Im Fritz-Haag-Faden findet aktuell eine Diskussion zu einem Thema statt, das mich als Akteur in diesem Forum seit einger Zeit auch beschäftigt, zumal ich bis vor zwei/drei Jahren die hohen Punktewertungen einiger Mitglieder durchaus als Kaufempfehlungen aufgefasst habe und dabei einige Male auf die Nase gefallen bin.
Als Apropos zitiere ich mal jessesmaria
Ich finde die in den sozialen Medien (egal ob Foren oder Facebook-Weingruppen) etablierten Bewertungssysteme auch recht gewöhnungsbedürftig. Man kann ja die inflationären Bewertungen der Kritiker, allen voran Lobenberg, Gerstl & co., kritisieren, aber das (vielleicht in bewusster Abgrenzung?) gegenteilige Vorgehen wirft auch Fragen auf: von 100 Punkten habe ich sowieso noch nie etwas gelesen, aber selbst 97-99 Punkte bilden anscheinend einen Bereich des Utopischen, der in der Realität nie erreicht wird. Das suggeriert, als gebe es den 100-Punkte-Wein gleichsam wie den Stein der Weisen als eine Art mystisches Ideal, das jeder kennt und zugleich niemand. Oder aber es ist einfach eine Art selbstgefällige Strenge, die stets daran erinnert, dass den eigenen hohen Ansprüchen selbst der augenblicklich perfekte Wein niemals uneingeschränkt gerecht wird und es stets noch Luft nach oben gibt – so etwa wie bei besonders strengen Pädagogen, die nur oder wenn überhaupt Bestnoten verteilen, wenn der Schüler besser ist als sie (sozusagen die eigene Aufwertung durch die Abwertung des Gegenübers.
Das hat aber jetzt überhaupt nichts mit Bernd persönlich zu tun, dessen Verkostungsnotizen ich immer sehr informativ und hilfreich finde (außerdem habe ich mich längst an das Punktesystem gewöhnt), sondern betrifft wie anfangs erwähnt eigentlich sämtliche Amateurkritiker hier im Forum, auf Facebook etc., die Punkte vergeben
Dass Lobenberg und Gerstl keine Kritiker sind, sondern Menschen, die ihre Weine verkaufen wollen, ist eigentlich klar. Alles, was einigermaßen genießbar ist, muss mindestens 90 Punkte haben. Und Luca Maroni sollte man ebenso wenig erst nehmen. Ernst nehme ich dagegen das ursprüngliche 100-Punkte-System à la Robert Parker, nach dem Weine, die mehr als 80 Punkte haben, überdurchschnittlich bis sehr gut sind. In unserem Forum werde ich jedoch gelegentlich mit Verrissen konfrontiert, bei denen dann am Ende 86 Punkte auf dem Zettel stehen. Und das sind keine 30-, 50- oder 100-€-Weine.
Für mich persönlich habe ich eine Art Gebrauchsanweisung geschaffen, die ich nutze, um die verschiedenen 100-Punkte-Skalen, die im Umlauf sind, miteinander kompatibel zu machen. Ich muss gestehen, dass ich mich selbst bisweilen dabei erwische, etwas üppig oder großzügig zu bewerten, und dass ich mich mit meinen Punkten dann etwas zurückhalten sollte. Aber wenn ich die Skala mal so ausrichte, dass meine eigenen Wertungen auf Null normiert sind, so komme ich in etwa auf folgendes Schema:
Falstaff +3 bis +4
Bernd Schulz +3 bis +4
mixalhs 0
Marcus Hofschuster (wein-plus) -1 bis -2
charlie -2 bis -3
Das hat nichts mit "richtig" oder "falsch" zu tun, sondern mit unterschiedlichen Interpretationen der 100-Punkte-Skala. Der ursprünglichen Parkerskala am nächsten kommt in meiner Wahrnehmung wohl Marcus Hofschuster, ich selbst liege im Durchschnitt etwas darüber. Bei EThC, der eine 25er Wertung benutzt, die man seinen Angaben zufolge, grob interpoliert, nach der Formel 50+2x in die 100er-Skala umrechnen kann, komme ich auf +1 bis +2. Die Bewertungen von Lobenberg, Gerstl und Maroni nehme ich nicht ernst; daher tauchen sie hier nicht auf.
In meinen eigenen VKNen bin ich in seltenen Ausnahmefällen bis 98 oder 99 gegangen (bei 8 von ca. 4800 Weinen in 16 Jahren), Die magische 100 habe ich noch nie vergeben, aber bisher hatte ich auch noch nicht die Möglichkeit, die echten Jahrhundertweine wie Yquem 1921, Cheval Blanc 1947 oder Weine der DRC aus guten Jahren probieren zu können. Für einen dieser utopischen Fälle bewahre ich mir die 100 Punkte auf - im Bewusstsein, dass ich diese Note wohl nie ziehen werde. Einladungen zu solchen Weinproben nehme ich natürlich gern an .....