Aktuelle Zeit: Mo 29. Apr 2024, 13:40


Alkoholgehalt und sein Entstehen

Was Sie schon immer über Wein wissen wollten, aber nie zu fragen wagten
  • Autor
  • Nachricht
Offline
Benutzeravatar

Allegro

  • Beiträge: 1043
  • Bilder: 4
  • Registriert: Fr 4. Feb 2011, 19:48
  • Wohnort: Hessen

Alkoholgehalt und sein Entstehen

BeitragFr 17. Feb 2012, 22:15

Huhu,

ich bestelle öfters bei meinem Biokisten-Lieferanten den einen oder anderen Wein und habe da auch ein deutsches Weingut gefunden, von dem mir einige Weine (inkl. der Preise) wirklich gut gefallen.
Meine bevorzugten Weine von dort (Rheinhessen / Nahe) sind div. weiße Spätllesen, zuletzt war bzw. ist der Jahrgang 2010 verfügbar. Sowohl die Chardonnay- als auch die aktuell im Glase befindliche Scheurebe-Spätlese haben jedoch jeweils einen Alkoholgehalt von mindestens 14 % :shock: , was den Genuss doch reichlich trübt.
Der Chardonnay ist mit 8 g RZ noch mit trocken ausgewiesen, geschmacklich ist er es natürlich nicht mehr. Die Scheureube ist mit 13 g RZ "feinherb".

Jedoch wundere ich mich doch sehr über diese hohen Alkoholgehalte und würde gerne verstehen, wie die zustande kommen.
Ich dachte bisher immer: je mehr Restzucker, desto weniger Alkohol ...
Waren die Trauben in 2010 denn so übermäßig süß ?

Gespannte Grüße - Allegro
Viele Grüße - Allegro
Offline
Benutzeravatar

UlliB

  • Beiträge: 4547
  • Registriert: Mo 6. Dez 2010, 19:27

Re: Alkoholgehalt und sein Entstehen

BeitragSa 18. Feb 2012, 19:16

Allegro hat geschrieben:Jedoch wundere ich mich doch sehr über diese hohen Alkoholgehalte und würde gerne verstehen, wie die zustande kommen.
[...]
Waren die Trauben in 2010 denn so übermäßig süß ?


Hallo Allegro,

die Trauben müssen in diesem Fall so "übermäßig süß" gewesen sein. Da es sich um Spätlesen handelt, ist ein Aufzuckern zur Erhöhung des Alkoholgehaltes wie bei allen Prädikatsweinen verboten.

Allegro hat geschrieben:Ich dachte bisher immer: je mehr Restzucker, desto weniger Alkohol ...


Das ist grundsätzlich richtig. Der Wein mit 8 Gramm Restzucker hätte bei völligem Durchgären ca. 0,5%Vol. mehr Alkohol gehabt, der mit 13 Gramm entsprechend noch mehr.

Entscheidend ist immer der Zuckergehalt im Ausgangsmost, und der kann extrem hoch sein. Es gibt Weine, die bei 12,5% oder 13% Alkohol immer noch über 100 Gramm Restzucker pro Liter haben (Sauternes).

Ob hohe Alkoholgehalte bei trockenen oder fast trockenen Spätlesen gut und richtig sind, ist eine andere Frage. Letztlich ist das eine Entscheidung des Winzers. In Deutschland freuen sich nach wie vor viele Winzer über extrem hohe Mostgewichte und arbeiten gezielt darauf hin, wobei ihnen die Klimaerwärmung entgegen kommt. Das Ergebnis sind dann trockene oder fast trockene Weine mit entsprechend hohen Alkoholgehalten.

Gruß
Ulli
Offline
Benutzeravatar

Allegro

  • Beiträge: 1043
  • Bilder: 4
  • Registriert: Fr 4. Feb 2011, 19:48
  • Wohnort: Hessen

Re: Alkoholgehalt und sein Entstehen

BeitragSa 18. Feb 2012, 19:20

Herzlichen Dank für die ausführliche Erklärung, Ulli.

Ich weiß, dass über diese hohen Mostgewichte schon mehrfach und eigentlich auch ausreichend geschrieben wurde ... aber verstehen werde ich das wohl nie, warum bei einigen Winzern und / oder Konsumenten ein hoher Alkoholgehalt als erstrebenswert gilt :?

'Viele Grüße - Allegro
Viele Grüße - Allegro
Offline
Benutzeravatar

UlliB

  • Beiträge: 4547
  • Registriert: Mo 6. Dez 2010, 19:27

Re: Alkoholgehalt und sein Entstehen

BeitragSa 18. Feb 2012, 19:51

Allegro hat geschrieben: ... aber verstehen werde ich das wohl nie, warum bei einigen Winzern und / oder Konsumenten ein hoher Alkoholgehalt als erstrebenswert gilt :?


Ich denke, dass man diese Einstellung nur im historischen Kontext verstehen kann.

Bis in die Mitte der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts war es in Deutschland zumindest in den nördlichen Anbaugebieten in vielen Jahren extrem schwierig bis nahezu unmöglich, wirklich reifes Traubengut zu ernten. Da gab es Jahre, in denen bei vollständigem Durchgären gerade einmal Alkoholgehalte von knapp 10% erreicht worden wären, und entsprechend "dünn" wirkten die Weine im internationalen Kontext. Ausreichende Reife (ausgedrückt über die Zuckerreife) war damals das Problem des deutschen Weinbaus.

Vor diesem Hintergrund galt ein möglichst hohes Mostgewicht als entscheidender Zielparameter bei der Erzeugung von Trauben - je höher, desto besser. Forciert wude diese Ansicht durch das 1971er Weingesetz, das die Prädikatsstufen (und damit den wirtschaftlichen Ertrag des Winzers) starr an den Zuckergehalt des Mostes gekoppelt hat.

Seitdem haben sich die Verhältnisse in Folge des Klimawandels und diverser Änderungen im Weinbau ganz fundamental verändert. Das Denken aber nicht - im Kopf der meisten Winzer gelten möglichst hohe Mostgewichte immer noch als erstebenswert. Einstellungen ändern sich halt langsamer als äußere Gegebenheiten :roll: . Und so werden heute in Deutschland Weine mit Alkoholgehalten erzeugt, die vor dreißig Jahren selbst in Italien oder Spanien sehr ungewöhnlich gewesen wären.

Gruß
Ulli
Offline
Benutzeravatar

Allegro

  • Beiträge: 1043
  • Bilder: 4
  • Registriert: Fr 4. Feb 2011, 19:48
  • Wohnort: Hessen

Re: Alkoholgehalt und sein Entstehen

BeitragSa 18. Feb 2012, 20:10

Dieser geschichtliche Hintergrund war mir zwar bekannt, aber irgendwie nicht so bewusst.
Vor allem nicht, dass das Umdenken so lange dauert ... aber wir sind ja selbst mit schuld - solange solche Weine eben auch gekauft werden, ist ja alles in Ordnung ...

Viele Grüße - Allegro
Viele Grüße - Allegro
Offline
Benutzeravatar

UlliB

  • Beiträge: 4547
  • Registriert: Mo 6. Dez 2010, 19:27

Re: Alkoholgehalt und sein Entstehen

BeitragSa 18. Feb 2012, 20:24

Allegro hat geschrieben:Vor allem nicht, dass das Umdenken so lange dauert ...


Umdenken dauert immer lange - das Beibehalten von einmal verinnerlichten Einstellungen ist wesentlich bequemer als das Ändern dieser Einstellungen.

Und es gibt dabei ein manifestes Problem: bei schnellem Verkosten (und die meisten publizierten Weinbewertungen beruhen auf schnellem Verkosten) gewinnt immer der "dickere" = alkoholreichere Wein. Insofern werden wir noch eine ganze Weile mit den Alkoholmonstern leben müssen.

Aber die Dinge verändern sich erkennbar...

Gruß
Ulli
Offline
Benutzeravatar

Allegro

  • Beiträge: 1043
  • Bilder: 4
  • Registriert: Fr 4. Feb 2011, 19:48
  • Wohnort: Hessen

Re: Alkoholgehalt und sein Entstehen

BeitragSa 18. Feb 2012, 20:30

UlliB hat geschrieben:und die meisten publizierten Weinbewertungen beruhen auf schnellem Verkosten


DAS hatte ich natürlich nicht bedacht - und dann wird natürlich auch nicht geschluckt, sondern gespuckt ... :evil:

Nun ist mir alles klar :roll:
Viele Grüße - Allegro
Offline

BuschWein

  • Beiträge: 542
  • Registriert: Mi 3. Nov 2010, 16:33

Re: Alkoholgehalt und sein Entstehen

BeitragDi 21. Feb 2012, 15:25

@Ulli, ich würde die Veränderung bei der Zuckergradation nicht ausschließlich auf die Klimaerwärmung schieben, ich denke viel entscheidender ist die Mengenreduktion. Schließlich haben es noch Mitte der 90er viele Pfälzer Winzer geschafft Dornfelder mit um 60°Öchsle zu ernten. Da war das Problem nie die mangelnde Wärme, wenn man deutlich über 200hl/ha anstrebt kann man keine ausreichende Zuckergradation erreichen.

Heute liegt das Problem eher darin, dass man die Mengenreduktion zu einem Zeitpunkt machen muss zu dem man einfach noch nicht komplett abschätzen kann wohin die Reifereise geht. Ein Jahr wie 2011 mit einem eher schwachen Sommer und sonnigen Herbst kann dann zum Problem werden, die physiologische Reife zieht sich, aber die Zuckergradation in der Traube steigt rasant durch die Wärme. Da den richtigen Zeitpunkt für die Lese zu finden ist nicht immer ganz einfach, dazu kommt dann noch, dass kleinere Erzeuger nicht immer auf den Vollernter zurückgreifen können, weil man diesen mit Fahrer mietet und bei Handlese kommt es auch drauf an, wann die Lesemannschaft zur Verfügung steht. Das kann dann schon mal zu einer Verzögerung von 2, 3 Tagen führen und einem Anstieg des Zuckers um 0,5 bis 1,0 %Vol. Alk oder halt entsprechend Restzucker im Wein.
Armin
www.gutsweine.com

Dumme Menschen machen immer den gleichen Fehler, intelligente immer Neue ;)
Offline

weinfex

Administrator

  • Beiträge: 1210
  • Bilder: 1
  • Registriert: Do 5. Aug 2010, 22:00
  • Wohnort: Wiesbaden

Re: Alkoholgehalt und sein Entstehen

BeitragDi 21. Feb 2012, 16:04

Hallo Armin,

ich kann nicht wirklich für deutsche Winzer sprechen, fürs
Bordeaux aber schon (und gewisse Rückschlüsse lässt dies auch
auf den deutschen Weinbau zu). Wenn ich nur die letzten 5 Jahrgänge
nehme, hat sich der Ertrag nicht nennenswert verändert,
der Alkoholgehalt ist aber geradezu explodiert. Hier sehe ich
ganz klar die Klimaerwärmung, vor allem der darin einhergehende
deutlich länger mögliche Reifeverlauf am Stock als klare Ursache an.
Sogar das Gegenteil ist teilweise der Fall, man versucht z.B. u.a.
durch unterlassen der Grünlese und damit wieder steigenden Erträgen
den Alkohol etwas zu minimieren...

Meines Erachtens sind die gravierenden Veränderungen der
Klimaerwärmung (was immer auch die Ursachen dafür sind), praktisch
nirgends so "plastisch" nachvollziehbar, wie im Weinbau...
Grüsse weinfex
Offline
Benutzeravatar

Gerald

Administrator

  • Beiträge: 7492
  • Bilder: 32
  • Registriert: Do 24. Jun 2010, 08:45
  • Wohnort: Wien
  • Bewertungssystem: Auf Benutzername klicken

Re: Alkoholgehalt und sein Entstehen

BeitragDi 21. Feb 2012, 16:26

Sorry, die Geschichte mit der Klimaerwärmung halte ich in diesem Zusammenhang für absolut falsch, aus mehreren Gründen:

a) die Klimaerwärmung ist im weltweiten Mittelwert zu spüren, die lokalen Wetterbedingungen schwanken aber um ein Vielfaches (daher gibt es ja auch immer wieder "kälteste Monate seit Beginn der Aufzeichnungen" etc.). Da müssten die Alkoholgehalte genauso mitschwanken, was sie aber nicht tun.

b) zwischen warmen und kühlen Lagen oft sogar desselben Weinbaugebiets ist sicherlich mehr Unterschied als die Klimaerwärmung in den letzten 10 oder 20 Jahren verursacht hat. Trotzdem gibt es auch in den kühlen Lagen (in Ö z.B. die höchsten Lagen der westlichen Wachau verglichen mit dem Seewinkel) die "Hochprozenter".

Ich denke, die hohen Alkoholgehalte werden bewusst vom Winzer angestrebt, da sie - wie ja Ulli schon beschrieben hat - in der Massenverkostung einfach ein, zwei Punkte mehr und damit bessere Verkäufe ergeben ...

Grüße,
Gerald
Nächste

Zurück zu Allgemeines Weinwissen

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 7 Gäste

Impressum - Nutzungsbedingungen - Datenschutzrichtlinie - Das Team - Alle Cookies des Boards löschen