit gehört die Wahrnehmung des bestimmten Unterschieds, Kenntnis der Geschichte, die bisher ambivalente Geschichte von Verfeinerung und Verarmung zugleich ist. Die Möglichkeit eines Streits über Geschmackfragen beginnt erst, wenn man sich von der Naturbasis entfernt und sich bearbeiteter Natur zuwendet. Die Herkunft kann entscheidend sein: aus einem Rheinwein wird eben nie ein Chablis.
Und am Ende schreibt er:
Bewußtes Essen und Trinken kann trennend sein und wird oft als feindlich empfunden, weil es mit der Fremdheit im Vertrauten bekannt macht. [...] Bewußtes Essen und Trinken heißt noch nicht gutes Essen, aber es fordert das Wahrnehmen der Differenz heraus. Wer mit dem Fremden gemeinsam essen will, muß Anderes wollen, als er schon kennt.
Vielleicht liegt da die Crux? Dem bewussten Trinker geht es um "das Wahrnehmen der Differenz": eben das macht die Kriterienbildung so schwierig, weil es keine Vorlage gibt, der das jeweilige Produkt (der Wein) möglichst nahe kommen soll (wie bei Luca Maroni), sondern gerade die Differenz, mithin das Neue des Erlebnisses ja das Qualitätsmerkmal darstellt.
Dasselbe Problem hat man natürlich in der Kunst: Über moderne Kunst und Musik gibt es gar keine gemeinsame Urteilsbasis mehr (so wie im 18. Jahrhundert man noch von einem "sensus communis" gesprochen hat), kaum jemand kann wirklich die Ursachen ihrer jeweiligen Qualität wirklich zwingend und nachvollziehbar darlegen, und doch meint jeder, sich ein Urteil bilden zu können. Und die "Kenner" sind sich darin einig, dass sie mehr von der Sache verstehen und die Laien, falls sie Qualität nicht anerkennen, einfach zu wenig.
Denn das Werk zeichnet sich zuvorderst durch seine Originalität aus, nicht durch das Erfüllen außerhalb des einzelnen Werkes liegender Normen. (Früher war das ja noch so, da konnten bestimmte Formen in der Malerei, Musik und Architektur etwa mehr oder weniger gut, differenziert, durchdacht und stimmig realisiert werden.)
Der Durchschnitts-Trinker ist, als "Ideal-Typus", dann im Gegensatz derjenige, der immer das Vertraute sucht und stets das Gleiche erwartet. Er sucht keine neuen Erfahrungen. Deshalb kauft er auch Milka-Schokolade, weil sie immer gleich schmeckt und er genau weiß, was ihn erwartet. Er braucht eine Orientierung, mit der er das finden kann, was er sucht – das bietet, offenbar, nur Luca Maroni.
Ich werde mir jedenfalls so schnell keinen LM-Primitivo kaufen. Ich habe sowieso kein wirkliches Interesse an Primitivo, da ich gewohnt bin, diesen Wein immer im offenen Ausschank beim Italiener serviert zu bekommen und mir noch
nie einer bleibend in Erinnerung geblieben ist. Da ich bereits so viele tolle Weinrichtungen allein bei Rotwein aus Italien für mich entdeckt habe (Sangiovese, Valpolicella, Pinot Noir aus Südtirol etc.), steht für mich der Primitivo erst mal ganz hinten an... Oder kann mir jemand sagen, warum man unbedingt einen guten Primitivo trinken sollte und was ihn einzigartig macht?