octopussy hat geschrieben:Irgendwie fehlt mir in Deutschland aktuell abseites der arrivierten Weingüter etwas die Aufbruchstimmung, die Vision, Qualitäten erzeugen zu wollen, die zu den größten Weißweinen der Welt zählen.
Stephan,
warum sollte man sich die Mühe antun?
Betrachten wir nur mal die trockenen Weine: mit Ausnahme von Keller schafft es kein einziger arrivierter Erzeuger, seine GGs bei der Arrivage oder - Gott bewahre - sogar
en primeur komplett abzuverkaufen; die Weine bekommst Du mit ein wenig Suche auch noch Monate nach der Freigabe, wenn nicht sogar Jahre. Und den Schönlebers, Fröhlichs, Wittmanns & Co. wird man kaum vorwerfen können, dass das auf die mangelnde Qualität ihrer Weine zurückzuführen ist; ich denke, dass bei denen die Luft nach oben zumindest bei den Rieslingen doch mittlerweile sehr, sehr dünn geworden ist.
Noch problematischer wird es in der VDP-Riege unmittelbar unter den Top-Performern: auch hier werden mittlerweile schon einige sehr gute und manche ausgezeichnete GGs hergestellt, aber bei denen braucht man mit etwas Geduld nur darauf zu warten, dass sie nach einiger Zeit in irgendeinem Abverkauf oder durch ein Internetportal deutlich unter Listenpreis verramscht werden.
Rein wirtschaftlich betrachtet ist die Erzeugung von Ultrapremiumweinen wie den GGs in Deutschland für die meisten Winzer ein totaler Flop. Hier ist nicht nur der Aufwand für die Herstellung zu betrachten, sondern die Tatsache, dass erhebliche Teile der Erzeugung für Verkostungen zurückzulegen sind, und man für diese Verkostungen dann auch noch kreuz und quer durch die Republik tingeln darf. Das ist ganz sicher alles andere als attraktiv.
Um einen Kultwein zu erzeugen, braucht es heute eben mehr als nur Weltklassequalität, nämlich Vermittlung oder schlicht
Marketing - und unter den Bedingungen der heutigen flächendeckenden Marketing-Dauerberieselung ein deutlich besseres und ausgefeilteres Marketing als zu den Zeiten, als die meisten "historisch fundierten" Kultweine entstanden sind. Das aber können die meisten deutschen Winzer angesichts ihrer Betriebsstruktur und -größe (sich) nicht leisten.
Und der VDP, der vielleicht noch die Mittel hätte, ist als Vehikel zur Promotion von Kultweinen denkbar ungeeignet - der muss nämlich die divergenten Interessen aller seiner Mitglieder berücksichtigen, und einer kompletten Vermarktungskategorie wie dem GG mit einigen hundert Weinen kann man keinen Kultstatus verpassen.
Insgesamt fehlt in Deutschland zur Erzeugung von Kultweinen der ungebrochene historische Kontext (den es z.B. in vielen Gebieten in Frankreich durchaus gibt), bei den meisten Betrieben fehlen die finanziellen Mittel für das notwendige Marketing, national betrachtet fehlt es auch an genügend zahlungswilligen und -kräftigen Kennern, die nicht nur auf den Preis achten, sondern auch echte Qualität von vorgeblicher Qualität unterscheiden können. Und nicht zuletzt fehlt es am Willen der Erzeuger: wozu das Ganze, wenn es sich am Ende nicht wirklich auszahlt?
Gruß
Ulli