Luca Maroni

Sterne, Punkte, Trauben - oder Obstkörbe
jessesmaria
Beiträge: 386
Registriert: Mo 28. Dez 2020, 15:11

Luca Maroni

Beitrag von jessesmaria »

Auf der Website captaincork.com habe ich ein ganz interessantes Interview mit dem Schreckgespenst Luca Maroni gelesen.

Haben Luca Maronis Punkte ihre Berechtigung? Sind sie gerechtfertigt?

Ich spiele mal den Advocatus Diaboli: Luca Maroni legt seine Kriterien klar offen. Das finde ich erst einmal super. Sein Maßstab ist der Durchschnittsgeschmack:
Meine drei Parameter, die ich zur Bewertung anwende, treffen auf die sensorischen Fähigkeiten des Durchschnittstrinkers. Sie sind nicht für Kenner und Weinprofis gedacht. Menschen, die mit Wein arbeiten, stellen andere Ansprüche. Sie wollen mehr Säure, Oxidation und Bitterkeit.
Darin liegt, wie ich meine, aber schon die eigentlich irritierende Paradoxie: Wie kann der Durchschnitt Maßstab sein? Man stelle sich einen Konzertkritiker vor, der eine Aufführung dann als perfekt bewertet, wenn sie den durchschnittlichen Ansprüchen gerecht wurde – und wenn sie besser ist, schlechter.
Andererseits spielt Luca Maroni immerhin mit offenen Karten, nicht etwa wie die Stiftung Warentest, die sich auch am Massengeschmack orientiert, aber mit den sensorischen Urteilen ihrer angeblichen "Experten", die auf Nutella schwören, einen Schein von Deutungshoheit vorgibt.

Luca Maroni will sich daran orientieren, was den – Zitat – "Empfindungen normaler Menschen entspricht":
In jeder anderen Sparte der Lebensmittelbranche – und Wein ist ein flüssiges Lebensmittel – gelten Frische und Bekömmlichkeit als oberstes Prinzip. Nicht jedoch in der Weinwelt. Hier findet man Säure und Bitterkeit ganz toll.
Da müsste man eigentlcih kritisch rückfragen: ist das so? Sind die einfachen Weine, die er vor Augen hat, wirklich "bekömmlich" und "frisch"? Ist bei anderen Lebensmitteln Säure und Bitterkeit unbeliebt? Ich liebe viele bittere Aromen in Gerichten. Zwar mögen vielleicht nicht alle so sehr wie ich auf 100%-Schokolade stehen, aber Grapefruits mögen dann doch nicht so wenige und auch nicht jeder steht auf Kaba.

Vielleicht ist es aber eine viel grundsätzlichere menschliche Einstellung, ob man das "Natürliche" als oberstes Ideal hat oder die "zweite Natur" als dessen Sublimierung. Mir kommt wieder der Vergleich zur Musik auf: Selbstverständlich könnte man von Musik stets regelmäßig gruppierte (zwei- bzw. viertaktige) Phrasen und einfachste Harmonien einfordern, die zugänglicher und auf gewisse Weise "natürlicher" sind.
Schwierig wird es wohl, wenn man Schwierigeres dann herabsetzt oder gar als fehlerhaft bezeichnet:
Meine Idee war von Beginn an, dass sich die Produzenten umbesinnen, wenn immer mehr Menschen meine Bewertungen lesen und Winzer davon ablassen zu behaupten, so sei eben ihr Wein und erst in 20 Jahren würde er perfekt schmecken. Damit kaschieren sie doch nur, dass ihr Wein fehlerhaft ist. Ich will, dass die Weine in dem Augenblick perfekt sind, in dem sie abgefüllt werden.
Ob das wirklich so haltbar ist, dass lagerbedürftige Weine fehlerhaft sind? Ja, vielleicht sind sie das zum Zeitpunkt des Abfüllens; aber vielleicht ermöglichen erst die Fehler, die mit der Reifung verschwinden, die Vorzüge, die dann hervortreten. Das gehört zur Wahrheit dazu.
Parker, Suckling, Gambero Rosso – niemand erklärt, welche Parameter diese Tester anwenden. Ich würde gerne wissen, wie sie arbeiten. Keiner von ihnen sagt, was Qualität ist. Ich schon. Ich bin der einzige Verkoster der Welt, der das tut und ich bin nicht stolz darauf. Die Menschen haben ein Recht darauf zu wissen, wie man zu einem Urteil kommt.
Da wiederum verstehe ich seinen Punkt. Ja, es ist die Pflicht eines Weintrinkers, der urteilt, darüber zu reflektieren, welche Kriterien er überhaupt zugrunde liegt und inwieweit sie objektivierbar sind – zumindest in dem Moment, in dem er darüber kommunizieren möchte – nicht?
Ohne den Glauben, dass es objektiv Besseres und Schlechteres gibt, könnten wir es lassen, überhaupt über Wein zu sprechen – denn jedes Urteil wäre ja durch und durch subjektiv und hätte gar keinen Wert für andere. Wir tun es uns aber sehr schwer, eine objektivierbare bzw. intersubjektive Urteilsbasis in Worte zu fassen.
Aber über dieses Problem hat sich natürlich schon Kant den Kopf zerbrochen...
Ist es Luca Maroni, wie er behauptet, als einzigem gelungen?
Früher haben die Weinmacher auf Zeit gespielt, weil sie ihr fehlerhaftes Arbeiten so verschleiern konnten. Wein, der reift, gewinnt an Balance, verliert Säure und Tannine. Die Fehler werden schwächer, aber der Wein wird nicht besser. Darauf setzen viele Hersteller. Ich sage, guter Wein muss von Beginn an frisch und ausgewogen schmecken. Dann bleibt er es auch.
Hier kann ich ihm nicht mehr folgen. Und ich wundere mich, das jemand über 300.000 Weine probieren kann und dabei nicht automatisch vom Geschmack das Durchschnitts abkommt. Denn der Durchschnittsgeschmack (und dessen oft erstaunliche Homogenität) rührt ja, so sollte man meinen, auch aus mangelnder Erfahrung.
Online
Benutzeravatar
EThC
Beiträge: 8913
Registriert: Fr 27. Feb 2015, 16:17
Wohnort: ...mal hier, mal dort...
Kontaktdaten:

Re: Luca Maroni

Beitrag von EThC »

...aus meiner Sicht ganz einfach: er will in erster Linie mit seiner Tätigkeit Geld verdienen. Durch seine irrwitzige Benotelung und die Verwendung des zufällig fast gleichen Zahlenraums verglichen mit anderen Bewertungssystemen hievt er unendlich viele Massenweine in Punkteebenen, die bei anderen Verkostern nie erreicht werden. Daß die Bepunktelungsgrundlage bei LM eine ganz andere ist, kommt beim Konsumenten mit 99 %iger Wahrscheinlichkeit nicht an und der Handel nutzt dies geschickt aus. 99 Punkte verkaufen sich halt deutlich besser als 89. Solange das für LM einträglich funktioniert, wird er das unbeirrt weiter so machen...
Viele Grüße
Erich

Nicht was lebendig, kraftvoll, sich verkündigt, ist das gefährlich Furchtbare. Das ganz Gemeine ist's
DAS EWIG GESTRIGE
was immer war und immer wiederkehrt und morgen gilt, weil's heute hat gegolten.

https://ec1962.wordpress.com/
olifant
Beiträge: 3813
Registriert: Mi 8. Dez 2010, 08:58
Wohnort: Bayern

Re: Luca Maroni

Beitrag von olifant »

Meine Meinung ...

Zunächst ist Luca Maroni ein profesioneller Verkoster unter Vielen. Mit seinen "pseudo-objektivierten mainstreamigen" Bewertungsparametern hebt er sich entsprechend von anderen ab und ist in sich in seinen Bewertunbgen duchaus auch konsistent. Dies muss einem weder gefallen noch selbst schmecken, die eigenen Geschmacksparameter sind i.d.R. durchaus anders gewichtet. Mit seinen hohen Punkten - für durchaus preisgünstige Weine - eignet er sich dazu auch als Marketinginstrument für diverse Händler die in diesem Segment Masse an die Masse verticken m.E. bestens.

Wenn ich persönlich meinen Geschmack in Relation zu LM vergleiche, dann ergibt sich für mich folgendes Bild:
Bei Weissweinen gibt es durchaus Schnittmengen die sowohl mir als auch LM zusagen, Natur- und Orangeproduke mal ausgenomen. Voraussetzung hier (Weiss) ist für mich, die Frucht ist nicht zu plakativ oder Bonbonhaft herausgestellt und gliedert sich in der Gesamtstruktur des Wein gut ein - i.d.R. sind dies dann Rebsortenweine auf hohem Niveau oder auch vernünftige Terrassenweine ... bspw. EDDA von San Marzano oder diverse Südtirloer Weisse, (die jedoch nicht nur von LM als hervorstehend gesehen werden). Ist LM der einzige Verkoster, der die Weine hoch bewertet, dann ist das eben i.d.R. auch wieder nicht mein Geschmack ... siehe oben.

Bei Rot verstehe ich zwar die idente Herangehensweise seitens LM. Dessen hochnotierte Weine in diesem Segment sind für mich jedoch meist so gar nicht Meins ... jungfruchtig, plakativ, für meinen Geschmack zu süsslich, etc. . Was bei Weiss noch bedingt gut funktioniert ist für meinen Gaumen bei Rot schlicht Katastrophe

Seine Ausführungen zu Weinfehlern bei Rotweinen, naja ..., jedem Tierchen sein Pläsierchen.
Sind lagerbedürftige Weine (grundsätzlich) Fehlerhaft? ... Öhmmm!
Und, selbst wenn es tatsächlich allgemein so wäre, manchmal sind es doch die kleinen Fehler, die kleinen Abweichungen von der Norm, die die Weine, Rot wie Weiss, erst wirklich interessant machen und nicht die ohnehin mit menschlichen Mitteln nicht quantifizierbare Perfektion des Geschmacks.

Abschliessend möchte ich mal festhalten, dass LM für eine breite Gruppe von Konsumenten, (und auch Händlern), gerade aufgrund seiner Bewertungsparameter fraglos eine Orientierungshilfe, (bzw. Verkaufsargument), darstellt und daraus seine Berechtigung zieht.
Dass für uns, die hiesigen Weinnerds, dies eher belanglos ist, oder auch mal Reaktionen von Verwunderung bis Bestürzung auslöst, liegt in der Natur der Sache und beruht m.E. im wesentlichen in den seitens LM deklarierten Bewertungsparameter begründet.

Es ist nicht anders als mit anderen Verkostern, ein Abgleich des eigenen Geschmacks mit dem des Verkosters ist obligat um die spezifischen Bewertungen für den eigenen Gebrauch einordnen zu können.
Grüsse

Ralf

Die Zukunft war früher auch besser.
Karl Valentin
weinaffe
Beiträge: 1252
Registriert: Mo 6. Dez 2010, 13:19
Bewertungssystem: Auf Benutzername klicken

Re: Luca Maroni

Beitrag von weinaffe »

Der LM-Punkteaufkleber auf der Flasche gibt mir immer vorab eine wichtige Information: "diesen Wein n i c h t kaufen :lol:
Wer aber zum Beispiel hyperfruchtige, kräftige bis mastige Rotweine mit dienender Restsüsse schätzt, kann sich auf die inflationär hohen LM-Bepunktungen verlassen.

LG
Bodo
Lars Dragl
Beiträge: 626
Registriert: Mo 3. Okt 2016, 23:24

Re: Luca Maroni

Beitrag von Lars Dragl »

weinaffe hat geschrieben:Der LM-Punkteaufkleber auf der Flasche gibt mir immer vorab eine wichtige Information: "diesen Wein n i c h t kaufen :lol:
Wer aber zum Beispiel hyperfruchtige, kräftige bis mastige Rotweine mit dienender Restsüsse schätzt, kann sich auf die inflationär hohen LM-Bepunktungen verlassen.

LG
Bodo
Hallo Bodo!

Ich sehe das ebenfalls als Warnhinweis, aber es scheint zu funktionieren. Wenn ich manche newsletter durchschaue, dann mag die Primitvowelle ja garnicht mehr abebben.

LG

Lars
pitts
Beiträge: 69
Registriert: Fr 27. Mär 2015, 12:05

Re: Luca Maroni

Beitrag von pitts »

Meines Erachtens sind grundsätzlich alle Verkosterpunkte Marketinginstrumente. Von denen macht das ja niemand aus Nächstenliebe beziehungsweise dem Konsumenten zur Liebe. Die einen sind vermeintlich objektiver, die anderen nicht. Wahrscheinlich sind manche sogar wirklich etwas objektiver als andere, aber es bleibt eben "Werbung".

Dass reifebedürftige Weine grundsätzlich Fehlerhaft sind ist natürlich eine ziemliche extreme beziehungsweise übertriebene Sichtweise. Dennoch kann ich der Ansicht etwas abgewinnen. Ich sehe ein, dass gute gereifte Weine gute junge Weine fast immer schlagen, da sie die komplexeren Aromen entwickeln und harmonischer sind. Für mich ist das jedoch dennoch eher eine Bürde als ein Benefit. Denn natürlich kostet die Lagerung viel Zeit und Geld. Außerdem verändern sich Trinkgewohnheiten natürlich auch mit den Jahren/Jahrzehnten. Mich, als jungen Konsumenten, frustriert es darüber hinaus ungemein, dass ich Unmengen an Kohle in meinem Weinkeller versenke aber dennoch nichts trinkreifes im Keller habe. Von daher wäre es mir persönlich lieber, die Weine wären sofort trinkreif. Diese romantische Verklärung des Weinlagerns erschließt sich mir irgendwie nicht so richtig. Wenn es also möglich wäre, einen Bordeaux Grand Cru so zu vinifizieren, dass er nach 5 bis 10 Jahren gleichen Genuss bietet wie er es heute erst nach 15 oder 25 Jahren tut, ich wäre sofort dabei!

Einen 99 Maroni Punkte Wein habe ich noch nie getrunken. Vielleicht mache ich das im Februar mal, wenn Alkohol wieder drin ist.

Viele Grüße
Jonas
Benutzeravatar
UlliB
Beiträge: 4781
Registriert: Mo 6. Dez 2010, 18:27

Re: Luca Maroni

Beitrag von UlliB »

pitts hat geschrieben:Meines Erachtens sind grundsätzlich alle Verkosterpunkte Marketinginstrumente. Von denen macht das ja niemand aus Nächstenliebe beziehungsweise dem Konsumenten zur Liebe. Die einen sind vermeintlich objektiver, die anderen nicht. Wahrscheinlich sind manche sogar wirklich etwas objektiver als andere, aber es bleibt eben "Werbung".
Na ja, es kommt schon darauf an, wer sich da wie finanziert.

Parker hat in seiner aktiven Phase peinlich genau darauf geachtet, dass sein Einkommen ausschließlich von den Abonnenten des WA stammt. Man hat zwar mehrfach versucht, ihm am Zeug zu flicken, aber meines Wissens nach nie nachweisen können, dass er von irgend jemandem Geld- oder Sachzuwendungen für seine Bewertungen angenommen hat.

Die Kritikerszene ist mittlerweile viel zu umfangreich und zu komplex, um noch verfolgen zu können, wer sich da wie finanziert. Bei Portalen, bei denen der Abonnent einiges bezahlen muss, um die Bewertungen zu sehen (wie z.B. Vinous und robertparker.com) würde ich vermuten, dass hier zumindest eine gewisse Unabhängigkeit besteht. Aber Korruption kann man natürlich niemals ganz ausschließen, zumal da heute jeweils viele Verkoster unterwegs sind. Bei anderen, deren Bewertungen im Web frei zugänglich sind, fragt man sich natürlich schon, wer da eigentlich was bezahlt. Und wofür.

Was konkret Maroni betrifft: ich habe keine Ahnung, wie der sein Geld verdient. Es interessiert mich auch nicht.

Gruß
Ulli
Michl
Beiträge: 1238
Registriert: Di 22. Okt 2013, 19:04

Re: Luca Maroni

Beitrag von Michl »

Ich habe ja vor längerer Zeit einen Luca Maroni-Selbsversuch unterniommen und ganz so pauschal kann ich das Urteil einiger Forsiten nicht zustimmen. Tendeziell stimmt die Kritik und die Punkte sind natürlich lächerlich, mit einigen Weinen konnte ich durchaus etwas anfangen, mies waren nicht alle... Aber okay, wenn man ein paar Exemplare getrunken hat, weiß man, was auf einen zukommt, und stilistisch kann ich das allenfalls sehr selten im Jahr ab.
Viele Grüße

Michl
Judo
Beiträge: 207
Registriert: Di 27. Nov 2012, 14:50
Wohnort: Bayern

Re: Luca Maroni

Beitrag von Judo »

Das Reifebedürfnis eines Weines mit einem Weinfehler gleichzusetzen halte ich für absurd. Letztlich kann jeder Winzer aktiv entscheiden (der Konsument übrigens auch), welche Art von Wein er bevorzugt und produzieren bzw. trinken will. Manche Komponenten im Wein, die in nicht geringem Umfang zum Genuss beitragen, sind nun mal nicht vier
Monate nach der Ernte vorhanden sondern brauchen Zeit im Fass bzw. auf der Flasche. Und wie der „frische“ Wein von Maroni nach 5-10 Jahren schmeckt, möchte ich nicht wissen.

Wenn der Punktwert eines Weines direkt die Nähe von Releasetermin und sofortigem Trinkgenuss bemisst, dann müsste Maroni allen Tondonia-Weinen 100+ Punkte geben (Moment, das war ein anderer Bewerter ;) ). Und haben nicht auch Bordeaux eine wunderschöne Fruchtphase? Merke: Fruchtphasentrinker=Maronikunden (Ironie aus)
jessesmaria
Beiträge: 386
Registriert: Mo 28. Dez 2020, 15:11

Re: Luca Maroni

Beitrag von jessesmaria »

EThC hat geschrieben:...aus meiner Sicht ganz einfach: er will in erster Linie mit seiner Tätigkeit Geld verdienen.
Das will ja so ziemlich jeder. Erst einmal kein Problem. Schade wird es, wenn man dafür seine eigenen Werte und Ansprüche über Bord wirft. Aber vielleicht tut er das gar nicht. Das ist schwierig herauszufinden, ob er seine 99 Punkte-Weine wirklich lieber trinkt als die, die ihm zufolge für "Kenner und Weinprofis gedacht" sind und deshalb seine Kriterien nicht erfüllen.

Durch seine irrwitzige Benotelung und die Verwendung des zufällig fast gleichen Zahlenraums verglichen mit anderen Bewertungssystemen hievt er unendlich viele Massenweine in Punkteebenen, die bei anderen Verkostern nie erreicht werden. Daß die Bepunktelungsgrundlage bei LM eine ganz andere ist, kommt beim Konsumenten mit 99 %iger Wahrscheinlichkeit nicht an und der Handel nutzt dies geschickt aus. 99 Punkte verkaufen sich halt deutlich besser als 89. Solange das für LM einträglich funktioniert, wird er das unbeirrt weiter so machen...
Richtig, aber: Wenn LM sich genau nach den Ansprüchen und Wünschen dieser Konsumenten richtet, könnte man ja sagen, das ist durchaus ehrwürdig, um nicht zu sagen altruistisch. Der Konsument bekommt dann im besten Fall sicher das, was ihm schmeckt. Weine, die den Kriterien von anderen Experten gerecht werden, so seine Behauptung, schmecken seiner Zielgruppe ja gar nicht. Er schützt sie gleichsam davor, viel Geld für etwas auszugeben, was ihnen gar nicht schmeckt. Könnte es besser sein?

Ja, wenn man, wie in früheren Zeiten in der Kunst, den Geschmack des anderen bzw. v. a. der Gesellschaft nicht einfach als etwas durch und durch Subjektives hinnehmen würde, sondern Geschmacksbildung gleichsam als ethische Pflicht der Gesellschaft ansähe.
Das führt letzten Endes zu der (vielleicht in einem neuen Thread zu diskutierenden) Frage, ob Wein mehr Kunst – und damit dem Bereich das Ästhetischen zugehörig – ist, als Nahrungsmittel. Ich meine ja, denn von all dem, was wir essen und trinken ist Wein (neben Hochprozentigem) dasjenige, das am wenigsten unsere Grundbedürfnisse stillt (Hunger, Durst) und unsere "niederen Triebe" befriedigt (Verlangen nach Süßem, Fett, ...). So gesehen ist, pointiert gesagt, der Wein umso ästhetischer und damit Gegenstand "interesselosen Wohlgefallens" (Kant), je mehr er den Kriterien Luca Maronis widerspricht. Der Geschmack, der für LM den Maßstab bildet, ist einer, der sich noch nicht von den niederen Trieben zur den Feinheiten des interesselosen Wohlgefallens hinaufgeläutert hat. (Soweit die traditionell bürgerliche Perspektive. Welchem Punktesystem (oder ob überhaupt) man folgt, wäre soziologisch gesehen eben vor allem Ausdruck und Distinktion der gesellschaftlichen Klasse.)

Jetzt aber nochmal zum Wein:
Dass reifebedürftige Weine grundsätzlich Fehlerhaft sind ist natürlich eine ziemliche extreme beziehungsweise übertriebene Sichtweise. Dennoch kann ich der Ansicht etwas abgewinnen. Ich sehe ein, dass gute gereifte Weine gute junge Weine fast immer schlagen, da sie die komplexeren Aromen entwickeln und harmonischer sind. Für mich ist das jedoch dennoch eher eine Bürde als ein Benefit. Denn natürlich kostet die Lagerung viel Zeit und Geld. Außerdem verändern sich Trinkgewohnheiten natürlich auch mit den Jahren/Jahrzehnten. Mich, als jungen Konsumenten, frustriert es darüber hinaus ungemein, dass ich Unmengen an Kohle in meinem Weinkeller versenke aber dennoch nichts trinkreifes im Keller habe. Von daher wäre es mir persönlich lieber, die Weine wären sofort trinkreif. Diese romantische Verklärung des Weinlagerns erschließt sich mir irgendwie nicht so richtig. Wenn es also möglich wäre, einen Bordeaux Grand Cru so zu vinifizieren, dass er nach 5 bis 10 Jahren gleichen Genuss bietet wie er es heute erst nach 15 oder 25 Jahren tut, ich wäre sofort dabei!
Da stellt sich nur die Frage, ob so etwas überhaupt möglich wäre. Ist nicht Zeit ein ganz wesentlicher, vielleicht manchmal der wesentlichste Faktor? So ist es etwa bei Brot, das mit wenig Hefen lange gehen muss, um einen komplexen Geschmack zu erlangen. Natürlich wird dieser Prozess aus Bequemlichkeit und wirtschaftlichen Gründen in geschätzt 95% der Fälle auf ein Minimum verkürzt, aber das kann nicht kompensiert werden. Zwar helfen Zusatzstoffe, dass das Brot oberflächlich auch in kurzer Zeit gelingt und optisch ansprechend wird, aber es bietet niemals den gleichen Genuss.
Ich schätze, beim Wein ist es ähnlich. Ich vermute, "einen Bordeaux Grand Cru so zu vinifizieren, dass er nach 5 bis 10 Jahren gleichen Genuss bietet wie er es heute erst nach 15 oder 25 Jahren tut", geht einfach nicht. Aber vielleicht werden wir eines Tages eines Besseren belehrt!
Meines Erachtens sind grundsätzlich alle Verkosterpunkte Marketinginstrumente. Von denen macht das ja niemand aus Nächstenliebe beziehungsweise dem Konsumenten zur Liebe.
Nicht alle Urteile, mit denen Geld verdient wird, sind deshalb zwangsläufig manipuliert, nicht? Vielleicht verkosten diejenigen, die die Parker-Punkte vergeben, ja tatsächlich aus Liebe zum Wein und nicht primär, um mit jedem Schluck noch mehr in der Tasche zu haben. Davon würde ich zumindest zunächst einmal ausgehen.
Antworten

Zurück zu „Bewertungssysteme und Weinbeschreibungen“