Haben Luca Maronis Punkte ihre Berechtigung? Sind sie gerechtfertigt?
Ich spiele mal den Advocatus Diaboli: Luca Maroni legt seine Kriterien klar offen. Das finde ich erst einmal super. Sein Maßstab ist der Durchschnittsgeschmack:
Darin liegt, wie ich meine, aber schon die eigentlich irritierende Paradoxie: Wie kann der Durchschnitt Maßstab sein? Man stelle sich einen Konzertkritiker vor, der eine Aufführung dann als perfekt bewertet, wenn sie den durchschnittlichen Ansprüchen gerecht wurde – und wenn sie besser ist, schlechter.Meine drei Parameter, die ich zur Bewertung anwende, treffen auf die sensorischen Fähigkeiten des Durchschnittstrinkers. Sie sind nicht für Kenner und Weinprofis gedacht. Menschen, die mit Wein arbeiten, stellen andere Ansprüche. Sie wollen mehr Säure, Oxidation und Bitterkeit.
Andererseits spielt Luca Maroni immerhin mit offenen Karten, nicht etwa wie die Stiftung Warentest, die sich auch am Massengeschmack orientiert, aber mit den sensorischen Urteilen ihrer angeblichen "Experten", die auf Nutella schwören, einen Schein von Deutungshoheit vorgibt.
Luca Maroni will sich daran orientieren, was den – Zitat – "Empfindungen normaler Menschen entspricht":
Da müsste man eigentlcih kritisch rückfragen: ist das so? Sind die einfachen Weine, die er vor Augen hat, wirklich "bekömmlich" und "frisch"? Ist bei anderen Lebensmitteln Säure und Bitterkeit unbeliebt? Ich liebe viele bittere Aromen in Gerichten. Zwar mögen vielleicht nicht alle so sehr wie ich auf 100%-Schokolade stehen, aber Grapefruits mögen dann doch nicht so wenige und auch nicht jeder steht auf Kaba.In jeder anderen Sparte der Lebensmittelbranche – und Wein ist ein flüssiges Lebensmittel – gelten Frische und Bekömmlichkeit als oberstes Prinzip. Nicht jedoch in der Weinwelt. Hier findet man Säure und Bitterkeit ganz toll.
Vielleicht ist es aber eine viel grundsätzlichere menschliche Einstellung, ob man das "Natürliche" als oberstes Ideal hat oder die "zweite Natur" als dessen Sublimierung. Mir kommt wieder der Vergleich zur Musik auf: Selbstverständlich könnte man von Musik stets regelmäßig gruppierte (zwei- bzw. viertaktige) Phrasen und einfachste Harmonien einfordern, die zugänglicher und auf gewisse Weise "natürlicher" sind.
Schwierig wird es wohl, wenn man Schwierigeres dann herabsetzt oder gar als fehlerhaft bezeichnet:
Ob das wirklich so haltbar ist, dass lagerbedürftige Weine fehlerhaft sind? Ja, vielleicht sind sie das zum Zeitpunkt des Abfüllens; aber vielleicht ermöglichen erst die Fehler, die mit der Reifung verschwinden, die Vorzüge, die dann hervortreten. Das gehört zur Wahrheit dazu.Meine Idee war von Beginn an, dass sich die Produzenten umbesinnen, wenn immer mehr Menschen meine Bewertungen lesen und Winzer davon ablassen zu behaupten, so sei eben ihr Wein und erst in 20 Jahren würde er perfekt schmecken. Damit kaschieren sie doch nur, dass ihr Wein fehlerhaft ist. Ich will, dass die Weine in dem Augenblick perfekt sind, in dem sie abgefüllt werden.
Da wiederum verstehe ich seinen Punkt. Ja, es ist die Pflicht eines Weintrinkers, der urteilt, darüber zu reflektieren, welche Kriterien er überhaupt zugrunde liegt und inwieweit sie objektivierbar sind – zumindest in dem Moment, in dem er darüber kommunizieren möchte – nicht?Parker, Suckling, Gambero Rosso – niemand erklärt, welche Parameter diese Tester anwenden. Ich würde gerne wissen, wie sie arbeiten. Keiner von ihnen sagt, was Qualität ist. Ich schon. Ich bin der einzige Verkoster der Welt, der das tut und ich bin nicht stolz darauf. Die Menschen haben ein Recht darauf zu wissen, wie man zu einem Urteil kommt.
Ohne den Glauben, dass es objektiv Besseres und Schlechteres gibt, könnten wir es lassen, überhaupt über Wein zu sprechen – denn jedes Urteil wäre ja durch und durch subjektiv und hätte gar keinen Wert für andere. Wir tun es uns aber sehr schwer, eine objektivierbare bzw. intersubjektive Urteilsbasis in Worte zu fassen.
Aber über dieses Problem hat sich natürlich schon Kant den Kopf zerbrochen...
Ist es Luca Maroni, wie er behauptet, als einzigem gelungen?
Hier kann ich ihm nicht mehr folgen. Und ich wundere mich, das jemand über 300.000 Weine probieren kann und dabei nicht automatisch vom Geschmack das Durchschnitts abkommt. Denn der Durchschnittsgeschmack (und dessen oft erstaunliche Homogenität) rührt ja, so sollte man meinen, auch aus mangelnder Erfahrung.Früher haben die Weinmacher auf Zeit gespielt, weil sie ihr fehlerhaftes Arbeiten so verschleiern konnten. Wein, der reift, gewinnt an Balance, verliert Säure und Tannine. Die Fehler werden schwächer, aber der Wein wird nicht besser. Darauf setzen viele Hersteller. Ich sage, guter Wein muss von Beginn an frisch und ausgewogen schmecken. Dann bleibt er es auch.