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Re: Haben GG tatsächlich Reifepotenzial?

Verfasst: Fr 16. Aug 2024, 10:27
von Chrysostomus
Ich gebe zu, ein wirklich gereiftes (>10 Jahre) GG noch nicht im Glas gehabt zu haben - Aber sicher bald, da ich mich immer mehr für die GGs interessiere, zumal die "artverwandten" Smaragde in der Wachau preislich durch die Decke gehen. Leider sind gereifte GGs schwerer zu bekommen, als zB Bordeauxs, aber das ist eine andere Geschichte...
Möchte mich aber dennoch mit sozusagen indirekten Wahrnehmungen hier zu Wort melden: ich hatte vor kurzem einen Riesling Eierfels 2006 (!) vom Schlossgut Diel im Glas, sozusagen aus deren zweiter Reihe. Das war für mich ein wirklich erhellendes Erlebnis, nämlich insofern, als dass sich auch Weine unter der Kategorie GG großartig entwickeln können, und das noch dazu in einem warmen bis heißen Jahr. Meine indirekte Feststellung daher: Warum also sollten die GGs nicht auch über 20 Jahre reifen können? Ich denke, dass deren Ausbau ja noch mehr in diese Richtung gehen müsste.
Wenn man Smaragde in vergleichbaren (Preis-)Kategorien hernimmt, so sind 20 und mehr Jahre überhaupt kein Problem, ja sie gewinnen sogar an Komplexität über die Zeit. Hatte zB vor kurzem wunderbare Hirtzberger Singerriedel 2001, einen 2003 und 2008 im Glas. Sie unterscheiden sich stilistisch, jahrgangstypisch, man kann ihnen aber durchaus bescheinigen, dass sie wunderbar reifen können. Viele trinken auch die Smaragde gerne jung (ich auch). Das ist aber, aus meiner Sicht, ähnlich wie bei jungen und gereiften Bordeauxs, ein Vergleich von Birnen und Äpfel. Man hat eben nach 10-15 Jahren quasi einen völlig anderen Wein im Glas, der einem jetzt besser schmeckt, oder nicht - es ist also vielleicht wieder einmal Geschmacksache.. (Bei einer Bdx-Verkostung machten letztens eingefleischte Altwein-Trinker ungläubig große Augen, was ein Calon Segur oder Pichon Baron 2018 jung ablieferten, von den 2019ern gar nicht zu sprechen...)
Vielleicht sollte man auch bei den GGs davon ausgehen, dass dem einen der gereifte Charakter und der anderen der jeweils jugendlche besser gefällt? Ich weiß aber nicht, ob das eine Frage von "reifen können" ist...? Provokation zum Schluss: die MÜSSEN doch reifen können, oder? :D

Re: Haben GG tatsächlich Reifepotenzial?

Verfasst: Fr 16. Aug 2024, 11:35
von Ollie
In all dem steckt folgendes drin:

Reifung: Von einem Ausgangszustand in irgendeinen anderen, besseren Zustand (mehr Komplexität, mehr Harmonie, you name it). Das ist ein diskussionsloses "besser", weil komplexere, harmonischere Weine immer die besseren Weine sind.

Entwicklung: Von einem Ausgangszustand in irgendeinen anderen Zustand. Ob der andere Zustand "besser" ist, ist Geschmackssache.

Alterungsfähig: Der Wein überlebt, bleibt aber quasi unverändert. (Das kann auch eine sehr, sehr langsame Reifung/Entwicklung sein. Z.B. gibt es Moselauslesen, die nach zwanzig Jahren immer noch so schmecken wie nach zweien.)

Chrysostomus hat geschrieben: Fr 16. Aug 2024, 10:27 Provokation zum Schluss: die MÜSSEN doch reifen können, oder? :D
Sehr schön auf den Punkt gebracht! :D Ich glaube tatsächlich, daß man "Fähigkeit zur Reife" im oben genannten Sinne von einem GG erwartet. Dann natürlich die Binse: Auf alle GGs trifft das nicht zu, und auch die "Jahrgangsbesten" klappen oft früher zusammen als erhofft. Der in den letzten 20 Jahren grassierende Stilwandel bei den GGs tut dazu sein Übrigens, daß man nur sehr fehlerbehaftete Abschätzungen treffen kann. Und sehr oft landet man bei "Entwicklung" und nicht bei "Reife".

Cheers,
Ollie

Re: Haben GG tatsächlich Reifepotenzial?

Verfasst: Fr 16. Aug 2024, 11:47
von amateur des vins
Ollie hat geschrieben: Fr 16. Aug 2024, 11:35 Reifung: Von einem Ausgangszustand in irgendeinen anderen, besseren Zustand (mehr Komplexität, mehr Harmonie, you name it). Das ist ein diskussionsloses "besser", weil komplexere, harmonischere Weine immer die besseren Weine sind.

Entwicklung: Von einem Ausgangszustand in irgendeinen anderen Zustand. Ob der andere Zustand "besser" ist, ist Geschmackssache.

Alterungsfähig: Der Wein überlebt, bleibt aber quasi unverändert. (Das kann auch eine sehr, sehr langsame Reifung/Entwicklung sein. Z.B. gibt es Moselauslesen, die nach zwanzig Jahren immer noch so schmecken wie nach zweien.)
Endlich schreibt das mal jemand auf, damit die Diskussion reift!

Vielleicht sollten wir ein eigenes gepinntes "Lexikon" in "Allgemeines Weinwissen" führen?

Re: Haben GG tatsächlich Reifepotenzial?

Verfasst: Fr 16. Aug 2024, 12:02
von EThC
Ollie hat geschrieben: Fr 16. Aug 2024, 11:35 weil komplexere, harmonischere Weine immer die besseren Weine sind
..."komplex" in der Regel ja, "harmonisch" ist schon wieder Geschmackssache, in vielen Fällen "aka spannungsarm"... :mrgreen:

Re: Haben GG tatsächlich Reifepotenzial?

Verfasst: Fr 16. Aug 2024, 12:04
von Ollie
amateur des vins hat geschrieben: Fr 16. Aug 2024, 11:47 Endlich schreibt das mal jemand auf, damit die Diskussion reift!
Ich fürchte, sie wird nur noch weiteraltern.

Cheers,
Ollie

Re: Haben GG tatsächlich Reifepotenzial?

Verfasst: Mo 19. Aug 2024, 11:43
von TOM
Na dann wehren wir uns doch mal gegen das Altern und versuchen die Diskussion nochmals anzuheizen.

Nachdem ich jetzt lange nur mitgelesen habe, möchte ich dann doch mal meine spärlichen Erfahrungen mit GGs zum Besten geben.
Ich finde GGs ganz jung ein Problem. Zumindest machen sie mir keinen Spaß.
Ich habe es immer mal wieder versucht, zuletzt mit dem 2022er Van Volxem Goldberg, der von den Verkostern als „jung genießbar“ bezeichnet wurde. Ich konnte die Meinung nicht teilen.

Und damit bin ich auch schon bei meinem Lieblings GG-Winzer. Van Volxem hat ja eine große Auswahl an GGs, aber irgendwie bin ich meist beim Scharzhofberger und beim Goldberg hängen geblieben. Daneben habe ich noch ein paar GGs von St. Antony und von Dr. Loosen.

Ich mache es so, dass ich mir in ausgewählten Jahrgängen 3-6 Flaschen in den Keller lege und die erste nach 6-8 Jahren probiere. Dann entscheide ich, ob das ein Wein ist, den ich eher zügig (also in den nächsten 1-2 Jahren) austrinke oder weiter liegen lasse und die nächste Flasche erst nach 2-4 weiteren Jahren anteste.

Welche Jahrgänge ich mir in den Keller lege, versuche ich anhand der Guts- oder Ortsweine des gleichen Weingutes abzuschätzen und ja, ich schaue auch auf die Bewertungen der Verkoster und natürlich das, was hier im Forum berichtet wird.

Bei meinen "Forschungen" werde ich immer wieder überrascht, da sich die Weine doch anders entwickeln, als ich geglaubt habe.
Daher würden mich Eure Erfahrungen mit den letzten 10 Jahrgängen insbesondere im Hinblick auf die Lagerfähigkeit interessieren. Was sind Eure Empfehlungen und welche Jahrgänge muss man unbedingt im Keller haben?

Ich fange mal an und gebe hier mal meine (persönlichen!) Eindrücke und Entscheidungen der letzten 10 Jahre wider:

2012 Damals hieß mein Lieblings-Wein noch "Scharzhofberger Riesling Große Lage" und kostete weniger als 20 Eur. Eine letzte Flasche liegt noch im Keller, die vorletze habe ich Ende 2023 probiert und der Wein entwickelte sich im Laufe der Woche in der ich ihn getrunken habe immer besser. Die letzte Flasche lasse ich mit Sicherheit noch eine ganze Weile liegen. Ich glaube 2012 kann man noch länger lagern.

2013 war für mich die absolute Überraschung. Eigentlich fand ich den Jahrgang garnicht so gut, habe aber trotzdem gekauft. Die beiden VV waren damals limitiert auf 3 Flaschen pro Kunde und haben sich gigantisch entwickelt. Selbst der "einfache Saar-Riesling" war zwischen 2021 und 2023 ein Traum. Habe alle 2013er mittlerweile ausgetrunken, konnte mich nicht beherrschen ;-) Kann mir aber vorstellen, dass 2013 sich auch noch ein paar Jahre lagern lässt. Also auch ein Lagerjahrgang.

2014 habe ich mit 6-10 Jahren Reife ausgetrunken. Den würde ich persönlich nicht als Lagerjahrgang einschätzen. Er hat aber (recht jung) sehr gut geschmeckt. Neben dem Goldberg hatte ich aus dem Jahr auch noch den Orbel von St. Antony (damals noch Felix Peters), der in dem Alter ebenfalls hervorragend war und das bei 15 Eur Subskriptionspreis... Also war 2014 für mich ein guter Jahrgang, dessen Lagerfähigkeit aber begrenzt ist.

2015 lässt mich ratlos zurück. Neben den Weinen von VV habe ich in 2015 auch noch ein paar GGs von St. Antony gekauft. Während ich den 2015er Orbel in 2021 genial fand, war der Wein 2022 total zurückgezogen, um dann 2024 wieder ordentlich aber nicht außergewöhnlich zu schmecken. Zum Pettenthal habe ich noch keinen Zugang gefunden, er wirkt auch 2024 noch immer zurückgezogen.
Immerhin, der Scharzhofberger war in 2022 bereits trinkbar, aber noch zu jung. Der Goldberg wirkte 2023 total zurückgezogen, öffnete sich aber mit ein paar Tagen Luft. Das sieht nach "Warten" aus.
Als dritten Winzer hatte ich für den Jahrgang 2015 Dr. Loosen ausgewählt. Dessen Wehlener Sonnenuhr wirkte auf mich letzte Woche sehr oxidativ. Eigentlich gibt Stephan Reinhardt 2022 - 2040 als Trinkfenster an... Hatte ich vielleicht Pech mit der Flasche?
Was ist los mit 2015? Hätte ich 2015 früher trinken sollen? Habe ich mit dem Kauf der 2015er einen Fehler gemacht? Oder entwickelt sich der Jahrgang noch und ich war nur zu ungeduldig? Habe durchaus noch einige Flaschen im Keller. Wie ist Eure Meinung zu dem Jahrgang 2015?

2016 Alles, was ich bisher aus 2016 probiert habe, war gut bis sehr gut, aber zu jung. Ich glaube, dass 2016 ein sehr guter Lagerjahrgang wird. Er ist aber jetzt noch zu jung.

2017 Zu dem Jahrgang kann ich wenig sagen. Habe ein wenig Bestand, aber davon bisher (fast) nichts geöffnet. Hat jemand von Euch Erfahrung?

2018 Das ist (in meinen Augen!) wieder ein Jahrgang, den man jung trinken muss. Die Weine präsentieren sich (in meinen Augen) zurzeit sehr fruchtig und ausgereift. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die noch besser werden. In meinen Augen fehlt den Weinen auch irgendwie die Tiefe und Vielschichtigkeit. Es sind eher Weine auf dem Ortswein-Niveau. Trotzdem zurzeit sehr schön zu trinken! Meine (persönliche!) Einschätzung stütze ich auf den Goldberg, das Bernkasteler Johannisbrünnchen von Loosen und den Orbel von St. Antony, der aber mittlerweile von Dirk Würtz produziert wird. Habt ihr mit 2018 ähnliche Erfahrung gemacht? Oder liegt es daran, dass ich eher nur "kleinere GGs" hatte?

2019-2022 habe ich noch nicht probiert. Eingelagert habe ich 2019 und ein wenig 2022, wobei ich überlege vielleicht noch den ein oder anderen 2021er wegen des kühlen Jahrgangs zu kaufen, falls sich eine Gelegenheit ergibt.

So! Nun seid ihr dran! Wie beurteilt ihr die letzten 10 Jahrgänge und aus welchem Jahr kann man getrost einlagern?

Re: Haben GG tatsächlich Reifepotenzial?

Verfasst: Mo 19. Aug 2024, 13:34
von amateur des vins
Da Deine Frage(n) sehr spezifisch Van Volxem betreffen, sind sie im spezifischen Thread vermutlich besser aufgehoben, findest Du nicht? Oder denkst Du, welche Erkenntnisse auch immer sich für Van Volxem ergeben, sie wären auf alle GG verallgemeinbar?

Ich selber kann zu Deinen Fragen leider nichts beisteuern: Erstens hatte ich erst letztens meinen Erstkontakt, und zweitens kann ich der Stilistik - jedenfalls gemessen an dieser Ministichprobe - wenig abgewinnen.

Re: Haben GG tatsächlich Reifepotenzial?

Verfasst: Mo 19. Aug 2024, 18:28
von TOM
amateur des vins hat geschrieben: Mo 19. Aug 2024, 13:34 Da Deine Frage(n) sehr spezifisch Van Volxem betreffen, sind sie im spezifischen Thread vermutlich besser aufgehoben, findest Du nicht? Oder denkst Du, welche Erkenntnisse auch immer sich für Van Volxem ergeben, sie wären auf alle GG verallgemeinbar?
...
Nein mir geht es eher um eine generelle Jahrgangseinschätzung der GGs. Ich konnte zwar nur zu VV, Antony + Loosen was beisteuern, aber mich würde generell interessieren, welche Jahrgänge ihr gut findet. Also: Habe ich bei 2015 zu lange gewartet, zu wenig Geduld oder ist das ein schwieriger Jahrgang. Passt es zu Eurer Erfahrung, dass man 2018 (wenn überhaupt) nicht zu lange lagern soll. Teilt ihr meine Meinung, dass 2016 der beste Jahrgang der letzten 10 Jahre ist? Wart auch ihr von 2013 überrascht? ...

Re: Haben GG tatsächlich Reifepotenzial?

Verfasst: Mo 19. Aug 2024, 19:14
von Jochen R.
Hallo TOM,
ich kann zu 2015 ein wenig beitragen, auch mit aktuellen Eindrücken.
Dönnhoff´s Hermannshöhle an Ostern ein beeindruckender Gaumenauftritt, aber im Gesamtpaket für meinen Geschmack noch zu jung. Das Dellchen (Feb. ´23) bereits groß ganz am Anfang.
Ebenfalls groß, aber ganz am Anfang, fand ich Kühling-Gillots Pettenthal erst vor ein paar Tagen.
Schnaitmann´s Fellbacher Lämmler kaufe ich (fast) jedes Jahr. Der 2015er kürzlich war eine der besten Flaschen/Jahrgänge, an die ich mich erinnern kann.
Meine von Buhl-Bestände sind jetzt ausgetrunken. Und das ist gut so - jung waren das sehr schöne Weine, die letzten Flaschen waren schon weit Fortgeschritten.
In den entsprechenden Threads findest du bei Interesse auch VKN ;-)

Viele Grüße,
Jochen

Re: Haben GG tatsächlich Reifepotenzial?

Verfasst: Mo 19. Aug 2024, 19:32
von Nora
TOM hat geschrieben: Mo 19. Aug 2024, 18:28 Nein mir geht es eher um eine generelle Jahrgangseinschätzung der GGs. Ich konnte zwar nur zu VV, Antony + Loosen was beisteuern, aber mich würde generell interessieren, welche Jahrgänge ihr gut findet. ... Wart auch ihr von 2013 überrascht? ...
Ja! Ich habe kaum Große Gewächse aus 2013 gekauft, da der Jahrgang angeblich nicht so doll gewesen sein soll. Dönnhoffs Hermannshöhle aus 2013 hat mich vor kurzem sehr positiv überrascht. Aus der Erinnerung: Sehr dicht, komplex mit viel Frucht abgefangen von einer großartigen Mineralik und einer belebenden Säure. Toll! Diese reichte fast an die 11er Hermannshöhle heran und war deutlich besser als die 12er.

VG, Nora