Bordeaux 2020

Medoc und seine Appellationen, Bourg und Umgebung, Fronsac, Pomerol, Saint Emilion und Umgebung, Entre Deux Mers, Graves und Pessac-Leognan, Sauternes und Co.
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harti
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Re: Bordeaux 2020

Beitrag von harti »

amateur des vins hat geschrieben: Oder habe ich etwas verpaßt, und es geht garnicht primär um die Weine, sondern um's - wahlweise - Schmunzeln/Staunen/Jammern/Klagen/Ärgern/Schimpfen/Wüten/Verzweifeln über die Preise des neuen Jahrgangs?
Ich finde, das Wehklagen gehört zu einer guten Kampagne einfach dazu. :D
Ollie
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Re: Bordeaux 2020

Beitrag von Ollie »

amateur des vins hat geschrieben:Die Qualitäten der Jahrgänge 2018/2019/2020 sind, was man so liest, vergleichbar.
Na, genau das lese ich nicht so, ganz im Gegenteil - überall hört man (und sieht man an den Punkten), daß 2020 der schwächste der drei Jahrgänge sei - wenn man von einigen Ausnahmen, die marginal besser sind als 2019, absieht.

Dazu kommt, daß Jahre wie 2018/19/20 das neue Normal darstellen. Hier versuchen die Bordelaiser Winzer, die postpandemische Lebenlust ("Roaring Twenties") anzuzapfen, aber langfristig wird sich 2020 als (erste recht in den Preisspitzen) zu teuer erweisen. Im Berserker-Forum hat jemand sehr schön dargestellt, warum man nicht glauben darf, die Erzeuger selbst wüssten, was der "faire Preis" sei:
The Bordelais get it wrong fairly often. They got it wrong in 2011, 2012, 2013, 2017, and in my opinion, 2018 as well. Prices were also wrong in 2009 and 2010, but it took Chinese consumers a few years after the fact to realize it. Of course, some chateau or negociants will dump extra stock via EU supermarkets, auction, airlines, etc. Or, wines will continue to languish in negociant warehouses. This is not a true free market, it's a cartel. Let's call it what it is.
Erzeuger handeln nach der Maxime der Gewinnmaximierung (nicht: Umsatzmaximierung), weil der Rest verklappt werden kann (jedenfalls noch).

Allerdings, und das erklärt die Preise halt auch, argumentieren die Erzeuger offenbar mit dem "Wiederbeschaffungswert". Les Carmes Haut Brion geht nur deshalb auf 150 Euro hoch, weil die anderen Jahrgänge höher notieren. Ganz egal, ob da tatsächlich Geld oder nur Brief dahintersteht, das sehen wir ja nicht als Endverbraucher.

Cheers,
Ollie
Yeah, well, you know, that’s just like, uh, your opinion, man.

Parfois, quand c'est trop minéral, on s'emmerde.

"Souvent, l'élégance, c'est le refuge des faibles." (Florence Cathiard)
amateur des vins
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Re: Bordeaux 2020

Beitrag von amateur des vins »

UlliB hat geschrieben:
amateur des vins hat geschrieben: Man müßte ja nachgerade froh sein, daß nicht innerhalb eines Jahres die Mindergewinne aufgeholt werden sollen.
Nun, bei manchen Weinen hat man tatsächlich schon wieder das Preisniveau von 2018 erreicht, z.B. bei Brane Cantenac oder bei der Comtesse. Bei den meisten Weinen, bei denen ich das nachverfolgt habe, bleibt der Preis aber tatsächlich noch unter dem Niveau des 18er und auch unter dem 16er; da hast du schon Recht.
Ich meinte (geringfügig sarkastisch :twisted:):
Sei P(n) das Preisniveau im Jahr n.
Dann bedeutet "Aufholen der Mindergewinne binnen eines Jahres":
P(2020) = 2 * (P(2018) - P(2019))
UlliB hat geschrieben:
Oder habe ich etwas verpaßt, und es geht garnicht primär um die Weine, sondern um's - wahlweise - Schmunzeln/Staunen/Jammern/Klagen/Ärgern/Schimpfen/Wüten/Verzweifeln über die Preise des neuen Jahrgangs?
Aber Karsten! Genau darum geht es [...]
Na, wenn das Zweck der Übung ist, und nicht Begleiterscheinung, muß ich wohl nochmal von vorne lesen... :mrgreen:
Zuletzt geändert von amateur des vins am Mi 16. Jun 2021, 17:54, insgesamt 1-mal geändert.
Besten Gruß, Karsten
mthShax
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Re: Bordeaux 2020

Beitrag von mthShax »

Jetzt ist bei Lobenberg die zweite Tranche LCHB da. 179 Euro. Was genau rechtfertigt nochmal den Preisunterschied 113 zu 179 zwischen 1. Und 2. Tranche binnen eines (!) Tages?
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UlliB
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Re: Bordeaux 2020

Beitrag von UlliB »

Ollie hat geschrieben: Im Berserker-Forum hat jemand sehr schön dargestellt, warum man nicht glauben darf, die Erzeuger selbst wüssten, was der "faire Preis" sei:
Ollie,

warum bitte sollte ein Preis fair sein? Ist der Preis für einen BMW oder Mercedes fair? Für ein iPhone oder iPad? Wer beurteilt das, wenn nicht der Käufer (oder eben derjenige, der trotz Interesse am Ende nicht kauft)?

Jedes größere Unternehmen beschäftigt einen Haufen gut bezahlter Leute, die nichts anders tun, als zu analysieren, welcher Preis für ein Produkt am Markt durchsetzbar ist. Von Fairness ist da nicht die Rede, die interessiert nicht.
Erzeuger handeln nach der Maxime der Gewinnmaximierung (nicht: Umsatzmaximierung),
Das tut jedes vernünftig geführte Unternehmen. Es gibt allerdings tatsächlich hin und wieder Unternehmer, die den Unterschied nicht kennen - die bleiben aber meistens nicht lange im Geschäft.
weil der Rest verklappt werden kann (jedenfalls noch).
Geht immer. Die nächste Kläranlage ist nicht fern, und im Zweifelsfall ist die Gironde groß.

Im Ernst: bevor man die Preise ruiniert, vernichtet man lieber einen Teil der Produktion. Ich bin nicht mal sicher, ob das nicht z.B. mit 2013 passiert ist (wobei man statt in der Kläranlage das Zeug wohl eher als anonyme Fassware hat verschwinden lassen).

Gruß
Ulli
amateur des vins
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Re: Bordeaux 2020

Beitrag von amateur des vins »

Ollie hat geschrieben:überall hört man (und sieht man an den Punkten), daß 2020 der schwächste der drei Jahrgänge sei - wenn man von einigen Ausnahmen, die marginal besser sind als 2019, absieht.
Ok, geschenkt - war meine Näherung halt zu grob. Aber dafür sind, wie Ulli ausführte, die Preise ja auch (bis auf wenige Ausnahmen) geringfügig niedriger als 2018.

2019 bleibt dennoch ein Ausreißer, und der Vergleich mit diesem Jahr erscheint bestenfalls für Rosinenpicker oder Spekulanten sinnvoll.
Ollie hat geschrieben:
The Bordelais get it wrong fairly often. [...] it's a cartel. Let's call it what it is.
Bei der kampagnenrelevanten Untermenge dürfte das wohl so sein.
Besten Gruß, Karsten
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UlliB
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Re: Bordeaux 2020

Beitrag von UlliB »

amateur des vins hat geschrieben:Ich meinte (geringfügig sarkastisch :twisted:):
Sei P(n) das Preisniveau im Jahr n.
Dann bedeutet "Aufholen der Mindergewinne binnen eines Jahres":
P(2020) = 2 * (P(2018) - P(2019)
Abwarten. Bei den paar Weinen, die jetzt noch kommen, wird man Deinen Vorschlag sicher gerne aufgreifen :twisted:

Gruß
Ulli
stollinger
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Re: Bordeaux 2020

Beitrag von stollinger »

Ah, ich sehe gerade, Ollie, Ulli und Karsten haben auch schon geschrieben, hier trotzdem meine Gedanken zum Anfang der Diskussion:

Klar, dass ist alles hochgradig irrational, das Klagen, jammern und dann doch kaufen. Macht natürlich auch irgendwie Spaß.
amateur des vins hat geschrieben:Warum werden hier also fast unisono die Preise der 2020er mit denen der 2019er verglichen? Die Qualitäten der Jahrgänge 2018/2019/2020 sind, was man so liest, vergleichbar.
Aber das ist nicht meine Wahrnehmung. Ich habe die Kommentare so gelesen, dass es in 2020 in der Spitze Weine gibt, die das Niveau von 2019 erreichen. In der Breite der Jahrgang schwächer und inkonsitenter ist. Aus meiner Perspektive kommt noch dazu, dass 2018 schon absurd bepreist war.

Das Unisono der Kritiker war doch, dass es durchaus schöne und sehr gute Weine gibt, dass man nur moderate Preiserhöhungen erwartet bzw. Preise vergleichbar zu 2019, und dass es unter den Vorraussetzungen Sinn macht, auch aus 2020 zu kaufen. Es kam in der zweiten Hälfte der Kampagne bekanntlicherweise anders.

Wenn ich dann solche release-Preise wie Lynch Bages (+36%) heute lese, dann denke ich empört, die können mal ihr Zeug machen, aber ohne mich, pfui Bordeaux! Aber ich fürchte, dass ich und auch die meisten anderen hier, als Zielgruppe einfach gar keine Rolle mehr spielen. Es gibt anscheinend auf der Welt ausreichend viele Leute, denen es völlig egal ist, ob die 12er Kiste Comtesse jetzt 1000€, 2000€ oder 3000€ kostet; wahrscheinlich Hauptsache teuer genug oder ein schöner Buchwert. Mit der Niegridzinspolitik ist jetzt überall das neue China-2009. Für mich heißt es wohl in der Liga nur noch keine Arme, kein Kekse.

Naiv wie ich bin, hätte ich erwartet, dass der Absatz von 2019, 2020 und auch im kommenden Jahr auf Grund der gebremsten Nachfrage aus Gastronomie und Hotelerie erschwert ist, niemand möchte jetzt Kapital binden. Scheint aber keine Rolle zu spielen.

Bin ein bisschen angepisst von denen da oben in ihren Chateau. Aber es gibt natürlich schon auch Weine bzw. Chateau mit einer für mich nachvollziehbaren Preisgestaltung, mir fällt in der Kampagne Fonplegade, Batailley, Haut Bages Liberal spontan ein, bestimmt gibts ein paar mehr. Frag mich, ob ich bei den letztgenannten meine Vorsätze endlich breche. Subskribieren muss man die nicht, kaputt geht davon aber auch nichts.

Grüße, Josef
amateur des vins
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Re: Bordeaux 2020

Beitrag von amateur des vins »

stollinger hat geschrieben:Das Unisono der Kritiker war doch, dass es durchaus schöne und sehr gute Weine gibt, dass man nur moderate Preiserhöhungen erwartet bzw. Preise vergleichbar zu 2019, und dass es unter den Vorraussetzungen Sinn macht, auch aus 2020 zu kaufen. Es kam in der zweiten Hälfte der Kampagne bekanntlicherweise anders.
Es scheint mir zwei grundsätzliche Betrachtungsweisen zu geben, bei deren Anwendung man zu unterschiedlichen Ergebnissen gelangt:
  1. Bestmögliches PGV zu jedem beliebigen Zeitpunkt.
    Natürlich kommt man dann nach so einer Anomalie wie 2019 zu der Annahme, 2020 sei überteuert.
  2. Langjährige Preisentwicklung.
    2019 ist eine Anamlie. Qualitätsnormiert und unter Berücksichtigung langfristiger Ausreizung des Marktes (in dem viel zuviel Geld bei den reichen und superreichen unterwegs ist), ist 2020 in nicht übertriebener Sukzession von 2018.
Rosinenpicker und Spekulanten werden naturgemäß zur ersten Variante tendieren.
Besten Gruß, Karsten
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UlliB
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Re: Bordeaux 2020

Beitrag von UlliB »

stollinger hat geschrieben: Es gibt anscheinend auf der Welt ausreichend viele Leute, denen es völlig egal ist, ob die 12er Kiste Comtesse jetzt 1000€, 2000€ oder 3000€ kostet; wahrscheinlich Hauptsache teuer genug oder ein schöner Buchwert.
Nehmen wir nur mal Deutschland: da gibt es (Stand 2020) 2,1 Millionen Vermögensmillionäre (nur Finanzvermögen, Immobilienbesitz nicht mitgerechnet), das sind 2,5% der Bevölkerung - Säuglinge und Kinder mitgerechnet. Einkommensmillionäre (Leute, die ein zu versteuerndes [!] Einkommen von über 1 Million im Jahr haben) gibt es immerhin noch mehr als 30.000. Wenn die alle teure Bordeaux kaufen würden, wären die Preise noch ganz anders :lol:
Naiv wie ich bin, hätte ich erwartet, dass der Absatz von 2019, 2020 und auch im kommenden Jahr auf Grund der gebremsten Nachfrage aus Gastronomie und Hotelerie erschwert ist, niemand möchte jetzt Kapital binden. Scheint aber keine Rolle zu spielen.
Keine Ahnung, wie es da global aussieht. Aber in der deutschen und österreichischen Top-Gastronomie spielt Bordeaux schon seit Jahren keine relevante Rolle mehr, die sind anders unterwegs. Und die angesagten Läden kochen heute auch so, dass (roter) Bordeaux da nicht wirklich gut passt - vegan, roh, fermentiert; da geht anderes wirklich besser.

Und selbst wenn die es wollten: welcher Gastronom kann es sich denn leisten, ein paar Kisten hochwertigen Bordeaux einzukellern und erst einmal ein Jahrzehnt reifen zu lassen? - das geht nicht erst seit 2018 nicht mehr, das ist schon lange vorbei.

Gruß
Ulli
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