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Terroir - wer hat Recht?

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Charlie

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Re: Terroir - wer hat Recht?

BeitragDo 29. Dez 2011, 13:34

Das Suchen nach einer Definition ergibt wenig Sinn. Da es aber einen Unterschied macht, wo ein Wein gewachsen ist, ist der Begriff Terroir sinnvoll weil er diesen Unterschied begrifflich macht. Um nicht noch mehr zu verwirren, ganz kurz wie ich das meine:
Man sollte nicht über die Definition von Terroir streiten, sondern darüber was einen guten Terrorwein ausmacht, was ein gutes Terroir ist und was nicht, wie man Terroir pflegt. Klingt jetzt so, als müsste man, um das zu tun, den Begriff doch definieren. Muss man aber nur weich und trotzdem logisch und (was hier recht wichtig ist) spezifisch für Wein. Spezifisch für Wein eben um zu vermeiden, dass Lieder von Bob Dylan ernsthaft als Terroir-Lieder bezeichnet werden. Die Rebe wurzelt, Bob Dylan ist ein Mensch und wandelt auf Gottes Erde. Der Rest sind Metaphern.
Da es uns wichtig ist, wo ein Wein gewachsen ist, können wir die Kultivierung dieses Unterschieds und/oder diesen Unterschied selbst Terroir nennen.
Wer schon mal zwei Karotten aus zwei unterschiedlichen Beeten gegessen hat, sollte wissen, was ich meine.
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Gerald

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Re: Terroir - wer hat Recht?

BeitragDo 29. Dez 2011, 13:44

sondern darüber was einen guten Terrorwein ausmacht


hihi, Freud'scher Verschreiber? ;)

An sich muss es keine knallharte Definition sein, aber irgendwelche Regeln oder Merkmale wird es doch brauchen, woran man erkennen kann, ob es sich jetzt um einen Terroirwein handelt oder nicht. Ohne solche ist es eine reine Fantasiebezeichnung ...

Grüße,
Gerald
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WoFu

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Re: Terroir - wer hat Recht?

BeitragDo 29. Dez 2011, 13:46

Moin, moin,

nur hier, nicht im blogg, habe ich mal nachgelesen und fühle mich gar nicht mehr so allein.

Terroir gibt es nicht an sich, viele Leute haben unterschiedlichste Definitionen im Kopf. Auch aus dieser Diskussion kann man erkennen: es gibt keine eindeutige Zuordnung.

Ohne groß nachgeschaut zu haben hier meine Ansicht: Seit wann beschäftigen wir uns in D mit diesem Begriff? Das ist jetzt einige Jahre her. War es nachdem der Hype um Barriqueweine abebbte?

Wer hat diesen Begriff in die deutsche Weinwelt eingebracht? Gefühlt sind es Winzer bzw. deren Werbeleute, die dem deutschen Wein etwas Neues mitgeben wollten.

Warum gibt es das T-Wort zum deutschen Wein? Ich behaupte mal frech und etwas provokant, das T-Wort wurde eingeführt um Werbung für den Wein zu machen, Terroir klingt gut, klingt nach mehr, klingt nach Frankreich... und der normale Weinkäufer läßt sich mit dem besonderen Produkt gern locken.

Warum diskutiert man in Weinfachkreisen immer wieder hierüber? Weil niemand sicher weiß, was nun wirklich Terroir ist, sich aber nur wenige die Blöße geben möchten, das Wort einfach zu ignorieren, da muß doch was hinterstecken, die Franzosen haben's doch auch.

Der Wein wird nicht dadurch besser, daß man ihn als Terroirwein bezeichnet, es genügt m. E. deutsche Worte zu nutzen (etwa lagentypisch, gebietstypisch).

Vielleicht sehe ich es ja etwas direkt, scheine aber nicht ganz allein dazustehen, "Terroir" als Weinbegriff benötigen wir nicht wirklich, es sei denn aus verkaufsfördernden Aspekten. Vielleicht sollten wir uns nicht immer wieder fremdsprachlicher Begriffe bedienen und diese auf deubelkommraus eindeutschen, vielleicht gäbe es ja im ehemaligen Land der Dichter und Denker mal Wortgewächse, die einheitlich benutzt werden.

Ansonstens viel Spaß beim Feiern mit oder ohne Terroir und ein gesundes, (wie auch immer definiert) erfolgreiches neues Jahr wünscht

Wolfgang,

der jetzt nicht die Zeit hat, alles noch einmal durchzulesen sondern wieder an die Arbeit muß ;-).
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BuschWein

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Re: Terroir - wer hat Recht?

BeitragDo 29. Dez 2011, 14:38

Ich fürchte, dass uns heute die Gegebenheiten fehlen, dass sog. Terroirweine entstehen.

In all den Definitionsversuchen hier und auch im genannten Block wird über ein Zusammenspiel von Rebsorte, Boden, Region (mit dem ihr eigenen Kleinklima) und Weinmacher geschrieben. Wenn aus den genannten Parametern ein gleicher Typus Wein entstehen soll, dann muss es ein Leitmedium geben, im Burgund waren das die Klöster in Bordeaux die klassifizierten Chateau, ein Hinterfragen dieser "Vorarbeiter" war quasi sinnlos und nur so kann sich ein einheitlicher Stil ergeben.

Zusätzlich braucht es aber auch noch ein fundierte Kritik, auch diese hatte es vor 50 bis 100 Jahren viel einfacher, da langte es wenn man über Burgund, Bordeaux und Champagner Bescheid wusste. Heute gibt es schlicht zu viele Regionen aus denen guter Wein kommt, es kann keinen Kritiker mehr geben, der wirklich einen Überblick über die Typizität der verschiedenen Weine und Weinregionen hat.

Durch die große Einflussnahme sowohl extern auf die Winzer, Lehre in anderen Regionen, Studium, Auslandssemester, Orientierung an den international erfolgreichen Konkurrenten als auch intern auf die Rezipienten, man probiert viel zu viel verschiedenen Wein, dadurch ist man rein lebertechnisch gar nicht in der Lage wirklich eine Region, einen Weinstil tiefer zu ergründen. Ohne die echte Kennerschaft ist es aber nicht möglich einen Terroirwein zu erkennen, insofern hat die hier Scheuermann zugeschriebene Definition schon viel wahres.

Ob ein Wein gut ist kann ein Mensch der sich intensiv mit dem Thema beschäftigt recht schnell erkennen, trinkt man einigermaßen oft wirklich herausragende Weine kann man auch ziemlich sicher für sich selbst erkennen was ein großer Wein ist.

Aber ob ein Wein wirklich sein Terroir widerspiegelt dazu muss man sich mit diesem sehr intensiv beschäftigen, wer macht das heute wirklich noch?

Insofern ist die Terroirdiskussion heute eher ein Wunschbild als ein real definierbares Wesen. Man sucht die sprichwörtliche "Wahrheit" im Wein findet aber fast immer nur relative Aussagen. Das Reine, Echte, Unverfälschte gibt es doch nur auf Kosten einer fehlenden Weltoffenheit, ich denke dem ist auch beim Wein so.
Armin
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Charlie

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Re: Terroir - wer hat Recht?

BeitragFr 30. Dez 2011, 12:30

Armins Beitrag ist ein gutes Beispiel für eine sinnvolle Diskussion über das Thema ohne sich mit Definitionen aufhalten zu müssen.

Armin, was mir an deinem Argument (das nicht von der Hand zu weisen ist) nicht gefällt ist sozusagen der Zirkelschluss. Absichtlich platt formuliert lautet dein Argument: Terroirkultur wurde in F entwickelt, also kann es in D keinen Terroirwein geben.
Ähnliche Argumentationen habe ich schon zu Haut Cuisine, Haut Couture, ja sogar dem Begriff Nation gehört. Da die moderne Nation in Frankreich erfunden wurde, sind alle anderen, auch die, die das französische Modell noch so genau nachgeahmt haben, doch nur Völker, im besten Fall Staatsvölker, in unserem Fall eine Kulturnation. Schon daran, dass man sich bemüßigt gefühlt hat, für die Deutschen, nachdem eine gründliche Analyse zu dem Schluß kommen musste, dass sie keine Nation sind, den Begriff Kulturnation zu prägen, merkt man, wie hoch der Druck des französischen Originals in den Köpfen der Intelektuellen war. Dieser kleine Exkurs nur um zu zeigen, wie ähnlich die Diskurse zum Wein sind. Die Referenz hat eben Deutungs- und Definitionshoheit. Wer dann Alternativen vorschlägt, läuft (zum Teil mit Recht) Gefahr als Nationalist entlarvt zu werden. Logisch gesehen eine lustige Wende, denn nach obigem Argument kann nur ein französischer Nationalismus echt sein.

Zurück zum Wein: spätesten im Vorwort zu "Wein spricht deutsch" hat uns Pigott erklärt, dass es im deutschrachigen Raum eine eigene Weinkultur gibt. Wenn dem so wäre, bräuchten wir auch keine Terroirweine, sondern nur Lagenweine. Wenn man dann noch ein paar Schichten Kulturspeck auf die Lage legt, hat man auch sowas wie Terroirkultur, oder? Jedenfalls was analoges.

Aber die Zeiten ändern sich und meist heisst das Internationalisierung/Globalisierung. Das bedeutet schnöde konkret, dass die Referenzen global werden, als Folge heisst es dann beim Wein, er gehöre zum Essen, auch der deutsche Wein. Und wenn man dann in D die Weine mit diesem Ziel macht, muss man sich irgendwann fragen, ob die deutschen Herkunftsbezeichungen in Ordnung sind, ob man das Prädikatssystem noch braucht, ob es in D eine Terroirkultur gibt. Alle Antworten können dann ganz logisch nur noch Nein lauten. Und so kam es auch.

Armin, ich weiss, dass dein Argument sich nicht nur auf D bezieht, sondern praktisch auf alles außerhalb der paar französischen Referenzanbaugebiete. Aber ähnlich wie ich oben könnte jeder Österreicher, Australier oder Ungar argumentieren.
Zuletzt geändert von Charlie am Fr 30. Dez 2011, 13:11, insgesamt 1-mal geändert.
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Birte

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Re: Terroir - wer hat Recht?

BeitragFr 30. Dez 2011, 13:05

Kann mir endlich mal jemand die Verbindung zwischen Steiner und Terroir anständig erklären. Oder muss ich dafür 200 Seiten Text lesen?
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Einzelflaschenfreund

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Re: Terroir - wer hat Recht?

BeitragFr 30. Dez 2011, 13:45

Birte, da gibt es imho keine direkten Abhängigkeiten, dafür aber ziemlich große Schnittmengen:

- Viele Winzer, die (in eigener oder Fremdeinschätzung) Terroir-Weine produzieren (sofern dieses profane Verb zulässig ist), haben sich zugleich dem Bio-Weinan- (und -aus)bau verschrieben. Das ist nicht zwingend auch Bio-zertifiziert und deckt bei manchen auch nur Teile des Anbau- und Herstellungsprozesses ab.

- Unter diesen Winzern wiederum gibt es viele, die nicht "nur" Bio-Weine machen, sondern die spezielle Richtung des Biologisch-dynamischen bevorzugen, also die Landwirtschaft nach anthroposophischen Grundsätzen. Was zertifizierterweise somit Demeter wäre, ist als Idee und Rahmengerüst bei vielen Winzern zu finden, die (wie mir scheint) eine stärkere Neigung zu weltanschaulich-philosophischer Ummäntelung ihres Tuns haben als z. B. Obstbauern, Milcherzeuger oder Fleischproduzenten. Vielleicht sind es aber nicht (nur) die Produzenten, sondern auch und gerade die Konsumenten. Über Wein wird nun einmal mehr gesprochen als über Brokkoli.

Insofern ist es relativ einfach: Da diejenigen Protagonisten, die oft und gern über "Terroir" sprechen, auch oft über biologisch-dynamischen Weinbau sprechen, kommt man früher oder später auch auf Steiner und dessen Relevanz für die anthroposophische Praxis in der Gegenwart.
Zwingend sind diese Zusammenhänge keinesfalls. Man kann auch ohne Steiner biologisch-dynamisch arbeiten, vor allem aber auch ohne biologisch-dynamisches Arbeiten "Terroir-Weine" erzeugen.

Beste Grüße
Guido
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BuschWein

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Re: Terroir - wer hat Recht?

BeitragFr 30. Dez 2011, 14:04

@Charlie
Da habe ich mich wohl missverständlich ausgedrückt, ich glaube, dass es auch in Frankreich heute nicht mehr möglich ist eine Terroirkultur zu erzeugen, die regionale Enge sehe ich heute einfach nicht mehr gegeben.

Deshalb finde ich den Begriff authentische Weine besser, gleichwohl kann man hier sicher auch wieder streiten, was das jetzt heißen soll/darf.
Armin
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Birte

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Re: Terroir - wer hat Recht?

BeitragFr 30. Dez 2011, 14:06

Über Wein wird nun einmal mehr gesprochen als über Brokkoli.



Herzlichen Dank, Einzelflaschenfreund. Als Zitat habe ich mir natürlich einen Lieblingsatz "herrrausgepickt". Da morgen Silvester ist, beschäftige ich mich jetzt mal mit Sauerkraut, statt mit Brokkoli. Ja, dennoch, ich mag diese Steiner Sachen sehr, wenn es nicht zu einer Religion wird...
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Einzelflaschenfreund

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Re: Terroir - wer hat Recht?

BeitragFr 30. Dez 2011, 14:13

Btw, entsprechende Steiner-Diskussionen findet man gänzlich Wein-fern auch beim Thema Waldorf-Pädagogik. Und da eher noch einen Tacken schärfer, denn im Zweifel lässt sich die Erziehungspraxis deutlich schlechter von bestimmten weltanschaulichen Wurzeln entkoppeln als der Weinbau.
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