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Hermann Ludes

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EThC

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Re: Hermann Ludes

BeitragDi 6. Dez 2022, 22:00

...das mit der schlanken Säure meine ich ganz gut nachvollziehen zu können. Es gibt ja nicht nur eine Art von Säure, die mehr oder weniger stark konzentriert ist, es gibt eben auch feinere, schlankere, filigranere Säurearten, die trotz höher Konzentration nicht gleich harsch, kantig, angriffslustig wirken. Und es ist höchstwahrscheinlich so: das was der eine als "schlanke Säure" bezeichnet, würde ich zur gleichen Zeit am gleichen Ort wohl mit ganz anderen Worten be- bzw. umschreiben...
Viele Grüße
Erich

Nicht was lebendig, kraftvoll, sich verkündigt, ist das gefährlich Furchtbare. Das ganz Gemeine ist's
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amateur des vins

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Re: Hermann Ludes

BeitragDi 6. Dez 2022, 22:30

Lieber Michl,

kein Zweifel, Sinneswahrnehmungen sind individuell, natürliche Sprache ist ungenau und Texte anderer sind unterschiedlich ansprechend. Ich bin mir dessen wohl bewußt; deshalb bemühe ich mich, bei (viel zu seltenen) Nachfragen zu umschreiben, was mir da durch den Kopf ging, denn ich möchte mich hier ja austauschen, und dazu gehört für mich, verstanden zu werden. Ein "Geheimcode", der den Austausch nur zwischen wenigen zuläßt, scheint mir im Rahmen dieses Forums nicht angemessen. Umschreibung ist keine Gewähr für Verständigung, erhöht aber die Wahrscheinlichkeit sehr. Nebenbei hilf es mir auch noch, meine eigenen Gedanken ggf. zu präzisieren oder zu korrigieren.

Metaphern beruhen auf Ähnlichkeit. Das Wort "schlank" ist in erster Linie ein inexaktes Maß für geringen Umfang. Ich denke nicht, daß Sprache so ungenau ist, daß Du den Begriff gänzlich anders verwendest - oder? Und dann fängt mein Gehirn eben an, nach dem Umfang der Säure zu suchen, für den "schlank" ein sinnergebendes Attribut wäre - und scheitert.

Insofern bedaure ich, daß Du nicht im Ansatz den Versuch einer Erläuterung wagst. Aber natürlich habe ich das zu und werde es respektieren.
Besten Gruß, Karsten
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Kle

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Re: Hermann Ludes

BeitragMi 7. Dez 2022, 08:00

amateur des vins hat geschrieben:
Metaphern beruhen auf Ähnlichkeit. Das Wort "schlank" ist in erster Linie ein inexaktes Maß für geringen Umfang. Ich denke nicht, daß Sprache so ungenau ist, daß Du den Begriff gänzlich anders verwendest - oder? Und dann fängt mein Gehirn eben an, nach dem Umfang der Säure zu suchen, für den "schlank" ein sinnergebendes Attribut wäre - und scheitert..


Übersiehst du nicht die sinnliche Macht der Metapher? Sie ist der Versuch, eine Wahrnehmung, die man durch reine Beschreibung schwer ausdrücken kann, durch ein Phänomen aus einem anderen Bereich heraufzubeschwören. „Schlank“ ist mehr als ein technisches Maß und weckt Assoziationen, die, sobald sobald das Gehirn suchen muss und wieder auf die Ebene der Erklärungen wechselt, vertrieben werden. Eventuell erscheinen diese dem Autor sogar unwahr. Da leuchtet mir Michls Zurückhaltung ein.
Gruß, Kle
—People may laugh as they will—but the case was this.
Tristram Shandy
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amateur des vins

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Re: Hermann Ludes

BeitragMi 7. Dez 2022, 12:09

Kle hat geschrieben:Übersiehst du nicht die sinnliche Macht der Metapher? Sie ist der Versuch, eine Wahrnehmung, die man durch reine Beschreibung schwer ausdrücken kann, durch ein Phänomen aus einem anderen Bereich heraufzubeschwören. „Schlank“ ist mehr als ein technisches Maß und weckt Assoziationen, die, sobald sobald das Gehirn suchen muss und wieder auf die Ebene der Erklärungen wechselt, vertrieben werden. Eventuell erscheinen diese dem Autor sogar unwahr.
Deine Umschreibung (sic!) von "Metapher" halte ich für durchgehend mindestens fragwürdig, gemessen am üblichen Gebrauch des Wortes. "Schlank" war auch noch nie ein technisches Maß. Dein Strohmann ist geschlachtet, ausgenommen und portioniert.

Metaphorá bedeutet wörtlich „Übertragung“. Welchen ursprünglichen Bedeutungszusammenhang hat "schlank" für Dich, wenn nicht das Bild eines geringen Umfangs in Relation zur Länge, und auf was in "Säure" wird diese Bedeutung übertragen? Und warum ist die Säure "hoffentlich schlank", wenn viel von ihr vorhanden ist?

Welche sinnliche Macht übt "schlanke Säure" auf Dich aus? Was wird in Dir heraufbeschworen, welche Assoziationen geweckt?

Wie armselig und nutzlos wäre eine (natürliche) Sprache, die keine Umschreibung zuläßt...
Besten Gruß, Karsten
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Ollie

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Re: Hermann Ludes

BeitragMi 7. Dez 2022, 12:20

Kle hat geschrieben:Übersiehst du nicht die sinnliche Macht der Metapher?


(Hervorhebung von mir)

Wenn die Beschreibung des Weins mehr sinnliche Macht ausübt als der Wein selbst, believe the hyperbole, denn der Wein selbst ist so schlank, daß die Sterne durchschimmern können. (Weinbeschreibung als soziale Distinktion zweiter Ordnung: nicht was ich trinke, sondern wie ich beschreibe, was ich trinke.)

Cheers,
Ollie
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Michl

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Re: Hermann Ludes

BeitragMi 7. Dez 2022, 12:53

Ollie hat geschrieben:Weinbeschreibung als soziale Distinktion zweiter Ordnung: nicht was ich trinke, sondern wie ich beschreibe, was ich trinke.


Puuh, jetzt wird's mir wirklich zu heftig - und die Lust zu schreiben vergeht mir ehrlich gesagt fast - , vielleicht verstehe ich den Subtext (die konversationelle Implkatur) aber auch nur falsch.
Dennoch ganz eindeutig und hoffentlich sprachlich ganz klar: Wenn jemand Wein aus Gründen der sozialen Distinktion trinken und beschreiben muss, dann hat er mein ganzes Bedauern...
Viele Grüße

Michl
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Kle

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Re: Hermann Ludes

BeitragMi 7. Dez 2022, 12:58

Hallo Karsten,

sie lässt es zu, aber oft nicht ausreichend. Sonst ließe sich z.B. jedes Gedicht ohne irgendeinen Verlust in einen Sachtext übersetzen.Hinsichtlich "schlanker Säure" versuche ich nicht, mir eine schlanke Säure vorzustellen, bzw. was eine Säure schlank macht, sondern lasse beide Worte im Zusammenhang auf mich wirken. Dann entsteht beim Lesen ein Geschmackseindruck. Da ist natürlich etwas anderes, als die mehr chemischen Komponenten eines Weines sachgerecht zu beschreiben. Da Säure eine wichtige Komponente ist, ist Verwirrung möglich.

Gruß, Kle
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Tristram Shandy
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Michl

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Re: Hermann Ludes

BeitragMi 7. Dez 2022, 13:13

Im Nachbarthread schreibt gerade Climins von "Apfelgewitter". Tolle Metapher! Ich hoffe nicht, dass er aufgefordert wird, das zu umschreiben. Wie sehr würde der Assoziationsraum darunter leiden...
Viele Grüße

Michl
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amateur des vins

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Re: Hermann Ludes

BeitragMi 7. Dez 2022, 13:18

Kle hat geschrieben:Hinsichtlich "schlanker Säure" versuche ich nicht, mir eine schlanke Säure vorzustellen, bzw. was eine Säure schlank macht, sondern lasse beide Worte im Zusammenhang auf mich wirken. Dann entsteht beim Lesen ein Geschmackseindruck.
Aber ist das Risiko einer Fehlinterpretation nicht wesentlich größer, wenn ausschließlich diese unterbewußte Ebene angesprochen wird? Wird es nicht maßgeblich reduziert, wenn weitere Informationen verfügbar gemacht werden, z.B. durch Umschreibung - insbesondere, wenn signalisiert wird, daß der geneigte Leser an der "holistischen Erfassung" scheitert?

Wenn ich daran interessiert bin, verstanden zu werden, bemühe ich mich, das zu Transportierende so aufzubereiten, daß dem Empfänger das Verstehen erleichtert wird. Diese Implikation läßt sich auch logisch umkehren.
Besten Gruß, Karsten
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Ollie

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Re: Hermann Ludes

BeitragMi 7. Dez 2022, 13:25

Michl,

nein, nein, das war nicht auf irgendjemanden hier gemünzt - bzw. wenn, dann auch auf mich. Wie alles hier "selbstverwirklichen" uns in dem, was wir trinken, und natürlich auch in dem, wie wir darüber schreiben, denken und fühlen.

Nur darf man dabei nie vergessen, dass es uns um uns selbst geht. Und nicht etwa um Austausch der eigentlichen Information. Es geht nicht um den Wein, sondern darum, wie ich ihn sehe. Dabei nehme ich nicht nur billigend in Kauf, von anderen nicht verstanden zu werden, ich werte es sogar als persönlichen Angriff, wenn ich hinterfragt werde. Das ist einfach nur eine Ausprägung von Individualismus, nichts weiter.

Beispiel: Ich sehe mich gerne als nüchtern-sachlich, ergo werde ich mich nicht auf "g'fühlge Beschreiben" einlassen oder gar solche produzieren. Da tue ich natürlich auch (zumindest teilweise) in Abgrenzung zu anderen. Und andere tun Anderes, natürlich auch aus Gründen der Abgrenzung.

(Man beachte mal, wie sich Weinbeschreibungen verändert haben, seit es statt einem Parker wieder ein Dutzend reichweitenstarke Weinkritiker gibt. Die tollsten sprachlichen Volten werden da gedreht, nur um aus der Menge zu ragen.)

Michl hat geschrieben:Wenn jemand Wein aus Gründen der sozialen Distinktion trinken und beschreiben muss, dann hat er mein ganzes Bedauern...


Ja, ich lüge mich auch gerne an. :mrgreen:

Cheers,
Ollie
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