Wie wichtig ist Euch Terroir/Authentizität/usw.

Hohe Brisanz, kurzes Verfallsdatum
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Charlie
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Re: Wie wichtig ist Euch Terroir/Authentizität/usw.

Beitrag von Charlie »

UlliB hat geschrieben:[Bist Du in der Lage, alle Weine der von Dir genannten spezifischen Lage aus der Zusammenstellung herauszufinden
Meinst du blind?
Wenn ja, könnte man sich wirklich eine Probe mit wenigen und günstigen Weinen aufbauen, die aber vom Ablauf her etwas aufschlussreicher wäre, als blind raten lassen und auch weniger von den Fähigkeiten der Verkoster abhängt. Etwa so:

4 Silvaner Kabinet trocken von Weltner und Arnold jeweils von den Lagen Küchenmeister und Julius-Echter-Berg. Also WK, WJ, AK und AJ.

Die Runden:
1. alle Weine, jeder schreibt seine Zuordnung auf.
2. jeweils 2-er Flights in allen sinnvollen Kombinationen wobei man weiss, welche Weine im Flight sind. Jeder schreibt seine Zuordung auf. Die Flights wären: (WK + WJ); (AK + AJ); (WK + AK); (WJ + AJ)
3. Die 3er Probe immer mit 2 gleichern Weinen in verschiedenen Kombinationen. Hier geht es nur darum zu erkennen, ob Unterscheide erkennbar sind.
Usw. oder so ähnlich.

Dann könnte man vielleicht mindestens für diese 4 Weine sagen, ob man Lagen- oder Winzertypizität erkennt.
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UlliB
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Re: Wie wichtig ist Euch Terroir/Authentizität/usw.

Beitrag von UlliB »

Hallo Charlie,

ja, ich meinte blind.

Eine Lagencharakteristik (deren Existenz ich übrigens keineswegs bestreite) hat für den Weintrinker als Qualitätsmerkmal nur dann einen Wert, wenn sie für ihn unmittelbar erkennbar ist. Und an dieser unmittelbaren Erkennbarkeit habe ich in der Verkostungsrealität ganz erhebliche Zweifel.

In der Praxis wird die Lagencharakteristik nämlich so gut wie immer durch die spezifische "Handschrift" des Erzeugers überlagert, und für denjenigen, der sich nicht extrem intensiv mit einem Gebiet und deren Lagen beschäftigt, in aller Regel so gut wie völlig verdeckt. Das sichere Detektieren von Lagencharakteristika über mehrere Erzeuger hinweg ist ein Thema für Extremfreaks. Und genau hier sehe ich das Problem in der Diskussion: alle Welt redet über Lagencharakteristik, aber selbst unter echten Weinfans gibt es nur eine Handvoll Leute, die sie in Blindverkostungen auch mit einiger Sicherheit detektieren und richtig zuordnen kann. Für die Mehrzahl der Weintrinker - ich rechne mich da durchaus mit ein - bleibt Lagencharakteristik eine blasse Chimäre.

Was Deine Versuchsanordnung betrifft: sie ist gut, um zu lernen - aber sie ist schlecht, um zu überprüfen, was einer tatsächlich kann. Zu geringe Anzahl der Weine --> zu hohe Wahrscheinlichkeit von Zufallstreffern.

Gruß
Ulli
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Markus Vahlefeld
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Re: Wie wichtig ist Euch Terroir/Authentizität/usw.

Beitrag von Markus Vahlefeld »

Ulli,

ich gebe Dir da ja so was von Recht.... ich habe viele Winzer kennen gelernt, die wirklich gute Verkoster sind und es auch sein müssen, vor allem wenn sie ihre Weine im Moststadium bewerten müssen, sie cuveetieren etc. Bei Proben erkennen die meisten Winzer ihre eigenen Weine nicht. Das ist kein Einzelfall, sondern eher die Regel. Und müssten nicht gerade sie es sein, die Lagencharakteristika erkennen sollten?
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Gerald
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Re: Wie wichtig ist Euch Terroir/Authentizität/usw.

Beitrag von Gerald »

Hallo Markus,
Bei Proben erkennen die meisten Winzer ihre eigenen Weine nicht. Das ist kein Einzelfall, sondern eher die Regel. Und müssten nicht gerade sie es sein, die Lagencharakteristika erkennen sollten?
muss ein Winzer mit dem richtigen "Fingerspitzengefühl" für die jeweils richtige Maßnahme auch unbedingt ein begnadeter Verkoster sein? Ich bin mir da nicht so sicher. Auch ein großartiger Musiker muss nicht zwangsläufig ein guter Musikkritiker sein, oder?

Grüße,
Gerald
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Markus Vahlefeld
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Re: Wie wichtig ist Euch Terroir/Authentizität/usw.

Beitrag von Markus Vahlefeld »

Nein, ein Winzer muss nicht mit Worten irgendwelche Weine beschreiben können. Aber erschmecken sollte er sie schon. Dachte ich zumindest.

Sicherlich achtet ein Winzer beim Verkosten stärker auf einzelne Komponenten als vielleicht auf den Gesamteindruck. Aber wer vor der Füllung der Weine für Monate fast jeden Tag seine Weine probiert, sollte sie doch "intus" haben. Dachte ich zumindest.

Ich glaube, dass es die Entwicklung in der Flasche ist, die den Winzer dann kalt erwischt. Und die - so meine These - würde jeden von uns kalt erwischen. Der Rest ist dann Zufall oder Glückstreffer.
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Jürgen
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Re: Wie wichtig ist Euch Terroir/Authentizität/usw.

Beitrag von Jürgen »

Also ich bin auch schon mit Winzern an einem Tisch gesessen und kann bestätigen, daß sie manchmal ihre eigenen Weine nicht erkennen und nichtwissend sogar abfällig über ihren Wein geurteilt haben ;)

Zu Handschriften von Winzern: Ich finde es toll, wenn ich Weine von bestimmten Winzern blind erkenne. Mittlerweile könnte ich wenige nennen, bei denen ich das in der Regel kann und das ganz egal welcher Jahrgang und welche Rebsorte. Und falls der Nachbarwinzer auch sein Handwerk versteht, dann schmecken dessen Weine auch so oder zumindest so ähnlich. Das könnte man dann Lagencharakteristik nennen und alles mit dem Titel Terroir überschreiben. Das funktioniert sogar im wilden Westen bei Winzern die in ehemaligen Indianergebieten ihre Rebstöcke wachsen lassen und nicht nur an der Mosel, der Pfalz oder in Rheinhessen bei Kellers, Wittmanns, Koehler-Ruprechts oder Heymann-Löwensteins.
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UlliB
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Re: Wie wichtig ist Euch Terroir/Authentizität/usw.

Beitrag von UlliB »

Jürgen hat geschrieben: Zu Handschriften von Winzern: Ich finde es toll, wenn ich Weine von bestimmten Winzern blind erkenne.
Ja, ich auch. ;)

Nur hat das mit Lagencharakter (oder meinetwegen auch mit "Terroir") wenig bis nichts zu tun.
Jürgen hat geschrieben: Und falls der Nachbarwinzer auch sein Handwerk versteht, dann schmecken dessen Weine auch so oder zumindest so ähnlich.
Nein, jedenfalls nicht notwendigerweise. Ich kann Dir Beispiele aus dem Burgund zeigen, wo zwei unmittelbar benachbarte Betriebe aus der selben Lage (!) zwei stilistisch grundverschiedene Weine machen, ohne dass deswegen einer von beiden notwendigerweise manipulativ und "lagenverfälschend" arbeitet. Mal mag ich den einen lieber, mal den anderen... aber eine gemeinsame Lagencharakteristik ist da für einen Gelegenheitstrinker wie mich nicht zu erkennen. Was ich eben sagen will: Hausstilistik überlagert (oder überdeckt) den Lagencharakter.

Gruß
Ulli
Trinkfreude
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Re: Wie wichtig ist Euch Terroir/Authentizität/usw.

Beitrag von Trinkfreude »

UlliB hat geschrieben: soviel zur schönen Theorie. Und jetzt zur schnöden Praxis: nenne mir ein Gebiet und eine Lage, wo genau das der Fall ist.
UlliB hat geschrieben: Eine Lagencharakteristik (deren Existenz ich übrigens keineswegs bestreite) hat für den Weintrinker als Qualitätsmerkmal nur dann einen Wert, wenn sie für ihn unmittelbar erkennbar ist. Und an dieser unmittelbaren Erkennbarkeit habe ich in der Verkostungsrealität ganz erhebliche Zweifel.
Hallo Ulli,

ich teile Deine Zweifel vollkommen und bin Deiner Meinung, daß in der Realität mangels eindeutiger Erkennbarkeit der Terroirbegriff keinen echten Gehalt hat. Mir ging es genau um das, was Du formuliert hast - Grundelemente einer Theorie, daher hatte ich ja auch darüber geschrieben "was eigentlich gegeben sein müsste, um diesem Begriff etwas mehr Gehalt zu geben". (Ich war allerdings zugegebenermaßen in der Folge sprachlich unsauber, da ich nicht mehr im Konjunktiv weitergeschrieben habe.) Mein Ziel war eigentlich, im ersten Schritt mal herauszukitzeln, ob wir denn hier in dieser Diskutantenrunde überhaupt mal in der Theorie ein halbwegs einheitliches Begriffsverständnis haben (da ich schon an dieser Stelle Zweifel habe). Bei der Relevanz in der Praxis war ich geistig noch nicht mal.

Mal angenommen, wir wären uns in der Theorie einig geworden, könnte man dann im zweiten Schritt fragen, woran es denn liegt, daß es in der Praxis so schlecht funktioniert. Die aus meiner Sicht wesentlichen Antwortbausteine wurden hier bereits genannt - die Unzulänglichkeit fast aller Verkoster (die kann man nicht beklagen, denn die ist zu großen Teilen von der Biologie vorgegeben) und die Heterogenität der "Betriebsstilistik" verschiedener Weingüter bzg. der Interpretationen der Lageneigenschaften.

Und im dritten Schritt könnte man dann fragen, ob man das Fehlen von Terroir bzw. gehaltvoller Terroirwahrnehmung in der Praxis überhaupt beklagen sollte. Denn wenn man dem oben skizzierten Verständnis von Terroir folgt, dann erfordert dieses als notwendige Bedingung seiner Existenz eine recht ausgeprägte Homogenisierung der Weinstile/Lageninterpretationen über die Erzeuger hinweg. Und ob das wirklich erstrebenswert ist, möchte ich doch mal stark in Frage stellen.

Langer Rede kurzer Sinn: Terroir braucht kein Mensch. :o (Naja, jedenfalls ich nicht.)

Aber um zu dieser simplen Einsicht zu kommen und die auch selbst zu glauben, braucht ein konfuser Kopf wie ich schon erstmal eine mehrstufige theoretische Abhandlung... das kommt halt davon, wenn man Web 2.0-mäßig erst beim Schreiben live mitdenkt oder andersherum... :lol:

Fertich. Gruss. Jürgen.

PS@Aloys: Lustig, daß Du gerade Breuer/Leitz als Beispiel erwähnst. Das einzige Beispiel (unter viel mehr Gegenbeispielen), wo das Wiedererkennen der Lage mal halbwegs funktioniert hat, war ein Abend mit Freunden, wo wir von Breuer Schlossberg und Nonnenberg, von Leitz Schlossberg und Rottland, und von Kesseler Schlossberg und Roseneck hatten. Da war (non-blind) die Ähnlichkeit der drei Schlossberge schon mindestens genauso ausgeprägt wie die Ähnlichkeit zwischen den beiden Weinen der jeweiligen Güter. In solchen, stark eingeschränkten (nur ein Jahrgang, nur Rheingau, bekannte Winzer und bekannte zweite Lagen) Konstellationen kriegt man es vielleicht mal in lichten Momenten hin. Sobald man ein oder zwei dieser Dimensionen öffnet, ist es aus mit der Herrlichkeit...
Bernd Schulz
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Re: Wie wichtig ist Euch Terroir/Authentizität/usw.

Beitrag von Bernd Schulz »

Hallo Ulli,

ich teile Deine Zweifel vollkommen
Ich schätze Ulli sehr, aber seine Zweifel teile ich nur bedingt.

Mir sind Winzer bekannt, die ihre Weine aus verschiedenen Lagen blind sehr gut auseinanderhalten können. Natürlich handelt es sich um Erzeuger, die entsprechend lagenorientiert arbeiten - aber gerade das ist für mich eines der Kriterien, die einen Spitzenbetrieb ausmachen.
Was ich eben sagen will: Hausstilistik überlagert (oder überdeckt) den Lagencharakter.
Für mäßige bis gute Betriebe trifft das ganz klar zu. Aber bei den besten Erzeugern ist genau das eben oft nicht der Fall! Deren Kunst besteht gerade darin, der Lage genug Raum zu lassen. -

Wenn wir in unserem Dreierclübchen (Ralf, Markus und ich) blind verkosten, gelingt es den jeweiligen Deliquenten immer wieder nicht, die Lage oder auch nur Region zu erkennen. Aber erstaunlich oft werden unter uns "Weinnerds" :mrgreen: auch ziemlich direkte Treffer erzielt!

Ein "Wiedererkennen" setzt freilich ein vorheriges genaueres Kennen voraus. Sprich: Ich muss genug Weine aus der Wehlener Sonnenuhr oder dem Ürziger Würzgarten probiert haben, um ein einigermaßen klares Bewusstsein des gemeinsamen Nenners entwickeln zu können. Und insofern sind die persönlichen Grenzen in punkto "Terroir" und seiner Wahrnehmung eher eng bemessen - als Amateur mit gewissen Interessensschwerpunkten kann ich an der Mosel ganz gut mitspielen, aber beim Thema Baden oder gar Burgund ist es dann sofort vorbei. Das spricht aber nicht generell gegen schmeckbare Charakteristika eines "Terroirs", sondern nur für den begrenzten Horizont jedes einzelnen Weintrinkers/(Weinkritikers :mrgreen: ).

Beste Grüße

Bernd
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Markus Vahlefeld
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Re: Wie wichtig ist Euch Terroir/Authentizität/usw.

Beitrag von Markus Vahlefeld »

Bernd, dann wärst Du der ideale Kandidat für die Wette, die Ulli am 31. Mai vorgeschlagen hat. Trau Dich!

Ein kleiner Schritt für den Menschen, aber ein großer für's Terroir ;)
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