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Re: Nordrhone

BeitragVerfasst: Do 3. Nov 2022, 00:26
von Créot
Ich check vielleicht bald mal einen 16er Grisieres an. Das schöne ist doch: man weiß es nie genau und muss immer wieder ein Flasche aufmachen...

Re: Nordrhone

BeitragVerfasst: Mo 28. Nov 2022, 21:32
von amateur des vins
Aus gegebenem Anlaß habe ich nochmal nachgesehen, ob ich nicht doch schon eine Flasche davon hatte, und siehe da: ich hatte, vor gut einem Monat!

Stéphane Ogier, L'Âme Sœur 2013
          "Syrah de Seyssuel" VdP


Etwas trübes Rubinrot, mitteldicht, keine Aufhellungen.
In der Nase ein Echo dunkler Frucht (Schwarzkirsche), im Gleichgewicht mit zart einsetzenden Tertiäraromen (Leder). Etwas Cranberry und ganz im Hintergrund ein wenig Bleistift. Die zarteste Andeutung von schwarzem Pfeffer.
Am Gaumen androgyn coté féminin. Mittelgewichtig, kühl, leicht säuerlich. Feine Adstringenz. Kirsche. Etwas Lorbeer.
Toller Syrah. Deutlich auf der eleganten, feinen Seite, wenngleich minimal kerniger als der überaus charmante 2017er. Gefällt!

Re: Nordrhone

BeitragVerfasst: Do 5. Jan 2023, 20:56
von amateur des vins
Ich genieße es sehr, daß mein Keller es inzwischen zuläßt, zu fast beliebigen Speisen einen Wein zu finden, der sich zumindest nicht damit beißt. Bisweilen gehe ich aber in die andere Richtung: Ein Wein ist gesetzt, und es soll dazu gekocht werden. War das am Anfang meiner Säuferkarriere dem mickrigen Bestand geschuldet, sind es heute eher Tropfen, die auf die eine oder andere Art besonders zu sein versprechen.

Zu Weihnachten ergab sich wieder einmal diese Konstellation. Meine Erfahrungen mit Nordrhône-Weinen sind immernoch übersichtlich, und die mit gereiften beschränken sich fast völlig auf unseren wunderbaren Abend im Mai unter dem Motto "Nordrhône II". Trotz dieser weitgehenden Ahnungslosigkeit dämmerte mir, daß ich diesem Weingeschenk zurecht ganz besondere Aufmerksamkeit widmete:

Pierre Gonon, Saint-Joseph 2003

Der Korken war eigentlich in gutem Zustand, nur klebte er leider am Flaschenhals fest. Die Spindel des Kellnermessers drohte herausgezogen zu werden und dabei den Kern auszufräsen. Ich habe dann zusätzlich einen normalen Spangenkorkenzieher appliziert, und indem ich beide gleichzeitig griff, konnte ich quasi einen Durand simulieren. Das hat hervorragend geklappt! Ich denke sogar, bei stark durchweichten und losesitzenden oder jedenfalls älteren Korken, die nur mit dem Spangenkorkenzieher angegangen dennoch in die Flasche gedrückt würden (beim oben erwähnten Probenabend hatte ich das gleich zweimal!), werde ich in Zukunft genauso vorgehen und mit der Spindel den Korken festhalten, während ich die Spange anbringe. Vielleicht läßt sich der Erfolg ja reproduzieren!? Wer also mit der Anschaffung des Edelwerkzeugs liebäugelt, möchte vielleicht nocheinmal innehalten und mit der Budget-Lösung experimentieren. ;)

Einmal befreit, überraschte mich der Wein gleich in mehrerer Hinsicht: Die rubinrote Robe ohne Blauanteil wies nicht unbedingt auf Syrah hin (jaja, Anthocyane und Alter, ich weiß), und der aufsteigende Duft war erstaunlich, ja verblüffend jugendlich. Sehr elegante Noten von Kirsche und Blaubeere dominierten; nur minimal Herbstlaub und ein Hauch von Walderdbeere deuteten die fast zwei Dekaden Alter an. Ein sehr harmonisches und rundes Ensemble, das ich erstmal zehn Minuten lang nur riechen möchte.

Auch am Gaumen kann man eine minimale Morbiditätssüße erahnen, aber insgesamt ist der Wein noch vergleichsweise jung! Die Säure ist unauffällig frisch, die Tannine kräftig, aber "pulveroso". Der Charakter ist recht kühl und läßt mich nie an das Hitzejahr denken. Schließlich gesellt sich ein Soupçon dunkles Leder und Tannenwald hinzu, aber eigentlich ist alles Tertiäre an der Wahrnehmungsgrenze.

Sehr harmonisch und elegant! für mich ist der Wein à point, aber erst am Beginn seines Trinkfensters.

Nach zwei Stunden büßt er ein klein' wenig Charme ein, scheint etwas härter und minimal scharf, aber das mag mehr an mir als am Wein liegen. Denn zwar meinte ich diesen Eindruck am nächsten Tag bestätigt zu finden, aber da lag es im wesentlichen an etwas zu niedriger Temperatur und gab sich mit Erwärmung wieder. Die letzten Schlucke wurden dann von einem Hauch Nagellackduft und reichlich Depot begleitet.

Ursprünglich war geplant, eine Entenbrust dazu zu servieren. Die harmoniert erfahrungsgemäß schön mit den schwarzwürzigen Aromen von schwarzem Pfeffer, Nelke usw., die ganz typisch für Nordrhône-Syrah sind. Da diese dem Gonon aber fehlten und der Wein sich insgesamt sehr elegant und wenig würzig präsentierte, war es eine glückliche Fügung, daß wir kurzfristig auf eine Hirschkeule umdisponieren mußten, denn mit dieser ging er eine wunderbare Marriage ein. Aber auch solo war der Wein ein Genuß.

Re: Nordrhone

BeitragVerfasst: Do 5. Jan 2023, 21:14
von amateur des vins
Dem Gonon zur Seite stellte ich

Patrick Jasmin, Côte Rôtie «La Giroflarie» 2018

Ich hatte keine Ahnung, was mich erwartet. Es stellte sich heraus, daß der Kontrast zwischen den Weinen groß war, was nicht nur auf den Altersunterschied zurückzuführen sein dürfte.

Die Robe mitteldicht(+), gerade noch transparent; sattes Weinrot mit leichtem Purpureinschlag.
In der Nase intensive, dichte Frucht: überwiegend Blaubeere, etwas Schwarzkirsche und eine Spur Pflaumenkuchen. Dazu Würznoten, vorwiegend Lorbeer.
Am Gaumen mittelgewichtig und aromatisch erstaunlich transparent; hätte ich nach der Nase dichter erwartet. Mittlere(-) Tannine in Stärke und Granularität, pikante Säure. Blaubeere, Cranberry. Zum Abgang hin zunehmend (auf dezentem Niveau) empyreumatische Noten, aber nur angedeutet bitter.

Viel, viel zu jung und schwer zu beurteilen. Eher schlanker, säurebetonter Typus, androgyn coté maskulin.
↷ karaffiert

[+1d] Hat enorm von der Luft profitiert! Sehr beerig (heute eher rot: Kirsch, Cranberry), weiterhin Lorbeer. Auch floral (Rosenblüte). Heute eher coté féminin (sic!).

Insgesamt eher etwas lauter, aber durchaus harmonisch.

Re: Nordrhone

BeitragVerfasst: Do 5. Jan 2023, 21:32
von Nora
amateur des vins hat geschrieben:Ich genieße es sehr, daß mein Keller es inzwischen zuläßt, zu fast beliebigen Speisen einen Wein zu finden, der sich zumindest nicht damit beißt. Bisweilen gehe ich aber in die andere Richtung: Ein Wein ist gesetzt, und es soll dazu gekocht werden. War das am Anfang meiner Säuferkarriere dem mickrigen Bestand geschuldet, sind es heute eher Tropfen, die auf die eine oder andere Art besonders zu sein versprechen.

Zu Weihnachten ergab sich wieder einmal diese Konstellation. Meine Erfahrungen mit Nordrhône-Weinen sind immernoch übersichtlich, und die mit gereiften beschränken sich fast völlig auf unseren wunderbaren Abend im Mai unter dem Motto "Nordrhône II". Trotz dieser weitgehenden Ahnungslosigkeit dämmerte mir, daß ich diesem Weingeschenk zurecht ganz besondere Aufmerksamkeit widmete:

Pierre Gonon, Saint-Joseph 2003

Der Korken war eigentlich in gutem Zustand, nur klebte er leider am Flaschenhals fest. Die Spindel des Kellnermessers drohte herausgezogen zu werden und dabei den Kern auszufräsen. Ich habe dann zusätzlich einen normalen Spangenkorkenzieher appliziert, und indem ich beide gleichzeitig griff, konnte ich quasi einen Durand simulieren. Das hat hervorragend geklappt! Ich denke sogar, bei stark durchweichten und losesitzenden oder jedenfalls älteren Korken, die nur mit dem Spangenkorkenzieher angegangen dennoch in die Flasche gedrückt würden (beim oben erwähnten Probenabend hatte ich das gleich zweimal!), werde ich in Zukunft genauso vorgehen und mit der Spindel den Korken festhalten, während ich die Spange anbringe. Vielleicht läßt sich der Erfolg ja reproduzieren!? Wer also mit der Anschaffung des Edelwerkzeugs liebäugelt, möchte vielleicht nocheinmal innehalten und mit der Budget-Lösung experimentieren. ;)

Einmal befreit, überraschte mich der Wein gleich in mehrerer Hinsicht: Die rubinrote Robe ohne Blauanteil wies nicht unbedingt auf Syrah hin (jaja, Anthocyane und Alter, ich weiß), und der aufsteigende Duft war erstaunlich, ja verblüffend jugendlich. Sehr elegante Noten von Kirsche und Blaubeere dominierten; nur minimal Herbstlaub und ein Hauch von Walderdbeere deuteten die fast zwei Dekaden Alter an. Ein sehr harmonisches und rundes Ensemble, das ich erstmal zehn Minuten lang nur riechen möchte.

Auch am Gaumen kann man eine minimale Morbiditätssüße erahnen, aber insgesamt ist der Wein noch vergleichsweise jung! Die Säure ist unauffällig frisch, die Tannine kräftig, aber "pulveroso". Der Charakter ist recht kühl und läßt mich nie an das Hitzejahr denken. Schließlich gesellt sich ein Soupçon dunkles Leder und Tannenwald hinzu, aber eigentlich ist alles Tertiäre an der Wahrnehmungsgrenze.

Sehr harmonisch und elegant! für mich ist der Wein à point, aber erst am Beginn seines Trinkfensters.

Nach zwei Stunden büßt er ein klein' wenig Charme ein, scheint etwas härter und minimal scharf, aber das mag mehr an mir als am Wein liegen. Denn zwar meinte ich diesen Eindruck am nächsten Tag bestätigt zu finden, aber da lag es im wesentlichen an etwas zu niedriger Temperatur und gab sich mit Erwärmung wieder. Die letzten Schlucke wurden dann von einem Hauch Nagellackduft und reichlich Depot begleitet.

Ursprünglich war geplant, eine Entenbrust dazu zu servieren. Die harmoniert erfahrungsgemäß schön mit den schwarzwürzigen Aromen von schwarzem Pfeffer, Nelke usw., die ganz typisch für Nordrhône-Syrah sind. Da diese dem Gonon aber fehlten und der Wein sich insgesamt sehr elegant und wenig würzig präsentierte, war es eine glückliche Fügung, daß wir kurzfristig auf eine Hirschkeule umdisponieren mußten, denn mit dieser ging er eine wunderbare Marriage ein. Aber auch solo war der Wein ein Genuß.


Lieber Karsten,

was für eine schöne Notiz! Ich habe das Lesen sehr genossen.

Ich sah mein Exemplar des Weins eine Idee anders (siehe meine Notiz hier vom 16. Jun 2021), das mag aber zu einen daran gelegen haben, dass ich ihn solo getrunken habe, zum anderen an den bei älteren Weinen häufig vorkommenden Flaschenvarianzen.

Vielen Dank! Nora

Re: Nordrhone

BeitragVerfasst: Do 5. Jan 2023, 22:00
von amateur des vins
Nora hat geschrieben:Ich sah mein Exemplar des Weins eine Idee anders (siehe meine Notiz hier vom 16. Jun 2021), das mag aber zu einen daran gelegen haben, dass ich ihn solo getrunken habe, zum anderen an den bei älteren Weinen häufig vorkommenden Flaschenvarianzen.
Ziemlich anders, würde ich sagen. Ja, das ist mir auch aufgefallen, und es hat mich überrascht, denn so deutlich liegen wir in unseren Beschreibungen sonst eigentlich selten auseinander. In Deiner Beschreibung finde ich einen typischen Nordrhône-Syrah wieder, in meiner nicht. Aber das kann ich ja schlecht schreiben, wenn ich es nicht finde.

Typisch würzig oder nicht, der Wein hat Spaß gemacht. Nicht der allerkomplexeste Kandidat, aber auch mitnichten ein Simpel, und die Harmonie war wirklich schön. Wenn man die Flasche nach dem Öffnen bald leert, macht man aber nichts verkehrt, scheint mir. Ich sehe nicht, daß er über Tage besser würde.

Re: Nordrhone

BeitragVerfasst: Mo 15. Mai 2023, 17:35
von EThC
Rhône bzw. Syrah sind ja nicht meine primären Baustelle, folgenden Wein fand ich jedoch recht schön. Nur blöd, daß aktuelle Jahrgänge mindestens das Doppelte kosten, das macht's dann wieder unattraktiv...

Bild

Re: Nordrhone

BeitragVerfasst: Mo 15. Mai 2023, 20:02
von EThC
...noch ein Nordrhôninger, ich wußte bisher gar nicht, daß da auch Pinot noir angebaut wird:

Bild

Re: Nordrhone

BeitragVerfasst: So 17. Sep 2023, 10:41
von Bradetti
Oha, Lobenberg hat für keinen der 22er Tardieu-Weine von Nord- und Süd-Rhone die 100+ Punkte gezückt. Qualitäts-Zenit überschritten? :)

Das Zeug werd ich dann nicht kaufen....
:lol:

Re: Nordrhone

BeitragVerfasst: Do 12. Okt 2023, 21:23
von amateur des vins
Wir Menschen sind nicht dafür gemacht, absolute Größen zu erfassen: Frage jemanden nach der Transmissivität des Weins im Glas, oder nach der auf ein halbes Grad genauen Temperatur, und die Antwort wird mit großer Unsicherheit behaftet sein. Gib ihm jedoch zwei Weingläser und frage, welcher Wein transparenter oder kühler ist, und das Ergebnis wird ziemlich verläßlich sein. Wir können sehr gut relativ wahrnehmen!

Gleiches gilt nicht nur für physikalische Eigenschaften, sondern auch für so etwas Diffuses und Subjektives wie Qualität. Wie gut ist er absolut? Schwierig. Aber ist einer besser als der andere? Jep, klar! ...jedenfalls, solange sie nicht in völlig unterschiedlichen Kategorien spielen.

Gestern hatte ich meinen ersten roten von Villard im Glas:

François Villard, Saint Joseph Reflet 2019

Der Wein präsentierte sich mitteldicht bis dicht (noch transparent), hatte kaum Purpurtendenz und einiges an Schwebstoffen.
Die Nase war reif und fleischig, dabei aber fokussiert. Nur angedeutet Syrah-Pfeffer, dafür Herbstwald und Pilze, auch Trüffel, und ein Hauch von Pferdestall. Keine prominente Frucht; Brombeere und Backpflaume mit einem Hauch Eukalyptus. Gut eingebundenes Holz.
Am Gaumen seidiger Antrunk, fast ein wenig cremig; dann frische Säure und kräftige feinkörnige Tannine. Nochmals kühlerer Eindruck, als die Nase erwarten ließ.
Zum Abgang hin ein klein' wenig Holzkohle; nur angedeutete Bitternote.

Dicht, balanciert und sehr stimmig. Trotz noch offensichtlicher Jugend dennoch zugänglich und bereits mit Freude zu trinken. Toller Wein!

Am zweiten Tag war nurmehr ein wönziger Schlock übrig - zuwenig! :ugeek: Wohl wissend, daß es nach dem Villard schwierig würde, öffnete ich daher einen Wein, den ich sehr gut in Erinnerung habe:

Stéphane Ogier, L'Âme Sœur 2017
          "Syrah de Seyssuel" VdP


Im Vergleich zum Villard eigentlich in allem recht ähnlich: geringfügig transparenter, fast ohne Purpur, Nase ebenfalls fleischig, vielleicht etwas rotere Frucht und eher Veilchen als Eukalyptus.
Am Gaumen dito. Strukturell dicht, kühler Eindruck begleitet von feiner "Fruchtsüße". Im Abgang etwas Schärfe und leicht kokelig-bitter.

Die Weine haben sehr ähnlichen Charakter - nicht selbstverständlich, aber auch nicht überraschend, wachsen doch beide vor den Toren von Seyssuel (der Reflet afaik). Vom Âme Sœur war ich bei der Erstbegegnung ziemlich begeistert (siehe Link oben), und halte ihn immernoch für einen guten Wein. Und doch liegen im Vergleich der Gesamteindrücke, selbst mit ein, zwei Stunden Abstand, Welten zwischen den beiden! Der Reflet scheint mir soviel dichter und konzentrierter, dennoch luftiger und duftiger, und deutlich stimmiger und harmonischer. Ich bin verblüfft herauszufinden, daß neuere Jahrgänge des Âme Sœur praktisch genausoviel kosten. :o

Villard werde ich jedenfalls nach nunmehr 2 aus 2 sehr guten Erfahrungen im Blick behalten...