Fr 19. Feb 2021, 10:39
Gestern hatte ich wieder einen interessanten Vergleich versucht, um meine Kategorisierung zu überprüfen.
Ich wählte zwei Gutedel von zwei Top-Weingütern aus dem Markgräflerland, Schneider und Ziereisen, aber in unterschiedlichen Preiskategorien.
Einmal der Einstiegs-Gutedel Vom Kalkstein 2018 von Schneider, ich meine er kostete 6,90€.
Anschließend der Gutedel Steingrüble 2017 von Ziereisen, für 16,90€.
Der Wein von Schneider ist verhältnismäßig fruchtbetont mit milder Säure, insgesamt sehr weich und glatt. Scheint mir ein guter Essensbegleiter, der zu vielem passt. Er hat keine Ecken und Kanten und verändert sich auch im Laufe des Abends kaum. Ein guter Wein, der aber nicht besonders auffällt, insofern passt er für mich in die im Eröffnungsbeitrag aufgestellte Kategorie:
- bis ~12€: selten Weine, die einen bleibenden Eindruck hinterlassen
Der Wein von Ziereisen war ein krasser Kontrast. In der Nase Kuhstall, Heu. Die Frucht sehr im Hintergrund, dafür sehr grasig und mineralisch. Er polarisierte sehr: zwei von vier Verkostern mochten ihn gar nicht.
Mich erinnerte er an eine Fuge von Beethoven: etwas sperrig, ganz ungeschminkt, aber faszinierend und höchst individuell. Um die Gemeinsamkeit zum Schneider-Wein zu erkennen – immerhin ja dieselbe Rebsorte –, half mir folgendes Bild: würde man den Steingrüble filtern und alle Ecken und Kanten abschleifen, bliebe sowas wie der Kalkstein übrig.
Wenn ich mich versuche, an die Weine zu erinnern, ist der Steingrüble im Gedächtnis noch sehr lebendig, ich glaube, das wird auch eine Weile so bleiben. Vom Kalkstein: ich denke, nach einiger Zeit würde ich ihn mit anderen sortentypischen Weinen leicht verwechseln.
Insofern passt der Steingrüble, obgleich günstiger, für mich in diese Kategorie:
- 20–30€: Weine, die häufig im Gedächtnis bleiben; "Wow"-Effekt beim ersten Schluck möglich
Da die meisten Weingüter dieser Klasse Weine in all diesen Preissegmenten anbieten, erscheint es mir auch ganz logisch, dass sie nach Komplexität gestaffelt sind. Je mehr ich im Forum lese, desto mehr fühle ich mich ehrlich gesagt von euch bestätigt, dass eine recht konkrete Relation zwischen Preiskategorie und Komplexität/Anspruch des Weins nicht nur in meinem Kopf vorherrscht...
Bernd Schulz hat geschrieben:Angesichts des Preises von 11 Euro handelt es sich natürlich nicht um ein Komplexitätswunder
Ralf Gundlach hat geschrieben:es fehlt an (natürlich) Komplexität ( in dieser Preisklasse), kostet 8,50 Euro
Kle hat geschrieben:Worin er seiner Preisklasse unter 20 Euro entspricht, ist ein Mangel an Komplexität und Subtilität.
Usw. usf.
Ich unterstelle also mal, ihr habt euch vor allem von der notgedrungenen Vereinfachung und Pauschalität und meiner Kategorisierung provoziert gefühlt (die ja nur ein grober Anhaltspunkt sein sollte) und die Gelegenheit genutzt, Gegenbeispiele ins Feld zu führen (finde ich gut!).
Wäre ja auch langweilig, wenn alles der Regel nach verliefe... Aber: Die Aussage, eine Wohnung in München ist teurer als eine Wohnung in Bielefeld, bleibt auch dann richtig, wenn es einem gelingt, ein Schnäppchen in München zu ergattern, wogegen ein Freund für eine Wohnung in Bielefeld sogar mehr, also viel zu viel gezahlt hat (vorausgesetzt, Bielefeld existiert).
Im Übrigen würde ich den Wein von Schneider wahrscheinlich bei vielen Gelegenheiten vorziehen, nicht zuletzt, um weniger entdeckungsfreudige Gäste nicht zu verschrecken, aber auch, weil er sich vermutlich in viel Konstellationen besser einfügt und dem Essen nicht die Show stiehlt. Ich würde also natürlich nicht sagen, dass der teurere Wein der
bessere ist (die Kategorien gut und schlecht sind zu undifferenziert), genauso wie ich – um den Vergleich nochmal abzugreifen – Wagners Musik nicht für
besser halte als die von Johann Strauss oder den Beatles, wohl aber für komplexer.