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Lokale, alte Rebsorten in Deutschland nicht erwünscht?

Hohe Brisanz, kurzes Verfallsdatum
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michaelliebert

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Lokale, alte Rebsorten in Deutschland nicht erwünscht?

BeitragMo 31. Jan 2011, 15:03

Der Biologe Andreas Jung arbeitet seit Jahren an einer Bestandsaufnahme der alten, lokalen Rebsorten in Deutschland. Jetzt ist der Abschlussbericht fertig und darf nicht veröffentlicht werden, da die Ergebnisse manchem Bürokraten wohl nicht ins Konzept passen. Schade oder nicht?
http://michael-liebert.de/weintipps/rebenretter-wird-maulkorb-verpasst/
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Gerald

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Re: Lokale, alte Rebsorten in Deutschland nicht erwünscht?

BeitragMo 31. Jan 2011, 15:13

Hallo Michael,

na ja, wenn das mit den "130 Falschbenennungen" tatsächlich so stimmt und nicht nur ganz seltene Rebsorten betrifft, kann ich mir schon vorstellen, dass dieses Ergebnis auf wenig Begeisterung stößt. Man muss nur einmal überlegen, welchen Aufwand es bedeutet, das dann in der Praxis überall richtigzustellen ...

Wäre aber auch denkbar, dass das Ministerium den Bericht nur vorläufig nicht veröffentlicht, um den zuständigen/betroffenen Stellen wie auch privatrechtlichen Organisationen (z.B. Vereine) die Möglichkeit zu geben, die weitere Vorgangsweise zuerst einmal zu koordinieren?

Grüße,
Gerald
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mundschenk

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Re: Lokale, alte Rebsorten in Deutschland nicht erwünscht?

BeitragDi 1. Feb 2011, 01:13

Hallo Gerald,

In vielen Bereichen der Landwirtschaft, war in den letzten zwei Jahrhunderten ein starker Rückgang der Arten zu verbuchen (Getreidearten, Kartoffelsorten, Obstsorten, Gemüsesorten....).

Leider hat dieses weltweit verbreitete Phänomen des Sorten- und Artenschwundes auch vor der Weinrebe keinen Halt gemacht: von den ca. 10.000 durch Mutation, Zufallskreuzungen oder Züchtung entstandenen Rebsorten, sind heutzutage nur noch wenige hundert Arten von wirtschaftlicher Bedeutung

Gründe für das Verschwinden von Rebsorten gibt es viele:
- Mangelnde Anpassungsfähigkeit der Reben an das Klima
- mangelnde Anpassungsfähigkeit der Reben an den Mechanisierungsprozess
- Mangelhafte Weinqualität bestimmter Rebsorten
- Mangelnde Nachfrage seitens der Konsumenten
- Verschwinden des „ gemischten Satzes“ aus den Weinbergen
- Weingesetze, die Qualitätsweine nur noch aus bestimmten Rebsorten erlauben
- Verdrängung alteingesessener Rebsorten durch ertragsstärkere Neuzüchtungen
- Verdrängung alteingesessener Rebsorten durch die "internationalen Sorten" (wie z.B. Chardonnay, Cabernet Sauvignon, Sauvignon Blanc & Co . )

Vor diesem Hintergrund mussten leider auch viele Rebsorten weichen, die zwar qualitativ hochwertig, aber im Anbau arbeitsaufwendiger und/oder weniger ertragsreich waren als andere Rebsorten. Dieser Artenrückgang der Weinreben ist um so dramatischer zu bewerten, wenn man sich vor Augen hält, dass dadurch eine genetische Vielfalt verloren geht, die für die weinbaulichen Herausforderungen der Zukunft ( Klimaerwärmung, Trockenheit, erhöhte UV-Strahlung,... ) von großer züchterischer Bedeutung sein könnte.

Das beste Beispiel für die große züchterische Bedeutung auch scheinbar „unedler“ Rebsorten, bietet der „weiße Heunisch“, eine Rebsorte, die früher flächendeckend in vielen Ländern Mitteleuropas als Bestandteil des "gemischten Satzes" vorkam.
Bei dieser Rebsorte, auch unter den Synonymen Gwääss, Gouais, Heinsch, Hunschrebe, etc bekannt, handelt es sich zwar „nur“ um einen Massenträger der meist mindere Weinqualität erbrachte, dennoch wurde mittlerweile zweifelsfrei nachgewiesen, dass etliche der heute angebauten Rebsorten, darunter Chardonnay, Blauer Gamay, Auxxerois, und Riesling, in direkter Linie vom weißen Heunisch abstammen! ( Bei Bedarf kann ich in meinen Unterlagen nach Quellen suchen...)

Ich persönlich habe ein besonderes Faible autochthone Sorten wie z.B. den Gänsfüsser, den Tauberschwarz, den roten Riesling oder den Gelben Orleans aus Deutschland, den Cornalin oder Petite Arvine aus der Schweiz oder die vielfältigen autochthonen Sorten aus Frankreich, Spanien, Italien und Portugal. Ich empfinde all diese Rebsorten als schützenswert und sehe sie als eine Bereicherung in der Welt der „internationalen Rebsorten“ und "Mainstream-Weine".

Gottseidank gibt es in vielen Weinländern Verbände (z.B die "OIV" in Paris oder die „Bioversity International“ in Rom, sowie Forschungsinstitute ( z.B der Geilweilerhof) Winzer (z.B. die Knipser-Brüder aus Laumersheim,Gerhard Breuer aus Deutschland, Chanton aus der Schweiz, Foradori und Mastroberadino aus Italien,...), sowie Weinfreunde, ( wie z.B. Dr. Fritz Schuhmann der am Ungsteiner Weilberg jede Menge alter Rebsorten rekultiviert hat) die sich um die Erhaltung dieser historisch bedeutsamen Sorten bemühen.

Der erfolgversprechendste Ansatz diese Vielfalt zu erhalten, liegt meiner Meinung nach in der Slow-Food –Philosophie „retten durch konsumieren!“. Solange Weinliebhaber bereit sind, die Mehrkosten für die Erzeugung solcher Rebsorten -Raritäten zu tragen, wird es Winzer geben, die sich dieser Sorten annehmen!

Gruß

Peter
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robertz

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Re: Lokale, alte Rebsorten in Deutschland nicht erwünscht?

BeitragDi 1. Feb 2011, 09:31

Hallo

Zu diesem Thema fällt mir das Weingut Leth (in Fels am Wagram) ein. Hier werden (zumindest war das 2008 noch so) alte Rebsorten in einer Art Reb-Museum kultiviert.

http://www.wein-plus.de/oesterreich/Wei ... 10079.html

Auf einem Hektar in der Riede Floss werden von Franz Leth alte Rebsorten gesammelt, die zum Teil nahezu ausgestorben sind. Der Bestand ist auf 200 Sorten angewachsen, von jeder gibt es rund 15 Rebstöcke. Darunter sind zum Beispiel Brauner Veltliner, Elvira, Geißdutte, Grüner Portugieser, Grünling, Heunisch, Honigler, Königsast, Noah, Österreichisch-Weiß, Passatutti (Gutedel-Mutation), Riesliner und Slankamenka. Daraus werden zum Teil sortenreine Weine gewonnen.


Liebe Grüsse
Robert
Vergeblich klopft, wer ohne Wein ist, an der Musen Pforte. ;)
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WoFu

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Re: Lokale, alte Rebsorten in Deutschland nicht erwünscht?

BeitragDi 1. Feb 2011, 11:50

Moin, moin,

vielleicht wird ja die Arbeit zurückgehalten um einen Wissenvorsprung zu haben. Vielleicht soll ja offiziell eine Anlage mit den alten Rebsorten geschaffen werden, so als Kontrapunkt zu Austria. Vielleicht aber auch nicht, man soll die Hoffnung ja nie aufgeben...

Grüße

Wolfgang
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michaelliebert

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Re: Lokale, alte Rebsorten in Deutschland nicht erwünscht?

BeitragDi 1. Feb 2011, 13:51

Gerald hat geschrieben:Hallo Michael,

na ja, wenn das mit den "130 Falschbenennungen" tatsächlich so stimmt und nicht nur ganz seltene Rebsorten betrifft, kann ich mir schon vorstellen, dass dieses Ergebnis auf wenig Begeisterung stößt. Man muss nur einmal überlegen, welchen Aufwand es bedeutet, das dann in der Praxis überall richtigzustellen ...


Es scheint so, dass das Ergebnis seiner Arbeit eher unbequem ist. Und es muss ja nicht mal so sein, dass er in allen Punkten recht hat. Aber das Projekt wurde aus Steuermittel finanziert und somit sollte es einfach auch möglich sein, das Ergebnis nachzulesen und zu diskutieren...
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SchwarzerZierfahlner

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Re: Lokale, alte Rebsorten in Deutschland nicht erwünscht?

BeitragDo 3. Feb 2011, 20:57

Hallo,

so richtig habe ich das Ganze nicht verstanden oder falsch gelesen oder, oder.

Hr. Jung darf seine Forschungsergebnisse nicht veroeffentlichen, weil
2 Verbaende etwas dagegen haben. Wieso? Weil er von denen bezahlt wird, oder?
Sonst koennten sie das doch gar nicht.

Dann lese ich, dass diese Verbaende verlangt haben, dass er die kritischen
Aeusserungen ihnen gegenueber aus seinem Bericht entfernen soll, weil sie
es deshalb nicht veroeffentlichen wollen. Also schreibt er seine Arbeit um,
veroeffentlichen darf er sie immer noch nicht. Oder?

Dann schickt Hr. Jung eine Petition an einen Politiker.
Aber wieso soll dieser ihm helfen koennen, wenn er sich mit den Verbaenden zofft?
Mein Eindruck ist nebenbei, dass er sich mit denen schon laenger zofft.

Also verstehen tue ich das alles nicht.

Was ich mir zusammenreimen kann: Wenn das mit der Fehlklassifizierung stimmt, dann
habe ich Verstaendnis dafuer, dass die untersuchten Winzer nicht als die
Dummen dastehen wollen, wenn sie quasi nicht mehr Riesling auf ihre
Flaschen schreiben duerfen, sondern nur noch "Cuvee aus Riesling, Putzscheere
und Gelber Heunisch". Deshalb will sie der Verband schuetzen, oder?
Die Moeglichkeit genetischer Untersuchungen von Wein sind noch nicht sehr alt,
und konsequent angewandt wuerde wohl rauskommen, dass etwa 75% aller Reben
falsch klassifiziert sind. Alles andere wuerde mich wundern.

Vielleicht sollte Hr. Jung seine Ergebnisse an Wikileaks schicken ;)

Noch einen schoenen Abend
SchwarzerZierfahlner
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michaelliebert

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Re: Lokale, alte Rebsorten in Deutschland nicht erwünscht?

BeitragDi 31. Mai 2011, 12:00

Andreas Jung hat nicht nur eine interessante Studienarbeit geschrieben, sondern auch in einem privaten Projekt, alte Rebsorten zusammengetragen. Dieser Weinberg mit 45 alten Rebsorten ist nun akut gefährdet:
http://michael-liebert.de/weintipps/deutschlands-rebengedaechtnis-kein-geld-fuer-pflege/
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Dirk Würtz

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Re: Lokale, alte Rebsorten in Deutschland nicht erwünscht?

BeitragDi 31. Mai 2011, 12:33

Hallo Michael,

das Projekt ist gerettet, das Geld ist da!
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SchwarzerZierfahlner

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Re: Lokale, alte Rebsorten in Deutschland nicht erwünscht?

BeitragDo 2. Jun 2011, 10:05

Hallo,

das war mir alles noch gar nicht bekannt.
Vor allem folgende schlechte Nachricht hat mich ueberrascht:

http://www.vinum.ch/blog/?s=spendenaufruf
Der Winzer, welcher den Weinberg bisher betreute, hat die Arbeit aus gesundheitlichen Gründen mit sofortiger Wirkung eingestellt und wird sie auch nicht mehr aufnehmen.


Bislang war ich mit dem Winzer sehr zufrieden.
Mit einer Patenschaft beim Suedpfalzweinberg bin ich seit Anfang an dabei gewesen.
Uebrigens kommt auch mein Username von den Reben, fuer die ich dort Pate bin.
Nun werde ich schauen, ob ich noch die Emailadresse des Winzers finde,
damit ich mich bei ihm fuer die letzten Jahre bedanken kann und ihm gute Besserung
wuenschen kann.

Mit freundlichen Gruessen
SchwarzerZierfahlner
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