Pestizideinsatz im Médoc

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UlliB
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Re: Pestizideinsatz im Médoc

Beitrag von UlliB »

MichaelWagner hat geschrieben: Was ich ursprünglich mit meinem "hat seinen Preis..." Kommentar sagen wollte ist dass die angesprochenen Top-Bordeaux-Weine, die sich idR durch eine extrem hohe Traubenreife in Verbindung mit Anreicherung auszeichnen, diese besagten Reifegrade ohne Pestizidorgien auch in einem sehr späten Reifestadium garnicht erreichen können.
Das kann man mittlerweile an Hand der Weine einer ganzen Reihe vollbiologisch arbeitender Betriebe im Bordelais als gründlich widerlegt ansehen. Die erzeugen Weine in einer vom bisherigen "Mainstream" nicht abweichenden Stilistik ohne jeden Pestizideinsatz*.

Ich habe übrigens auch mal geglaubt, dass die Erzeugung eines bestimmten Typus von hochreifen und hochkonzentrierten Riesling-GGs aus extrem später Lese nicht ohne den massiven Einsatz chemisch-synthetischer Fungizide möglich ist. Auch hier zeigen vollbiologisch bzw. biodynamisch arbeitende Betriebe wie z.B. Wittmann, dass das sehr wohl auch "ohne" geht.

Ich bin mittlerweile überzeugt, dass man jeden Wein bzw. Weinstil biologisch erzeugen kann. Mit welchem Aufwand und damit letztlich zu welchem Preis, ist eine andere Frage.
Zurück zu den Piwis: soweit ich weiß laufen die Versuche bereits seit Anfang des letzten Jahrhunderts und bisher ist noch keine Rebsorte daraus hervorgegangen die sensorisch auch nur annähernd mit dem Riesling mithalten kann. Und genau deswegen macht es keiner - weil das wirtschaftliche Risiko nach wie vor unüberschaubar ist. Und nicht weil die ganze Winzerschaft eine Horde von innovationsscheuen, starrköpfigen, scheuklappentragenden Dorfdeppen ist, die nicht über den Tellerrand schauen kann und am liebsten die Zeit damit totschlägt die Umwelt zu verpesten.
Da stimme ich Dir allerdings weitgehend zu.

Gruß
Ulli



* außer Kupfer natürlich. Bevor hier einer meckert.
Muellimov
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Re: Pestizideinsatz im Médoc

Beitrag von Muellimov »

Ulli: hast Du vielleicht Erfahrungen darüber, wie die Bordelaiser Winzer mit dem Thema Kupfer umgehen bzw. langfristig umgehen wollen? (*) Die prinzipielle Problematik ist denen doch sicher auch bekannt. Eventuell haben sie dort sogar einen Vorteil, was Auswaschungen anbelangt. Ich könnte mir vorstellen, dass die dortigen Kiesschichten für Auswaschungen sehr viel besser geeignet sind als Schiefer- oder sogar Lehmböden.

(*) Das frage ich Dich jetzt nicht, um Dich wieder zu triezen, sondern aus Interesse heraus.
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UlliB
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Re: Pestizideinsatz im Médoc

Beitrag von UlliB »

Muellimov hat geschrieben:Ulli: hast Du vielleicht Erfahrungen darüber, wie die Bordelaiser Winzer mit dem Thema Kupfer umgehen bzw. langfristig umgehen wollen? (*) Die prinzipielle Problematik ist denen doch sicher auch bekannt. Eventuell haben sie dort sogar einen Vorteil, was Auswaschungen anbelangt. Ich könnte mir vorstellen, dass die dortigen Kiesschichten für Auswaschungen sehr viel besser geeignet sind als Schiefer- oder sogar Lehmböden.
Nein, das weiß ich leider nicht. Grundsätzlich hast Du aber ganz sicher Recht; das Kupferbindungsvermögen von Kiesböden ist sicherlich geringer als das von Lehmböden. Allerdings gibt es Kiesböden in größerem Umfang nur auf dem "linken Ufer", d.h. im Médoc und den Graves. Auf dem rechten Ufer dominiert Lehm und Kalk, so dass dort die Situation sicher wieder anders ist.

Was ich vor Ort allerdings gesehen habe, ist ein neuer Typ von Spritzmaschine (Stichwort "Spritztunnel"), der die Kupfergabe weitgehend auf die Blattmasse der Reben fokussiert und den ungezielten Eintrag "auf alles" vermindern soll. Das ist sonst tatsächlich ein erhebliches Problem. Vor nicht allzu langer zeit konnte ich im Burgund einen Weinberg "bewundern", der durch die Kupfergabe komplett blau war: nicht nur die Reben, sondern auch das Gras zwischen den Reben, freiliegende Bodenstücke, das Wasser im Abzugsgraben am unteren Ende...

Den Biobetrieben ist die Kupferproblematik ja nicht unbekannt, und man arbeitet durchaus daran, den Eintrag in die Fläche zu reduzieren - soweit ich verstehe, durchaus auch mit einigem Erfolg. Auf Null wird es aber leider nicht gehen (übrigens ist diese Problematik ja nicht nur auf den Weinbau beschränkt, sondern betrifft den gesamten Biolandbau mit pilzempfindlichen Kulturen).

Vielleicht noch einmal zurück auf den Ausgangsbeitrag dieses Threads: da ging es um gesundheitliche Schäden von Winzern und Weinbergsarbeitern durch Pestizide. Wie auch immer die Kausalität aussehen mag: dafür ist Kupfer ganz bestimmt nicht ursächlich. Betrachtet man den Aspekt der Arbeitssicherheit, ist die vollbiologische Kultur der konventionellen klar überlegen.

Und ob Kupfer dem Ökosystem auf Dauer wirklich mehr schadet als eine Mischung aus chemisch-synthetischen Herbiziden, Fungiziden und dank der KEF jetzt auch wieder Insektiziden, ist doch alles andere als klar. Der Übergang zur biologischen Bewirtschaftung löst leider nicht alle Umweltprobleme. Aber ein großer Schritt in diese Richtung ist er aus meiner Sicht schon.

Gruß
Ulli
Muellimov
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Re: Pestizideinsatz im Médoc

Beitrag von Muellimov »

Deinen Ausführungen stimme ich uneingeschränkt zu. In Bezug auf Arbeitssicherheit ist Cu ganz sicher das Mittel der Wahl. Wenn dann auch noch der Eintrag in die Weinberge/-gärten durch bessere Anwendung und Technik reduziert werden kann, dann umso besser. Das wird zusätzliche Zeit schaffen, um zu anderen Sorten zu kommen, und unter genau dem Aspekt des "Zeitgewinnlers" sehe ich den Einsatz von Cu als durchaus gut an. Aber auch mit dem reduzierten Eintrag wird sich Cu sicherlich noch in den Böden weiter anreichern.
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Gerald
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Re: Pestizideinsatz im Médoc

Beitrag von Gerald »

Na ja, ich finde "bio" / "biodyn" in der aktuellen Variante kann sich keineswegs auf den "Lorbeeren ausruhen", da gibt es noch viel zu tun.

Und meiner Meinung nach ist die Umweltproblematik auch - zumindest langfristig - das gravierendere Thema. Denn gegen Gesundheitsschäden kann man sich mit geeigneten Sicherheitsmaßnahmen sicherlich schützen, beim Boden sieht es aber anders aus.

Allerdings bin ich durchaus optimistisch, dass man eine umweltfreundlichere Alternative zu Kupfer finden wird. Denn Kupfer wird ja keineswegs nur im Weinbau verwendet, sondern auch in sehr vielen anderen Kulturen. Und falls jetzt der Großteil der landwirtschaftlichen Betriebe jetzt auf "bio" umsteigend würden und nur mehr Kupfer als Fungizid einsetzen, dann würde den Agrarchemie-Multis sehr viel Umsatz wegbrechen. Schon aus deren Eigeninteresse wird man hier massiv forschen müssen - jedenfalls wenn der Marktanteil von "bio" weiterhin stark wächst.

Interessante Ansätze gibt es ja schon, z.B. in der Botrytisbekämpfung (Mikroorganismen, die der Botrytis den "Platz wegnehmen", ohne aber die Rebe/Traube zu schädigen):

http://www.bio-ferm.com/de/produkte/botector/

Grüße,
Gerald
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UlliB
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Re: Pestizideinsatz im Médoc

Beitrag von UlliB »

Gerald hat geschrieben: Denn gegen Gesundheitsschäden kann man sich mit geeigneten Sicherheitsmaßnahmen sicherlich schützen
Was konkret heißt: Vollschutzanzug, denn neben der Aufnahme durch Verschlucken und über die Atemwege muss man auch davon ausgehen, dass eine kutane Aufnahme der Wirkstoffe in relevantem Umfang möglich ist.

Ich weiß nicht, ob Du mal das "Vergnügen" hattest, in Vollschutz zu arbeiten. Ich schon, versuchsweise mal für eine Stunde, und das in einem klimatisierten Laborgebäude. Meine Einschätzung danach zur Situation in einem Weinberg im Hochsommer: unerträglich und völlig unzumutbar (ich würde hier auch mal vermuten, dass ein paar andere Arbeitsschutzbestimmungen das Arbeiten in Vollschutz im Freien für längere Zeit aus genau diesem Grund explizit verbieten).

Offen gesagt empfinde ich deine oben schon einmal geäußerte Auffassung "selber Schuld weil Arbeitsschutzbestimmungen nicht eingehalten" als einigermaßen zynisch.

Übrigens, zumindest nach deutschem Recht würde die (rechtliche) Verantwortung bei angestellten Weinbergsarbeitern beim Arbeitgeber liegen, da der zur Duchsetzung und permanenten Überprüfung der Einhaltung von Arbeitsschutzmaßnahmen verpflichtet ist. Das ist in Frankreich vermutlich nicht so sehr anders.

Gruß
Ulli
Muellimov
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Re: Pestizideinsatz im Médoc

Beitrag von Muellimov »

Gerald hat geschrieben:Denn gegen Gesundheitsschäden kann man sich mit geeigneten Sicherheitsmaßnahmen sicherlich schützen
Der Anwender vielleicht schon, schwieriger wird es für Anwohner. An der Mosel sind bspw. Hubschrauberspritzungen sehr verbreitet. Interessanterweise sind Hubschrauberspritzungen eigentlich gar nicht zulässig. Es gibt nur zwei Ausnahmen: a) Spritzen von Steillagen und b) Kronen von Wäldern (im hiesigen Zusammenhang natürlich irrelevant)

http://www.vitipendium.de/Hubschrauberspritzung

Zwar gibt es Regularien bzgl. des Einsatzes derselben (bspw. max. Windgeschwindigkeiten, Temperatur, 50 Meter Mindestabstand (!! :lol: ) ), aber dennoch lässt sich Abdrift nie vermeiden. Aus diesem Grund werden Hubschrauberspritzungen im Vorfeld sogar durch sogenannte Anwendungspläne den Anwohnern kenntlich gemacht.

Hiermal ein Beispiel:
http://dl8sar.de/weinbau/2014/index.html

Wie jetzt Ortsunkundige, die bspw. als Wanderer zufällig unterwegs sind, vor Abdriftnebel geschützt werden, erschließt sich mir nicht. Im genannten Link ist von Absperrungen die Rede. Dazu kann ich nur sagen, dass ich mehrfach Hubschrauberspritzungen beobachtet habe, wo es keine Absperrungen gab. Da kann man nur hoffen, dass die Piloten anwesende Menschen rechtzeitig sehen. Befürchtungen der Anwohner gibt es verständlicherweise immer wieder.

http://www.wochenspiegellive.de/trier/s ... g-harmlos/

Noch ein wenig mehr:
https://www.google.de/?gws_rd=ssl#q=hub ... nd&start=0
Muellimov
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Re: Pestizideinsatz im Médoc

Beitrag von Muellimov »

UlliB hat geschrieben:Ich weiß nicht, ob Du mal das "Vergnügen" hattest, in Vollschutz zu arbeiten. Ich schon, versuchsweise mal für eine Stunde, und das in einem klimatisierten Laborgebäude. Meine Einschätzung danach zur Situation in einem Weinberg im Hochsommer: unerträglich und völlig unzumutbar
Das geht auch in der Tat nicht. Wer im Hochsommer mal ernsthaft in Steil(st)lagen gearbeitet hat, ist froh um alles, was er nicht am Körper zu tragen braucht. Immer wieder sind dann Spritzanwender zu sehen, die sich mit den dünnen, weißen Lackiereranzügen schützen. Da bleibt nur zu hoffen, dass das, was für Lackierer ausreichend ist, auch für den Schutz gegenüber Pestziden gilt.
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VillaGemma
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Re: Pestizideinsatz im Médoc

Beitrag von VillaGemma »

UlliB hat geschrieben: Ich bin mittlerweile überzeugt, dass man jeden Wein bzw. Weinstil biologisch erzeugen kann. Mit welchem Aufwand und damit letztlich zu welchem Preis, ist eine andere Frage.
Hallo Ulli,

ja, das glaube ich auch. Aber interessant finde ich, dass diese Diskussion nun mehr und mehr auf die Argumente verfällt oder (positiv gesehen) abgleitet, die seit 20 Jahren (so lange interessiere ich mich inzwischen dafür) in der BIO-Landwirtschaft benutzt werden. Und da musste ich doch überwiegend traurige Erkenntnisse gewinnen, die sich wie folgt darstellen und sich wahrscheinlich 1:1 auf den Wein (-anbau) übertragen lassen. Ausgenommen in der Tat einige, vielleicht sogar viele hier im Forum, weil sich hier ein paar (wenige) hundert tummeln, die sich ernsthaft für Wein und Genuss interessieren.

Aber meine Erkenntnis zu "wie ticken die Menschen"...und mein Dunstkreis sind überwiegend Akademiker, beruflich bedingt. Was einfach nur heißen soll: Durchaus wache Menschen, aber:

1. Das Problem des Spritzens, des Hormoneinsatzes und der Antibiotika wird komplett ignoriert. Ich habe mir wenige Freunde gemacht, wenn ich immer wieder drauf hingewiesen habe, was die Leute sich da gerade antun. Ich lasse das inzwischen, man wird ja älter und ein ganz klein bißchen vernünftiger.

2. Preis zählt über alles, sprich ich werde immer angeguckt wie Mork vom Ork, wenn ich ein Hähnchen für 22,- Euro einkaufe, wo man das doch im Angebot für 1,99 Euro kauft.

3. Es interessiert sich nunmal nicht jeder für Perfektion, für das richtig gute Stück Rind, Hähnchen, Paprika...und dann eben auch Wein.

4. Man sollte auch nicht die Augen davor verschließen, daß man hier gegen einen MRD-Euro-Markt der Spitzmittelhersteller vorgeht. das klingt im Beitrag auch an. Am Einfachsten ist es in der Tat: Nicht kaufen! Dann gehen die kaputt, zwangsläufig. Aber wegen der Punkte 1-3 eine Illusion. Weil auch Geiz ist geil doch ziemlich verankert ist. Oder aber die Vorstellung vorherrscht, auch weit verbreitet: Der Staat wird schon nix zulassen, was nicht ok ist :lol: :roll: ...da ecke ich regelmässig mit meinem Paps an.

==> Ich glaube nicht, dass sich viel ändern wird. Es gibt die Lichtblicke, die biodynamisch anbauen. Wenn man das gut findet, so wie ich, dann kauft man dort. Glücklicherweise gibt es an der Rhone inzwischen einiges an Wein, dass so arbeitet und auch schmeckt. Dem Mistral sei zudem Dank, aber der bläst nunmal leider nicht überall auf diese Weise. Auch in Italien ist diese Art des Anbaus möglich (zB bei La Vialla oder Avignonesi). Aber es sind Inseln, wo es vielleicht noch ein paar mehr von geben wird. Aber seien wir ehrlich: Viele Menschen können sich das nicht leisten, leider, und die meisten ignorieren die Probleme einfach vollkommen und werden sogar ärgerlich, wenn man sie drauf anspricht.
"wine is sunlight held together by water" (Galileo Galilei)

Auch eine Enttäuschung, wenn sie nur gründlich und endgültig ist, bedeutet einen Schritt vorwärts. (Max Planck)
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Gerald
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Re: Pestizideinsatz im Médoc

Beitrag von Gerald »

Von "selbst schuld" war ja auch nicht die Rede. Aber Schutzvorrichtungen sind bei sehr vielen Berufen üblich. Wenn das unbequem ist, darf man diesen Beruf eben nicht ergreifen (Feuerwehr - Atemschutz, Ärtze in infektiösen Bereichen etc.). Etwas anderes ist natürlich, wenn der Arbeitgeber das einfach vernachlässigt.

Wenn man für solche unbequemen und evtl. gefährlichen Jobs (viel) mehr bezahlen muss, löst sich die Sache auch wieder über den ökonomischen Aspekt. Dann wird "bio" einfach vergleichsweise billiger in der Produktion.

Die Sache mit den Anrainern und Spaziergängern ist natürlich ein anderes Thema, klar.

Aber Arbeitnehmerschutz & Co ist hierzulande ohnehin recht gut ausgebaut, was man beim Umweltschutz leider noch nicht sagen kann.

Grüße,
Gerald
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