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Libanon

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Georg R.

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Re: Libanon

BeitragSo 24. Nov 2019, 21:51

Das ist mal ne Fleissarbeit, Respekt!

Gruss
Georg
Man kann die Erkenntnisse der Medizin auf eine knappe Formel bringen: Wasser, mäßig genossen, ist unschädlich.
Mark Twain
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bordeauxlover

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Re: Libanon

BeitragSo 24. Nov 2019, 22:00

Danke auch von mir für den richtig tollen, informativen Bericht über eine - zumindest aus mitteleuropäischer Sicht - etwas ausgefallenere Weinbauregion!

Schöne Grüße
Armin
Armin
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austria_traveller

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Re: Libanon

BeitragDi 26. Nov 2019, 16:41

Super Reisebericht !
Vielen Dank
Beste Grüße
Gerhard aus Wien
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Jürgen

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Re: Libanon

BeitragDi 26. Nov 2019, 17:31

Auch von mir vielen Dank für deinen seht ausführlichen Bericht. Ich hatte übrigens am letzten Freitag eine Chateau Musar Probe organisiert. Dazu passt dein Bericht natürlich super :D
Bild
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stollinger

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Re: Libanon

BeitragSa 30. Nov 2019, 13:01

Es freut mich zu hören, dass meine unter Umständen langen Posts (die ich gerne auch für mich schreibe, um meine Eindrücke zu sortieren) tatsächlich gelesen werden, danke!

... es ging dann weiter zur Iris Domaine in Btalloun, unweit vom Château Belle Vue.

Iris Domaine.JPG

Sarmad Salibi hat 2003 begonnen Weinreben in seiner Heimat zu kultivieren und die Iris Domaine gegründet, 5ha in 1000 - 1200 m höhe. Vorher hat Sarmad Salibi in den USA studiert (irgendwas mit Wirtschaft) und gelebt. Es stehen auch Reben von Tafeltrauben hier.

Iris Domaine 2.JPG

Ich habe das Bild gewählt, weil man hier ganz gut sehen kann, dass der Boden hier, im Vergleich zu Château Belle Vue, lehmhaltiger ist und besser das Wasser speichern kann. Das führt nach Angaben von Sarmad Salibi dazu, dass seine Reben im Sommer weniger Trockenstress erleiden. Wie man sehen kann, hatte es mittlerweile angefangen in Strömen zu regnen.

Iris Domaine 3.JPG
Weinreben der Domaine

Die Domaine macht nicht jedes Jahr einen eigenen Wein, in manchen Jahren werden die Trauben verkauft. Wir konnten zwei Jahrgänge seiner roten Cuvée verkosten. Die Weine werden in französischer Eiche (unterschiedliche Toasting-Grade, aber mindestens medium) ausgebaut.

Iris Domaine - red - 2011 (Merlot, Cabernet Sauvignon, Cabernet Franc, Syrah):

Bild

Der Wein hat mir gut gefallen. Die Domaine verfügt über keinen eigenen Keller und mietet sich zur Weinbereitung in Keller anderer Weingüter ein. Das hat zur Folge, dass die Trauben erst geerntet und eingebracht werden können, wenn der Vermieter mit seiner Weinbereitung durch ist. Im Jahrgang 2011 wurde der Wein bei Château Belle Vue gemacht, auch vom Winemaker (weiß leider nicht wer das ist und ob m/w) vom Château Belle Vue.

Ich finde schon, dass man den Stil vom Château Belle Vue hier wieder findet, gerade im Vergleich zum vorhergegangenen Genuss vom selben Jahrgang. Eine frische, elegante Säure und eine sehr klare Frucht. Man merkt aber auch, dass der Wein insgesamt eine reifere Frucht hat, voller und extraktreicher ist. Die Trauben haben zwei Wochen länger am Rebstock gehangen und der schwere Boden unterstützt dieses Stilelement zusätzlich.

Als zweites haben wir die rote Cuvée aus dem Jahr 2014 probiert. Hier hat sich die Rebsortenzusammensetzung geändert (Cabernet Franc, Cabernet Sauvignon, Petit Verdot). Das liegt daran, dass Sarmad Salimi einen Teil der Trauben verkauft hat und zusätzlich Petit Verdot neu gepflanzt hatte. Die Überlegung ist, dass der Petit Verdot dem Wein mehr Frische geben soll, deshalb wohl auch ein verhältnismäßig (im Vergleich zu Weinen aus Bordeaux) hoher Anteil in der Cuvée.

Iris Domaine - red - 2014:

Bild

Zusätzlich wurde dieser Jahrgang nicht beim Château Belle Vue ausgebaut, sondern in einem anderen Weingut, auch von einem anderen Winemaker. Ich habe dummerweise nicht gefragt wo, in der Region gibt es meines Wissens aber nur noch das Clos Cana.

Man merkt dem Wein den Stilwechsel an. Insgesamt noch voller, weicher und reifer. Dafür weniger Finesse als der 2011er. Ich denke, was man bevorzugt, ist den persönlichen Vorlieben geschuldet. Bei mir ist es der 2011.

Die Verkostung und das Gespräch mit Sarmad haben viel Spass gemacht, bei strömenden Regen saßen wir ohne Strom bei ihm in der Domaine.

Iris Domaine 4.JPG
Sarmad Salibi

Die Kapazität der Stromkraftwerke ist im Libanon nicht ausreichend, deshalb wird in den meisten Teilen des Landes der Strom für ca. sechs Stunden am Tag ausgeschaltet. So kam es, dass zum Ende des Besuchs noch ein Fassmuster von einem reinsortigen Petit Verdot aus 2019 im Schein unserer Handy-Taschenlampen im Keller (also ein Verschlag, in dem die Weine lagern und ein kleiner Gärtank steht) verkosten konnten. Die anderen Trauben aus 2019 sind verkauft worden.

WP_20191115_16_56_17_Rich.jpg

Iris Domaine - Petit Verdot 2019 - Fassmuster:

Rot-violett, kräftig gefärbt. Duft von Veilchen und Kirsche. Evtl. ganz leicht Brett.

Im Mund eine frische, fruchtige Säure. Kräftigerer Körper und Extrakt mit Süßeeindruck. Sehr frische und intensive Kirschfrucht, etwas Traubenzucker. Voll und weich, gute Länge.

Sarmad Salibi sagte, dass der sehr spät reifende Petit Verdot im Libanon reif wird, was im Bordeaux nicht immer der Fall sei. Ich weiß nicht, ob das so stimmt. Reif war der Verkostete jedenfalls.

Die fehlende Stromkapazität im Libanon ist leider nicht so romantisch, wie das hier im ersten Moment anklingt. Das größte Kraftwerk steht in der Nähe von Beirut und wird mit Schweröl betrieben. Auf dem Rückweg von unserer nächsten Wein-Station habe ich ein Bild machen können, die beiden Schlote in der Bildmitte, im Hintergrund (unter der Dunstglocke) Beirut.

WP_20191116_16_11_07_Rich.jpg

Was das für Konsequenzen für die Umwelt und die Menschen hat, kann man sich denken und etwas mehr kann man in diesem kurzen Arte-Bericht sehen [Link].

Grüße, Josef
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stollinger

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Re: Libanon

BeitragSo 1. Dez 2019, 17:06

Am nächsten Tag ging es weiter, die Küstenstraße von Beirut in Richtung Norden, nach Batroun.

Als erstes haben wir das Weingut Batroun Mountains - Organic Wines besucht. An der angegebenen Adresse steht nur eine Villa im Rohbau, wir konnten das Weingut erst nicht finden. Nachdem wir eine Weile in der Gegend rumgekurvt sind, haben wir den Rohbau etwas genauer inspiziert und haben auf der Rückseite den Zugang zum Keller gefunden. Da befindet sich das Weingut und Assaad Hark, der Gründer, war anzutreffen.

Assaad Hark hat Önologie in Californien studiert und ist dann in den Libanon zurückgekehrt, um sein Weingut zu gründen. Die ersten Reben wurden 2004 gepflanzt, sechs Weingärten an unterschiedlichen Standorten bzw. Dörfern (Andoula, Basbina, Kfifane, Edde, Jrane, Kfour-Arbi) im Batroun District, der sich von der Küste östlich bis zu den Gipfeln des Mount Lebanon ersttreckt. Entsprechend liegen die Weingärten in den Bergen hinter dem Weingut in einer Höhe von 400 - 1500 m.
Die oben erwähnte Villa wurde als Heim für seine Familie (er hat sechs Kinder) gebaut. Der Bau ging langsam voran, die Prioritäten haben sich geändert. Seit neun Jahren fehlt das Geld zum Weiterbau, die Kinder sind zum Studieren in den USA, dass muss bezahlt werden. Eine seiner Töchter studiert ebenfalls Önologie in den USA und soll seine Nachfolge antreten.

Am Rohbau ist ein schöner Aufschluss vom Kalksteinboden in der Region:

Batroun Mountains.JPG

Der Kalkstein hier, und im Bereich der Reben, stammt aus der Kreidezeit. Insgesamt ist die Region sehr felsig, die Bodenauflage ziemlich karg. Das Klima ist mediterran.

In seinem Keller konnten wir einige Weine verkosten. Angefangen mit zwei Weißweinen aus dem Jahrgang 2019 (die Trauben im Libanon treiben früh aus und reifen früher als in Europa). Die Preise habe ich nicht im Kopf, war aber unter 10€. Trotzdem zwei nicht sehr erbauliche Weine, richten sich nicht an Weinfreaks.

Aus sieben unterschiedlichen Rebsorten, darunter auch drei Autochthone (Chardonnay, Sauvignon Blanc, Riesling, Muscat, Merwah, Obeidi, Youssfi).

Seven - Batroun Mountains - 2019:

Bild

Rebsortencharakter kann ich da nicht wirklich erkennen, schmeckt halt fruchtig-dropsig.

Chardonnay- Batroun Mountains - 2019:

Bild

Noch extrem jung, vielleicht auch deshalb so fruchtig-dropsig. Aber was Gutes wird das glaube ich nicht mehr.

Recht interessant, und durchaus gut, fand ich den Riesling. Die Trauben wachsen auf 1500 Meter Höhe in der Nähe des Dorfs Kfour. Die Bilder von dem Weingarten sind recht schön, kann man sich auf der Homepage des Weinguts ansehen.

Riesling - Batroun Mountains - 2017:

Bild

Ich finde den Wein für einen Riesling recht typisch. Auf dem Niveau von einem guten Ortswein.

Das Weingut macht ca. 60.000 Flaschen im Jahr, hier ist ein Teil des Kellers zu sehen:

WP_20191116_12_16_58_Rich.jpg

Es gibt auch Weine, die im Barrique ausgebaut werden. Dahinter die Kalksteinschichten.

WP_20191116_12_17_31_Rich.jpg

Im Libanon gibt es keine Fassbinderei. Alle Fässer müssen importiert werden. Ich vermute, dass ganze übrige Equipment zur Weinbereitung (also Gärtanks, Pumpen, Schläuche, Flaschen, Korken,...) ebenfalls.

Allgemein gibt es im Libanon wenig industrielles und produzierendes Gewerbe, die Wirtschaft ist stark in Handel und Dienstleistung, ein Großteil der industriellen Güter muss importiert werden. Daraus ergibt sich ein ausgeprägter Importüberschuss und ein damit verbundenes Leistungsdefizit, was neben der massiven Staatsverschuldung eine der großen wirtschaftlichen Herausforderungen des Libanons ist.

Die beiden probierten Rotweine wurden im Barrique ausgebaut und haben mir recht gut gefallen.

Prestige rouge - Batroun Mountains - 2012:

Bild

In Andoula-Village werden die Trauben für den Cabernet Sauvignon auf 950 Metern angebaut.

Cabernet Sauvignon - Batroun Mountains - 2013:

Bild

Die Weine sind tendenziell von Stil etwas internationaler, Neue-Welt geprägt. Meiner Meinung knapp auf dem Niveau eines Cru Bourgeoise. Die Frucht und Aromen recht reif, die Säure trotzdem noch mit guter Frische. Jetzt in einer schönen Reife, würde ich nicht mehr länger liegen lassen. Gerade für das allgemeine Preisniveau von Wein im Libanon recht günstig, im internationalen Vergleich ein ordentlich bis guter Preis.

Batroun Mountains nimmt für meine Wahrnehmung eine Nische des Weinbussines im Libanon ein. Das Weingut ist schon vom Winzerhandwerk geprägt, konkurriert aber mit den großen Weinkellereien, die sich mit Tasting-Räumen und Veranstaltungen, Weinseminaren, Gastrobetrieb mit Eventcharakter etc. als edel und hochwertig inszenieren und an wohlhabende Libanesen wenden. Der Konsum von Wein ist im Libanon nicht so kulturell verwurzelt wie z.B. in Frankreich oder auch in Deutschland, in den Weinbauregionen. Wein wird auch deshalb getrunken, um etwas darzustellen. Deshalb sind die Weine im Libanon oft sehr zugänglich, international, mainstream und implizieren mit einem hohen Preis Wertigkeit. Als nächstes haben wir IXSIR besucht, daran lässt sich das gerade beschriebene gut veranschaulichen.

Vom Weingut aus, habe ich noch ein Bild in Richtung Küste gemacht. In der Mitte sieht man das Werk von Lebanon Chemicals.

Batroun Mountains 2.JPG

Ich hoffe, dass das türkis gefärbte Wasser von dem Kalkwerk in der Nähe stammt und nicht vom direkt anliegenden Chemie-Werk. Allgemein wird vom Verzehr von Fisch von der Küste des Libanons abgeraten, Baden sollte man in den meisten Teilen der libanesischen Küste auch nicht.

Grüße, Josef
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stollinger

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Re: Libanon

BeitragSo 8. Dez 2019, 11:32

danach ging es dann zum Mittagessen zu IXSIR. Das Weingut wurde 2007 unter Beteiligung des damaligen (und jetzt ehemaligen) CEO von Renault-Nissan-Mitsubishi Carlos Ghosn gegründet und hat sich zum Ziel gesetzt das beste Terroir im Libanon im Wein zugänglich zu machen: The vision behind IXSIR is to reveal the best terroirs of Lebanon, some long since forgotten.

Es wurde ein Weingut mit Keller gebaut, dazu 120 Hektar Rebfläche, dass meiste von Vertrags-Traubenbauern, aus den unterschiedlichsten Regionen des Libanons (Basbina, Ainata, Deir El Ahmar, Halwa, Niha, Kab Elias, Jezzine). Wenn auch der Großteil der Trauben in der Bekaa angebaut werden (im Osten des Libanon-Gebirges), steht das Weingut selber in der Nähe von Batroun, in Basbina (auf der Westseite des Libanon-Gebirges). Als Berater wurden die Bordeaux-Önologen von Hubert de Boüard (Anteilseigner bei Château Angelus) engagiert (Hubert de Boüard Consulting).
Der Standort verrät, dass sich das Weingut mit Veranstaltungen, einem Restaurant und Tasting-Events an die wohlhabenden Bewohner aus Beirut als Kunden wendet, die gerne der schlechten Luft und der stickigen Hitze der Großstadt entfliehen. Batroun ist deutlich schneller und einfacher zu erreichen, als komplett Richtung Beeka über den Mount Lebanon zu fahren.

Die Rebstöcke in Basbina am Weingut haben wahrscheinlich eher Show-Charakter, besonders glücklich sehen sie nicht aus:

IXSIR.JPG

IXSIR 2.JPG

Zum durchaus leckeren Essen gab es einen Weißwein als Begleitung.

WP_20191116_13_50_05_Rich.jpg

IXSIR - Grand Reserve blanc - 2018:

Bild

Ziemlich weichgespült, ohne Ecken und Kanten. Etwas schwerfällig und zu reif für meinen Geschmack.

IXSIR - Grand Reserve blanc - 2011:

Bild

Die Trauben für den Wein stammen aus unterschiedlichen Weingärten, verteilt über den Libanon. Auch einzelne Rebsorten werden hier von unterschiedlichen Weingärten assembliert, je nach Jahrgang unterscheiden sich auch die verwendeten Rebsorten in der Assemblage. Der Wein wird durch Ganztraubenvergärung bereitet, deshalb auch sehr fruchtbetont und nur wenige, weiche Tannine. Dann ordentlich Neuholz bei. Extrem gemacht, die Herkunft durch die Bereitung völlig unkenntlich. Ich habe den Preis von den beiden Grand Reserve nicht mehr im Kopf, meine aber, es war mehr als 20$.

Auf meinen Kommentar, dass ich fruchtbetonte Weine, besonders aus Ganztraubenvergärung, nicht besonders mag, habe ich noch diesen zum probieren bekommen, hätte aber weniger Parker-Punkte als der andere bekommen, wurde mir dazu gesagt.

IXSIR - Altitude red - 2015:

Bild

Ein paar schöne Gerbstoffe waren hier zu finden. Etwas mehr Profil und Ecken und Kanten als die anderen Beiden, aber insgesamt mit meinen Vorlieben nicht vereinbar.

Ich wurde nochmal darauf hingewiesen, dass die Grand Reserve zur Zeit ja auch mit dem speziellen und limitierten Weihnachts-Etikett erhältlich ist. Ist halt mehr Disney-World als Weingut, mit dem oben geschriebenen Anspruch,...reveal the best terroirs of Lebanon..., hat das ganze aber m.M. nach mal gar keine Schnittmenge.

Grüße, Josef
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stollinger

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Re: Libanon

BeitragSo 15. Dez 2019, 19:11

Ab Oktober 2019 kam es im Libanon zu (gegenwärtig noch andauernden) Protesten gegen die Regierung im Libanon. In den Nachrichten war ja einiges mitzubekommen, man kann Details z.B. auf Wikipedia nachlesen; ich will gar nicht anfangen, die Hintergründe zusammenzufassen, das ist eine politisch äußerst komplexe Sachlage. Das Zentrum der Proteste liegt in der Beiruter Innenstadt in der Gegend um den Märtyrer-Platz (Place des Martyrs).

WP_20191117_15_16_51_Rich.jpg

Im Vordergrung die Ruine des nie fertig gestellten Kinogebäudes (The Egg). Es war jahrelang abgesperrt und wird jetzt von den Protestierenden als öffentlicher Raum genutzt. Im Hintergrund die Mohammed-al-Amin-Moschee.

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So, noch schnell ein Selfie vor den Straßensperren gemacht und in Russenhocke vor den Einschusslöchern aus dem Bürgerkrieg posiert und dann weiter in das anliegende Viertel Gemmayzeh.

Gemmayzeh ist ein ziemliches Szeneviertel in Beirut, ein bisschen erinnert es an Prenzlauer Berg. Entlang der Straße Rue Gouraud befinden sich eine Reihe von Bars, Cafes, Restaurants und nicht zuletzt Barbiere, bei denen sich die Hipster ihre Bärte stylen lassen. Auch die Beteiligung der Beiruter Kulturszene an der Protestbewegung findet sich in Gemmayzeh in Form von Grafittis und Plakaten wieder.

WP_20191117_16_07_28_Pro.jpg

Ich habe mir erklären lassen, dass hier Thawra steht, arabisch für Revolution.

An besagter Rue Gouraud befindet sich auch der Wine Tasting Room des recht neuen Weinguts Vertical 33, benannt nach dem 33. Breitengrad, an dem sich ungefähr die Weinberge befinden. 2014 war der erste Jahrgang in Flaschen. Der Standort des Tasting-Rooms hat mit Sicherheit Image-bildende Funktion. Trend, Avantgard, Individualität, Lokalität, Internationalität, ... Die Story um das Weingut und ihre Philosophie möchte ich jetzt nicht im Detail wiedergeben, kann man sich bei Interesse alles auf der Homepage des Weinguts anlesen. Erwähnenswert ist, denke ich, das Yves Confuron (vom Weingut Confuron-Cotetidot und Domaine de Courcel aus dem Burgund) als Winemaker beteiligt ist. Analog zu den Weinen von Confuron-Cotetidot werden auch die Weine von Vertical 33 alle durch vollständige Ganztraubenvergärung bereitet.

Alle Rotweine werden bewusst reinsortig bereitet. Cinsault, Carignan, seit 2017 ein Cabernet Sauvignon und Pinot Noir, wohl in 2019 die erste Ernte. Die Weinberge liegen alle in der Beeka, teilweise an den Hängen und nicht direkt in der Ebene und sind alle gepachtet. Es werden keine Trauben zugekauft.

Angefangen mit dem Rose - Vertical 33 - 2017:

Bild

Den fand ich schon recht spannend. Funktioniert gut als Aperitif, wirklich mehr als ein Glas würde ich aber nicht wollen. Ist schon sehr speziell.

Dann gab es drei Rotweine zu verkosten.

Cinsault du Soir- Vertical 33 - 2017:

Bild

Mit dieser extremen Fruchtexposition kann ich wenig anfangen. Auch einige grüne Gerbstoffe, erinnern an Rappen, finden sich in dem Wein und harmonieren mit der Frucht ganz schlecht.

Carignan- Vertical 33 - 2017:

Bild

Der Carignan legt in Punkto Frucht noch mal eine Schippe drauf. Die Tannine etwas schöner als beim Cinsault, extreme Frucht. Auch nicht unschuldig beim Alkohol und Extrakt, was für einen Süßeeindruck sorgt.

Cabernet Sauvignon - Vertical 33 - 2017:

Bild

Auch der Cabernet Sauvignon schlägt in dieselbe Kerbe: Frucht, Frucht, Frucht. Recht zugänglich und voll, aber nichts für mich.

Die Weine sind noch sehr jung, vielleicht aus deshalb hinter der massiven Frucht eher unkenntlich.

Wahrscheinlich habe ich die Weine und das Konzept einfach nicht verstanden. Ich kann aber aus mehreren Gründen den Rotweinen wirklich ganz wenig abgewinnen. In meinen Wein-Lehrbüchern habe ich gelesen, dass es für Ganztraubenvergärung wichtig ist, dass die Trauben vollkommen reif sind. Ansonsten läuft man Gefahr, dass man sich grüne Tannine von den Rappen extrahiert. Fruchtaromen werden stark betont, man erhält eine sehr kräftige Farbe und Tannine werden nur sanft extrahiert und sind recht weich, die Säure behält eine gute Frische. Durch die Vergärung in offenen Behältern verfliegt ca. 1.5% Alhohol bei der Fermentation.

Alles das findet man auch in diesen Weinen. Was mir aber nicht gefällt, ist, dass durch die hohe Reife die Weine viel Alkohol haben und sehr viel Glycerin und deshalb alkoholisch-süß schmecken. Dieser volle Körper wird dann m.M. nach nicht ausreichend durch die Gerbstoffe strukturiert, ich empfinde die Weine als etwas konturlos. Und unabhängig von der Rebsorte schmecken die Weine einfach nur nach extremer Frucht. Ich erkenne nicht wirklich eine Sortentypizität.

Ich bin ja allgemein kein besonderer Fan von Ganztraubenvergärung, für mich ist Ganztraubenvergärung für die Weinbereitung irgendwie das, wie es sich mit Air-Brush-Technik bei der Malerei verhält: Schießt ziemlich schnell über das Ziel hinaus. Wenn gegenständliche Malerei vielleicht ein geeigneter Stil wäre, so etwas wie z.B. Terroir darzustellen, kommt da in meiner Vorstellung mit Airbrush eher so was bei rum. Ich finde, bei Ganztraubenvergärung ist sehr schwer das richtig Maß zu treffen, häufig lösen Weine aus Ganztraubenvergärung bei mir ähnliches aus, wie das Betrachten einer halbnackten Elfen-Kriegerin auf der Innenseite einer Motorhaube.

Ich habe es wahrscheinlich einfach nicht verstanden und bin natürlich auch ignorant. Ich blicke es nicht, wie Vertical 33 ihre "Mission and Vision" auf diese Weise umsetzen wollen: We see our operation as a mission to save and revive the microclimatic diversity of Mount Lebanon. These mountains with variable altitudes, the Mediterranean Sea, the humid west wind, an omnipresent sun and a myriad of other factors enrich our “terroir “ that should be expressed authentically and ethically in a product that respect the “ sense of place” and not the crushing globalization of flavors.

Mir ist Vertical 33 erst mal durch ambitioniertes Marketing und ambitionierte Preise in Erinnerung geblieben (kann mich nicht mehr genau erinnern, der Flaschenpreis lag aber über 25€). Wir haben uns etwas mit dem Mitbegründer George Cortas unterhalten. Als er hörte, dass wir aus Deutschland kommen, erzählte er uns, dass Riesling ja der kommende Pinot Noir sein wird (in bezug auf die erziehlbaren Preise). Ich bin ein skeptischer bis misstrauischer Mensch, ich habe ihm die Story von wegen Herkunft, Terroir, Authentizität etc. nicht abgekauft. Die wollen ihren Invest lohnend machen, ist ja auch in Ordnung. Aber was anderes erzählen nervt mich.

Um nochmal an den Anfang des Beitrages zurückzukommen, die Proteste im Libanon haben durchaus Event-Charakter, neben den politischen Kundgebungen läuft viel Musik, die Menschen sind ausgelassen und tanzen, Straßenhändler bieten Essen und Trinken an (z.B. frisch gepresster Granatapfelsaft, Fleischspieße, gegrillte Maiskolben). Nach den Kundgebungen führt es auch noch viele Menschen nach Gemmayzeh, um den Abend ausklingen zu lassen. Aus Solidarität zu den Protestierenden gab es bei Vertical 33 die Weine zum Drittel des Preises.

Grüße, Josef
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stollinger

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Re: Libanon

BeitragSa 21. Dez 2019, 17:44

zuletzt ging es noch in die Beeka, von Beirut aus über den Beirut-Damaskus International Highway. Der Highway stellt eine der wichtigsten Versorgungswege zwischen der Beeka und dem Küstengebiet des Libanons und zwischen dem Libanon und Syrien dar. Recht kurvenreich geht es auf ca. 1500 Meter hoch. Formal stellt dieser Highway eine Autobahn dar, einen Mittelstreifen gibt es aber nur teilweise, und gerade in diesen Bereichen sind Falschfahrer die Regel, die richtige Auffahrt zu nehmen, wäre ja ein Umweg; die Spuranzahl ist weitestgehend Interpretationssache. Die mittlere Geschwindigkeit liegt vielleicht so bei ca. 70 km/h, ist aber recht inhomogen durch hochmotorisierte SUVs und 60 Jahre alte LKWs, bis oben beladen, verteilt. Auf der Strecke sind wir an mehreren Unfällen vorbei gekommen, das war aber auch die einzige Aktivität im Libanon, bei der ich eine gewisse Angst verspürt habe.

WP_20191118_15_31_21_Pro.jpg

Ein liegengebliebener Lastwagen mit "Warndreieck".

Zur Küste hingewandt, auf der Westseite des Libanon-Gebirges, herrscht mediterranes Klima. Mit dem Eintritt in den Regierungsbezirk Bekaa ändert sich das. Auf der Ostseite des Libanon-Gebirges, wo sich die Bekaa-Ebene auf ca. 900 Metern Höhe erstreckt, herrscht hingegen kontinentales Klima mit heißen Sommern und kühlen Wintern. Im Winter fällt auch Schnee auf den Bergen und in der Ebene, was für ein reiches Grundwasservorkommen sorgt. Die Vegetation an der Ostseite des Libanon-Gebirges ist relativ karg, spärlich bewaldet. Die Libanon-Zedern gab es selbst im Altertum nicht auf der Ostseite, sondern hauptsächlich Wacholder.

WP_20191118_10_44_29_Pro.jpg

Der Eintritt in die Bekaa. Am Horizont zieht sich der Anti-Lebanon, das Grenzgebirge zwischen dem Libanon und Syrien. Ca. 23 - 30 km hinter dem Gebirge, etwa in Blickrichrtung, befindet sich Damaskus.

Die Bekaa-Hochebene ist die wichtigste landwirtschaftliche Zone im Libanon, neben Gemüse und Obst werden hier auch ca. 90% der Trauben für den Weinbau im Libanon angebaut. Die hohe Belastung mit Pestiziden und Schwermetallen hatte ich ja schon in einem der ersten Beiträge ausgeführt.

WP_20191118_10_49_18_Pro.jpg

Als erstes haben wir uns auf dem Weg zur Domaine de Baal gemacht. Ich vermute, benannt nach dem Gott Baal. 5 ha Reben, etwas oberhalb von Zahle auf etwas 1200 Metern gelegen [hier]. Die Reben stehen um die Domaine, nicht in dem landwirtschaftlichen Bewirtschaftungsgebiet in der Ebene und sind deshalb wahrscheinlich von der Belastung eher unbedenklich. Auf einer Kalksteinauflage sind die Böden hier etwas schwerere, rote Lehmböden durchsetzt mit Kalkstein. Das Bild ist in der Nähe des Weinguts entstanden:

Baal.JPG

Es war leider keiner da, die Weine haben wir uns dann später im lokalen Weinhandel besorgt.

Domaine de Baal- Le Petit Baal 2017:

Bild

Man merkt dem Wein seine Jugend an, sehr fruchtbetont. Endlich mal wieder ein Wein aus Ganztraubenvergärung :roll: . Ziemlich zugänglich und reichhaltig, dabei nicht unnatürlich. Mir aber zu sättigend und ermüdend vom Extrakt, der Süße, dem Alkohol und der intensiven Frucht.

Domaine de Baal- rouge 2013:

Bild

Natürlich auch wieder Ganztraubenvergärung. Am ersten Tag fand ich den Wein noch etwas einseitig fruchtbetont, es fehlte mir an Ausgewogenheit. Mit Luft entwickelt sich der Wein schön, gewinnt an aromatischer Komplexität. Ein voller, hedonistischer Wein; das hat Qualität, wirkt elegant.

Der einfachere Wein erinnert stark an einen beliebigen Vertreter aus dem Languedoc, der zweite geht m.M. in Richtung Bordeaux - rechtes Ufer. Aus libanesischer Sicht finde ich das nachvollziehbar, solche Weine zu machen, besonders weil die Qualität auch stimmt. Aus meiner mitteleuropäischen Perspektive brauche ich die nicht wirklich im Keller, da kann ich getrost beim Original bleiben.

Grüße, Josef
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stollinger

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Re: Libanon

BeitragDi 31. Dez 2019, 14:54

Nicht weit von der Domaine de Baal liegt das Château Ksara. Die Gründung 1857 geht wohl auf jesuitische Mönche zurück, 1973 wurde das Weingut dann privatisiert, hat zu dieser Zeit schon ca. 1.5 mio Flaschen im Jahr produziert. Die Weingärten verteilen sich über die gesamte Beeka-Ebene (zum einen am Chateau selber und noch in Tanail, Mansoura, Kanafar, Tal Dnoub, Tal El Deir, Keyfraya, Chlifa, Massa, Saghbine).

WP_20191118_11_24_32_Pro.jpg
Beeka-Valley. Blickrichtung: Süden

Auf der Homepage von Ksara gibt es einige Bilder von den Weingärten, das gibt einen guten Eindruck. Insgesamt bewirtschaftet das Ksara 440 ha und hat nach eigenen Angaben 40% Marktanteil im Libanon. Die Produktion beträgt 3 mio (habe mir leider nicht aufgeschrieben, ob Liter oder Flaschen, jedenfalls viel), 40% davon gehen in den Export.

WP_20191118_11_37_52_Pro.jpg

Am Weingut kann man Keller-Touren und verschiedenen Guided-Tastings buchen, ich habe ein Tasting für 10$ gebucht, was nur dar Premium-Segment beinhaltet, muss aber sagen, dass ich die Weine alle recht gut gefunden habe.

Château Ksara - Nuance - rose 2018:

Bild

Keine süße Fruchtbombe, sondern angenehm trocken und anregende Aromatik.

Château Ksara - Chardonnay - Cuvée du Pape 2016:

Bild

Der Chardonnay hat keine besonderen Überraschungen parat. Verkörpert einen weichen, vollen Stil. Richtung Crowd-Pleaser mit etwas Vanille vom Fass. Wenn auch recht schematisch, trinkt er sich doch recht schön.

Château Ksara - Réserve du Couvent 2017:

Bild

Eine fruchtbetonte Cuvée aus Syrah, Cabernet Sauvignon, and Cabernet Franc. Nicht so mein Interessengebiet.

Gut haben mir dann die anderen roten gefallen. Der Top-Wein ist eine Bordeaux-Cuvée aus Cabernet Sauvignon, Merlot und Petit Verdot. Château Ksara - Château 2014:

Bild

Schöne Gerbstoffe, kein Verschluss aber mit Sicherheit noch Potential für weitere Lagerung. Würde in einer Bordeaux-Blindprobe nicht auffallen.

Am besten hat mir der sortenreine Cabernet Sauvignon gefallen.

Château Ksara - Cabernet Sauvignon - Cuvée Spéciale 2012:

Bild

Schöne Säure, klare Aromatik und angenehme Gerbstoffe. Am Weingut gibt es auch gereifte Jahrgänge zu kaufen, in der Verkostung, wieder zuhause, zeigt sich, das dieser Wein auch gut reifen kann.

Château Ksara - Cabernet Sauvignon - Cuvée Spéciale 2002:

Bild

Sehr klassisch, ohne modernen Schnick-Schnack. Gerade, m.M. nach, in einem sehr schönen Reifezustand.

Insgesamt haben mir die Weine vom Château Ksara recht gut gefallen. Der Stil ist nicht so (über)reif, wie es bei anderen Weinen aus dem Libanon häufig der Fall ist, auch auf Ganztraubenvergärung und die damit verbundene Fruchtigkeit wird anscheinend verzichtet. Der Stil zwar etwas technisch geprägt, aber alles eher klassisch und weniger modern. Ich habe mir die Preise nicht notiert, meine aber, dass die Preise im Vergleich zu anderen Weingütern im Libanon eher moderat waren. Die verkosteten Weine lagen, glaube ich, so im Bereich 10 - 22€, das fand ich angemessen. Leider besteht hier die Problematik mit der massiven Belastung der Böden am Weingartenstandort in der Beeka-Ebene.

Grüße, Josef
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