Guten Morgen zusammen,
2016 ist in verschiedener Hinsicht ein Glücksfall, aber wie das mit dem Glück so sein kann: man muss ein Auge dafür haben - es kann einen auch achtlos passieren.
2016 ist zuallererst deshalb ein Glücksfall, weil es eine solche Kulmination aus Reinheit, Frische, Eleganz, Feinheit und Balance so noch nicht gegeben hat - zumindest nicht in dem Vergangenheitsfester, durch das zu schauen mir zusteht.
Mit 2016 ist auf einen Schlag die Emanzipation von der Fruchtexegesendominanz amerikanischer Provenienz gelungen, und es ist schon mehr als eine Randnotiz wert, wenn der Verkoster, der in der Vergangenheit meist am knauserigsten mit Punkten umgegangen war (freilich nicht ganz so objektblind wie die Dame mit den schönen Fingernägeln, der man einmal zuflüstern sollte, dass Latour 2000 durchaus mit elend viel Genuss getrunken werdenkann

), den Jahrgang (nach meiner Einschätzung) am Besten trifft: Quarin.
Auch wenn alle irgendwie auf Neal Martin gewartet haben, scheint die Zeit des sinnvollen Wartens auf einen Einzelnen vorbei zu sein, denn der letzte, auf den zu Warten es sich lohnte, ist Rene Gabriel gewesen. Seine Bewertungen im letzten Jahr haben Nachfrageströme, zumindest im deutschen Sprachraum, maßgeblich beeinflusst, während Neal Martin dies überhaupt nicht (oder etwas abgemildert: kaum) vermochte. Natürlich werden wir auch in Zukunft warten müssen, aber es ist egal auf wen, es geht nur darum, dass der Konsens, nach dem sich nun, bis zur Ausprägung des nächsten Orakels, die Nachfrage richten wird, erst dann Gestalt annehmen kann, wenn es keinen mehr gibt, auf den man warten muss. Abgesehen von den Diadochenkämpfen, die doch nur den Riss im Fundament das Parkerimperiums aufzeigen, muss man sich nun als interessierter Bordeauxfan mit neuen Kritikernamen auseinandersetzen, von denen teils aber völlig unklar ist, ob ihre Einwürfe jenseits der Erheiterung für den Moment Relevanz in der Sache haben.
Man kann hier viel lesen über Parallelen verschiedenster Art zu 2010 - ich halte das eher für eine Desorientierung, die, was die Subskription an sich betrifft, zu falschen Schlüssen führt. Man kann eine Parallele zwischen 2010 und 2016 sehen, indem man die Paare 2009 und 2010 zu 2015 und 2016 in Beziehung setzt. Der frischestrotzende 2016er tanzt aber mit dem Tanninmonument 2010 wie Fred Astaire mit....vielleicht Rainer Calmund.
2010 spielte sich in dem Moment ab, in dem die Dollarzeichen der erwartbaren Chinahype den bordelaiser Chateauxeignern den Blick verstellten für die Märkte, die als Legendenträger das haben, was nach Jahren geduldiger Entwicklung zu einer Sammler- und Trinkkultur wird: eine breite, reelle, bordeauxaffine Privatkundschaft.
Die Zeiten, in denen die europäischen Märkte mit Mengen geflutet wurden (weil die Adjustierung der Allokationen mit unterschiedlicher Fortüne betrieben wird), die entweder, wie in 2009, in andere Weltgegenden weitergeleitet wurden, oder, wie in 2010, dazu führten, dass die Preise oft bestenfalls stagnierten, sind wohl b.a.W. vorbei.
Die relevanten Weingüter geben nur noch solche Mengen in den Markt, dass es weniger eine Frage des besten Preises sein wird, als vielmehr, überhaupt an manche Weine zu kommen.
Weil hier einige Seiten über Chateau Batailley diskutiert wurde: der 2016er ist ein großer Pauillac, gleichwertig mit GPL, der aber etwa 50% teurer sein wird, und mithin (für mich), auch der Wein aus dieser großartien Appellation, der nicht nur beim Trinken ob seiner überragenden Eleganz sehr viel Freude machen wird (ja, mehr als 2009 und 2010), sondern auch in Ansehung des guten Gefühls für diejenigen, die ihn sich einlagern werden. Denn Batailley ist eine der wenigen verbliebenen Exklusivitäten in Bordeaux, und die Eigentümer haben durchaus ein Auge darauf, mit wem sie zusammenarbeiten. Dies bedeutet, dass (immer nach meiner Einschätzung) der deutsche Markt z.B. gesättigter mit GPL ist als mit Batailley - GPL gibt es bei verdammt vielen Negociants zu kaufen.
Generell wird der desaströse Frost 2017 die zu erwartenden Mengen reduzieren und die Preise meist auf das Niveau von 2010 (oder eben, wenn sich seitdem im jeweiligen Weingut viel getan hat - s. Batailley, sogar noch darüber) führen.
Anders als in 2015 sieht es aber für 2016 so aus, als ob die Nachfrage wieder eine Breite erreicht, die zuletzt für 2009 zu beobachten war.
Nicht zuletzt: 2016 ist in seiner floralen Anmut der Glücksfall der durchdringenden Andersartigkeit.
Herzliche Grüße,
Matthias Hilse