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Kupfer im Bioweinbau

Von der Weinbergspflege bis zur Kellertechnik
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C9dP

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Re: Kupfer im Bioweinbau

BeitragSo 21. Jul 2013, 19:50

Ich verlinke mal den Artikel aus dem Greenpeace Magazin. Sicherlich nicht bekannt als Parteiblatt der konventionellen Landwirte, aber dafür vielleicht umso überraschender in der Aussage!

http://www.greenpeace-magazin.de/index.php?id=5347
Viele Grüße

Aloys
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UlliB

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Re: Kupfer im Bioweinbau

BeitragSo 21. Jul 2013, 21:34

C9dP hat geschrieben:Ich verlinke mal den Artikel aus dem Greenpeace Magazin. Sicherlich nicht bekannt als Parteiblatt der konventionellen Landwirte, aber dafür vielleicht umso überraschender in der Aussage!

http://www.greenpeace-magazin.de/index.php?id=5347


Hallo Aloys,

danke für den interessanten Link.

Bemerkenswert ist, dass hier ein Interessenkonflikt zwischen zwei bundeseigenen Institutionen deutlich gemacht wird: ein bundeseigenes Institut (JKI), eine Bundesoberbehörde (UBA), die gleiche Datenbasis, und zwei diametral entgegensetzte Bewertungen. Kennt man die jeweilige Berichtslinie und versteht deren Interessenlage, wird sofort klar, warum das so ist.

Das wirft ein Schlaglicht auf ein echtes Dilemma: bezüglich der toxikologischen und ökotoxikologischen Bewertung von Substanzen lässt sich aus Sekundär- und Tertärliteratur, die der Öffentlichkeit zugänglich ist (und die auch dem Laien verständlich ist), kein klares Bild mehr gewinnen. Die jeweile Interessenlage des Zusammenfassenden und Interpretierenden versperrt komplett die Sicht auf die tatsächlich vorhandene Datenlage. Die öffentliche Debatte wird nur noch von zwei Fraktionen beliefert: Verharmlosern oder Dramatisierern. Das Problem besteht, wie man hier sieht, auch ohne irgendeine Beteiligung der bekanntlicherweise (je nach Standpunkt) hochgradig bösartigen bis völlig satanischen Chemieindustrie ;)

Das ist nicht gut, denn das Thema erfordert eigentlich eine öffentliche Diskussion. Aber auf der Sachebene ist die kaum mehr möglich.

Gruß
Ulli
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Alas

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Re: Kupfer im Bioweinbau

BeitragSo 21. Jul 2013, 22:50

Alas hat geschrieben:Schon seit langer Zeit vertrete ich die Auffassung, das wissenschaftliche Studien oft nichts weiter sind, als etwas komplizierte, subjektive Meinungsäußerungen.


UlliB hat geschrieben:Bemerkenswert ist, dass hier ein Interessenkonflikt zwischen zwei bundeseigenen Institutionen deutlich gemacht wird: ein bundeseigenes Institut (JKI), eine Bundesoberbehörde (UBA), die gleiche Datenbasis, und zwei diametral entgegensetzte Bewertungen. Kennt man die jeweilige Berichtslinie und versteht deren Interessenlage, wird sofort klar, warum das so ist.


Na sowas! :shock:

Gruß

Alas
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UlliB

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Re: Kupfer im Bioweinbau

BeitragMo 22. Jul 2013, 07:28

Alas,

um es kurz zu machen: das Problem liegt nicht auf der Ebene der individuellen Studie. Die liefert, wenn sie korrekt gemacht wurde, richtige und vor allem auch reproduzierbare Ergebnisse. Das schließt aber keineswegs aus, dass verschiedene Studien, die mit einer prinzipiell ähnlichen Fragestellung, aber unter unterschiedlichen äußeren Rahmenbedingungen oder mit verschiedenen Methodiken durchgeführt werden, zu vermeintlich widersprüchlichen Ergebnissen kommen. Warum das gerade im Fall der Ökotoxikologie von Kupfer so ist, würdest du übrigens wissen, wenn Du den von Dir zitierten Link zu den "Kupfergesprächen" des JKI inhaltlich vollständig verstanden hättest.

Das eigentliche Problem liegt im Bereich der zusammenfassenden Analyse der Resultate verschiedener Studien. Das gilt insbesondere dann, wenn die Zusammenfassenden eine klare Interessenlage verfolgen, oder wenn sie schlicht von der Materie keine Ahnung haben - was im Bereich der Tertiärliteratur heute ziemlich regelmäßig der Fall ist.

Gruß
Ulli
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C9dP

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Re: Kupfer im Bioweinbau

BeitragMo 22. Jul 2013, 08:14

Hallo Ulli,

so unterschiedlich sind die Aussagen allerdings zwischen den Zeilen dann doch nicht. Jedenfalls nicht, wenn ich mit einer Deutung richtig liegen sollte. Daher möchte ich sie mal als Diskussionsgrundlage in den Raum stellen.

Das JKI bestreitet ja gar nicht, dass es durch Kupfer auch Schäden wie z.B. bei Regenwürmern gibt. Hier ist man sich mit dem UBA einig. Auch das der Einsatz von Kupferpräparaten dauerhaft minimiert werden soll, sagen eigentlich beide. Das die derzeitie Menge Kupfer, die in die Böden gelangt auf kurze Sicht ungefährlich ist, wird auch nicht abgestritten. Genausowenig jedoch, dass es aufgrund des massiven Einsatzes Mitte des letzten Jahrhunderts und der nicht gegebenen Abbaubarkeit zu einer langfristigen Anreicherung kommt, die eben das Ökosystem doch schädigt.

Die Schlussfolgerungen lesen sich jedoch für mich dann wirklich entgegengesetzt. Das UBA legitimert ein Verbot, da nicht wirtschaftliche Interessen den Bedürfnissen der Umwelt vorgehen dürfen. Das JKI vertritt den gegenteiligen Standpunkt. Es gibt keine Alternative zu Kupfer und die wirtschaftlichen Belange des Ökolandbaus rechtfertigen den Einsatz auch weiterhin.

Und so sehr ich weiterhin für eine ökologisch verantwortungsvolle Landwirtschaft bin - name it bio -, so sehr stellt sich mir mittlerweile doch die Frage nach der Glaubwürdigkeit. Hier geht es zumindest einer Seite mehr um den Schutz des Umsatzes, den auch im Biobereich mittlerweile große Konzerne machen und nicht nur der nette kleine Landwirt von nebenan.
Viele Grüße

Aloys
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Herr S.

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Re: Kupfer im Bioweinbau

BeitragMo 22. Jul 2013, 08:46

Hallo zusammen,

ein spannendes Thema, welches wir hier diskutieren. Eigentlich ist mein Job also garnicht so uninteressant ... als Ökotoxikologe! Kupfer habe ich zwar noch nicht explizit bearbeitet, allerdings ist die Datenlage auch mehr als gut und bekannt und eine relativ genaue Einordnung vorzunehmen. Unsere Haus- und Hofwissenschaftler Gerald hat die Dinge ja schon sehr gut zusammengefasst. Was die (Bio-)Verfügbarkeit von Kupfer im Boden angeht, so gibt es nicht viel zu diskutieren. Klar ist, daß die Konzentration von Kupfer-Kationen im freien Porenwasser, also jene Fraktion, die als bioverfügbar angenommen wird, abhängig ist vom pH-Wert des Boden, des Gehalts an Tonmineralen etc. Aber auch wenn viele Tonminerale vorhanden sind, die wegen ihrer negativen Ladungsdichte an ihren Grenzflächen Kationen adsorbieren können (Stichwort Kationenaustauschkapazität), kann Kupfer u.U. wieder remobilisiert werden. Da Kupfer unbestreitbar schon in geringen Mengen für eine breite Masse von (Boden-)Lebewesen d.h. unselektiv toxisch ist, benötigt es also nicht viel davon. Um noch mal auf die Bioverfügbarkeit zurückzukommen: Nur weil etwas nicht frei vorliegt, kann das trotzdem bedeuten, daß Bodenorganismen dem Stoff ausgesetzt sind. Der gemeine Regenwurm z.B. frißt sich bekanntlich durch den Boden. Dabei nimmt er auch Tonminerale mit ggf. gebundenem Kupfer auf. In seinem Verdauungstrakt herrschen aber andere Bedingungen als im Boden selbst. Ihr seht, ein weites Feld. Soviel zum Kupfer. Ein paar Punkte sind noch aufgetaucht:

Wie können denn bitte die Studien durch die Industrie bezahlt bzw. beauftragt werden ... das ist so dermaßen absurd, dass man echt nur noch den Kopf schütteln kann.


Das ist alles andere als absurd. Derartige Studien sind extrem teuer. Es ist nur richtig, daß die Industrie für sie zahlt. Die meisten Studien werden also von der Industrie an externe Laboratorien vergeben, dort wird dann die Studie durchgeführt. Derartige Studien werden seit ca. 20 Jahren nach GLP durchgeführt (Gute LaborPraxis). Das beinhaltet, daß jede Änderung dokumentiert werden muss, Rohdaten lange archiviert werden müssen etc. Einflußnahme auf die Ergebnisse ("Mach mal noch ein paar Nullen hinter den Wert") sind somit mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen bzw. setzen ein hohes Maß krimineller Energie bei mehreren Personen voraus. Die finalen Studien werden dann vom Anmelder d.h. dem Hersteller/Inverkehrbringer zusammengefasst und bei der Behörde eingereicht d.h. die Beweispflicht liegt - vernünftigerweise - bei der Industrie. Die entsprechende Behörde (z.B. EFSA für Pflanzenschutzmittel, ECHA für Industriechemikalien bzw. auch Länderbehörden wie z.B. UBA, BfR) bekommen das Gesamtdossier dann auf den Tisch und schauen, ob die Daten und die Interpretation des Einreichers stimmig sind. Bei Rückfragen oder Datenlücken gehen dann die Diskussionen los wobei die Behörde am längeren Hebel sitzt d.h. wenn die Behörde eine weitere Studie fordert, kommt der Einreicher meistens nicht darum herum, diese auch durchzuführen, in sein Dossier einzubauen, seine Risikobewertung, Einstufung und Kennzeichnung usw. ggf. auf Stand zu bringen. Irgendwann wird das Dossier dann akzeptiert oder abgelehnt wobei es auch hier noch mannigfaltige Prozesse gibt (Zulassung für nur für bestimmte Anwendungen usw.). Soweit in dürren Worten der Zulassungsprozess, wie gesagt, in der Praxis häufig noch komplexer.

das Problem liegt nicht auf der Ebene der individuellen Studie. Die liefert, wenn sie korrekt gemacht wurde, richtige und vor allem auch reproduzierbare Ergebnisse.


So sollte es sein und häufig ist es auch so. Fakt ist aber auch, das biologische Systeme eine hohe Varianz aufweisen können. Ergebnisse mit ein und derselben Spezies können z.B. unterschiedliche Ergebnisse liefern, abhängig davon, zu welcher Jahreszeit die Studie durchgeführt wurde (wohlgemerkt, unter gleichen, standardisierten Laborbedingungen!). Genetische Einflüsse zwischen zwei Stämmen einer Art können auch zu unterschiedlichen Ergebnissen führen usw. Das Problem, gerade bei datenreichen Stoffen wie Kupfer ist es, die validesten Studien auszuwählen und diese für die weitere Bewertung zu nutzen. Das ist beileibe nicht so trivial wie es sich anhört. Die ARTE Reportage „Unser täglich Gift“, auf die hier und da schon angespielt worden ist, geht auf das Bewertungssystem mit seinen NOAEL und Sicherheitsfaktoren ebenfalls ein und kritisiert es scharf (dabei vor allem die EFSA). Leider haben die Macher sich vorher nicht mit der Materie und ihrer wissenschaftlichen Herleitung ausreichend auseinandergesetzt. Denn: Das momentane System ist das einzige, mit dem man +/-valide Grenzwerte etc. ableiten kann. Ich hätte mir einen Gegenvorschlag gewünscht, wie man es anders machen kann, aber der kam nicht (wie auch, seit Jahren und Jahrzenten versuchen sich Wissenschaftler bis heute wenig erfolgreich daran, ein aussagekräftigeres System zu etablieren).
Zurück zum Kupfer: Welche Alternativen haben wir? Entweder den unselektiv wirkenden Kupfer oder aber ein hochselektives Fungizid (völlig wertneutral ausgedrückt) für nicht resistente Kulturen. Oder aber vermehrte Pflanzung resistenter Sorten mit allen Folgen (alte, unresistente Sorten fallen weg, Einsatz von gentechnisch veränderten Sorten usw.).
Soviel dazu erstmal von meiner Seite. Ich bin gerne bereit, weitere Fragen etc. zu beantworten bzw. versuche ich es, wenn es mir die Zeit erlaubt. Zudem könnte ich auch mal wieder ein paar VKN einstellen … :)

In diesem Sinne,
Björn
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UlliB

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Re: Kupfer im Bioweinbau

BeitragMo 22. Jul 2013, 11:24

C9dP hat geschrieben:so unterschiedlich sind die Aussagen allerdings zwischen den Zeilen dann doch nicht. .


Liest man den Greenpeace-Artikel, dann ist das so. Beim Stöbern sowohl auf der Homepage des UBA als auch der des JKI kommt man jedoch zu dem Eindruck, dass die Datenbasis doch sehr unterschiedlich interpretiert wird.

Die Schlussfolgerungen lesen sich jedoch für mich dann wirklich entgegengesetzt. Das UBA legitimert ein Verbot, da nicht wirtschaftliche Interessen den Bedürfnissen der Umwelt vorgehen dürfen. Das JKI vertritt den gegenteiligen Standpunkt. Es gibt keine Alternative zu Kupfer und die wirtschaftlichen Belange des Ökolandbaus rechtfertigen den Einsatz auch weiterhin.


Nun, am Ende jeder Risikobewertung steht eine Güterabwägung - was bin ich bereit, in Kauf zu nehmen, um andererseits Vorteile erreichen zu können (diese Vorteile können wirtschaftlicher, aber auch anderer Natur sein). Anders als die wissenschaftliche Grundlage für die Risikoabschätzung ist eine Güterabwägung aber tatsächlich immer Meinung - und die kann sehr unterschiedlich sein, wie man hier sieht.

Gruß
Ulli
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VillaGemma

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Re: Kupfer im Bioweinbau

BeitragMo 22. Jul 2013, 12:02

Herr S. hat geschrieben:
Wie können denn bitte die Studien durch die Industrie bezahlt bzw. beauftragt werden ... das ist so dermaßen absurd, dass man echt nur noch den Kopf schütteln kann.


Das ist alles andere als absurd. Derartige Studien sind extrem teuer. Es ist nur richtig, daß die Industrie für sie zahlt.

Hallo Björn,
ich sage auch nicht, dass die Industrie nicht für diese Analysen bezahlen soll. Natürlich sollen sie das. Aber das Labor darf von den Einnahmen aus diesen Studien nicht abhängig sein. Hier muss leider der Staat regulierend eingreifen. Und diese Studien bzw. die Ergebnisse gehen direkt an die Behörde. So stelle ich mir das vor. Dann würde immer noch "gemenschelt" werden, und es würden sicher immer auch noch Fehler passieren, weil das menschlich ist. Aber mein persönliches Gefühl würde weniger im Bereich "vera... äppelung" liegen.

Herr S. hat geschrieben:Die ARTE Reportage „Unser täglich Gift“, auf die hier und da schon angespielt worden ist, geht auf das Bewertungssystem mit seinen NOAEL und Sicherheitsfaktoren ebenfalls ein und kritisiert es scharf (dabei vor allem die EFSA). Leider haben die Macher sich vorher nicht mit der Materie und ihrer wissenschaftlichen Herleitung ausreichend auseinandergesetzt. Denn: Das momentane System ist das einzige, mit dem man +/-valide Grenzwerte etc. ableiten kann. Ich hätte mir einen Gegenvorschlag gewünscht,...


Nun ja, es wurde sehr gut dargelegt, dass die Basis dieses Grenzwertsystems sehr pragmatisch "gemacht" wurde, Faktor 100 Teilen und so. Mein Gegenvorschlag liegt darin, dass die Menschen mehr Geld für Lebensmittel ausgeben und Qualität kaufen ohne Chemie. Ein zum Scheitern veruteilter Ansatz (vom privaten Konsum mal abgesehen, der fast immer bei demeter + Bioland einhergeht), da insbesonderen die Deutschen beim Thema Essen leider zu schnell an billig und schnell denken. Denn eigentlich haben "wir Konsumenten" eine riesige Macht, mit unserem Kaufverhalten. Nur interessiert es vielleicht uns hier im Forum, aber ansonsten doch eher 1-2% der Kollegen/Leute, die ich so kenne...die meisten versuchenn es, das Thema so gut es geht zu ignorieren.

VG,
Robert
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maha

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Re: Kupfer im Bioweinbau

BeitragMo 22. Jul 2013, 14:12

Hallo zusammen,

nachdem ich letztens einen Bericht über das Thema Bio gesehen habe (ich glaube das hiess „der Bio Check“), sehe ich das ganze Thema etwas differenzierter.

Erst mal ist der Konsument zwar bereit für Bio mehr Geld auszugeben, will dann aber keine Kartoffel kaufen der eine Macke hat. In dem Bericht war ein Kartoffelbauer zu sehen, der genau dies bestätigt. Ca. die Hälfte seiner Ernte kann er nicht verkaufen, weil die Kartoffeln nicht makellos sind. Deshalb ist seine Bio Kartoffel doppelt so teuer wie eine nicht Bio-Kartoffel. Wasch mich, aber mach mich nicht nass…
78 Cent kosten supergünstige Bio-Kartoffeln im Supermarkt. Immer noch doppelt so teuer als die billigste Discounterware. Aber kann das noch gute Qualität sein? Nelson Müller will wissen, wer genau diese Kartoffeln wie herstellt. Sie stammen aus dem Wendland und werden tatsächlich nach strengen Bio-Richtlinien hergestellt. Sie könnten sogar noch billiger sein, wenn Konsumenten nicht kleinste Schönheitsfehler ablehnen würden. Jede zweite angebaute Bio-Kartoffel kann nicht verkauft werden.


Weiter ging es beim Bio Schweinefleisch. Im Labor konnte im Bio-Schweinefleisch Antibiotika nachgewiesen werden (wenn auch knapp über der Nachweisgrenze) aber immerhin. Im Nicht-Bio Fleisch nicht. D.h. auch in der Bio Schweinezucht ist der Einsatz von Antibiotika, in Grenzen, erlaubt.
Mir ist schon klar dass es mehr Kriterien gibt als diese (Haltung, Futter, Verhalten der Tiere, …). Aber mir als Konsument war die Geschichte mit den Antibiotika nicht bekannt.
Ferner konnte bei den Äpfeln und Salat faktisch kein Unterschied in Sachen Pestizide und Vitaminen festgestellt werden. Hier konnte im Labor kein Nachweis erbracht werden dass Bio wirklich „gesünder“ ist.

Erstaunlich war auch dass, je nach Jahreszeit, der Apfel aus Südafrika eine bessere Ököbilanz aufweist als der einheimischer Apfel. Denn die müssen bis zum Verkauf in Lagerhäusern bei 4°C gelagert werden. Das kostet im Laufe der Zeit mehr CO2 als den Apfel aus Südafrika einfliegen zu lassen.

Ich stelle mir schon die Frage ob ich das doppelte für ein Produkt ausgeben muss nur weil es Bio ist. Bio heisst nicht zwangsläufig ohne Chemie. Bio ist nicht zwangsläufig gesünder.
Aber auf welche Infos kann ich mich als Konsument verlassen? Auf den Produkten steht nicht drauf ob Chemie drin ist.

In der Tierzucht überwiegen für mich die Vorteile der Bio-Haltung. Hier gebe ich gerne mehr für ein Stück Fleisch aus wenn ich weiss dass die Tiere artgerecht und nachhaltig gehalten werden. Unsere Eier kaufen wir auch nur beim Bauern um die Ecke (den wir persönlich kennen und wissen was ins Futter kommt). Die sind im Übrigen auch noch grösser und günstiger als im Supermarkt.
Beim Obst und Gemüse sehe ich es aber nicht ein.

Beim Wein kann ich mir noch keine Meinung bilden, da ich mich mit der Materie noch nicht auseinandergesetzt habe.
Aber das Argument von UlliB fand ich noch interessant
UlliB hat geschrieben: Gegenstand der Diskussion ist ausschließlich die Ökotoxikologie, und diesbezüglich ist Kupfer eben nicht völlig harmlos. Das kann es auch gar nicht sein, denn das Ziel der Anwendung von Kupfer (wie von anderen Fungiziden) ist das Töten von Lebewesen, hier von Pilzen - was schon an sich ein Eingriff in das Ökosystem darstellt

Das heisst, dass ich keine andere Wahl habe als die Schädlinge (hier Pilze) spriessen zu lassen. Alles andere wäre ein Eingriff in das Ökosystem. Oder ich muss mir einen natürlichen Feind des Schädlings suchen. Welcher wäre das im Fall von Pilzen? Kupfer augenscheinlich nicht, Fungizide auch nicht. Welche Möglichkeit hat der Biobauer dann noch die Schädlinge zu bekämpfen? Eigentlich nur eine Sorte zu züchten die dagegen resistent ist. Das wiederum hat zur Folge dass ich die ursprüngliche Sorte nicht mehr habe sondern eine Neue. Und ist das ohne Genmanipulation so einfach möglich? Wie lange dauert so was?

Gruss
Marko
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Herr S.

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Re: Kupfer im Bioweinbau

BeitragMo 22. Jul 2013, 15:07

Hallo Robert,

VillaGemma hat geschrieben:ich sage auch nicht, dass die Industrie nicht für diese Analysen bezahlen soll. Natürlich sollen sie das. Aber das Labor darf von den Einnahmen aus diesen Studien nicht abhängig sein. Hier muss leider der Staat regulierend eingreifen. Und diese Studien bzw. die Ergebnisse gehen direkt an die Behörde. So stelle ich mir das vor. Dann würde immer noch "gemenschelt" werden, und es würden sicher immer auch noch Fehler passieren, weil das menschlich ist. Aber mein persönliches Gefühl würde weniger im Bereich "vera... äppelung" liegen.


Soll mir nur Recht sein, wenn die Studien direkt zu den Behörden gehen. Und das ist mein voller Ernst. Allerdings sind diese Studien mitunter extrem umfangreich und es bedarf einer bewertenden Zusammenfassung. Und das wollen die Behörden, zumindest unter REACh d.h. der EU-Chemikaliengesetztgebung, vom Anmelder haben, was ich durchaus nachvollziehen kann. Die Arbeiten an einem Dossier von der Studie bis zur Quintessenz sind nämlich, je nach Datenlage, extrem langwierig. Das möchte sich keine Behörde aufbürden, die wollen am Ende eine "Zusammenfassung" und prüfen diese dann nach.

VillaGemma hat geschrieben:Nun ja, es wurde sehr gut dargelegt, dass die Basis dieses Grenzwertsystems sehr pragmatisch "gemacht" wurde, Faktor 100 Teilen und so. Mein Gegenvorschlag liegt darin, dass die Menschen mehr Geld für Lebensmittel ausgeben und Qualität kaufen ohne Chemie. Ein zum Scheitern veruteilter Ansatz (vom privaten Konsum mal abgesehen, der fast immer bei demeter + Bioland einhergeht), da insbesonderen die Deutschen beim Thema Essen leider zu schnell an billig und schnell denken. Denn eigentlich haben "wir Konsumenten" eine riesige Macht, mit unserem Kaufverhalten. Nur interessiert es vielleicht uns hier im Forum, aber ansonsten doch eher 1-2% der Kollegen/Leute, die ich so kenne...die meisten versuchenn es, das Thema so gut es geht zu ignorieren.


Das System wurde "pragmatisch" angelegt, um der Komplexität Rechnung zu tragen. Bevor der Wert von 100 verrechnet wird, sind schon Ableitungen von den Studienergebnissen notwendig um z.B. Interspezies-Unterschiede einzubeziehen oder der Aussagekraft der Studie Rechnung zu tragen. Was Du weiterhin darlesgt ist ein guter und wirklich wichtiger Punkt in der ganzen Diskussion Für und Wider "Chemie". Wenn wir unsere jetzigen Lebensstandard mit all seinen Annehmlichkeiten haben wollen (Mobilität, alle Früchte 365 Tage im Jahr usw,), dann kommen wir um Chemie nicht herum. Und ich gebe Dir völlig recht, wenn der Konsument in der Breite umdenken würde, wäre der Markt gezwungen auf die veränderte Nachfrage zu reagieren. Das würde einiges beschleunigen. Aber um es mal provokant-platt zu formulieren: Wenn dem Deutschen das Auto näher als seine Nahrung ist, dann wird sich wenig ändern.

Viele Grüße,
Björn
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