EngelWine hat geschrieben:
ich kann mich leider mit deiner Aussage, dass "Terroir" das Synonym für die Typizität einer Region ist, nicht wirklich anfreunden. Außerdem denke ich nicht, dass "Terroir" das Spiegelbild einer Stilistik ist, die sich über Jahre hinweg herausgebildet und etabliert hat.
Jaja, und so wird die Diskussion enden, wie sie schon immer geendet hat: es gibt keine allgemein anerkannte Definition, und jeder versteht somit unter "Terroir" und "Authentizität", was er eben möchte; und im Ergebnis reden alle erfolgreich aneinander vorbei.
Wenn es in der Weinwelt zwei komplett inhalts- und sinnentleerte Begriffe gibt, sind es ganz genau diese beiden: "Terroir" und "Authentizität". Und alle Versuche, sie zu definieren, werden so enden wie alle vorhergehenden: sie werden scheitern. Krachend.
Ich dachte bisher einfach es wäre Boden, Klima und Gelände. Das war wohl sehr naiv. Der Winzer ist für mich dann derjenige, der diese Eigenschaften bewusst herrausarbeitet oder aber er versucht Gegebenheiten, die die Entwicklung des Weins in seinem Sinn negativ beeinflussen, durch entsprechende Technik "auszumerzen". In dem Fall ist es dann kein "Terroir Wein" mehr, aber vielleicht ein besserer.
Das Lesen dauert vielleicht eine gute Stunde, das Verdauen ein wenig mehr. Danach ist man zwar nicht unbedingt schlauer, was das Thema "Terroir" betrifft, aber um ein paar ziemlich ernüchternde Erkenntnisse reicher.
UlliB hat geschrieben:
Jaja, und so wird die Diskussion enden, wie sie schon immer geendet hat: es gibt keine allgemein anerkannte Definition, und jeder versteht somit unter "Terroir" und "Authentizität", was er eben möchte; und im Ergebnis reden alle erfolgreich aneinander vorbei.
Und genau deswegen würde es mich freuen den Begriff aus seiner Dialektik zu holen.
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Ulli, ich werde mir diese Lektüre einverleiben. Sicher habe ich das Ganze auch in grauer Vorzeit schon mal gelesen. Das mit dem naiv, hatte natürlich einen ironischen Unterton. Ich halte es gerne einfach, Deutsch-Französisch, die Übersetzung und gut ist. Und ich war noch gnädig und habe Klima und Gelände dazu genommen. Eigentlich ist es nur die Gegend. Diese Modediskussionen und Werbemaßnahmen könnten am Ende dazu führen, dass ein richtig negativer Einfluss der Gegend herrausgearbeitet wird. Der Wein ist dann wahnsinnig authentisch, aber vielleicht gar nicht besonders gut.
Birte hat geschrieben: Der Wein ist dann wahnsinnig authentisch, aber vielleicht gar nicht besonders gut.
Tja, ganz genau diese Assoziation entsteht in Verbindung mit manchen Weinen in meinem Kopf. Und exakt das meinte ich, wenn ich auf der ersten Seite dieses Threads geschrieben habe, "Typizität hat a priori nichts mit Qualität zu tun".
Ein konkretes Beispiel, um mir nicht vages Ausweichen vorwerfen zu lassen: "klassischer" Barbera d'Asti der späten 80er und der 90er, den gibt es in dieser Form gelegentlich auch noch heute (aber eher selten). Eine unglaublich intensive, durchschlagende, und völlig eindeutige Nase nach verbranntem Gummi, der Wiedererkennungswert liegt nahe bei 100%. Qualität trotzdem nahe 0% - das Geschmacksbild ist das Ergebnis krasser Übererträge und unreifer Ernte. Barbera ist heute im allgemeinen wesentlich besser, viel zivilisierter, aber zugleich auch weniger eindeutig erkennbar. Abnahme der Authentizität = Zunahme der Qualität (oder umgekehrt)
Angenommen dass in einer bestimmten Lage statt Riesling Chardonnay gepflanzt wird. Der Wein, der daraus gekeltert wird hat einen tollen Fruchtcharakter, eine saftige Mineralität und eine frische Säure. Für mich ein eindeutiges Beispiel, dass der Wein vom Terroir geprägt wurde. Jedoch ist Chardonnay nicht wirklich die typische Rebsorte für das Rheingau, oder?!
Das ist ja eben subjektiv. Ich glaube, dass eben genau diese Charakteristik zu einem nicht unwesentlichen Teil am Erntezeitpunkt und am Ausbau liegt. Wenn der Ausbau im Barrique erfolgt oder eine extreme Selektion mit später Lese vorgenommen wird ist es eben vorbei mit der Leichtigkeit. Wenn dieses aber die Mehrheit der Winzer im Rheingau macht ist es eben doch regionstypisch. Heißt also, dass die Entscheidung eben doch der Winzer und der Markt trifft.
Die Überzeugung, dass eben die Mineralität und Säure typisch für das Rheingauer "Terroir" sind liegt doch genau an diesem jahrelang geprägten Stil der Weine, welcher aber nicht unwesentlich durch den Winzer geprägt wird.
Das heißt nicht, dass mir diese Typizität nicht wichtig ist, da ich genau diese Eigenschaften von einem Rheingauer Wein erwarte. Daher ist der Begriff Terroir hier für mich nicht verwerflich oder falsch, greift aber eher sehr weit und bezieht sich nicht vornehmlich auf die Böden oder die Hanglage sondern auf die von mir erwarteten Eigenschaften eines Rheingauer Rieslings.
Zur Frage "was ist mir wichtig": Ich bin der Überzeugung, eine Region braucht ein klares und halbwegs einfach vermittelbares Profil in Bezug auf die führenden Weinstile und Rebsorten. Nicht deshalb, weil ich behaupten würde, in einer Region würde nur dieser eine Typ von Weinen wirklich gute Ergebnisse bringen, sondern einfach, weil ich als Konsument nur begrenzte Kapazitäten in Gehirn und Leber habe. Ich kann einfach nicht alles saufen und mir alles merken, was man theoretisch in den vielen Weinregionen der Welt machen könnte. Daher bin ich dankbar, wenn ich mir die Welt vereinfachen kann, indem ich mir z. B. merke: Rotwein aus dem Piemont = Nebbiolo, Barbera, Dolcetto, und diese Daumenregel dann auch zu 80% stimmt. (Umgekehrt brauche ich dann nämlich auch nicht über zig Länder und Regionen nachzudenken, wenn ich einen guten Nero d'Avola suche, sondern ich weiss genau, den kriege ich in Sizilien.)
Und wenn ich dann merke, daß mein Lieblingswinzer im Piemont neben seinen Leitsorten auch noch einen halben Hektar Cabernet hat und vielleicht sogar ein paar Stöcke Pelaverga, dann freue ich mich und nehme vielleicht auch davon ein paar Flaschen mit - diese Vielfalt soll keinesfalls verschwinden. Aber hinfahren würde ich im Zweifel wegen seines Barolo. Ich glaube, so ähnlich ticken viele Konsumenten, und daher halte ich es für sinnvoll, wenn das Gros der Produktion einer Region aus den "Leitsorten" kommt. Meistens sind das dann auch die mit einer gewissen Tradition in der Region, mit einer Verbindung zur regionalen Küche etc.
Und damit robben wir uns so langsam an den Terroirbegriff heran. Nüchtern betrachtet ist der Begriff Terroir heute eine Marketinghure, die benutzt wird wie es der Erzeuger oder Händler gerade braucht, ein Deckmantel für Weinfehler und vieles mehr. Trotzdem kan man ja fragen, was eigentlich gegeben sein müsste, um diesem Begriff etwas mehr Gehalt zu geben - und da müssen aus meiner Sicht mehrere Dinge zusammenkommen:
Zunächst muss als Basis ein Weinberg / eine Lage vorhanden sein, die von ihren natürlichen Gegebenheiten (Bodenzusammensetzung/-chemie, Kleinklima etc) über ihre gesamte räumliche Ausdehnung hinweg bestimmte ausgeprägte Charakteristika mitbringt, die einen Wiedererkennungseffekt in den dort erzeugten Weinen ermöglichen (der ist damit aber noch keineswegs garantiert).
Zweitens muss diese Lage eine gewisse Bekanntheit haben. Der Acker hinter meinem Haus hat vielleicht auch höchst individuelle Lagencharakteristika, aber den kennt kein Mensch, daher würde auch nie einer merken, daß er das monstermäßige Terroir hat.
Drittens müssen die Weingüter, die aus dieser Lage Wein produzieren, ein Mindestmaß an einheitlichem Verständnis der Lagencharakteristika haben, so daß die dort entstehenden Weine eine ähnliche "Grundidee" haben. Und diese Betriebe müssen ein gewisses Qualitätsstreben mitbringen, das darauf abzielt, diese Grundidee auch im Wein zu realisieren.
So erst manifestiert sich dann der Wiedererkennungseffekt über verschiedene Betriebe, Jahrgänge und spezifische Weine hinweg, der für mich zentrales Element des Terroirbegriffes ist. Terroir fängt zwar eigentlich in der Erde an, aber entsteht erst durch die weinbaulichen und kellertechnischen Massnahmen der Erzeuger und durch einen gewissen Konsens zwischen ihnen. Sonst wird es für uns Konsumenten nicht erkenn- und schmeckbar.
Soweit meine paar unausgegorenen Gedanken zum Thema...
Trinkfreude hat geschrieben:
Drittens müssen die Weingüter, die aus dieser Lage Wein produzieren, ein Mindestmaß an einheitlichem Verständnis der Lagencharakteristika haben, so daß die dort entstehenden Weine eine ähnliche "Grundidee" haben. Und diese Betriebe müssen ein gewisses Qualitätsstreben mitbringen, das darauf abzielt, diese Grundidee auch im Wein zu realisieren.
Hallo Jürgen,
soviel zur schönen Theorie. Und jetzt zur schnöden Praxis: nenne mir ein Gebiet und eine Lage, wo genau das der Fall ist.
Oder noch konkreter, um etwas "Butter bei die Fische" zu tun: schlage mir eine Lage und dazu vier oder fünf Winzer vor, die aus Deiner ganz persönlichen Sicht diese Voraussetzungen erfüllen. Wir werden dann eine kleine Blindprobe organisieren, bei der ich von den genannten Winzern - und nur von diesen - jeweils zwei oder drei Weine aus anderen Lagen zusätzlich anstelle. Über die Jahrgänge können wir uns einigen. Bist Du in der Lage, alle Weine der von Dir genannten spezifischen Lage aus der Zusammenstellung herauszufinden, zahle ich die Probe. Und sonst Du.
Ich halte diese durchaus hübsche Theorie nämlich für ein ziemliches Konstrukt - wobei ich durchaus ein gewisses Risiko eingehe, weil ich weiß, dass es ein paar Leute gibt, die dieses Spiel ziemlich perfekt beherrschen. Aber eben nur ein paar wenige. Sehr, sehr wenige. Wenn Du einer davon bist, habe ich halt Pech gehabt, komme aber immerhin zu einer interessanten Verkostung
ich finde die Ansätze überhaupt nicht unausgegoren, sondern ziemlich gut und treffend formuliert.
Ich würde nur nach wie vor den Winzer an sich nicht zu sehr aus den Augen lassen, da hier ein prominenter Vertreter durchaus eine ganze Lage prägen kann ohne das die Winzer dieser Lage insgesamt einen einheitlichen Lagenstil herausarbeiten. Oder die Stilrichtung des Winzers dominiert die Lage. Beispiele sind vielleicht Keller / Wittmann im Morstein oder auch Leitz / Breuer mit mehreren Überschneidungen.