Welchen Stellenwert und welche Bedeutung haben diese an einer Skala orientierten Bewertungen für Euch?
Ich würde nicht fragen, wenn ich nicht selbst eine Meinung dazu loszuwerden hätte. Diese ist aber für mich nicht in Stein gemeißelt.
- Nur Punkte ohne eine textliche Beschreibung haben für mich nahe null Aussagekraft.
- Punkte helfen mir als grober Anhaltspunkt, wie dem Trinkenden der Wein gefallen hat. Grobe Schritte sind dabei aber ausreichend aussagekräftig. Wenn ich selbst eine Zahl neben den Wein schreibe, dann ist diese wirklich sehr wild aus der Hüfte geschossen und soll mir nur als grober Anhaltspunkt für "schlecht", "mittelmäßig", "passabel", "grandios" usw. dienen.
- Besonders ernst nehme ich Punkte nicht. An mir selbst merke ich, wie stark das allgemeine Wohlbefinden, die Tagesform, der spezielle Moment, etc. den Eindruck eines Weines beeinflussen. Auf dem Weingut in netter Atmosphäre mit ein bisschen Hintergrundinformation schmecken Weine fast immer besser als z.B. auf einer Messe. Das ist wie der Besuch einer Ausstellung. Kunst ist oft erheblich interessanter, wenn einem der Künstler, ein Galerist oder ein Museumsdirektor erklärt, was hinter dem Kunstwerk für eine Idee, ein Konzept, etc. steht. Auch in netter Umgebung und in netter Gesellschaft schmecken Weine einfach erheblich besser als z.B. auf einem langweiligen Empfang.
- Als Anhaltspunkt für den Weinkauf dienen mir Punkte immer weniger (zu der Bordeaux-Subskriptions-Mania habe ich mich leider aber auch schon hinreißen lassen). Hin und wieder kaufe ich mal eine Flasche Wein nur wegen der Punkte, allerdings nur, wenn es sich um einen eher preisgünstigen Wein handelt (jedenfalls < 10 Euro), bei dem ein Fehlkauf nicht allzu weh tut.
- Ansonsten sind für mich unter anderem die folgenden in wilder Reihenfolge aufgelisteten Kriterien wichtig, die nur eine Textbeschreibung des Weingutes, seiner aktuellen Verfassung über das Gros des Sortiments hinweg und der einzelnen Weine bieten kann:
* Größe des Weinguts: Das ist natürlich nicht immer aussagekräftig, aber echte

* Böden/Lagen eines Weinguts und bestimmter Weine des Guts
* Art des Anbaus und des Ausbaus: Was wird im Weinberg gemacht, was wird im Keller gemacht (oder auch nicht)? Je mehr ich hierüber bei einem Weingut/einem einzelnen Wein weiß, desto leichter fällt mir eine grobe Einschätzung, was zu erwarten ist. Wichtig sind mir im Weinberg u.a. die Kriterien Art der Bewirtschaftung, Einsatz von Chemikalien, Art der Lese, Umgang mit Ertrag. Im Keller finde ich u.a. interessant, welchen Stil ein Gut generell verfolgt (ultra-traditionell, tendenziell traditionell, tendenziell modern, ultra-modern), die Gärmethode, die "Ausbau-Behälter" (Holzfass (sowie welche Art von Holzfass), Stahltank, Beton, Amphore, usw.) und sonstige Techniken.
* Generelles Qualitätsniveau: Ist das Gut bestrebt, über das Sortiment hinweg eine hohe Qualität in der jeweiligen Klasse zu liefern oder konzentriert man sich auf einige Spitzenweine als "Punktebringer" und viel Mittelmaß, das von dem Renommée der Spitzenweine profitiert?
* Typizität: Ist ein Weingut bestrebt, seine Weine sorten- und boden-/lagentypisch auszubauen? Ich brauche die Typizität nicht immer zwingend, aber mich interessiert, ob ich bei einem bestimmten Gut/bestimmten Weinen eines Guts auch das bekomme, was versprochen wird.
* Preis und Preiss/Genuss-Verhältnis
* Generelle Art eines Weins: Ist er elegant, ist er rustikal, ist er spritzig, ist er tief, ist er flach, ist er interessant, ist er langweilig, usw. usf.? Das ist für mich u.a. auch deshalb wichtig, weil ich manchmal eben einen rustikalen oder einen "nur" spritzigen Wein will.
* Lagerpotenzial/Lagernotwendigkeit: Hat der Wein Potenzial? Ist er für Potenzial vinifiziert? All das hängt natürlich auch vom jeweiligen Weintypus ab. Wenn ein traditionell lagerbedürftiger Wein auf schnelle Trinkbarkeit hin vinifiziert wird, bin ich z.B. prima facie etwas skeptisch, v.a. wenn ich mir bei dem Weintyp von längerer Lagerung eine Verbesserung verspreche. Bei einem Dolcetto oder einem Müller-Thurgau ist mir das Lagerpotenzial eher egal.
* Fehltöne (z.B. auffällig oft auftretende Korkschmecker, zu viel Holz, Überextraktion, übermäßig marmeladige Töne, offensichtlich künstliche Frucht durch Aromahefen)
* Aktueller Zustand: V.a. bei etwas gereiften Weinen, wie präsentiert er sich gerade?
* Eignung eines Weins als Essensbegleiter
* Alkoholgehalt: Weine mit einem niedrigen Alkoholgehalt sind mir generell sympathischer, ein hoher Alkoholgehalt ist aber alles andere als ein Ausschlusskriterium
Selbst probieren ist natürlich das Beste, ist aber nicht immer möglich, gerade wenn man ziemlich weit von einem wirklich guten Weinanbaugebiet entfernt wohnt (das schöne Sachsen möge mir diesen Seitenhieb verzeihen

Wie seht Ihr das?