Hallo Andreas,
wirklich vielen Dank für Deine Ausführungen, sie zeugen idT von einem guten Diskursstil. Dann möchte ich Dir auch verdeutlichen, was ich meine.
Barrique-Haus hat geschrieben:
In den ersten Jahren des 21. Jahrhunderts vollzogen sich die fundamentalen Änderungen: weg von der Primärfruchteinerlei und hin zu naturnahen Charakterweinen höchster Qualität, die ein Abbild der lebendigen Weinberge sind, in denen ihre Trauben wachsen und reifen.
Abgesehen von den grammatikalischen Unebenheiten, ist der Begriff "Primärfruchteinerlei" einer dieser Kampfbebgriffe, der auf alle und keinen zutrifft. Hat Kühn vorher "Primärfruchteinerlei" gebraut, von dem er sich dann wegbewegt hat? Oder sind es nur die vielen namenlosen "Anderen", die diese
schrecklichen Weine machen? Bei letzterem würde die Nutzung des Begriffs den zu besprechenden Winzer erhöhen, während er andere erniedrigt. Ist als Stilmittel etwas fragwürdig.
Was sind "Charakterweine höchster Qualität, die ein Abbild der lebendigen Weinberge sind"? Sorry, aber das ist so Werbe-Blabla. Jeder Weinberg ist lebendig (oder gibt es tote Weinberge?) und ergo ist JEDER Wein ein Abbild ebene dieser Lebendigkeit. Damit ist nichts gesagt ausser heisse Luft gemacht.
Ein sehr mutiger Schritt, der einher ging mit Unverständnis bei vielen Personen in der Weinwelt, schlechter Presse und dem Verlust von Trauben im Gault Millau. Falsch lagen die Skeptiker! Denn was Peter Jakob Kühn mit unumstößlicher Konsequenz in seinem Tun auf die Flasche bringt, ist über alle Zweifel erhaben und einzigartig. Vergleichbare Weine in Stil und Entschlossenheit sind kaum zu finden. Allein schon die ersten Jahrgängen brachten grandiose Weine hervor, die wahrscheinlich an mancher Stelle so nicht gewollt oder auch nicht verstanden wurden.
Wieder weiss ich nicht, was "vergleichbare Weine (...) in Entschlossenheit" sein sollen. Aber egal. Auf jeden Fall implizieren die Sätze die Vermutung, dass die oben nicht näher genannten Veränderungen der Grund sind, weswegen das Weingut Kühn "abgestraft" wurde. Das Nicht-Verstehen der
bösen Anderen kommt noch erschwerend hinzu.
Ich hoffe, dass Du diese Sätze nicht allzu ernst meinst, denn sie sind wirklich ausgemachter Quark und benutzen wieder das Stilmittel, das Eigene zu erhöhen, indem das Andere erniedrigt wird.
Zugegebenermaßen gibt es auf den 1. Blick zugänglichere und offensiver-animierende Weine, als die von Peter Jakob Kühn. Damit wird man den Weinen aber nicht gerecht.
Womit wird man den Weinen nicht gerecht?
„Das Wesentliche eines Weines tritt hervor, weil das Unwesentliche zurücktritt“, dieser Satz des Weingutes passt wie die Faust aufs Auge.
Das ist wirklich ein sehr schöner Satz! Nur mit den nächsten Sätzen
Es geht um Weinbergs-/Bodentypizität, um Natur und die Natürlichkeit des Weines. Dafür arbeitet der Betrieb nach den Gesetzen der Biodynamie und ist seit 2009 Demeter zertifiziert.
benennst Du in einem Handstreich einfach mal, was so das Wesentliche ist. Dabei lebt der Satz mit dem Wesentlichen gerade davon, das Wesentliche zwar zu benennen, aber eben nicht zu erläutern. Du setzt das Wesentliche mit einigen Schlagworten gleich, die in ihrer Unklarheit und Diffusion eben nichts anderes sind als Schlagwörter.
Welchem Winzer mit einigermaßen Anspruch ginge es nicht um Weinbergs-/Bodentypizität, um Natur und Natürlichkeit? Nur sind diese Begriffe eben so dehnbar, dass jeder etwas anderes dadrunter versteht und sie daher für eine qualitative Beschreibung des Wesentlichen nicht taugen. Ausser man liebte eben Schlagwörter.
Höchstes Gut ist der Weinberg, ihm wir die volle Aufmerksamkeit und Pflege geschenkt, um bestes, ja optimales Traubenmaterial zu erhalten.
Was ist der Unterschied zwischen bestem und optimalem Traubenmaterial? Als ich diese Doppelung las, wurde mir klar, dass es Dir eher um eine Aneinderreihung als um strenge Sinnhaftigkeit ging. Und bei welchem Weingut, bitteschön, ist das "höchste Gut" nicht der Weinberg? Auch das ist ein Nullsatz mit aufgehübschten Begriffen wie "volle" Aufmerksamkeit, bestes und optimales undsoweiter....
Im Keller folgt nur die schonende Begleitung („vollkommene Ruhe“). Alle Weine werden spontan mit eigenen Hefen vergoren und sehr lange auf der Maische belassen. Das alles führt zu enorm von der Mineralität geprägten Weinen (...)
Ich kenne mehrere Dutzend Weingüter, die wie von Dir beschrieben arbeiten. Auch das sind nicht die Kerninhalte der Kühnschen Philosophie. Und ob genau das wirklich zu "enorm von der Mineralität geprägten Weinen" führt, ist für mich nicht nur eine rethorische Frage, sondern ein wirkliches Rätsel, denn hier wird der Begriff "Mineralität" in einen Kausalzusammenhang gestellt, der nicht nur sehr diffus und streitbar ist, sondern der auch voraussetzen würde, dass Du weisst, was Mineralität ist und wo sie herkommt.
(...) die teilweise nervig, fast unangenehm im jungen Wein auffallen kann. Ein kräftiges Gerbstoffgerüst und die teilweise kaum merkliche Frucht bilden das Rückgrat. Herbe Würze aus einerseits erdig-steinigen und andererseits getrocknet-vegetabilen Aromen ist die Visitenkarte der Weine. So finden wir getrocknete Kräuter, Tee, Trockenblumen, Heu und vieles mehr. Sie sind komplex und tief, strotzen vor innerer Kraft und sind doch so in sich ruhend und unaufgeregt. Nichts an ihnen ist erzwungen und genauso unaufdringlich präsentieren sie sich. Lässt man sich auf sie ein, reißen sie einen nahezu mit. Ganz eigen, authentisch und mit Strahlkraft.
Leider habe ich mit dem Lesen vorher schon aufgehört, denn genau diese Beschreibung bleibt eng bei dem sinnlich-Erlebten und gefällt mir sehr gut. In diesem Stil solltest Du IMHO weitermachen...
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