Gerald hat geschrieben:Ich glaube, das ist auch einer gesellschaftlichen Entwicklung zu verdanken. Früher war es für die breite Öffentlichkeit wohl ein Zeichen völliger Abgehobenheit und Dekadenz, teure Weine zu trinken - so wie sich mit einem 100-Dollar-Schein die Zigarre anzuzünden. Ich erinnere mich noch an einen kleinen Skandal aus dem Jahr 2006, als der damalige österr. Bundeskanzler (Sozialdemokraten) in den Medien bekannt hat, gerne teure Bordeaux zu trinken. Das wurde ihm sehr übel genommen und quasi das moralische Recht abgesprochen, für die arbeitende Bevölkerung zu sprechen. Wenn seine Kollegen hingegen ein Auto der Oberklasse fahren oder in einer teuren Villa wohnen, hat das niemanden gestört.
Jetzt dürfte sich das Blatt gewendet haben - teure Weine zu trinken, scheint nun eher als Zeichen von Genießertum und Kultiviertheit zu gelten und nichts mehr, dessen man sich schämen muss. Dass da die Winzer auch gerne mitspielen und fast jeder frühere Fassweinproduzent jetzt seinen Topwein um 30, 40 oder mehr Euro die Flasche anbietet - und auch verkauft, ist letztendlich nur logisch ...
Ist das so? 2012 gab‘s ja eine ähnliche Situation, als der deutsche Sozialdemokrat Peer Steinbrück äußerte, von einem Pinot Grigio für 5€ sei nicht viel zu erwarten. Für unsereins eine Binse, für die Öffentlichkeit ein Affront.
Ich würde bezweifeln, dass die Reaktionen jetzt so anders wären. Sobald ein Grünen-Politiker höhere Standards beim Thema Klimaschutz und Ernährung einfordert, kriegt er ja auch gleich zu hören, wie abgehoben und „die“ gesellschaftliche Realität verkennend er spräche (und das meist ausgerechnet von Politikern der CDU und FDP).
Die Analyse von Ulli scheint mir am plausibelsten und bestätigt das Auseinanderdriften der Gesellschaft, das ich ja schon angesprochen hatte. Interessant dabei finde ich, dass das – obwohl die Dynamik immer mehr zunimmt – im Gegensatz zu früher gar nicht mehr so sehr als Problem wahrgenommen wird. Vielleicht ist es von den anderen Problemen bzw. Krisen überschattet. Das letzte Mal nämlich, als das Thema wirklich viel Aufmerksamkeit erhielt, war mit dem Video von Rezo gerade vor der Corona-Pandemie.