Fr 6. Nov 2020, 18:44
stollinger hat geschrieben:...
Insgesamt ist jedoch der Einfluss des Fundamentgesteins auf die Weinqualität indirekt und geschieht immer in Verbindung mit dem aufliegenden Boden. Die dafür wesentlichen Terroir-Parameter, die mit dem Boden in Verbindung gebracht werden, sind die Bodentemperatur, die Wasserrückhaltefähigkeit und die Menge an bodenverfügbarem Stickstoff. Hingegen gibt es keinen wissenschaftlichen Zusammenhang zwischen Mineralien im Boden und Eigenschaften des Weins. Das Thema ist in diesen beiden frei zugänglichen Artikeln gut zusammengefasst. [2, 3]
Ich versuche mal, die Beschreibung der Einflussgrößen aus den Artikeln zusammenzufassen:
- Die Bodentemperatur, und damit die Temperatur der Wurzeln der Rebe, beeinflussen den Zeitpunkt des Austriebs und die Geschwindigkeit der Reife. In warmen Weinbauzonen ist eine kühle Wurzeltemperatur von Vorteil, um die Reife zu verlangsamen und somit ausreichend Säure in phenolisch und aromatisch ausgereiften Trauben zu haben. In kalten Weinbauzonen ist eine warme Wurzelzone hilfreich, um eine gute Reife ohne grüne Aromen und zu hohe Säure zu erreichen.
- Ein moderater Trockenstress wirkt sich positiv auf die Qualität der Weine aus. Der Unterschuss an Wasser führt zu konzentrierteren Beeren, der Gehalt an Äpfelsäure wird reduziert, die Dicke der Schalen nimmt zu. Die Dicke der Schalen wirkt sich erhebllich auf den Gehalt an Phenolen wie Anthocyaninen und die Menge an glycosidisch gebundenen, wesentlichen Aromabestandteilen aus. Schwerer Trockenstress wirkt sich hingegen negativ auf das vegetative Wachstum, den Reifeverlauf und die Bildung von Aromen aus.
- Stickstoffversorgung ist für die Reben essentiell und wird natürlich für das vegetative Wachstum und die Reife der Beeren benötigt, ist aber auch relvant für die Ausbildung von Phenolen und Aromastoffen, bzw. Vorstufen für Aromastoffe. Eine moderate Versorgung der Rebe mit Stickstoff (in Form von Nitrat), wirkt sich positiv auf die Weinqualität aus. Die Beerengröße bleibt klein, was wieder zu hohem Zucker und hohem Gehalt an Phenolen und niedrigerem Gehalt an Äpfelsäure führt. Der Stickstoffbedarf von Weißweintrauben ist höher als der von Rotweintrauben. Stickstoff stimuliert die Synthese von vielen Thiol-Verbindungen in Weißweintrauben; diese Thiole und Metabolite aus ihnen bilden die wesentlichen Aromabestandteile von Weißwein. Eine zu hohe Stickstoffversorgung führt zu Pilzbefall.
Moderater Stress (nicht nur Trockenstress, sondern auch Stress wie UV-Strahlung und Schädlinge) wirkt sich also positiv auf die Qualität aus, die Rebe erfährt einen Auslöser zur Bildung von sekundären Pflanzenstoffen. Ein anschauliches Gegenbeispiel (Früchte ohne Stress) sind für mich Gewächshaustomaten.
Der Stickstoffgehalt im Boden wirkt sich nicht allein auf das Wachstum der Beeren und der Rebe aus, sondern es kommt auch noch darauf an, dass der Most einen ausreichend hohen Gehalt an hefeverwertbarem Stickstoff (jetzt nicht in Form von Nitrat, sondern als Aminosäuren o.Ä.) besitzt, den die Hefe für die Vermehrung benötigt. Wenn die Rebe keine ausreichende Stickstoffversorgung hat, fehlt dieser dann auch im Most und es kann zu Gärverzögerungen, Gärungsstop und einer Vermehrung von Gärungsnebenprodukten kommen.
Um den Stickstoff aus dem Boden in die Rebe zu bekommen, ist eine ausreichende Feuchteversorgung nötig, bei schwerem Trockenstress kann die Stickstoffversorgung deshalb unzureichend sein, direkt ist deshalb die Stickstoffversorgung der Rebe von der Wasserbalance im Boden gesteuert.
Der bodenverfügbare Stickstoff wird aus organischem Material durch Microorganismen und Bodenbewohner hergestellt (sofern nicht Mineraldünger verwendet wird). Dies geschieht hauptsächlich in den oberen Bodenschichten im Zeitraum von April bis September. In Zeiten von einer hohen Nitratbildung, im Frühjahr und im Frühsommer, wird potentiell übeschüssiges Nitrat mit dem Regenwasser in tiefere Bodenschichten transportiert und steht der Rebe zusätzlich im Zeitraum des höchsten Stickstoffbedarfs (Juli-August, zwischen Blüte und Veraison) zur Verfügung. Deshalb hat natürlich auch die Bodendurchlüftung (und damit die Porösität), aber vor allem auch die Bodenfeuchte, einen Einfluss nicht nur auf die Rebe, sondern in ganz erheblicher Weise auch auf den Boden, die Erde und all seine biologisch aktiven Bestandteile.
...
[2] C. van Leeuwen, L. de Rességuier, Major Soil-Related Factors in Terroir Expression and Vineyard Siting, Elements, Vol. 14, pp. 159–165, 2018. [Link]
[3] C. van Leeuwen, J.-P. Roby, L. de Rességuier, Soil-related terroir factors: a review, OENO One, 2018, 52, 2, 173-188. [Link]
Fr 6. Nov 2020, 21:07
Ich würde sogar noch weiter gehen: Wenn die Konzentration nicht "natürlich" vorliegt, sondern "erzwungen" wird, sind das solche Kandidaten.stollinger hat geschrieben:Für mein Verständnis sind Weine, bei denen durch die Weinbereitung bereits eine höhere Aromenkonzentration forciert wird, Kandidaten, die im Alter dann nicht mehr ausreichende Frucht besitzen und ausgezehrt, alt und aromatisch flach wirken.
Jedenfalls haben meine extrem wenigen Meßpunkte aus 2019 (fast alles weiße aus D) den Eindruck frischerer, spannenderer, balancierterer Charakteristik ggü. 2018 hinterlassen. Ganz zu schweigen von den 2018ern, die aufgrund von (anscheinend) Trockenstreß diskutabel fehlerhaft sind.stollinger hat geschrieben:[2018 vs. 2019]
Deckt sich das mit euren Verkostungseindrücken?
Sa 7. Nov 2020, 11:20
amateur des vins hat geschrieben:Jedenfalls haben meine extrem wenigen Meßpunkte aus 2019 (fast alles weiße aus D) den Eindruck frischerer, spannenderer, balancierterer Charakteristik ggü. 2018 hinterlassen. Ganz zu schweigen von den 2018ern, die aufgrund von (anscheinend) Trockenstreß diskutabel fehlerhaft sind.
Do 13. Mai 2021, 14:42
stollinger hat geschrieben:Allgemein reagieren Reben auf Stress, biotischen (wie Pilze oder Schädlinge) oder abiotischen (Trockenheit, intensive Lichteinstrahlung, Hitze), mit einer Abwehr- oder Schutzreaktion. Dafür produziert die Pflanze sekundäre Pflanzenmetabolite, die den angenehmen Nebeneffekt haben, dass sie als Ausgangsstoff für Aromen und strukturbildende Komponenten später im Wein zur Verfügung stehen. Die Rebe braucht Stress, damit die Trauben intensiv schmecken; Stress ist positiv für die Weinqualität, solange nicht wichtige pflanzenphysiologische Prozesse durch Überstress negativ beeinträchtigt sind.
Fr 14. Mai 2021, 14:23
Im Lesegut fanden sich auch Beeren die noch nicht voll-reif waren. Die Kerne dieser Beeren sind an den Ansatzstellen noch grün. Eine zu starke Extraktion wird unangenehme adstringierende harte Tannine hervor bringen (so soll ja Leute geben die das mögen). Die Farbe und Tanningehalte sind auch bei sehr vorsichtiger Extraktion schon nach sehr kurzer Zeit (zwei Tagen) sehr hoch.
The Merlot wines are deeply-coloured, intensely fruity and delicious. Despite being made from fairly large grapes, they boast a good tannic structure, without hardness or dilution. In the context of climate change, which, for logical reasons, prompts winegrowers to choose later-ripening varieties, the remarkable success of this grape variety in the last three vintages has led us to reflect and challenge some of our convictions. The Petit Verdot grapes yielded good results in terroirs where water supplies remained sufficient. This grape variety, which is highly sensitive to water stress, nevertheless suffered in very well-drained soils. The Cabernets grapes, which were generally very small, produced deeply-coloured and tannic wines without any herbaceousness. Due to the deteriorating weather conditions, the early-ripening great terroirs were clearly at an advantage and produced very fine wines.
This meant most winemakers exercised restraint with their macerations. Edouard Moueix explained, “ (...) we chose shorter macerations, draining tanks after 18 to 20 days – more an infusion than brassé. Just circulating juice under the cap, no pumping over; we’re not fans of pigéage”. This view was echoed by nearly everyone we’ve spoken to. Gently does it. There was so much material: colours, tannins, fruit – it paid to be cautious. In the vast majority of cases, the tannic structure and the freshness of fruit is what sets these wines apart. Yes, you have immense, profound colours and this huge core of fruit, yet it appears so lifted and fresh, framed by these glorious tannins coated with dark berries and minerals.
Comparisons between these three great vintages have already begun. Debates will rage for decades and there will no doubt be some variations from chateau to chateau. However, we are beginning to see a clear picture emerging. 2018 is a vintage that will be remembered for scale and grandeur; 2019 is both voluptuous and refined; 2020 will become renowned for its intensity, freshness and poised stature.
(...)
But this is not a reason to dismiss 2020 – we requested fresh samples from the chateau and discovered many exceptional wines. The high points are definitely worth seeking out, ; they are breath-taking. There’s concentration, structure and power matched with definition, vibrancy, and relatively low alcohol levels. Many growers claim their wines are superior to their 2018s and 2019s, something to which we can attest.
Of the numerous wines we’ve tasted, there are scores of successes. We highly recommend the following: Pichon Comtesse, Margaux, Rauzan Segla, Canon, Brane Cantenac, Lynch Bages, Haut Bailly, Smith Haut Lafitte, Domaine de Chevalier, La Fleur Petrus, Belair Monange, Leoville Barton, Ducru Beaucaillou, Branaire Ducru, Grand Puy Lacoste, Meyney, Batailley and Phelan Segur.
Fr 14. Mai 2021, 16:43
Ollie hat geschrieben:
Steffan Paeffgen hatte ja bereits im September 2020 geschrieben:Im Lesegut fanden sich auch Beeren die noch nicht voll-reif waren. Die Kerne dieser Beeren sind an den Ansatzstellen noch grün. Eine zu starke Extraktion wird unangenehme adstringierende harte Tannine hervor bringen (so soll ja Leute geben die das mögen). Die Farbe und Tanningehalte sind auch bei sehr vorsichtiger Extraktion schon nach sehr kurzer Zeit (zwei Tagen) sehr hoch.
Bei Justerini's wird Edouard Moueix zitiert mit: “Some seeds were not ripe (...)" Gleichwohl bestätigen Stimmen von Ducru, was Stefan bereits ansprach: "The berries were tiny, with Cabernets weighing just 1g, and 1.2g for the Merlots. They were packed with tannins and anthocyanins."
Figure 13 im von dir referenzierten Jahrgangsbericht der Uni BDX bestätigt die extrem kleine Beerenegwichte, und den problematischen Reifeverlauf kann man gut an der hohen Äpfelsäure erkennen (fast so hoch wie im Problemjahrgang 2017!). Die die hohe Gesamtsäure unterstreicht alle Probleme des Jahres 2020, denn trotz der hohen Nachttemperaturen siegten Konzentrationseffekte gegen Säureveratmung.
Ollie hat geschrieben:Und das bringt mich zur finalen Einordnung der Beobachtungen: die Weine. Allenthalben liest man von ganz tollen Weinen mit einer, und das ist der Punkt, superben Tanninstruktur. Oder die eingehende Betrachtung der dritten Komponente, also der Kellerwirtschaft, lassen sich solche Berichte nicht erklären.
Ollie hat geschrieben:Und da nun schon viele Erzeuger an den Markt kommen, obwohl die Kritiker noch gar nicht richtig sortiert sind, zeigt, wie losgelöst die Preise von den detaillierten Einschätzungen sind. Ob Grand-Puy-Lacoste 2020 besser ist als 2019, 2018 oder 2016, sagen mir nicht mehr Neal oder Antonio, das sagt mir François-Xavier. Kritiker ordnen mittlerweile nur noch die Stilistik ein, aber nicht mehr die Qualität.
Ollie hat geschrieben:Die Frage seit 2015 lautet also: Ist das noch anders, oder ist das schon besser?