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Trocken und wenig Alkohol

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Gaston

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Trocken und wenig Alkohol

BeitragDi 19. Mai 2020, 18:29

Hallo in die Runde,

eine Frage, die mich beschäftigt: Vor allem an der Mosel, aber auch in anderen nördlicheren Anbaugebieten begegnet man gar nicht so selten trockenen Rieslingen, die mit 11 oder gar 10% Alkohol auskommen, und dabei ausdrucksstark sind, durchaus Substanz haben sowie keinerlei Anzeichen von Unreife zeigen (und also auch richtig gut sind, z.B. Müllen).

Woran liegt das? Ist das wirklich nur das geringere Mostgewicht des Ausgangsmaterials oder steckt da auch etwas Anderes (weinherstellungstechnisches?) dahinter? Gibt es auch trockene, gute, ausdrucksstarke Pfälzer Rieslinge mit 11% ?
Beste Grüße
Gaston
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Gaston

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Re: Trocken und wenig Alkohol

BeitragDi 19. Mai 2020, 19:08

Gaston hat geschrieben:Hallo in die Runde,

eine Frage, die mich beschäftigt: Vor allem an der Mosel, aber auch in anderen nördlicheren Anbaugebieten begegnet man gar nicht so selten trockenen Rieslingen, die mit 11 oder gar 10% Alkohol auskommen, und dabei ausdrucksstark sind, durchaus Substanz haben sowie keinerlei Anzeichen von Unreife zeigen (und also auch richtig gut sind, z.B. Müllen).

Woran liegt das? Ist das wirklich nur das geringere Mostgewicht des Ausgangsmaterials oder steckt da auch etwas Anderes (weinherstellungstechnisches?) dahinter? Gibt es auch trockene, gute, ausdrucksstarke Pfälzer Rieslinge mit 11% ?

Versuch einer eigenen Antwort: Die trockenen Moselaner haben ja oft nominell knapp unter 9g Zucker, wirken aber aufgrund der markanten Säure sensorisch trocken. Könnte das der Grund sein?
Beste Grüße
Gaston
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Bernd Schulz

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Re: Trocken und wenig Alkohol

BeitragDi 19. Mai 2020, 20:26

Hallo Gaston,


Gaston hat geschrieben:....Vor allem an der Mosel, aber auch in anderen nördlicheren Anbaugebieten begegnet man gar nicht so selten trockenen Rieslingen, die mit 11 oder gar 10% Alkohol auskommen, und dabei ausdrucksstark sind, durchaus Substanz haben sowie keinerlei Anzeichen von Unreife zeigen (und also auch richtig gut sind, z.B. Müllen)...


Solchen trockenen Rieslingen begegnet man meines Erachtens mittlerweile durchaus selten. Auch an der Mosel sind die Erzeuger, die in der Lage sind, ausdrucksstarke Rieslinge mit 11 oder noch weniger Umdrehungen zu erzeugen, rar gesät.

Gaston hat geschrieben:ibt es auch trockene, gute, ausdrucksstarke Pfälzer Rieslinge mit 11% ?


Kaum. Ich hatte mal eine ordentlichen trockenen Pfälzer mit 11,5% - aber das war schon eine Ausnahme....

Gaston hat geschrieben:Woran liegt das? Ist das wirklich nur das geringere Mostgewicht des Ausgangsmaterials oder steckt da auch etwas Anderes (weinherstellungstechnisches?) dahinter?


Es heißt immer, dass Spontanvergärung zu einer etwas geringeren Alkoholausbeute führt (weshalb das rein chemisch gesehen so sein soll, weiß ich nicht). Ansonsten wird wohl das geringere Ausgangsmostgewicht die entscheidende Rolle spielen, weshalb der Winzer Wege finden muss, Trauben zu erzielen, die bei guter physiologischer Reife ein möglichst niedriges Mostgewicht besitzen. So wie ich es verstanden habe, funktioniert das über die Arbeit im Weinberg. Und unabhängig davon kommt es wohl auch auf die Lage an - Martin Müllen hat mir gegenüber mehrfach erklärt, dass die Trauben im Hühnerberg bei gleicher physiologischer Reife immer ein paar Oechslegrade weniger auf die Waage bringen als die Trauben aus seinen anderen Lagen.

Die ganze Thematik halte ich für ziemlich komplex...

Herzliche Grüße

Bernd
Zuletzt geändert von Bernd Schulz am Mi 20. Mai 2020, 06:53, insgesamt 1-mal geändert.
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UlliB

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Re: Trocken und wenig Alkohol

BeitragMi 20. Mai 2020, 06:51

Gaston hat geschrieben:Versuch einer eigenen Antwort: Die trockenen Moselaner haben ja oft nominell knapp unter 9g Zucker, wirken aber aufgrund der markanten Säure sensorisch trocken. Könnte das der Grund sein?

Hallo Gaston,

ich bin nicht ganz sicher, ob ich Deine Frage richtig verstehe, aber hier ein paar Zahlen dazu:

Wenn man 9 Gramm Zucker restlos vergärt, entstehen daraus Pi mal Daumen etwa 4 Gramm Alkohol, das entspricht auf einen Liter rund 0,5%Vol. Heißt: statt einem Wein mit tatsächlichen 10,5%Vol und 9 Gramm Restzucker wäre, wenn man den Most hätte vollständig durchgären lassen, ein Wein mit gerade mal 11% Vol. entstanden. Riesig ist der Unterschied nun nicht.

Wenn ein trockener Wein wenig Alkohol hat, war das Ausgangsmostgewicht niedrig. Punkt. Die Kellertechnik kann daran allenfalls ein bisschen ändern (z.B. Spontanvergärung vs. RZH, Gärtemperatur), aber das bewegt sich in der Nachkommastelle.

Übrigens: 11%Vol. potentieller Alkohol entsprechen laut Tabelle 81°Oe. Das reicht an der Mosel schon für das Prädikat Spätlese (mindestens 80°Oe). Es hat mal Zeiten gegeben, in denen Winzer mit solchen Mindestmostgewichten bei ihren Prädikaten gearbeitet haben.

Gruß
Ulli
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amateur des vins

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Re: Trocken und wenig Alkohol

BeitragMi 20. Mai 2020, 07:05

UlliB hat geschrieben:Wenn ein trockener Wein wenig Alkohol hat, war das Ausgangsmostgewicht niedrig. Punkt. Die Kellertechnik kann daran allenfalls ein bisschen ändern (z.B. Spontanvergärung vs. RZH, Gärtemperatur), aber das bewegt sich in der Nachkommastelle.
Das stimmt so nicht ganz, Stichwort Spinning Cone Column.

Ich denke allerdings, daß des Rätsels Lösung eher darin liegt, daß "ausdrucksstark" kein wohldefinierter Begriff ist.
Besten Gruß, Karsten
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UlliB

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Re: Trocken und wenig Alkohol

BeitragMi 20. Mai 2020, 07:20

amateur des vins hat geschrieben:Das stimmt so nicht ganz, Stichwort Spinning Cone Column.

Ah, ich hätte mir denken können, dass da ein Schlaumeier daherkommt... :lol:

Hier war nur von Riesling aus deutschen Anbaugebieten die Regel. Soweit ich weiß, gibt es in Deutschland noch keine SCC - irgendwo hatte ich übrigens gelesen, dass das Ding in D auch weinrechtlich nicht zuläsig ist.

Gruß
Ulli
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amateur des vins

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Re: Trocken und wenig Alkohol

BeitragMi 20. Mai 2020, 07:51

UlliB hat geschrieben:
amateur des vins hat geschrieben:Das stimmt so nicht ganz, Stichwort Spinning Cone Column.
Ah, ich hätte mir denken können, dass da ein Schlaumeier daherkommt... :lol:
Na, das kannst Du doch aber auch ganz gut. :P :lol:
...und zumindest bei Dir ist das auch gut so; ich lerne viel. :)
UlliB hat geschrieben:Hier war nur von Riesling aus deutschen Anbaugebieten die Regel.
Stimmt schon, daß das der Kontext des Threads ist. Deine Aussage zur Kellertechnik war allerdings generisch.
UlliB hat geschrieben:Soweit ich weiß, gibt es in Deutschland noch keine SCC - irgendwo hatte ich übrigens gelesen, dass das Ding in D auch weinrechtlich nicht zuläsig ist.
Durch Googeln findet man sofort einen Artikel aus 2007 über eine Testanlage in Geisenheim, und die Information, daß die EU das 2009 zugelassen hat für bis zu 2%punkte.

Aber schrub ich nicht, daß ich SCC nicht für die Erklärung halte...? ;)
Besten Gruß, Karsten
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EThC

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Re: Trocken und wenig Alkohol

BeitragMi 20. Mai 2020, 08:15

UlliB hat geschrieben:Die Kellertechnik kann daran allenfalls ein bisschen ändern (z.B. Spontanvergärung vs. RZH, Gärtemperatur), aber das bewegt sich in der Nachkommastelle.

Bernd Schulz hat geschrieben:Es heißt immer, dass Spontanvergärung zu einer etwas geringeren Alkoholausbeute führt (weshalb das rein chemisch gesehen so sein soll, weiß ich nicht)

Die chemische Reaktion Zucker --> Allohol ist immer die gleiche. Allerdings liegt der Zucker in den Trauben in unterschiedlicher Form vor, der größte Teil ungefähr zu gleichen Teilen Fructose und Glucose und ein eher kleiner Anteil an Saccharose. Erstere haben allerdings die gleiche Summenformel (C6H12O6, Einfachzucker), letzterer hat als Zweifachzucker C12H22O11, d.h. die Reaktionsformel zu Alk schaut da ein klein bißchen anders aus. Inwieweit der unterschiedliche molekulare Aufbau der Einfachzucker zu abweichenden Reaktionsmechanismen führt, weiß ich nicht, vielleicht kann sich ein Chemiker dazu äußern. Saccharose ist da sicher (etwas) anders zu betrachten, aber da deren Anteil eher im niedrigen einstelligen Prozentbereich liegt (soweit ich weiß), dürfte das auch nur im Nachkommabereich Auswirkungen haben, falls sich bei den Trauben unterschiedliche Teilzuckergehalte zeigen sollten.

Ansonsten: geschmackliche Dichte hängt nicht allein am Alk, sondern in erster Linie an den sonstigen aromenbildenden Stoffen in den Trauben, wenn ich das mal so laienhaft beschreiben darf. Ich beziehe mich da auch gerne auf die Aussagen von Christian Tschida vom Neusiedlersee, der (ungefähr sinngemäß zitiert) seine Trauben "zwingt", mehr aromatische Stoffe denn Zucker auszubilden. Seine dicksten -durchgegorenen- Geschosse haben dann 12,5 Umdrehungen, eine 13 habe ich noch nie auf seinen Flaschen gesehen, auch z.B. sein 2011er Syrah "Felsen II" bleibt da d'runter; seine Weine liegen eigentlich immer gut zwei Prozentpunkte unter denen der Nachbarn. Seine Philosophie ist es, die Reben zu zwingen, ihre Wurzeln möglichst weit nach unten zu entwickeln und eine Nährstoffaufnahme aus den bodennahen Schichten zu minimieren. Deshalb steht zwischen seinen Rebzeilen auch immer meterhoch das Unkraut, welches den Reben auf dem ersten Meter Konkurrenz machen soll. Wie das dann konkret in der Pflanze funktioniert, sei mal dahingestellt.

Nun gibt es insbesondere bei den Steillagen an der Mosel ja auch von Haus aus sehr karge Böden, vielleicht sind die Mechanismen da grundsätzlich ähnlich...
Viele Grüße
Erich

Nicht was lebendig, kraftvoll, sich verkündigt, ist das gefährlich Furchtbare. Das ganz Gemeine ist's
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was immer war und immer wiederkehrt und morgen gilt, weil's heute hat gegolten.

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UlliB

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Re: Trocken und wenig Alkohol

BeitragMi 20. Mai 2020, 08:57

EThC hat geschrieben:Die chemische Reaktion Zucker --> Allohol ist immer die gleiche. Allerdings liegt der Zucker in den Trauben in unterschiedlicher Form vor, der größte Teil ungefähr zu gleichen Teilen Fructose und Glucose und ein eher kleiner Anteil an Saccharose. Erstere haben allerdings die gleiche Summenformel (C6H12O6, Einfachzucker), letzterer hat als Zweifachzucker C12H22O11, d.h. die Reaktionsformel zu Alk schaut da ein klein bißchen anders aus. Inwieweit der unterschiedliche molekulare Aufbau der Einfachzucker zu abweichenden Reaktionsmechanismen führt, weiß ich nicht, vielleicht kann sich ein Chemiker dazu äußern. Saccharose ist da sicher (etwas) anders zu betrachten, aber da deren Anteil eher im niedrigen einstelligen Prozentbereich liegt (soweit ich weiß), dürfte das auch nur im Nachkommabereich Auswirkungen haben, falls sich bei den Trauben unterschiedliche Teilzuckergehalte zeigen sollten.

In frischen Trauben liegen etwa 5% der Gesamtzuckermenge als Saccharose vor, der Rest ist zu gleichen Teilen Fructose und Glucose. Nach dem Abpressen invertiert allerdings ein Teil der Saccharose zu Glucose und Fructose, der Prozess ist zeit- und temperaturabhängig. Nach längerer Maischestandzeit dürfte der Saccharosegehalt im Most sehr niedrig sein.

Die Hefe verarbeitet alle drei Zuckerarten. Saccharose wird durch das hefeeigene Enzym Invertase in Glucose und Fructose gespalten. Fructose wird auf einem etwas anderen biochemischen Weg als Glucose verarbeitet, das Resultat ist das gleiche. Die Hefe präferiert aber die Verarbeitung von Glucose, und die wird deshalb zuerst verbraucht, so dass durch Gärungsabbruch entandene restsüße Weine mehr Fructose als Glucose enthalten.

Neben den genannten drei Zuckerarten gibt es aber im Most in geringen Mengen noch weitere Zuckerarten, z.B. Pentosen wie Arabinose, die die meisten Hefen nicht verarbeiten können, die aber analytisch im Gesamtzucker dennoch erfasst werden. Spontan vergorene Weine gären deshalb nur sehr selten auf Restzuckerwerte unter 1g/L durch, meistens bleiben sie irgendwo bei 2 Gramm stehen. Wer tatsächlich regelmäßig auf Null durchgären will, muss besonders gärungsfähige RZH verwenden.

Gruß
Ulli
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Gerald

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Re: Trocken und wenig Alkohol

BeitragMi 20. Mai 2020, 09:50

Hallo,

persönlich würde ich einmal vermuten, dass es hauptsächlich am niedrigeren Zuckergehalt des Mosts liegt - und das wieder durch Ertragsmengen (ist in D ja allgemein sehr viel höher als in südlicheren Ländern), Rebschnitt etc. bedingt.

Wahrscheinlich könnten viele Weingüter in D solche Weine produzieren und die Gründe, das nicht zu tun, liegen evtl. eher im wirtschaftlichen Bereich. Denn bei Otto Normalweintrinker gelten ja höhere Alkoholgehalte nach wie vor als Hinweis auf einen hochwertigen Wein. Bei uns in Ö machen die hochangesehenen Wachauer (zumindest nominell) ja noch immer das mit ihrer Klassifikation - ein Smaragd mit höherem Mindestmostgewicht gilt als der höherwertige, länger lagerfähige und natürlich teurere Wein.

Grüße
Gerald
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