Seite 2 von 5

Re: Alko-Bomben

BeitragVerfasst: Di 1. Mär 2011, 23:06
von AH.
Schwierig hingegen wird es für meine Zunge oft bei deutlich restsüßen Weinen, die 12 und mehr Umdrehungen aufweisen.

Hallo Bernd,

deutlich restsüß bei hohem Alkohol finde auch ich regelrecht abstoßend. Ich mag keinen bittersüßen Geschmack (Alc. + RZ), auch z.B. keinen Zucker im Kaffee. Woran das liegt, weiß ich nicht genau. Theoretisch sollte Süße Bitterkeit maskieren.

Die Schwelle, welche Alkoholgehalte als unangenehm empfunden werden, ist bei Menschen stark verschieden. Siehe die Untersuchungen von Bartoshuk et al. Nichtschmecker empfinden Alkohol auch nicht als bitter, sondern als süß. Wir - alle Diskutanten - können und müssen also nicht alle auf denselben Geschmack kommen, was den Alkohol angeht. Wie immer plädiere ich für Freiheit und Vielfalt statt Konformität.

Meine Position ist nicht völlig abwegig, das kann man leicht an Kindern nachprüfen, die Wein nicht gewöhnt sind. Aber natürlich kann man sich auch "rantrinken" (acquired taste). Mein Weg ist das aber nicht.

Gruß

Andreas

Re: Alko-Bomben

BeitragVerfasst: Mi 2. Mär 2011, 08:40
von Gerald
Hallo Daniel,

Was ich aber meinte, ist eine von mir (vermeintlich?) wahrgenommene Tendenz, dass der Alkoholgehalt bei den Weinen im Durchschnitt angestiegen ist.


ja, das ist meiner Ansicht nach die logische Konsequenz, wenn Weine mit höherem Alkoholgehalt tendenziell besser bewertet werden. Wenn die Winzer merken, dass sich in ihrem Sortiment die Weine mit mehr Alkohol besser verkaufen, ohne dass der Aufwand zur Produktion entsprechend höher ist, dann werden die meisten wohl diese Richtung gehen. Das gilt dann auch für den Gesamtmarkt. Ausgenommen ein paar "Außenseiter", die gegen den Strom schwimmen und es sich leisten können (oder es zumindest versuchen), nicht das finanzielle Maximum aus ihrem Betrieb herauszuholen.

Und dass Weine mit höherem Alkohol unangenehmer schmecken, mag ja stimmen - wenn man zuhause oder im Restaurant bei einem einzigen Wein sitzt. Für einen Verkoster, der 50 oder mehr Weine hintereinander probiert, sieht das meines Wissens nach aber anders aus. Da bekommen die "Alkoholbomben" dann meistens eben den entscheidenden Punkt mehr. Und in unserer Zeit, da sich die Nachfrage - zumindest im gehobenen Segment - mehr an Gurus wie Parker & Co als am eigenen Geschmack richtet, ist das eben der Faktor, der über den finanziellen Erfolg (oder überhaupt die Existenz) eines Weingutes entscheidet ...

Grüße,
Gerald

Re: Alko-Bomben

BeitragVerfasst: Mi 2. Mär 2011, 09:14
von DerFranki
Gerald hat geschrieben:Und in unserer Zeit, da sich die Nachfrage - zumindest im gehobenen Segment - mehr an Gurus wie Parker & Co als am eigenen Geschmack richtet, ist das eben der Faktor, der über den finanziellen Erfolg (oder überhaupt die Existenz) eines Weingutes entscheidet ...


YEPP!
So ist es!

Re: Alko-Bomben

BeitragVerfasst: Mi 2. Mär 2011, 10:12
von Desmirail
DerFranki hat geschrieben:Biete ich Weintrinkern restsüße Moselrieslinge mit 7,5% Alkohol an, muss ich mir immer wieder Spott und Häme anhören. ;)


Du sprichst mir aus der Seele. Was hab ich da schon Überzeugungsarbeit leisten müssen. Ich liebe sie geradezu, diese trinkfreudigen und höchst aromatischen Rieslinge, die einen nicht weg ballern und eine Schmeichelei für den Gaumen sind Bild

Aber da scheint es bei den Rieslingen zur Zeit auch "nur" die Tendenz zu völlig trockenen Rieslingen mit bis zu 13,5 und mehr Volumenprozenten zu geben. Mir erscheint es jedenfalls so. :oops:

Gerald hat geschrieben: Da bekommen die "Alkoholbomben" dann meistens eben den entscheidenden Punkt mehr. Und in unserer Zeit, da sich die Nachfrage - zumindest im gehobenen Segment - mehr an Gurus wie Parker & Co als am eigenen Geschmack richtet, ist das eben der Faktor, der über den finanziellen Erfolg (oder überhaupt die Existenz) eines Weingutes entscheidet ...


Jopp. Sehe ich auch so. Was mir noch einfällt. Alkohol transportiert ja auch den Geschmack in nicht unerheblichem Maße, weswegen Weine mit hohen Alkoholgraden meist "einfacher zu schmecken sind." Die leisen Weintöne sind es, zumindest meiner Meinung, die nicht so gut kommuniziert werden können. Vielleicht hat das auch ein bisschen was mit Sucht zu tun, das mit dem Alkohol und der Bewertung eines Weins. Aber das ist jetzt sehr wage!

Re: Alko-Bomben

BeitragVerfasst: Mi 2. Mär 2011, 11:11
von Weinzelmännchen
Ein (willkürlich) ausgesuchtes Beispiel was ich hier meine, sind die Weine von Villa Russiz aus Capriva (Collio). Dieses Weingut gehört zu den größeren und sehr guten im Friaul, aber nicht zu den absoluten Top-Weingütern. Ich habe einmal die Alkoholgrade aller Weißweine herausgesucht:

Chardonnay 15,0
Sauvignon de La Tour 14,5
Malvasia 14,5
Friulano 14,0
Weißburgunder 14,0
Grauburgunder 13,5
Sauvignon 13,5
Ribolla Gialla 13,0

Gerade beim Ribolla Gialla, der hier eigentlich mit "moderatem" Alkoholgehalt aufwartet, zeigt sich exemplarisch das "Problem". Es gibt eine (sehr einfache) Homepage über Ribolla Gialla (http://www.ribollagialla.it/), wo dem Wein typischerweise 11,0% mit der Geschmacksnote "zart, leicht und frisch" attestiert wird

Re: Alko-Bomben

BeitragVerfasst: Mi 2. Mär 2011, 14:20
von BuschWein
Alkohol schmeckt bitter und verursacht ein brennendes Mundgefühl. Das mag eigentlich niemand. Genau, wie niemand Bitterschokolade mit 70% Kakao mag


Andreas, bitte nicht böse sein, aber Du solltest Deinen Geschmack definitiv nicht verallgemeinern. Ich bewundere immer wieder Deine Beschreibungen und wissenschaftlichen Begründungen, aber nachvollziehen kann ich sie nie an meinen eigenen Erfahrungen und auch nicht an meinen Erfahrungen mit anderen Menschen (Weinfreunden unter meinen Kunden).

Ich denke auch das Parkerbashing oder dass Weine für Weinproben gemacht würden trifft es nicht wirklich. Einmal haben gute Winzer eine eigene Idee vom Wein und versuchen diese umzusetzen, die Winzer schielen wirklich nicht immer auf den kommerziellen Erfolg. Zum zweiten ist es schon richtig, dass Winzer natürlich nicht im luftleeren Raum produzieren, die Weine müssen sich schon auch verkaufen lassen, aber ich denke die viel größere Referenz als sog. Weingurus sind die eigenen Kunden. Und ich merke es doch auch hier bei uns im Laden, suchen Kunden einen besonderen Wein, insbesondere Rotwein, dann stehen die meisten Leute auf wuchtige Weine. Das fängt schon bei der Farbe an, läuft der Wein dunkelrot bis schwarz und fast viskos ins Glas höre ich bei den Proben schon immer die ersten Ohhs und Ahhs. Bei eher hellen Weinen kommt die Frage ob das nicht vielleicht eher Rosé ist.

Aber auch bei Weißweinen empfinden sehr viele Menschen die kräftigeren Weine als die besseren, wohlschmeckenderen und bei unseren Proben müssen die Gäste nicht 30 oder 50 Weine verkosten. Wobei ich auch sagen muss die Aussage 14%vol auf dem Etikett schreckt schon viele ab, probieren sie aber ohne das Etikett vorher zu sehen, dann entscheiden sich viele für die kräftigeren Weine.

Es liegt also beileibe nicht allein an Parker und Co, dass kräftigere Weine bevorzugt werden.

Dazu kommt vielleicht noch, dass es für die meisten Weintrinker eher ungewöhnlich ist mehr als eine Flasche am Abend zu zweit zu öffnen, also das Argument, da mag ich gar nicht mehr als ein Glas trinken, weil der so satt macht, das mag für us Weinfreaks gelten, für viele "normale" Weintrinker ist das keins.

Btw. ich mag auch gern mal eine Bitterschokolade mit mehr als 70% Kakao, ich mag Radicchio und Chicorée und habe auch Bitter Lemon und Tonic Water nie als zu bitter empfunden. Auf der anderen Seite könnte ich Kaffee ohne Zucker nicht trinken, der wäre mir zu bitter.

Re: Alko-Bomben

BeitragVerfasst: Mi 2. Mär 2011, 17:05
von AH.
Hallo Armin,

meine Formulierung mit der Bitterschokolade war unglücklich. Ich wählte dies als Beispiel für "acquired taste", also ein Produkt, das erst nach Gewöhnung genossen werden kann. Und ich gestehe zu, daß es dann wirklich genossen wird, obwohl ich es nicht nachvollziehen kann.

Nicht umsonst werden süße, alkoholarme "Alcopops" für Jugendliche angeboten (die Alkohol nicht gewöhnt sind). In diesen ist der Alkohol geschmacklich maskiert, denn Alkohol "schmeckt nicht" bzw. nur den wenigsten (nämlich sog. "Nichtschmeckern"). Zwischen der sensorischen Empfindlichkeit gegen Alkohol und dem Alkoholkonsum besteht übrigens ein Zusammenhang, siehe wieder Bartoshuk et al. Der Anteil an Nichtschmeckern unter den Alkoholikern ist signifikant erhöht. Restsüße Moselrieslinge mit 7,5%vol. funktionieren ganz ähnlich, wie Alcopops, nur wirken sie auf mich viel natürlicher.

Die Kombination aus bitter und sauer und bitter und süß ist ein Thema, was ich an mir selbst nicht verstanden habe. Bitterkeit ist für mich der negativste der Geschmackseindrücke. Säure macht für mich Bitterkeit akzeptabel (-> Grapefruit, aber auch bei Weinen), der Geschmack sollte dabei aber säuredominiert sein. Bitter-süß mit dominanter Bitterkeit (Kaffe + Zucker) gefällt mir eigenartigerweise noch weniger, als bitter alleine. Bitter-süß mit dominanter Süße ist für mich akzeptabel.

Die meisten Weintrinker haben nach meiner Ansicht einen "acquired taste", v.a. Männer. Sie haben also gelernt, etwas zu schätzen, was ihnen (biologisch) eigentlich nicht schmeckt. Die Vorliebe für tiefdunkle Rotweine kann ich übrigens nicht nachvollziehen, denn aromatisch geben sie (oft) weniger her, da sie entweder zu warm vergoren bzw. mazeriert wurden oder durch (Mikro)oxidation farbvertieft wurden (zu Lasten des Aromas) oder aus farbstarken, aber aromaschwachen Rebsorten bestehen. Ausnahmen, wie Syrah oder Tempranillo bestätigen die Regel.

Gruß

Andreas

Re: Alko-Bomben

BeitragVerfasst: Mi 2. Mär 2011, 17:21
von DerFranki
AH. hat geschrieben:meine Formulierung mit der Bitterschokolade war unglücklich. Ich wählte dies als Beispiel für "acquired taste", also ein Produkt, das erst nach Gewöhnung genossen werden kann. Und ich gestehe zu, daß es dann wirklich genossen wird, obwohl ich es nicht nachvollziehen kann.

Ich dachte schon ich wäre der einzige Geschmacksbanause, weil ich bittere Schokolade nicht mag. Da ist mir die einfache Ritter Sport Vollmilch viel lieber, als die „Gourmet-Schoki“.


AH. hat geschrieben:Restsüße Moselrieslinge mit 7,5%vol. funktionieren ganz ähnlich, wie Alcopops, nur wirken sie auf mich viel natürlicher.

Das klingt zwar gar nicht schön, stimmt aber.
Ich habe mich auch schon dabei ertappt, wie ich zwei Flaschen 7,5% Ürz-Würz in mich „geschüttet“ habe.

Weine mit weniger Alkohol schlucke ich lieber als die dicken Dinger.
Ich weiß nicht wie ich es sonst sagen soll, aber sie gehen mir wirklich einfacher und angenehmer durch die Kehle, unabhängig vom eigentlichen Geschmack.

Re: Alko-Bomben

BeitragVerfasst: Mi 2. Mär 2011, 17:34
von Weinzelmännchen
AH. hat geschrieben:Die Kombination aus bitter und sauer und bitter und süß ist ein Thema, was ich an mir selbst nicht verstanden habe. Bitterkeit ist für mich der negativste der Geschmackseindrücke. Säure macht für mich Bitterkeit akzeptabel (-> Grapefruit, aber auch bei Weinen), der Geschmack sollte dabei aber säuredominiert sein. Bitter-süß mit dominanter Bitterkeit (Kaffe + Zucker) gefällt mir eigenartigerweise noch weniger, als bitter alleine. Bitter-süß mit dominanter Süße ist für mich akzeptabel.


Liebe Forianer!

Obzwar etwas off topic darf ich euch von einem Sensorik-Training berichten, das ich vor vielen Jahren anlässlich eines Weinseminars in der Weinbauschule Silberberg in der Steiermark "durchmachte".

Es gab damals - zumindest in der Steiermark - nur 4 Grundgeschmacksrichtungen: süß, sauer, salzig und bitter. Zwischenzeitig hat sich als 5. umami eingebürgert (siehe http://www.lebensmittelwissen.de/lexikon/u/umami.php). Wir erhielten als Proben 5 Wassergläser mit den 4 Grundgeschmacksrichtungen sowie ein Glas ohne Zusatz. Ausgangsbasis war destilliertes Wasser, dem bei den 4 Proben minimale Mengen der Geschmacksträger hinzugefügt wurden.

Die scheinbar leichte Aufgabe bestand darin, die 5 Proben richtig zuzuordnen. Soweit ich mich erinnern kann, gelang dies keinem einzigen der etwas über 20 Teilnehmer (über mein Ergebnis will ich gar nicht erst reden :oops: ).

Ich will damit nur ausdrücken, dass das Geschmacksempfindenn auch bei interessierten Personen sehr unterschiedlich ausgeprägt ist. Beispielweise habe ich sofort die bittere Probe herausgeschmackt, den Unterschied zwischen süß und sauer (!) aber nicht erkannt.

Re: Alko-Bomben

BeitragVerfasst: Mi 2. Mär 2011, 18:10
von octopussy
AS Maurer hat geschrieben:Und ich merke es doch auch hier bei uns im Laden, suchen Kunden einen besonderen Wein, insbesondere Rotwein, dann stehen die meisten Leute auf wuchtige Weine. Das fängt schon bei der Farbe an, läuft der Wein dunkelrot bis schwarz und fast viskos ins Glas höre ich bei den Proben schon immer die ersten Ohhs und Ahhs. Bei eher hellen Weinen kommt die Frage ob das nicht vielleicht eher Rosé ist.

Aber auch bei Weißweinen empfinden sehr viele Menschen die kräftigeren Weine als die besseren, wohlschmeckenderen und bei unseren Proben müssen die Gäste nicht 30 oder 50 Weine verkosten. Wobei ich auch sagen muss die Aussage 14%vol auf dem Etikett schreckt schon viele ab, probieren sie aber ohne das Etikett vorher zu sehen, dann entscheiden sich viele für die kräftigeren Weine.

So ist es wohl. Gerade gestern Abend habe ich das wieder erlebt. Zu 2008 Ziereisen Tschuppen (12° Alkohol, sehr durchsichtige, leicht gräulich-rote Farbe) war die allgemeine Meinung: "Was ist das denn für ein trauriges Süppchen." Der schmeckte den meisten - durchaus auch erfahren scheinenden - Weinfreunden nicht bis überhaupt nicht. Rings 2009 "das kleine Kreuz" (14,5° Alkohol, fast schwarze Farbe, extrem viskos, üppiger Duft) hingegen verursachte die genannten Oohs und Aahs (der war aber auch echt verdammt gut). Bei den Weißweinen war der große Publikumsliebling ein Grauburgunder aus der Pfalz mit 14,0° Alkohol, dem höchsten Alkoholwert aller am Abend getrunkenen Weißweine.

Ich finde auch, dass die alkoholstarken Weine ihre Berechtigung haben. Aber ich finde es schade, wenn Weine mit hohem Alkohol zur Regel werden und man etwas weniger extraktreiche und üppige, dafür aber alkoholärmere Weine mit der Lupe suchen muss, weil sie zur Randerscheinung werden. Im Bordelais z.B. ist man leider schon so weit.