Hallo Kle,
die Theorie von Herrn Scheuermann zeugt tatsächlich von Chuzpe, wobei ich dieses Wort in dem Zusammenhang dann doch euphemistisch finde.
Theorie an
-einige rare hochklassige Güter bemühen sich seit Generationen darum, die Besonderheit ihrer klimatischen, meteorologischen Bedingungen etc. in ihren Weinen hochgradig und kontinuierlich auszudrücken. Es handelt sich um eine von vielen möglichen Interpretationen, die aber in sich folgerichtig ist. Und wurde ein bestimmter Weg erst einmal eingeschlagen, liegt die Kunst darin, ihn evolutionär und in emphatischer Reaktion auf sich verändernde Gegebenheiten fortzusetzen. Weinberg und Weinkeller sind bald unentwirrbar verflochten. Auch die menschliche Tätigkeit der Vergangenheit fließt in die Würdigung des Terroir ein und prägt sie in der Gegenwart wie die Rebensorten oder Regenperioden.
Bis hierhin finde ich die Theorie von Herrn Scheuermann sehr schlüssig und gut formuliert.
Die produzierten Weine sind nicht unbedingt besser als andere, aber eben Terroir-Weine, die von Verkostern mit jahrelanger Erfahrung erkannt werden können.
Auch das kann ich im weitesten Sinne noch nachvollziehen.
Mehr noch: Terroir benötigt ein Komplement, den quasi kongenialen Verkoster, um zum (Bewusst-)Sein zu gelangen. Die „Objektivität“ ergibt sich demnach aus der Historie gespiegelt im Wein, der auf der Zunge des Verkosters seine Wahrheit offenbart. Subjekt, Objekt, Vergangenheit, Gegenwart alles eins.
Theorie aus.
Ab hier stürzt die Theorie leider in den Bereich ab, den man Chuzpe, aber auch Selbstherrlichkeit nennen kann (vorausgesetzt, Herr Scheuermann zählt sich selber zu den "quasi kongenialen Verkostern").
Erstens (v)erklärt die Theorie Terroirrezeption zu einer elitären Angelegenheit, die sich nur einigen auserwählten Wundergaumen erschließt. Ich bin zwar durchaus auch der Meinung, dass man jahrelange Erfahrung braucht, um den Kerncharakter von Weinen unabhängig von externen Einflüssen (z.B. Moden wie stark getoastetes Barrique) besser beurteilen zu können. Es gibt aber auch einen Bereich zwischen den ersten interessierten Schlücken und dem Status als "Wundergaumen" und auch zwischen einer Erkennbarkeit auf Makroebene (z.B. die Traubensorte, die Bodenart oder die Herkunfts-Appelation) und einer Erkennbarkeit auf der Mikroebene (z.B. "ein Riesling aus dem Erdener Treppchen"). Die Theorie von Herrn Scheuermann radiert diesen sehr großen Zwischenbereich mehr oder weniger aus.
Zweitens stört mich an der Theorie die etwas krude Rollenverteilung zwischen Winzer und Verkoster. Natürlich hat Herr Scheuermann auch hier in gewisser Weise recht, nämlich insofern als jedes "Terroir" im Wein nur zur Geltung kommen kann, wenn es (durch wen auch immer) rezipiert wird. Nur klingt die Scheuermann'sche Theorie für mich so, als würde die "Wahrheit" des Terroirweins nicht hauptsächlich von dem Winzer stammen, sondern von dem begnadeten Verkoster, der diese Wahrheit erkennt. Zum Vergleich stelle man sich vor, ein Kunstkritiker würde behaupten, ein Bild könne nie für sich ein gelungener Ausdruck eines bestimmten Stils oder einer bestimmten Epoche sein, sondern bekäme seine stilbildende oder -prägende Eigenschaft erst dadurch, dass ein erfahrener und begnadeter Kunstkritiker die Stilbildung bzw. -prägung erkennt und zum Ausdruck bringt. Die wahre Schöpfung liegt also nicht im Schaffen, sondern erst in der Rezeption. Leider bin ich kunsthistorisch nicht bewandert genug, um zu wissen, wie viele Kunstkritiker die Chuzpe gehabt haben, eine solche Theorie zu äußern.
Der große Irrtum in der Scheuermann'schen Theorie liegt für mich in den folgenden beiden Sätzen:
Die „Objektivität“ ergibt sich demnach aus der Historie gespiegelt im Wein, der auf der Zunge des Verkosters seine Wahrheit offenbart. Subjekt, Objekt, Vergangenheit, Gegenwart alles eins
Denn nach der Scheuermann'schen Theorie braucht es zum Erkennen der "Wahrheit" des Weines einen nahezu gottgleichen Verkoster, der die Fähigkeit hat, "Wahrheit" zu erkennen. Unklar bleibt, wer die ausreichende Qualifikation dieser auserwählten Verkoster eigentlich festlegt. Und subjektiv differierende Meinungen unterschiedlicher Verkoster, die die von Herrn Scheuermann als Grundvoraussetzung geforderte jahrelange Erfahrung und Kongenialität haben, müssten nach seiner Theorie eigentlich ausgeschlossen sein. In der Realität sehe ich eher das Gegenteil
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Daher kann ich mit deiner eigenen "Theorie"...
Kle hat geschrieben:Leider werde ich persönlich kaum je eine solche Wahrheit schmecken können und verstehe das Wort ganz naiv, pragmatisch und positiv. Nimmt ein Winzer es in den Mund, bezieht er sich auf eine Idee, einen Anspruch. Das macht seine Weine erst einmal interessant. Ob es nur modisch dahergesagt wurde, aus Werbezwecken oder tieferen Beweggründen – die Wahrheit liegt wie bei allen Terroirspekulationen im Glas.
...wie auch Bernd Schulz deutlich mehr anfangen
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