So, ich hatte wenig Zeit die letzten Tage, daher erst jetzt meine Antworten zur angezettelten Diskussion:
EThC hat geschrieben: ...wer hat denn die Hoheit zu definieren, was ein "echter" Kabinett ist

Bzw. wer nimmt sie sich...
Absolut richtig: Mehr als "das ist ein nicht angereicherter Wein, der in den meisten Jahren reif geworden ist, vielleicht aber auch überreif war und Auslese hätte sein können", sagt Kabinett nicht aus, insofern kannst Du vorn aufs Etikett auch irgendwas draufschreiben und hinten vielleicht „nicht angereichert“, wenn das für Dich besonders wichtig ist.
Daher frage ich mich auch, was das soll, das als wesentliches Qualitätselement im deutschen Weingesetz stehen zu haben und im Kontext der letzten Gesetzesnovellierung sich auch noch damit zu feiern. Kabinett sagt null über Qualität und Stilistik aus und ist reiner winzerindividueller Marketingsprech, so wie */**/***-Weine, Filetstück oder Teschkes Qualitätsär***e.
Ollie hat geschrieben:Ich glaube nicht, daß dem Prädikatssystem stilistische Aussagekraft zusprechen sollte oder könnte. Das Weingesetz von 1971 war Vieles, aber fein differenzierend war es bestimmt nicht, und schon gar nicht wollte man den Winzern stilistische Vorgaben machen, ganz im Gegenteil.
Danke für die lange Stellungnahme, die ich größtenteils teile.
Im Hinblick auf 1971 ging es darum, den größten Wildwuchs einzudämmen, eine Mindestqualität sicherzustellen und jedem Marktteilnehmer zu ermöglichen, blumig benamte Weine herzustellen (auch für kleines Geld, Deutschland war durstig zu der Zeit).
Auch Deine Aussagen zum Kabi im allgemeinen teile ich, ich kann mich aber dem auch dem Punkt nicht verschließen, dass Kabinette (restsüß) im Rahmen der allgemeinen Klimaveränderung halt in der Premiumszene wirklich ein USP sein könnten, allerdings nur, wenn man die Oechsle nach oben begrenzen würde (wegen mir ja auch bis zur halben Spätlese oder so), was dann aber ein vorgeschriebener Weinstil wäre.
Auch richtig ist, dass zumindest im jetzigen Stadium ohne konkrete Beschlüsse von Schutzgemeinschaften auch das neue Weingesetz null mit Qualitätspyramide oder Stilistikvorgaben zu tun hat und damit in bester Tradition von 1971 steht. Nur: Überall wird das anders verkauft. Eigentlich müssten die Weinbaulobbyisten offen sagen, dass sie ein Herkunftsbezogenes Qualitätssystem überhaupt nicht interessiert, ein anderes (mal abgesehen von ein bisschen Mostgewicht=Qualität) ebenso nicht, dass es das in Deutschland nicht braucht, weil wir nur herausragenden Wein machen und nicht so wie die Franzosen oder Italiener oder Österreicher viel schlechten Wein.
- Ich entschuldige mich schonmal vorab bei jeder Schutzgemeinschaft, die künftig anständige Stil- und oder Qualitätsvorgaben macht. –
Ich glaube aber schon, dass Deutschlands Weinkultur ein Qualitätssystem braucht, genau auch wie die österreichische, wo Du Wachau angesprochen hast, wozu aber auch die DAC-Produktspezifikationen zählen. Österreich ist da deutlich weiter, obwohl der Markt dort insgesamt für mich solider aufgestellt ist als in Deutschland. Und die Einführung war auch in Österreich heiß diskutiert und hat bekanntermaßen nicht nur Fans gehabt.
Wir Freaks beziehen uns ja meist auf die Top-Güter und die sogenannten Geheimtipps. Aber der meiste Wein wird durch Genossenschaften, Kellereien und jede Menge uns allen vollkommen unbekannte Winzer erzeugt. Das ist die Basis der Weinkultur. Und die bröckelt gewaltig. Die negativen Schlagzeilen der Genossenschaften im Süden wie Remstal, Badischer Winzerkeller, Felsengarten Kellerei zum Beispiel, oder grottenschlechte Preise für Traubenvermarkter insgesamt. Dazu kommen gerade aktuell gestiegene Materialpreise und Personalkosten, mehr Umweltvorgaben und ein abnehmender Weinmarkt. Von günstig importiertem Wein als Konkurrenz mal gar nicht zu reden. Deutschland braucht daher
in der Basis definitiv mehr Transparenz über Qualität, mehr Qualität und für den Gelegenheitsweintrinker auch eine verständlichere Etikettierung, da bin ich mir sicher, ansonsten haben wir in 10 Jahren in den Weinbauregionen mehr Kartoffeläcker und Streuobstwiesen statt Weingärten.
Udo2009 hat geschrieben:Hm... Weinqualitäten an einem bestimmten Grad Öchsle festzumachen... dann noch von Anbaugebiet zu Anbaugebiet unterschiedliche Vorgaben... so wirklich eindeutig ist das nicht.
Da finde ich die Klassifizierung des VDP mit Gutswein, Ortswein, Erste Lage, Große Lage schon irgendwie aussagekräftiger.
Nicht umsonst nehmen sich immer mehr Winzer die VDP Klassifikation zum Vorbild. Da gibt es auch von Nicht-VDP-Winzern Gutsweine, Ortsweine, und eine Top-Klassifizierung. (Ggf. irgendwie anders genannt, um "Patente" des VDP nicht zu verletzen.) Gerade in letzter Zeit bekomme ich von Nicht-VDP-Winzern Post mit der Qualitätspyramide ihrer Weine...
Beim VDP ist auch nicht alles gold was glänzt(da hat auch EThC recht) und in meinem Blog habe ich diesbezüglich ja auch diverse Kritik geübt (Lagen, GG etc.), aber es ist aktuell das einzige System in D, das relativ einfach und Verständlich eine Pyramide darstellt und eine gewisse Mindestqualität sicherstellt und sich in der Spitze durch Rebsorten- und Lageneinschränkungen auch tatsächlich verengt. Insofern ist das schon wegweisend und gut für die deutsche Weinkultur.
Und ja, unter den „Qualitätswinzern“ auch außerhalb des VDP spricht sich herum, dass das VDP-System nicht ganz so blöd ist, auch weil es leicht verständlich ist. Ich begrüße das sehr, es bleibt aber außerhalb des VDP ein jeweils ganz winzerindividuelles System in trocken, halbtrocken und lieblich. Mit Gefühlt 100 Rebsorten.
Solange man den Winzer kennt ist alles super, vorm Regal ist die Auswahl dann zwar ggf. einfacher geworden, aber die Überraschung beim Öffnen vielleicht nicht viel kleiner als heute. Beim Großen Gewächs von Qualitätswinzer Schulze bekommst Du das was dieser als Großes Gewächs versteht. Vielleicht ist es übergroß, vielleicht ist es aber auch nur ein großes Zwergengewächs, vielleicht ist es Spätburgunder, vielleicht Dornfelder. Hauptsache es kommt durch die Qualitätsweinprüfung, bei der es keine besonderen Vorgaben außer „Fehlerfreiheit“ und eine ominöse „Gebietstypizität“ gibt. (Plus die paar bundesdeutschen gesetzlichen Basics zu Qualitätswein und Großem Gewächs)
Stehst Du vor dem Weinregal und greifst Du einen Pouilly-Fumé zum Beispiel, dann bekommst Du u.a. das:
- Rebsorte: ausschließlich Sauvignon Blanc
- Angabe der zugelassenen Parzellen
- Pflanzdichte: Mind 6.000 Rebstöcke/ha mit Reihenabstand von max. 1,3m
- Konkrete Angaben zum Rebschnitt/Reberziehung (Guyot/Cordon)
- Konkrete Angaben zum Wuchshöhe
- Maximal 20% fehlende Rebstöcke
- Max. 10.500kg/ha Höchstertrag
- Pflicht zur Bepflanzung der Böschungen, Gräben, Ränder
- Verbot der Bewässerung
- Minimales vorhandendes Alkoholpotential 10,5%
- Max. 65 Hektoliter/ha
- Max. 4g/l Restzucker im Wein
- Keine Wärmebehandlung des Mosts
- Keine Verwendung von Holzchips
- Max. 13% Alkohol nach Anreicherung
- „guter“ Zustand und Hygiene des Kellers
- Klare Regeln, was die Kontrollstelle für die Einhaltung der Regeln wie kontrolliert (Dokumentation, Ortsbesichtigung, Analytische und organoleptische Untersuchung)
Das muss dann immer noch kein Top Wein sein, aber Du wirst nah daran kommen, was Du erwartest.
Nicht unerwähnt zu lassen ist dann natürlich, dass im Gebiet Pouilly-Fumé ein Rieslingwinzer, auch wenn er der Beste des Landes sein sollte, schlechte Karten hätte. Der kann dann Vin de France auf seine Flaschen schreiben (Das ist übrigens auch der Grund für die sogenannten Super Tuscans wie Sassicaia in Italien, denen die Vermarktung als Tafelwein über Jahrzehnte auch nicht wirklich geschadet hat).
@all:
Zusammenfassend ist das Prädikatsthema ja nur ein kleines im gesamten Deutschen Weinsumpf. Und ich mache keinem Winzer/keiner Genossenschaft/keiner Großkellerei einen Vorwurf, der die die zulässigen Begriffe nutzt und für seine Zwecke auslegt, der Wein muss schließlich unter die Leute!
Ich verstehe insbesondere auch die kritische Situation in den Genossenschaften und Kellereien, die sowieso knappste Margen haben und die Unmengen an Wein irgendwie im LEH unterbringen müssen. Es gibt weiterhin viel zu viel Wein im deutschen Markt und zwar insbesondere im einfachen Segment. Und natürlich ist es da sehr problematisch, Eingeführtes zu verändern und das Risiko einzugehen, Kunden oder gar ganze LEH-Absatzverträge zu verlieren, gerade wenn man aus strukturellen und traditionellen Gründen auch grade bei den Genossenschaften im Land vielfach auch nicht in der Lage ist, bessere Qualitäten zu liefern und sich so gegen Konkurrenten durchzusetzen. Nachhaltig ist diese Denke aber eben nicht. Der Markt wird sich hier in den nächsten Jahren aus meiner Sicht sowieso dramatisch verändern, ob nun mit oder gegen die Unternehmen (siehe auch meine Einschätzung weiter oben in diesem Post bei der Antwort zu Ollie).