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Verschlussphase versus Alterserscheinung

Verfasst: Mo 22. Jul 2013, 13:38
von piggeldy
Hallo liebe Forumsmitglieder,

vor drei Jahren habe ich in der Toskana ein paar Flaschen Vino Nobile Riserva 2006 von Gattavecchi erworben. Nicht ganz billig, ich meine so um die 20 Euro im betriebseigenen Verkaufsladen. Im Jahr nach dem Urlaub fand ich den Wein dann ganz schrecklich: Keine Frucht, viel zu holzig, kratziges Tannin, brandig. Irgendwie völlig auseinander. War der Wein schon zu alt? Von der Farbe her nicht. Ich habe dann alle Flaschen, bis auf eine verschenkt. Diese letzte Flasche hat mich dann in diesem Frühjahr wieder mit zurück über den Brenner begleitet um mit Ausblick auf den Comer See vielleicht doch noch zu schmecken. Das hat sie auch und zwar überraschend gut: Die Frucht war wieder da, das Holz im Hintergrund, mürbe Tannine, wirklich toll. Kann die Umgebung sich so extrem auf die Wahrnehmung auswirken? Bestimmt sollte man äußere Einflüsse nicht unterschätzen, ich bin mir aber sicher, der Wein hat sich während der Lagerzeit zum Positiven verändert. Von daher nun meine Fragen:

a) Kann der Wein in einer so genannten Verschlussphase gewesen sein? (Gibt es davon über die Lebenszeit eines Weines eigentlich mehrere?)

b) Wie erkennt man eine Verschlussphase?

c) Wie kann man Alterserscheinungen von einer Verschlussphase unterscheiden?

d) Kann man die weitere Lagerfähigkeit eines Weines durch offen lassen über mehrere Tage und wiederholtes Kosten einschätzen? Also: Ein Wein der am zweiten, offenen Tag abbaut, sollte nicht mehr weiter gelagert werden und ein Wein der am zweiten Tag erst richtig aufdreht kann noch zwei Jahre im Keller bleiben, usw.

e) Was bedeutet eigentlich "ein Wein baut ab"? Verliert er an Komplexität? Wird er unharmonisch? Oder ist es nur "er war halt schon mal besser"?

Ich hoffe der Themenbereich wurde nicht an anderer Stelle im Forum schon einmal diskutiert und ich war zu blöd den entsprechenden Eintrag zu finden.

Vielen Dank für Eure Beiträge!

Markus

Re: Verschlussphase versus Alterserscheinung

Verfasst: Mo 22. Jul 2013, 14:10
von Markus Vahlefeld
Hallo Markus!
piggeldy hat geschrieben:
a) Kann der Wein in einer so genannten Verschlussphase gewesen sein? (Gibt es davon über die Lebenszeit eines Weines eigentlich mehrere?)
Ja, er kann in einer Verschlussphase gewesen sein. Nach Deiner Beschreibung sehr wahrscheinlich. Und ja, es gibt bei vielen Weinen auch wellenartige Phasen. Näheres weiß man nicht.
b) Wie erkennt man eine Verschlussphase?
Indem der Wein zu jung und zu teuer ist, um so zu schmecken ;)
Im Ernst: darüber streiten sich die Gelehrten und das einzige, das wirklich Gewissheit bringt, sind mehrere Flaschen unter gleichen Bedingungen gelagert, die über Jahre getrunken werden. Erst dann kann man eine Verschlussphase wirklich unterstellen. Das heißt aber nicht, dass der gleiche Wein im nächsten Jahrgang wieder die gleiche Bewegung vollzieht. Es ist halt wirklich kompliziert.
c) Wie kann man Alterserscheinungen von einer Verschlussphase unterscheiden?
Durch Erfahrung und meist durch die Säure. Wenn die außerhalb vom Körper steht, ist der Wein meist "drüber". Das schmeckt anders, als bei einer Verschlussphase. Da ist der Wein "zu" und gibt nichts preis. Bei Überalterung gibt der Wein nichts preis, weil er nichts mehr hat. Das heißt streggenommen: er gibt alles preis, aber das ist eben nichts Schönes.
d) Kann man die weitere Lagerfähigkeit eines Weines durch offen lassen über mehrere Tage und wiederholtes Kosten einschätzen? Also: Ein Wein der am zweiten, offenen Tag abbaut, sollte nicht mehr weiter gelagert werden und ein Wein der am zweiten Tag erst richtig aufdreht kann noch zwei Jahre im Keller bleiben, usw.
Jein. Bei manchen Weinen mag das klappen (viele Priorat-Fans berichten darüber), bei anderen eher nicht. Und 2 Jahre sind keine Eichmarke. Wenn ein Wein am 2. Tag mehr zeigt, kannst Du davon ausgehen, dass er sich noch entwickelt. Also Lagern eine echte Alternative ist. Manchmal noch durchaus 10 Jahre. Aber von der Entwicklung in der offenen Flasche direkt darauf schließen zu können, WIE der Wein später mal schmecken wird, ist IMHO vermessen.
e) Was bedeutet eigentlich "ein Wein baut ab"? Verliert er an Komplexität? Wird er unharmonisch? Oder ist es nur "er war halt schon mal besser"?
Eine Kombination aus allem plus Erfahrung. Es ist vor allem das "In-sich-Gefüge", das den Wein nach dem Abbau auszeichnet. Manchmal ist die Frucht zu rumtopfig, die Säure steht außen vor, das Holz wird nicht mehr getragen usw.

Re: Verschlussphase versus Alterserscheinung

Verfasst: Mo 22. Jul 2013, 15:47
von piggeldy
Hallo Markus,

vielen Dank für Deine Antwort.
Indem der Wein zu jung und zu teuer ist, um so zu schmecken
Wo sind denn, so über den Daumen gepeilt, für das Beispiel Nobile Riserva die altersmäßigen und preislichen Grenzbereiche? Sprich, ab welchem Preis/alters Verhältnis kann man dann schon mal an eine eventuelle Überlagerung denken?

Müssen 10 Jahre auf jeden Fall drin sein? Kommt man nach 5 Jahren schon in einen unsicheren Bereich? Oder sind die Schwankungen zu groß um das überhaupt eingrenzen zu können?

Viele Grüße

Markus

Re: Verschlussphase versus Alterserscheinung

Verfasst: Mo 22. Jul 2013, 17:24
von Mr. Nebbiolo
Hallo Markus,


vom Preis kannst du leider nicht auf die Reifefähigkeit schließen, da hier die "Marke" zu viel mit einbezogen ist. Um so teurer, um so länger "haltbar" funktioniert also nicht.

Dann kommt es darauf an, welchen Geruch / Geschmack du gut findest und welchen nicht. Wenn du bestimmte Alterstöne echt gut findest, wird es andere geben, denen schmeckt der Wein deutlich zu alt und wieder anderen schmeckt er nicht alt genug ;) .

Bei 5 Jahren darfst du bei keinem Vino Nobile in den unsicheren Bereich kommen, außer er liegt dauerhaft bei hohen Temperaturen. 10 Jahre sollte meines Errachtens jede Nobile Riserva verkraften und "gut" schmecken. Ich hatte schon Sangiovese, die nach 5 Jahren ordentliche Reifenoten hatten und auch schon 25 Jahre alte, die absolut frisch und sehr gut waren.

Ist wie immer eine Frage, wie du deinen Wein willst, fruchtig oder mit Reifetönen ;)

Du wirst aber immer im unsicheren Bereich sein, außer du kennst viele Weine über Jahre hinweg. Leider findest du auf dem Etiket keinerlei Hinweise darauf, auch nicht am Preisschild ;)

Re: Verschlussphase versus Alterserscheinung

Verfasst: Mo 22. Jul 2013, 17:32
von Markus Vahlefeld
Mr. Nebbiolo hat geschrieben: Du wirst aber immer im unsicheren Bereich sein, außer du kennst viele Weine über Jahre hinweg. Leider findest du auf dem Etiket keinerlei Hinweise darauf, auch nicht am Preisschild ;)
Leider wahr ;)

Und einen Punkt, den piggeldy angesprochen hatte, haben wir noch gar nicht erwähnt: wenn Du mit Blick auf den Comer See einen Wein trinkst, der perfekt zur Situation passt und der vergangene Ferienerlebnisse wachruft SCHMECKT der Wein auch wunderbar. Denn wir Menschen schmecken nur, was wir schmecken wollen und das mit dem gesamten Sinnesapparat.

@piggeldy
wie hat denn Deinen Freunden, denen Du den Wein geschenkt hattest, der Wein geschmeckt?

Re: Verschlussphase versus Alterserscheinung

Verfasst: Mo 22. Jul 2013, 18:01
von Einzelflaschenfreund
Aber Markus,

piggeldy schrieb, er habe die Flaschen verschenkt. Von "Freunden" war dabei nicht die Rede. :mrgreen:

Ansonsten hast du in allem ziemlich Recht.

Viele Grüße
Guido

Re: Verschlussphase versus Alterserscheinung

Verfasst: Di 23. Jul 2013, 10:06
von piggeldy
Na ja, da ich ja dachte, der Wein taugt nix, habe ich ihn schon an die nicht so sehr "Wein-Experten" verschenkt und bisher auch keine Beschwerden gehört :shock:
Einzig mein Vater, ein ausgemachter Allestrinker ("Hauptsache trocken"), hat sich bisher geäußert: "ja, kann man trinken". Aber das sagt er zu wirklich jedem Wein.

Was die geschmackliche Präferenz angeht bin ich wahrscheinlich eher kein Altweinliebhaber. Die Frucht spielt für mich die Hauptrolle, allerdings sollte sie kein Alleinunterhalter sein, sonst wirds langweilig. Ich vermute mal das kommt daher, das ich Wein in erster Linie mit Natur, Weinstöcken im Weinberg, Trauben, Traubensaft verbinde und erst in zweiter mit Keller und Faß. Kann man Altwein mit der Zeit schätzen lernen oder ist man da aufgrund seiner subjektiven Wahrnehmungsweise (z.B. Empfindlichkeit gegenüber bestimmter Alterstöne) festgelegt.

Welche Präferenz habt Ihr? Habt Ihr dafür eine Begründung oder hat sich das so ergeben?

Viele Grüße

Markus

Re: Verschlussphase versus Alterserscheinung

Verfasst: Sa 20. Sep 2014, 23:18
von Rocketman
ich bin etwas ratlos, denn ich habe in letzter Zeit eine ganze Serie ungenießbarer Weine aus meinem Keller geholt. dass sie anfangs gut waren weiß ich, da ich jeweils mehrere Flaschen gekauft und die Weine direkt nach dem Kauf gekostet habe. Lagerung im Keller eines um 1900 erbauten Haues, feucht, das Jahr über zwischen 8 und 15 Grad C.

Ungenießbar deshalb, weil die Weine sich als etwas präsentierten, was ich als "verschlossen" einordnen würde, also wirklich unangenehme Säure, kratziges Tannin und quasi null Aroma. ich habe es mit dekantieren versucht, unterschiedlichen Temperaturen, tagelange Lagerung der angebrochenen Flasche - nichts davon hat geholfen.

Im Einzelnen waren es diese Weine:
Bobal 2011, eine zweite Flasche lasse ich mal im Keller noch etwas reifen
Tempranillo 2009 (einfacher Landwein aus Kastilien)
Und nun das Kuriose: Zwei Flaschen Apollonio 2007 (Cuvee aus je 50% Primitivo und Negroamaro) - eine davon richtig gut, die andere wie oben beschrieben ungenießbar. Beide Flaschen habe ich im Abstand von einer Woche geöffnet, im Keller lagen sie direkt nebeneinander. Wie kann das denn sein?

Re: Verschlussphase versus Alterserscheinung

Verfasst: Sa 20. Sep 2014, 23:42
von Bernd Schulz
Kann man Altwein mit der Zeit schätzen lernen oder ist man da aufgrund seiner subjektiven Wahrnehmungsweise (z.B. Empfindlichkeit gegenüber bestimmter Alterstöne) festgelegt.
Man kann - wie mein eigenes Beispiel zeigt!

Bei mir war es allerdings ein ziemlich langer Prozess, und den schlussendlichen "Erfolg" verdanke ich vermutlich nur der Unermüdlichkeit meiner Weinfreunde, die mich trotz meiner Grimassen immer wieder mit Altweinen traktiert haben.
Und nun das Kuriose: Zwei Flaschen Apollonio 2007 (Cuvee aus je 50% Primitivo und Negroamaro) - eine davon richtig gut, die andere wie oben beschrieben ungenießbar. Beide Flaschen habe ich im Abstand von einer Woche geöffnet, im Keller lagen sie direkt nebeneinander. Wie kann das denn sein?
Tja, solange die Winzer ihre Flaschen immer noch mit der blödsinnigen Baumrinde verschließen.... :twisted:

Wobei es nicht zwingend der Korken gewesen sein muss. Aber die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass er es war.

Viele Grüße

Bernd

Re: Verschlussphase versus Alterserscheinung

Verfasst: Sa 20. Sep 2014, 23:59
von Rocketman
Der Apollonio ist zwar in der Tat mit Naturkork verschlossen, wirklich korkig schmeckte er allerdings nicht. ich habe den Wein der ungenießbaren Flasche dekantiert und nach etwa 6 Stunden ließ sich noch ein bisschen Barrique erahnen, was bei dem Wein aus der "guten" Flasche relativ ausgeprägt war.

Nun ist es so, dass unser Keller wie gesagt feucht, zudem auch schimmlig und muffig ist. sollte dies die Ursache sein, dann müsste ja der Korken in kürzester Zeit von Schimmelmycel durchwachsen sein-sah jedenfalls nicht so aus. Der Bobal lag auch nur wenige Wochen im Keller. Ist es dennoch denkbar, dass der Schimmel der Umgebung einen derartigen Einfluss hat?

Der Tempranillo hatte übrigens einen von diesen Plastikkorken, das kann also in diesem Fall nicht die Ursache gewesen sein.