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"Problemfall" Blindverkostungen

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Charlie

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Re: "Problemfall" Blindverkostungen

BeitragDo 3. Mär 2011, 17:28

sociando hat geschrieben: das was dann rauskommt ist riech- und geschmackserlebnis pur - ohne weitere informationen über weingut und jahr und so weiter zu haben.
Pur ist das Erlebnis in dem Sinn nicht, als man Wissen hat. Man beurteilt einen Wein doch nicht nur danach ob er schmeckt, sondern auch danach, ob er so schmeckt wie er zu schmecken hat. Da man bei der Blindprobe erstmal nicht weiss wie er zu schmecken hat, probiert man, ordnet ein und urteilt dann. Um diesen Effekt zu vermeiden, probiert man ähnliche Weine miteinander um sie untereinander zu vergleichen. Ist die Ähnlichkeit grob (Rotweine) hat man den Effekt nicht vermieden und muss weiter differenzieren (rote Burgunder -> 1999er rote Burgunder -> rote 199e9er von der Cote de Beaune -> davon nur Premier Cru -> davon nur Volnays ). So kommen wir irgendwann bis auf den einzelnen Wein. Also nicht mehr blind.
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AH.

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Re: "Problemfall" Blindverkostungen

BeitragDo 3. Mär 2011, 18:02

Man beurteilt einen Wein doch nicht nur danach ob er schmeckt, sondern auch danach, ob er so schmeckt wie er zu schmecken hat

Hallo Charlie,

das sehe ich nicht so und meine, daß man sich Wein ohne Vor-Urteile nähern sollte - eine Stärke der Blindprobe. Die erste Frage ist für mich immer: Schmeckt mir der Wein oder nicht? Die zweite Frage ist, warum das so ist. Die dritte, ob der Wein eine Sorten- und Lagentypizität besitzt* (was mir wichtig ist, aber anderen nicht wichtig sein muß). Wie "hat" z.B. ein 2003er Riesling zu schmecken oder wie ein 2006er? Darauf gibt es keine Antwort.

* Mehr möchte ich in die Typizität nicht einbeziehen, denn sonst wäre z.B. der im Betontank ausgebaute Ch. Belair Marquis d´Aligre ein schlechter Margaux, weil er anders als alle anderen Margaux schmeckt, die im Barrique ausgebaut wurden. Mir persönlich schmeckt er deswegen besser, auch wenn er in einem Punkt nicht "typisch" ist.

Das eingangs vorgetragene Argument von Gerald halte ich für unlogisch, da ich früher häufiger mit einem Freund zwei Weine blind verglichen habe (einer zunächst mehr blind, der andere weniger). Blindproben müssen keine großen Proben sein.

Gruß

Andreas
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Gerald

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Re: "Problemfall" Blindverkostungen

BeitragDo 3. Mär 2011, 19:16

Hallo,

vielleicht bin ich ein bisschen missverstanden worden (oder habe mich unklar ausgedrückt): natürlich würde die psychologische Studie sowohl Blind- als auch aufgedeckte Verkostungen betreffen, denn das hängt ja nur von der Anzahl der Alternativen (Weine) ab und nicht ob man jetzt den Winzer kennt oder nicht.

Nur bei Blindverkostungen sind die Ergebnisse oft eben spektakulärer, da manchmal berühmte Weingüter ganz schlecht oder unbekannte sehr gut abschneiden, ohne dass man das Ergebnis so einfach wiederholen könnte. Bei Verkostungen bekannter Weine bzw. Weingüter projiziert der Verkoster evtl. die im Kopf mit dem Weingut assoziierte Qualität in den Wein, daher sind die Resultate nicht so spektakulär. Man könnte vielleicht auch sagen "absehbar", was auch nicht unbedingt ein Lob für die Verkostung wäre ...

Grüße,
Gerald
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Charlie

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Re: "Problemfall" Blindverkostungen

BeitragFr 4. Mär 2011, 10:49

AH. hat geschrieben:Man beurteilt einen Wein doch nicht nur danach ob er schmeckt, sondern auch danach, ob er so schmeckt wie er zu schmecken hat
...
das sehe ich nicht so und meine, daß man sich Wein ohne Vor-Urteile nähern sollte
Eben, sollte.

AH. hat geschrieben: Die dritte, ob der Wein eine Sorten- und Lagentypizität besitzt* (was mir wichtig ist, aber anderen nicht wichtig sein muß).
Aber dem Fachverkoster muss es wichtig sein, sonst könnte man gar nichts auf sein Urteil geben und er wäre der einzige der etwas von der Verkostung hat weil er danach weiss, was ihm schmeckt.

AH. hat geschrieben: Wie "hat" z.B. ein 2003er Riesling zu schmecken oder wie ein 2006er? Darauf gibt es keine Antwort.

* Mehr möchte ich in die Typizität nicht einbeziehen, denn sonst wäre z.B. der im Betontank ausgebaute Ch. Belair Marquis d´Aligre ein schlechter Margaux, weil er anders als alle anderen Margaux schmeckt, die im Barrique ausgebaut wurden. Mir persönlich schmeckt er deswegen besser, auch wenn er in einem Punkt nicht "typisch" ist.
Die Frage ist ja nicht, ob man sich einig ist wie ein Wein zu schmecken hat, sondern ob man im Urteil von der Vorstellung beeinflusst wird wie ein Wein zu schmecken hat. Egal ob diese Vorstellung sinnvoll oder nicht. Der d´Aligre ist gerade ein gutes Beispiel: blind verkostet wird er unter anderen Margaux bei einigen Verkostern durchfallen, wenn sie wissen, dass Margaux verkostet wird.
Will sagen, dein Argument gilt für private Verkostungen, aber nicht für solche, die ein Urteil für die Öffentlichkeit liefern sollen.
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AH.

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Re: "Problemfall" Blindverkostungen

BeitragFr 4. Mär 2011, 11:41

Hallo Charlie,

in meinen Augen sind auch ver-öffentlichte Verkostungen wie Privatverkostungen anzusehen, amtliche Prüfungen ausgenommen. Ver-öffentlichte Verkostungen sind ja alles andere als homogen, siehe z.B. http://www.bordoverview.com/

Das liegt daran, daß die Maßstäbe bzw. Kriterien, die angelegt werden, unterschiedlich sind. Sorten- und Lagentypizität sind für mich wichtig, bei vielen ver-öffentlichten Verkostungen ist das aber nicht so (das meine ich wertneutral). Im Bordelais findet man z.B. viele Weine, denen man nicht anmerkt, daß sie großteils aus Cabernet Sauvignon bestehen (und das bei dieser aromatisch nahezu unzerstörbaren Rebsorte), hohe ver-öffentlichte Verkostungsergebnisse gehen damit einher. Weltweit findet man Weine, die vom Holz dominiert sind, zu Lasten des Sorten- oder gar Lagencharakters. An der Mosel gibt es teure Weine, wo ein Schwefelwasserstoffböckser alles überdeckt usw. usf. - und die alle ver-öffentlicht gut bewertet werden.

Ich sehe ver-öffentlichte Verkostungen daher genau wie Privatverkostungen an. Wir Weinliebhaber brauchen, meine ich, keine ver-öffentlichten Verkostungen, die Weine an pseudo-objektiven Maßstäben messen oder zu messen vorgeben, d.h. an einer prinzipbedingt willkürlichen Vorstellung messen, wie ein Wein zu schmecken hat.

Gruß

Andreas
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Charlie

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Re: "Problemfall" Blindverkostungen

BeitragFr 4. Mär 2011, 15:39

Hallo Andreas,

stimmt. Aber wofür sind dann Blindproben von Profis gut?

Gruss, Charlie
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AH.

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Re: "Problemfall" Blindverkostungen

BeitragSo 6. Mär 2011, 22:33

Hallo Charlie,

m.E. dafür, daß die "Profis" ihre persönliche Meinung ohne Einfluß der Kenntnis von Erzeuger, Preis etc. veröffentlichen. Oder eben für amtliche Prüfungen.

Gruß

Andreas
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Don Miguel

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Mal wieder Blindverkostung

BeitragDo 16. Jun 2011, 12:52

Bernd Schulz hat geschrieben:
Theise selbst lehnt Blindverkostungen übrigens in seinem Buch auch tatsächlich weitgehend ab. Ich selbst halte Blindverkostungen hingegen für wichtig und aufschlussreich, wenn auch nicht als einziges oder bestes Mittel, um die "Qualität" von Wein beurteilen zu können.


Gerade im Zusammenhang mit der Gebiets- und Lagencharakteristik als bedeutsamer Komponente des Terroirbegriffs ist mir blindes Verkosten (so, wie wir es in unserer Aachener Dreierseilschaft konsequent praktizieren) besonders wichtig. Erst, wenn es mir - einige Erfahrung mit der jeweiligen Materie vorausgesetzt - beim blinden Probieren in relativ wenigen Schritten gelingt, mich an das Gebiet und eventuell auch die Lage heranzutasten, mag ich von einem Wein sprechen, der in diesem Sinne terroirtypisch ist. Wenn ich vorher schon weiß, was ich riechen und schmecken soll, bleibt mein Urteil mit Blick auf die Typizität ziemlich witzlos.
Dass man bei derartigen Ratespielen nicht immer erfolgreich ist, sondern manchmal auch sein kleines Waterloo erlebt, liegt auf der Hand, gehört aber zur Freude an der Erkenntnis dazu!


Blind oder offen! Diese Diskussion ist mindestens so kontrovers wie das Terroir-Thema. Wobei ich mich immer mehr frage, warum man eigentlich diese beiden Methoden nicht einfach kombiniert? Ein Durchgang wird blind, der nächste offen verkostet. Wäre doch logisch und naheliegend!

Grüße
Don
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susa

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Re: Mal wieder Blindverkostung

BeitragDo 16. Jun 2011, 12:56

Don Miguel hat geschrieben:.....Wobei ich mich immer mehr frage, warum man eigentlich diese beiden Methoden nicht einfach kombiniert? Ein Durchgang wird blind, der nächste offen verkostet. Wäre doch logisch und naheliegend!

Grüße
Don


Machen wir im Freundeskreis oft so und ich finde das recht spannend, wie Dinge, die man blind eher ahnte und bei denen man sich nicht ganz sicher war, offen auf einmal ganz klar zutage traten. Ist eine gute Übung - und sauber verhauen haben wir uns alle dabei auch oft genug.

Lieben Gruß
susa
Red wine with fish. Well, that should have told me something.
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pivu

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Re: Mal wieder Blindverkostung

BeitragDo 16. Jun 2011, 13:02

Don Miguel hat geschrieben: Blind oder offen! Diese Diskussion ist mindestens so kontrovers wie das Terroir-Thema. Wobei ich mich immer mehr frage, warum man eigentlich diese beiden Methoden nicht einfach kombiniert? Ein Durchgang wird blind, der nächste offen verkostet. Wäre doch logisch und naheliegend!


Zwar OT hier - Gerald, bitte verschieben -, aber mich immer wieder herausfordernd: warum verdammt nochmal soll der Weingenießer einen Wein blind trinken? Fakt ist, dass ein nicht zu kleiner Teil des Genusses, des Erlebnisses Wein dabei verloren geht. Selbst im professionellen Bereich halte ich das für suboptimal, vorausgesetzt, es handelt sich um echte Profis und keine Etikettentrinker. Wie machen's denn die Restauranttester? Wie lernen wir denn einen neuen Partner kennen und schätzen? Etwa blind? Mehr als ein lustiges Gesellschaftsspiel ohne Anspruch ist das nicht.

Ciao
Peter
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