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Das Wesen der Rebe

Verfasst: Di 24. Jul 2012, 13:07
von Gerald
Interessante Diskussion in facebook mit einem seit einigen Jahren biodynamisch arbeitenden Winzer:

Er lehnt die Verwendung von Pflanzenhormonen (z.B. um die Trauben stärker zu strecken, damit die Beeren besser belüftet und damit weniger auf Pilzinfektionen empfindlich sind) ab, da es dem "selbstbestimmten (witterungsabhängigem) Wachstum" der Rebe widerspricht und sich daher negativ auf die Weinqualität auswirken wird.

Ich habe dazu gemeint, dass eigentlich jede Art der Reberziehung wie auch besonders der Rebschnitt diesem selbstbestimmten Wachstum widerspricht und man daher konsequenterweise die Reben - wie die Wildrebe - an Bäumen sich nach oben ranken lassen müsste. Er ist hingegen der Ansicht, dass der Rebschnitt der Natur der seit langem domestizierten Rebe entspricht.

Ist zwar eine schon ziemlich abstrakte bis philosophische Diskussion, aber meiner Meinung nach hochinteressant. Was meint ihr zu dieser schwierigen Frage?

Grüße,
Gerald

Re: Das Wesen der Rebe

Verfasst: Di 24. Jul 2012, 13:30
von Weinzelmännchen
Wirklich eine philosophische Grundsatzfrage!
Aber ist nicht JEDE Art von Erziehungsform im Weingarten und JEDE Art von Kellertechnik (egal ob mit oder ohne Schwefel) ein Eingriff in das Wesen der Rebe und in weiterer Folge in das Wesen des Weins? Ich persönlich schätze die Vielfalt an Erziehungsformen und Kellertechniken (solange es nicht zu "chemisch" wird - du weißt schon, was ich damit meine). Ich kann mir aber schon vorstellen, dass es moderne Rebklone gibt, die man nicht auf sich allein gestellt lassen darf und die ohne Reberziehung nicht recht lebensfähig sind.

Das Weingut Meinklang, das dir sicher bekannt ist, macht einen Wein (Grauer Burgunder), der zwar in einer Spaliererziehung ausgepflanzt ist, der aber dann nicht mehr geschnitten wird. Laut Weingut werden die Trauben kleinbeeriger, aber dafür extraktreicher.

http://www.purkarthofer-pr.at/uploads/i ... eihe1.jpg/

P.S.:
Hier sieht man die Reben im Februar

Re: Das Wesen der Rebe

Verfasst: Di 24. Jul 2012, 14:12
von UlliB
Ääähmm - ganz andere Frage:
Gerald hat geschrieben: ...die Verwendung von Pflanzenhormonen (z.B. um die Trauben stärker zu strecken, damit die Beeren besser belüftet und damit weniger auf Pilzinfektionen empfindlich sind) ...
Wird das tatsächlich gemacht? Falls ja, mit welchen Pflanzenhormonen, und wie läuft das technisch ab (lokale oder systemische Behandlung)? Und ist diese "Technik" weit verbreitet?

Ich höre hier das erste Mal davon (was aber nichts heißen muss). Bislang war ich davon ausgegangen, dass Lockerbeerigkeit ein Ergebnis von züchterischer Selektion ist, und nicht von chemischer Behandlung.

Gruß
Ulli

Re: Das Wesen der Rebe

Verfasst: Di 24. Jul 2012, 14:21
von T's Weinblog
Wenn man den Gedanken konsequent weiter denkt, dürfte es weder Rebklone noch irgendwelche Neuzüchtungen oder gar Wein geben... Aber seine Argumentation pro Reberziehung aber kontra Hormone kommt mir wenig überlegt stichhaltig vor. Vor allem widerspricht er sich da ja in gewisser Weise auch!

Re: Das Wesen der Rebe

Verfasst: Di 24. Jul 2012, 15:03
von Gerald
Hallo Ulli,

eine schöne Zusammenfassung findet man z.B. hier: http://www.landwirtschaft-mlr.baden-wue ... ansicht=ja

Grüße,
Gerald

Re: Das Wesen der Rebe

Verfasst: Di 24. Jul 2012, 16:17
von Herr S.
Hallo zusammen,

war mir auch neu, daß Gibberelline im Weinbau Verwendung finden. Man lernt halt nie aus, danke Gerald für den interessanten Beitrag! Der Artikel beschreibt neben den Wachstumseffekten auch die Änderungen im Stoffhaushalt der Rebe. Für mich sehen diese Veränderungen recht "signifikant" aus. Stellt sich die Frage ob der Rebschnitt oder ähnliche, konservative Methoden wie Laubarbeit, grüne Lese etc. selbst eine ebensolche Veränderung zur Folge haben. Ich vermute das dem so ist allerdings ohne detailiertes Hintergrundwissen zu besitzen. Wie dem auch sei, eine klare Linie pro & contra zu ziehen fällt mir schwer.
Toll finde ich übrigens die Struktur von Gibberelinsäure http://de.wikipedia.org/wiki/Gibberellins%C3%A4ure. Immer wieder beeindruckend was die Biosynthese so hergibt.

Viele Grüße,
Björn

Re: Das Wesen der Rebe

Verfasst: Di 24. Jul 2012, 16:20
von Gerald
Immer wieder beeindruckend was die Biosynthese so hergibt.
(off-topic) mein Favorit ist die Stickstofffixierung - in ganz normalem Ackerboden, wofür man in der Technik 500 °C und mehrere hundert Bar Druck benötigt ...

Grüße,
Gerald

Re: Das Wesen der Rebe

Verfasst: Di 24. Jul 2012, 16:58
von UlliB
Gerald hat geschrieben:eine schöne Zusammenfassung findet man z.B. hier: http://www.landwirtschaft-mlr.baden-wue ... ansicht=ja
Danke, wieder was gelernt - ich wusste vom Einsatz von Gibberellinsäure im Weinbau tatsächlich nichts. Eine kurze Recherche zeigt, dass die Anwendung in Deutschland mittlerweile dem Status von Versuchen mit Sondergenehmigung entwachsen ist; es gibt eine langfristige Zulassung:

https://www.landwirtschaft-bw.info/serv ... index.html

Das in dieser Mitteilung ebenfalls erwähnte "Regalis" ist der Handelsname für einen weiteren Wachstumsregulator von BASF, Wirkstoff: Prohexadion-Ca, einem Inhibitor der Gibellin-Biosynthese und insofern antagonistischen Wirkprinzip.

Ob noch andere Wachstumsregulatoren zulässig sind, habe ich auf die Schnelle nicht herausgefunden. Eigentlich möchte ich es auch gar nicht wissen - sonst geht mir noch der letzte Glaube daran verloren, dass die Produktion von Wein wenigstens ganz entfernt etwas mit natürlichen Vorgängen zu tun hat :shock:

Gruß
Ulli

Re: Das Wesen der Rebe

Verfasst: Di 24. Jul 2012, 17:15
von Gerald
sonst geht mir noch der letzte Glaube daran verloren, dass die Produktion von Wein wenigstens ganz entfernt etwas mit natürlichen Vorgängen zu tun hat :shock:
na ja, wenigstens sind diese Substanzen aber natürlichen Ursprungs, was man von den viel häufiger verwendeten (und meiner Meinung nach aus Sicht des Umweltschutz viel bedenklicheren) Herbiziden, Insektiziden, Akariziden, Fungiziden und wer weiß noch für ...iziden ja nicht unbedingt behaupten kann. Fehlt nur mehr die Zulassung eines "Hominizids" im Weinbau :o

Ooops, das gab es früher ja schon mal: http://www.hustopece.cz/die-stadt-sehenswurdigkeiten

Grüße,
Gerald

Re: Das Wesen der Rebe

Verfasst: Di 24. Jul 2012, 18:15
von UlliB
Gerald hat geschrieben:
na ja, wenigstens sind diese Substanzen aber natürlichen Ursprungs,
Auch so ein Argument. Iss doch mal einen Knollenblätterpilz - eigentlich sollte da gar nichts Schlimmes passieren können; ist zu 100% Natur 8-)

Ne, im Ernst. Ich will hier gar kein Gefährdungspotential für den Menschen konstruieren, es gibt ziemlich sicher keines; ein dumpfes Gefühl des Unwohlseins stellt sich bei mir aber schon ein. Wenns kostengünstiger wäre, würde man Wein vermutlich gleich komplett biotechnologisch in geschlossenen Anlagen herstellen.

Übrigens wirft Dein Argument mit dem "natürlichen Ursprung" eine interessante Frage auf: ist das Verwenden von Wachstumsregulatoren biologischen Ursprungs im biologischen oder biodynamischen Weinbau erlaubt? In Analogie zu ähnlich gelagerten Fällen (Pyrethrum) müsste die Antwort eigentlich "ja" lauten.

Gruß
Ulli