Mi 23. Jun 2021, 16:28
NoTrollingerPlease hat geschrieben:thvins hat geschrieben:Um mich nicht, aber um das Thema an sich... Es gibt Gründe, wenn es plötzlich immer mehr gute Winzer gibt, die keinen Ausweg mehr sehen. Das sind auch gesamtgesellschaftliche Gründe. Es ist erschreckend, wenn man plötzlich das Gefühl haben muss, man werde zum Lebensretter, wenn man beim kleinen Winzer, Händler etc. kauft, sprich bei denen, die von der gegenwärtigen Politik vergessen worden sind.
Torsten, es ist immer tragisch und traurig, wenn Menschen sich umbringen. Persönliche Schicksale oder Krankheit sind Gründe, die jeden treffen können und die Menschen aus der Bahn werfen können.
Wirtschaftlicher Misserfolg ist jedoch für mich persönlich kein Grund für Selbstmord...
Wirtschaftlicher Misserfolg kling abwertend und negativ, damit ist es wohl auch nicht zu erklären in unserer gegenwärtigen Zeit. Ich habe auch außerhalb vom Weinbusiness von Leuten gehört, die sich wegen der Corona-Pandemie bzw. den Lockdown - Massnahmen umgebracht haben oder die deswegen schwer depressiv wurden. Wir reden da über (neben Winzern) auch andere kleine Einzelgewerbetreibende, einen Tätowierer beispielsweise, Leute aus der Gastro- und Eventbranche, kleine Händler, Künstler... Leute aus meinem regionalen Umfeld.
Auch bei Laurent Vaillé von wirtschaftlichem Misserfolg zu reden, trifft das Problem nicht im Geringsten, denn er war immer schnell ausverkauft, bevor es zu den Corona-Massnahmen kam. Das ist genau wie bei meinem Winzer Jaume Roca von Ficaria Vins. Seit dieser zum besten Winzer Kataloniens gekürt worden war vor einigen Jahren, stieg die Nachfrage rasant an und man musste um jede Flasche feilschen. Grade auch ich als Händler bekam immer zugeteilt - und ich hab in aller Regel genommen, was ich kriegen konnte, denn selbst im deutschsprachigen Raum gibt es immer mehr Fans, die seine Weine entdecken.
Dieses Jahr aber ist er dankbar über jede Kiste mehr, die ich ihm abnehme... die monatelangen Lockdowns der Gastronomie auch in Katalonien haben sein Geschäftsmodell zerstört, wenige Kisten an viele kleine Bars und Restaurants aufzuteilen, denn alle die sind jetzt zeitweilig weggebrochen als Käufer seiner Weine. Die Bars etc verkaufen erst mal das, was sie ohnehin noch liegen haben. Und das ist dank der Lockdowns oft zu viel... - ich kann mir vorstellen, dass es bei Grange des Pêres so ähnlich war. Außerdem funktionierte in den Lockdown - Monaten auch das Modell - "Besuch beim Winzer und Direktkauf nach Verkostung" nicht. Dazu kommt, dass viele potentielle Weinkunden selbst krisenbedingt mehr rechnen müssen und weniger kaufen können, selbst, wenn sie wollten.
Aber auch ich muss die Weine, die ich bei kleinen Winzern einkaufe, natürlich wieder an den Mann bringen, aber auch zu mir konnte monatelang niemand kommen, um in größeren Mengen was zu verkaufen. Und der typische Paketbesteller von heute bestellt flaschenweise... Ein Paket, 6 oder 12 Weine oder auch mal 15, aber dann je 1 Flasche pro Wein und Winzer, mit Glück mal 2 Flaschen vom selben Wein... Die Leute, die herkommen und an einer Verkostung teilhaben und die dann Wein auch kistenweise mitnehmen, den sie favorisiert haben, die gab es seit März 2020 nur mal 3,5 Monate im letzten Sommer, davor nicht und seit Mitte Oktober nicht mehr - mit einer Ausnahme an Ostern dieses Jahr, wo mal einer für einen Tag kam. Und Hilfen gibt es keine. Die bekommen nur die Großen und einige wenige Kleine, die gar nichts einnehmen. Selbst wenn du etwas mehr über das Internet verkaufst als vorher, es gleicht die anderen Kanäle nicht wirklich aus, aber du steckst in der Situation, dass du zu viel verkaufst, um Hilfen zu beantragen und viel zu wenig, um vernünftig zu überleben. So ist halt nun mal das System... Und dennoch, weil ich im Herzen noch viel zu positiv denke, habe ich einmal mehr in die kleinen Winzer investiert, deren Überleben mir etwas bedeutet...
Wirtschaftlicher Misserfolg ist es dann, wenn man es selbst verbockt hat irgendwie... Das, was aber gerade aktuell läuft, ist schon ein gesellschaftliches Phänomen. Und in sofern gilt der Satz tatsächlich, dass jeder, der gegenwärtig die Kleinen und die Idealisten durch seine Käufe unterstützt, dass er damit auch Depressionen vermeidet und im Extremfall Leben rettet... Auch wenn es Einem selbst nicht bewusst ist und man auch nicht aus dem Grunde Weine kauft. Sondern, weil einem die Weine an sich gefallen. Aber damit die einem auch weiter gefallen, muss man halt auch seine Winzer in den harten gegenwärtigen Zeiten unterstützen.