Bordeaux 1996

Medoc und seine Appellationen, Bourg und Umgebung, Fronsac, Pomerol, Saint Emilion und Umgebung, Entre Deux Mers, Graves und Pessac-Leognan, Sauternes und Co.
Weinbertl
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Re: Bordeaux 1996

Beitrag von Weinbertl »

hallo,

gestern traf sich ein Dutzend Weinliebhaber, um zu sehen, wie sich derzeit die 1996er Bordeaux präsentieren. Wir hatten wie immer eine (teil-)blinde Verkostung, sprich die angestellten Weine waren bekannt, aber nicht deren Reihenfolge. Zwei Piraten wurden noch eingeschmuggelt. Hier meine Eindrücke:

1. La Dominique, St.Emilion
klassische Bdx-Nase, distinguiert, Graphit, feingewoben, gewisse Komplexität. Am Gaumen mittlerer Gripp, etwas alter Holzschrank, Mocca, langer Abgang. 17,5

2. die größte Enttäuschung des Abends: Lafite-Rothschild, Pauillac
leicht unsauberer Ton in der Nase (evtl. Kork, wurde aber nicht mehrheitlich bestätigt), deutlich Holz, pfeffrig. Am Gaumen recht straff, viel CS, noch zu jung.
Die Erwartungen an den Wein waren verständlicherweise hoch und man konnte auch erkennen, dass der Wein noch nicht voll trinkreif ist, aber mir fehlten einfach die Anhaltspunkte, um das Potential für einen großen Wein zu erkennen. Vielleicht wird man ja in etlichen Jahren eines besseren belehrt. Derzeit kann ich dem Wein jedenfalls nicht viel abgewinnen. 17+

3. Domaine de Solitude, Pessac-Leognan
leichte Kümmelnase, Gemüseton, etwas medizinal, am Gaumen besser als in der Nase:: leichtgewichtig, aber durchaus elegant, angenehme Kräuternoten, gute Länge. 16,5-17

4. Lagrange, St.Julien
etwas dumpfer Holzton, der mit der Zeit verfliegt. Am Gaumen eher leicht, bin irritiert wegen der unpräzisen Struktur. Mag mir nicht so recht gefallen, kommt aber mehrheitlich ganz gut weg. Bei der Nachverkostung deutlich besser. Bei mir unsichere 16,5 (?)

5. Pirat: 1996 Domaine de Villeneuve, Châteauneuf-du-Pape (VV)
leichter Essigstich in der Nase, am Gaumen noch knapp trinkbar, m.E. deutlich über Zenit. Keine Bewertung.

6. Palmer, Margaux
bester (Rot-)wein des Abends: verhaltenes, dunkles Bouquet, subtil, noch recht verschlossen, im Laufe des Abends leicht öffnend und zeigt dann erste Eleganz. Am Gaumen ebenfalls noch recht zu, Tannine deutlich präsent, aber von sehr hoher Güte. Klassischer Medoc. Braucht noch einige Jahre. 18+

7. Lynch Moussas, Pauillac
angenehm gereifte Bdx-Nase, noch leicht frische Aromen, dann aber auch etwas gemüsig. Am Gaume eher von der leichten Sorte, etwas CF bilde ich mir ein. Passabel und jetzt trinkreif. 16,5

8. Eglise-Clinet, Pomerol
sofort ins rechte Ufer verortet, deutlicher Merlot. Am Gaumen leider wenig Substanz und ziemlich mau. 16

9. Vieux Fortin, St.Emilion
recht viel Holz, schöne süße reife Frucht. Am Gaumen recht frisch, gute Säure, auch hier wieder reife Frucht und alles schön ausgewogen. Jetzt voll trinkreif. 17

10. Ducru-Beaucaillou, St. Julien
saubere und klare Nase, subtil mit leicht minzigem Einschlag. Am Gaumen gut balanciert, klare Struktur, schön gereift, aber für wahre Größe fehlts dann doch an Tiefe und Komplexität. 17

11. La Tour Carnet, Haut-Medoc
Überraschung des Abends! Viel Wein für recht wenig Geld. In der Nase animalisch und würzig (hat nicht jedem gleich gut gefallen). Am Gaumen tolle Säurestruktur, noch gut Gripp v. d. Tanninen. Auch hier bilde ich mir CF ein. Keine Eile angesagt, evtl. verbessert sich der Wein sogar noch. 17,5+

12. Lynch-Bages, Pauillac
klassischer Auftritt eines linksufrigen Bdx. Fein verwobenes Nasebild. Am Gaumen durchaus als komplex zu bezeichnen, sehr reife Tannine, etwas Kaffee, angenehm frisch/saftig. Lang. 17,5+

13. zweitgrößte Enttäuschung des Abends: Cheval Blanc, St.Emilion
in der Nase unsauber, am Gaumen unharmonisch, grünes Tannin, mit der Zeit charaktervoller. Der Wein lässt mich etwas ratlos zurück. . Wäre es nicht Cheval Blanc, würde ich den Wein abschreiben, aber so besteht die Hoffnung, dass der Wein eine unschöne Zwischenphase durchmachen könnte. Derzeit nur 16,5+

14. La Lagune, Haut-Medoc
leider Kork! Dahinter kann man aber einen schönen Bordeaux vermuten. Keine Bewertung

Fazit: Derzeit finde ich die 95er den 96ern überlegen, da klarer im Ausdruck und homogener in der Qualität. Ob mit dem Lafite alles in Ordnung war, lässt sich nicht mit letzter Sicherheit sagen, vielleicht braucht er aber einfach nur viel mehr Zeit. Cheval Blanc ebenfalls enttäuschend. Palmer hingegen wird sich bestimmt zu einem großen Wein entwickeln.
Grüße
Robert
Kle
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Re: Bordeaux 1996

Beitrag von Kle »

Chateau D'Armailhac kürzlich stumpf und ausdruckslos nach dem Öffnen. Ein so nachhaltiger Eindruck, dass die Flasche bereits aufgegeben wird. Die Überraschung folgt nach stundenlangem Luftkontakt. D'Armailhac zeigt sich, wie ich ihn kenne. Mit einem eher flauschigen Geschmacksbild aus nicht nur roten, sondern auch hellen Früchten sowie Waldbeerenbonbons. Feminin, bunt, abwechslungsreich. Die Taninne weder hart noch abgeschliffen. Sie verleihen dem Wein sanfte Struktur, ohne weiter aufzufallen. Immer wieder das Schöne bei D'Armailhac: Die wohlige Oberfläche macht den Wein leicht trinkbar, mitunter wirkt er zu leicht. Er fließt, ohne dass spontan Ecken und Kanten aufmerken lassen. Ein etwas genaueres Schmecken offenbart, wie viel unter der Oberfläche zu entdecken ist. Rauchige Aromen, allerlei Früchte, Kräuter… D'Armailhac ist ein Langzeitunterhalter, präsentiert laufend neue aromatische Gäste vor seiner etwas plüschigen Bühnenkulisse.
Am zweiten Tag ist das Plüschige weg. Säure steht im Vordergrund. Anfangs als strukturierendes Element in einem Wein, der sich ansonsten noch unklar zeigt. Kurz die Furcht, ein säurebetonter, dürrer und ausgezehrt werdender Grundton könne einen auseinanderfallenden Wein beherrschen. Tatsächlich aber stabilisiert der sich. Die Säure integriert sich, der Wein schmeckt weniger verspielt als am ersten Tag, ist reifer geworden, konzentriert sich mehr auf seine Ausdruckmöglichkeiten, von denen es nach wie vor eine Menge gibt, u.a. vollmundig – saftige Fruchtanmutungen.

D'Armailhac war ursprünglich kein Gut, das ich besonders präferierte. Inzwischen weiß ich den chimärenhaften Stil zu schätzen und versuche ein wenig, die Entwicklung zu verfolgen.
Passend zu diesem Stil die Rezeption: Mehr als 90 Punkte bekommt er von mir nicht, aber ich würde ihn vielen höher dotierten Weinen vorziehen. Und: Bei aller Liebhaberei muss ich nicht 50 Euro und mehr bezahlen, die ein 96er heute kostet. Da gibt es zu viele preisgünstigere Konkurrenten. Gleichzeitig sehe ich ein, dass sie kein D'Armailhac sind und er vielleicht soviel kosten muss.

Gruß, Kle
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manubi
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Re: Bordeaux 1996

Beitrag von manubi »

Durch den Bericht von Kle neugierig geworden habe ich eine meiner drei letzten Flaschen Chateau d'Armailhac 1996 geöffnet. Vorgewarnt durch den Bericht wurde die Flasche schon mittags (für den am Abend geplanten Genuss) geöffnet. Kurz nach dem Öffnen ausgeprägt Sauermilch in der Nase (gedanklich ojeh-ojeh), dieser Geruch verfliegt bis zum Abend aber vollständig. Ab 19 Uhr zeigt sich ein durchaus ernsthafter Wein mit Anflügen von Malzbonbon, schwarzen und roten Waldbeeren, Rauch und edlem Holz. Sehr gut integriertes, seidiges Tannin. Etwas kurzer Nachhall, aber insgesamt sehr, sehr gut bis exzellent. Die verspielten Komponenten finde ich überhaupt nicht bestätigt. Der Wein ist so lange in meinem Keller, dass die seinerzeit bezahlten DM 34 sich im Licht heutiger Preise als außerordentlich günstig darstellen. Glatte 90 mP. PLV herausragend.

Beste Güße

Manfred
Ich koche immer mit Wein. Manchmal kommt sogar etwas davon in den Topf . . .
duhart09
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Re: Bordeaux 1996

Beitrag von duhart09 »

Im Vorgriff auf unsere Frankfurter Bordeaux-Runde am Samstag, wo wir uns einige Pauillacs aus den Jahren 1995 und 96 zur Brust nehmen wollen, haben meine Frau und ich uns vergangenes Wochenende zu einem sehr leckeren Menü den vergleichsweise günstig auf der Weinkarte verzeichneten

Mouton Rothschild 1996 aus der Demi

gegönnt, es gab schließlich auch etwas zu feiern.

Der Wein wurde gut eine Stunde dekantiert. In der Nase viel Tabak, Cassis und auch rote Johannisbeeren sowie eine schöne Süße - verführerisch! Einer dieser Weine, bei denen man die Nase kaum mehr aus dem Glas ziehen mag, eine 20 P.-Nase! Auch im Mund ein Vergnügen, wenngleich nicht ganz auf diesem Niveau. Sehr, sehr harmonisch, ein Bündel roter Beeren, konzentriert, aber filigran und elegant und mit wunderbarer Süße. Im Abgang leicht bananig und etwas Papier(?). Der Abgang ist aber eher kurz - relativ klar: der Wein steht noch am Anfang seiner Entwicklung. Derzeit von mir 19 P.

Mal schauen, wie er sich aus der normalen Flasche am Samstag schlägt... (WAS für ein Leben! So ist's natürlich nicht immer)

Gruß
Uli
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weinaffe
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Re: Bordeaux 1996

Beitrag von weinaffe »

Hallo zusammen,

leider werden diese "Klassiker" im Bordeauxbereich immer weniger:


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Grüsse
Bodo
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octopussy
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Re: Bordeaux 1996

Beitrag von octopussy »

weinaffe hat geschrieben: leider werden diese "Klassiker" im Bordeauxbereich immer weniger:
Auch in 1996 gab es schon "Nicht-Klassiker". Zu denen gehört für mich 1996 Château Belgrave (5ème GCC Haut-Médoc - liegt am Rand von Saint-Julien). Blind bin ich nicht auf Bordeaux gekommen und offen konnte ich es auch kaum glauben. In der Nase ist der Wein durchaus angenehm, im Mund aber ein ganz schöner Klotz, extrem konzentriert, sehr dicht, mit eher wenig Spiel. Das ist definitiv kein schlechter Wein, aber nicht das, was ich mir unter einem Bordeaux vom linken Ufer aus einem eher klassischen Jahr vorstelle.

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Beste Grüße, Stephan
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harti
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Re: Bordeaux 1996

Beitrag von harti »

Hallo Stephan,

was die Einstufung als bordeauxuntypisch angeht, würde ich beim 96er Belgrave widersprechen. Er ist m.E. in seiner vollmundigen, runden Art zwar nicht unbedingt typisch für den Jahrgang, wohl aber für seine Herkunft. Die Beschreibung "Blaubeere, Kirsche, Holz" findet sich auch beim Nachbarn Langrange recht häufig.

Grüße

Hartmut
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Re: Bordeaux 1996

Beitrag von octopussy »

Hallo Hartmut,

ich hatte den Wein das erste Mal getrunken, kann deshalb nichts dazu sagen, ob diese Flasche irgendwie besonders war. Das Bordeaux-untypische fand ich diese klotzige und extrem konzentrierte Art im Mund. Ich fand den Wein gerade nicht besonders rund (allerdings vollmundig).

Am Tisch gingen die Meinungen aber übrigens auch auseinander. Es waren sich zwar alle darin einig, dass es sich um einen recht guten Wein handelt. Aber die Blind-Tipps gingen in alle Richtungen (Malbec aus Argentinien, Tannat aus Uruguay, ein moderner, spanischer Wein in Richtung Toro), nur nicht nach Bordeaux. Es ist natürlich so, dass ein Wein je nach Umgebung, ob zum Essen oder nicht, etc. immer anders schmeckt. Wer weiß? Vielleicht finde ich beim nächsten Mal wieder ganz anders und mehr Bordeaux-typisch.
Beste Grüße, Stephan
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Jochen R.
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Re: Bordeaux 1996

Beitrag von Jochen R. »

Hallo Stephan,
auch ich bin etwas überrascht, Assoziationen mit Argentinien/Uruguay/Spanien
- gar ein "moderner" Toro - hatte ich beim ´96er Belgrave bisher auch noch nicht.
Ich bin da ganz bei Hartmut.

Viele Grüße,
Jochen
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Kle
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Re: Bordeaux 1996

Beitrag von Kle »

Hallo Jochen und Hartmut,

eure Irritation finde ich sehr verständlich. Ich verfolge Belgrave schon lange und als die Flasche aufgedeckt wurde, konnte ich nicht fassen, dass es sich um diesen Wein handelte. Stephan hat ihn gut beschrieben. Ich hatte das Gefühl, der Belgrave verberge sich hinter einem dunklen Schleier, den jemand mit Reifenabrieb, Ruß und Teer bearbeitet hat. Den ganzen Abend habe ich nachprobiert, doch es änderte sich nichts. Wenn ich mich richtig erinnere, stammte er aus einer 12er Kiste und alle bisher probierten Flaschen sollen nicht anders geschmeckt haben.

Gruß, Kle
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