Bordeaux 2022

Medoc und seine Appellationen, Bourg und Umgebung, Fronsac, Pomerol, Saint Emilion und Umgebung, Entre Deux Mers, Graves und Pessac-Leognan, Sauternes und Co.
Ollie
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Re: Bordeaux 2022

Beitrag von Ollie »

Es ist so schön, im Forum den Ablauf der Jahrezeiten zu verfolgen.

Gestern war ja der 21. Juni. Seit heute also beginnt die (übrigens astronomisch bedingte) Wut über Bordeaux abzunehmen, bis sie am 21. September, um den Beginn der Steinpilzsaison herum, wieder gleich groß ist wie die über Barolopreise. In den Tagen um den 21. Dezember dann dauert die Wut am kürzesten, wenn man wieder merkt, wie gut Claret zum Roastbeef passt und wie teuer die Weine heute sind und wie gut man daran tat, den Wein damals noch presiwert gesubst und eben nicht auf den damaligen Nochlebenspartner gehört zu haben. Aus Freude darüber lässt man geschmückte Koniferen in die eigene Wohnung und bietet ihnen vorübergehend Schutz vor dem kaltem Wetter, bis sie gekräftigt weiter nach Norden ziehen können.

(Südlich des Weißwurstäquators ist's natürlich genau umgekehrt; wegen der Corioliskraft drehen dort Uhren anders herum, nämlich gegen den Uhrzeigersinn.)

So findet alles die natürliche Erklärung, die die Alten schon gewusst (und gleich im Anschluss wieder vergessen) haben.

Bis in einem Jahr also, wenn es wieder heißt: "Diesmal subse ich nix!" :lol:

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Ollie
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harti
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Re: Bordeaux 2022

Beitrag von harti »

Ollie hat geschrieben:Es ist so schön, im Forum den Ablauf der Jahrezeiten zu verfolgen.

Gestern war ja der 21. Juni. Seit heute also beginnt die (übrigens astronomisch bedingte) Wut über Bordeaux abzunehmen, bis sie am 21. September, um den Beginn der Steinpilzsaison herum, wieder gleich groß ist wie die über Barolopreise. In den Tagen um den 21. Dezember dann dauert die Wut am kürzesten, wenn man wieder merkt, wie gut Claret zum Roastbeef passt und wie teuer die Weine heute sind und wie gut man daran tat, den Wein damals noch presiwert gesubst und eben nicht auf den damaligen Nochlebenspartner gehört zu haben. Aus Freude darüber lässt man geschmückte Koniferen in die eigene Wohnung und bietet ihnen vorübergehend Schutz vor dem kaltem Wetter, bis sie gekräftigt weiter nach Norden ziehen können.

(Südlich des Weißwurstäquators ist's natürlich genau umgekehrt; wegen der Corioliskraft drehen dort Uhren anders herum, nämlich gegen den Uhrzeigersinn.)

So findet alles die natürliche Erklärung, die die Alten schon gewusst (und gleich im Anschluss wieder vergessen) haben.

Bis in einem Jahr also, wenn es wieder heißt: "Diesmal subse ich nix!" :lol:

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Ein schönes Schlusswort für diesen Thread :lol: .
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UlliB
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Re: Bordeaux 2022

Beitrag von UlliB »

harti hat geschrieben: Ein schönes Schlusswort für diesen Thread :lol: .
Trotz des Schlussworts für diesen Thread (der ja spätestens dann wiederbelebt wird, wenn die Weine in der Flasche sind und ausgeliefert werden) noch ein Resümee der Kampagne aus meiner Sicht.

Weiter oben im Thread hatte ein User geschrieben, dass ihn die Kampagne „schockiert“. Ich hingegen kann keinen wirklichen Grund erkennen, geschockt zu sein.

Es war von vornherein klar, dass die Preise höher als die der 2021er sein werden. Dieser Mechanismus hat in den letzten drei Jahrzehnten immer gegriffen, wenn ein Jahrgang als besser als der Vorjahrgang eingeschätzt wurde (bei zwei Ausnahmen, 2008 und 2019, war die Preisstellung durch externe Krisen beeinflusst). Und da die 2021er von den Chateaux wahlweise zum selben Preis wie die 20er angeboten wurden oder nur ein symbolischer Mini-Abschlag vorgenommen wurde, war ebenfalls klar, dass die Preise auch höher als die der 20er werden. Es war nur offen, wieviel höher.

Als dann das Geschrei mit „best ever“ immer lauter wurde, war schon zu erwarten, dass man es nicht bei einem Aufschlag von wenigen Prozent belassen würde. Das makroökonomische Umfeld erlaubt auch Preissteigerungen: die Corona-Krise wird als überwunden betrachtet, die Börsen notieren auf oder nahe an historischen Höchstständen, die Vermögen des wirklich wohlhabenden Teils der Bevölkerung sind weiter angewachsen, und die Inflation liefert ein zusätzliches Argument, weil ja eh alles teurer wird.

Schließlich hat man sich auf Erhöhungen in der Bandbreite von 15 bis 25 Prozent eingeschossen. Die Ausreißer nach oben haben meistens die Ursache in sehr hohen Bewertungen oder im Falle von Figeac den Aufstieg in der Klassifikation. Dass es Jahre gegeben hat, in denen die prozentualen Aufschläge zum Vorjahr viel drastischer ausgefallen sind, hatten ja schon einige User angemerkt.

Ob die Preise überrissen sind? Im Gegensatz zu den Usern, die immer alles wissen, weiß ich es nicht. Ja, es gibt einige Warnzeichen. Aber das bedeutet nicht zwangsläufig, dass die Preise nachgeben werden. Erst wenn 2026, 2027 oder 2028 große Mengen von 2022ern vom Handel unter Subspreis angeboten werden, dann wissen wir es wirklich ;)

Tatsächlich gibt es eine Vielzahl von Faktoren, die die weitere Preisentwicklung der 22er beeinflussen wird. Sollte der 2023er der nächste „best ever“-Jahrgang werden und anschließend der 2024er noch „bester ever“, werden die Preise für die 22er ganz gnadenlos unter die Räder kommen. Und die gesamte professionelle Weinkritik (sowie der von ihr abhängige Handel) schliddert dann in eine fundamentale Glaubwürdigkeitskrise, wenn sie nicht ohnehin schon dort angekommen ist.

Der nächste Knackpunkt ist die Bewertung der Weine in der Flasche. Bestätigen sich die euphorischen Urteile, ist’s ok. Sollte aber die immer wieder bemerkte „Frische“ der Weine nur ein vorübergehender Zustand gewesen sein und die Weine nach dem Ausbau doch säurearm, fett und alkohollastig schmecken, gehen die Preise steil nach Süden. Und das mit der Glaubwürdigkeitskrise der Weinkritik hatten wir ja schon.

Dann sind da noch die äußeren Faktoren, die nichts mit Wein zu tun haben. Wie entwickelt sich die Weltwirtschaft, und davon abhängig die Konsumstimmung der Verbraucher? Gibt es neue Krisen, verschärfen sich die bereits jetzt bestehenden, oder kommt es zu wirklichen Katastrophen? Alles völlig unvorhersehbar. Aber mit möglicherweise ganz erheblichen Auswirkungen auf die Weinpreise.

Subskriptionskauf ist immer Spekulation. Aber es ist auch Spekulation, darauf zu hoffen, die Weine nach der physischen Verfügbarkeit im Markt unter Subspreis oder wenigstens nicht darüber kaufen zu können. Beides kann schiefgehen.

Überhaupt nicht tangiert sind nur diejenigen, die sich gar nicht für hochpreisigen Bordeaux interessieren. Und natürlich die Glücklichen, die schon weit mehr als genug Bordeaux im Keller haben und die Disziplin aufbringen, sich nicht von irgendeinem „unwiderstehlichen“ Angebot verführen zu lassen.

Gruß
Ulli
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Re: Bordeaux 2022

Beitrag von EThC »

UlliB hat geschrieben:Überhaupt nicht tangiert sind nur diejenigen, die sich gar nicht für hochpreisigen Bordeaux interessieren.
...tatsächlich ist Bordeaux bei uns fast kein Thema, das hängt hauptsächlich mit unseren Ernährungsgewohnheiten zusammen, BDX paßt da in den allermeisten fällen nicht. D.h. ich habe im Jahr gefühlt 2 bis 3 Gelegenheiten, einen Bordeaux sinnvoll loszuwerden. Und selbst dann tendiere ich in solchen Fällen rein geschmacklich in F und rot doch eher zu Loire, auch Jura oder Burgund. Insofern macht für mich das Aufbauen eines systematischen BDX-Bestands keinen Sinn. Wenn ich denn mal einen brauche -z.B. für eine entsprechend thematisierte Weinrunde-, besorge ich mir halt was Trinkreifes, ob das nun einige oder mehrere Taler teurer als der Subs-Preis ist, ist mir dann reichlich egal und ich bin da auch nicht auf einen ganz bestimmten Wein fixiert, die Auswahl ist da für mich so groß, daß ich eh nie alles probieren kann...
Viele Grüße
Erich

Nicht was lebendig, kraftvoll, sich verkündigt, ist das gefährlich Furchtbare. Das ganz Gemeine ist's
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Re: Bordeaux 2022

Beitrag von pessac-léognan »

Danke, Ulli, für deine Zahlenarbeit während der ganzen Subskriptionsperiode, aber auch, ganz besonders, für deine immer wohltuend nüchternen Einordnungen und bisweilen auch Relativierungen und dein ebensolches Fazit soeben. In Prosa kann man doch solche Dinge viel präziser und treffender ausdrücken und braucht keine poetischen Überhöhungen dazu.
Gruß
Jean
diogenes
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Re: Bordeaux 2022

Beitrag von diogenes »

Ich will es mit Sokrates mal philosophisch ausdrücken, „Ich weiß, dass ich nicht(s) weiß.“
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dylan
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Re: Bordeaux 2022

Beitrag von dylan »

diogenes hat geschrieben:Ich will es mit Sokrates mal philosophisch ausdrücken, „Ich weiß, dass ich nicht(s) weiß.“
Dann wär ja alles für die Tonne!

Grüße

dylan
diogenes
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Re: Bordeaux 2022

Beitrag von diogenes »

dylan hat geschrieben:
diogenes hat geschrieben:Ich will es mit Sokrates mal philosophisch ausdrücken, „Ich weiß, dass ich nicht(s) weiß.“
Dann wär ja alles für die Tonne!

Grüße

dylan

.....au.
Zumindest bis zur Abfüllung.
Abgesehen von den Stahltanks und Amphoren natürlich.
carpe vinum!
Ollie
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Re: Bordeaux 2022

Beitrag von Ollie »

In der Causa Troplong Nouveau gibt es immerhin einen Händler, der nicht ganz mitgehen will mit dem Lobgesang:
Justerni & Brooks hat geschrieben:Some critics have already nailed their colours to the mast when it comes to Troplong `22. Whilst we really admire what Aymeric de Gironde has done here along with super-consultant-oenologist, Thomas Duclos, we're not quite so effusive. Considering the terroir (and past perceptions of Troplong), this is a massive improvement - it is genuinely vibrant and fresh, something you would never say about the wines from the old regime, but it's not and probably never will be the ethereal style of St Emilion we hanker. Aymeric describes this as a "a vintage made underground rather than overground". Vines had to go deep to find reserves of winter rains. Harvest began on the 29th of August and fruit was stored in a cool room at 5 degrees overnight. Sorting took place the following day before 7-12 day cool maceration. This process helped preserve the aromatics and precision of the vintage. No S02 was used during fermentations. This is deep and powerful stuff, with a freshness and poise which is mighty impressive. Not obviously oaky, there's a nice richness to the core with suggestions of sleek damsons, currants and stones. Mouth filling, velvety with a lovely texture and nuanced, mineral tannins. It's an excellent effort and surely one of the most vibrant, freshest and most cohesive examples ever produced at Troplong.
Also: Canon it ain't.

Cheers,
Ollie
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Cirrus
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Re: Bordeaux 2022

Beitrag von Cirrus »

Ihr habt mich mit euren LCHB-Hype angesteckt! ;-) Gestern gab es bei Qoqa auch den LCHB für 3er Kiste für 449.- CHF, ich würde sagen das Warten hat sich gelohnt, ein verhältnismässigerweise fairer Preis (woanders ja min. 180.- oder mehr) war allerdings auch innert 5min alles weg.
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