ledexter hat geschrieben:So, ich bin damit raus!
Dann kannst du dich ja in der Zwischenzeit deinen Stastistiken widmen, was die Vorlieben einzelner Verkoster sind bzw. zu sein scheinen.
Bei Jean-Marc Quarin, den ich seit dem 2010er auf dem Radar habe, glaube ich folgendes bemerkt zu haben:
Er bevorzugt schmelziges, saemiges, geradezu cremiges Tannin, das sehr weich und von viel Frucht umhuellt ist. Das heisst, Textur ist ihm sehr wichtig - ich wuerde sogar argumentieren, dass er Struktur gegen Textur eintauscht, wenn er vor die Wahl gestellt wird. Es muss also schon ein sehr guter (oder gut erzoegener) St-Estephe sein, bevor er mit dem Wein warm wird Beispiel: Capbern faellt bei ihm regelmaessig durch. Er mag es, wenn der Koerper voll, rund und satt ist. Kombiniert mit weichen Tanninen sind
mir persoenlich die Weine gelegentlich etwas zu weich oder zu "labbrig" und spannungsarm.
Er bevorzugt duftige, aromatische Weine, gerne auch mit einem floralen Touch. Deswegen mag er (ausgereiften) Cabernet Franc in der Cuvee. Beispiel: rechtes Ufer, einige ausgesuchte Weine vom linken Ufer, wo er gelegentlich auch die etwas spitze Bemerkung fallenlaesst, dass diejenigen, die CF herausgerissen haetten, jetzt schon sehen koennten, was sie davon haben.
Er bevorzugt viel (und gerne auch modernen) Fruchtausdruck,
vor allem im Abgang. Reife, klare Frucht im Nachgeschmack ist sein Ding. Je komplexer die Frucht ist (z.B. weil die Cuvee CF oder Malbec oder Carmenere enthaelt; Beispiel: Clos Louie, Moulin-Haut-Laroque und, ganz prominent, Les Carmes Haut Brion), desto schoener fuer ihn. Wenn der Abgang deutlich tanningepraegt ist, wird er das weniger gut finden. Beispiel: Lynch Moussas vs. Batailley; letzteren findet er ja "ein bisschen herb", ersteren hingegen "fetter" als Batailley. Prompt gibt's mehr Punkte.
Er mag Laenge und - so doof sich das anhoert - "leckeren" Wein. Dafuer, dass wir hier immerhin von Bordeaux reden, ist er also ganz schoen hedonistisch unterwegs. Ich unterstelle ihm sogar, Rechtstrinker zu sein. Beisipel: La Mauriane, Berliquet, Bellefont Belcier, Barde Haut, Zeugs aus Castillon und von den Côtes. Ja, moderne, teilweise michelrollandisierte Sachen. Und das bringt mich abschliessend zu einer allgemeinen Beobachtung ueber frenzoesische Kritiker:
JMQ (aber erst recht Bettane) ist ziemlich nah am "amerikanischen Geschmack" dran - vielleicht mag er etwas mehr Klarheit im Fruchtausdruck, also weniger verhangene, zu reife oder gar ueberreife Frucht, wahrscheinlich bevorzugt er seine Weine etwas weniger vulgaer als Parker, aber im Grossen und Ganzen mag er seinen Wein reif, fruchtig, weich, voll und lang. Was ein durchaus massenkompatibler Geschmack ist, denn wer wuerde einer solchen Idealvorstellung widersprechen, und ich habe noch niemanden getroffen, der sagt, 1982 sei ein ueberreifes, untypisches, parkerisiertes Jahr gewesen.
Das Geheimnis ist also zu verstehen, was
man selber mag. Bei JMQ kann ich locker 3 Punkte abziehen, und wenn's mir dann immer noch guenstig vorkommt, werde ich den Wein in Betracht ziehen. Seine Punkte fuer bare Muenze zu nehmen, halte ich fuer gefaehrlich, wenn man's vorher nicht selber ausgetestet hat, denn
YMMV.
Man kann sich ja ohne Probleme ein Sixpack zur Probe bei AFG schnueren und dort mir relativ geringem finanziellen Aufwand die 92 bis 94 Punkte abdecken. Dann baut man sich zur Gegenprobe ein Sixpack mit Weinen, bei denen JMQ der Ausreisser nach unten ist (Capbern, Petit Gravet Aine, so Sachen). Mit 12 Flaschen hat man schon eine gute Tendenz.
Cheers,
Ollie