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Kleine Probe mit gereiften Bordeaux in Würzburg

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weinaffe

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Kleine Probe mit gereiften Bordeaux in Würzburg

BeitragMo 20. Nov 2023, 20:39

Hallo zusammen,

letzten Donnerstag hatte ich die Möglichkeit, an einer Weinprobe meines örtlichen Weindealers mit gereiften Bordeaux teilzunehmen. Offensichtlich hat der Händler ein gutes Händchen für Kellerauflösungen, aus dem die vorgestellten Weine stammten, denn es gab keinen einzigen Ausfall. Ganz im Gegenteil präsentierten sich alle Weine auch ohne Altersbonus noch sehr lebendig.
Als Begrüßungsschäumer gab es den 2018er "Freundeskreis Brut Nature vom Sekthaus Krack, der in seiner knackigen und dezent fruchtigen Art überzeugen konnte und den Gaumen frei für die kommenden Weine machte.

Als erstes musste es ein weisser trockener Bordeaux sein:

1993er Domaine de Chevalier Pessac-Leognan Grand Cru Classe
völlig intaktes Grün-Gelb,nur dezent angereifte Nase, elegante Gelbfrucht, feine Holzwürze, am Gaumen staubtrocken, mit präsenter, aber eingebundener Säure, integriertes Holz, das gute Struktur gibt, wirkt dennoch eher mittelgewichtig, genau richtig Speck an den Knochen, athletisch, Zitrus mit Holzwürze, keinerlei Oxidationsspuren, gute Länge. Sensationell gute Flasche aus einem sicherlich nicht großen Bordeauxjahr, die wie die meisten Weine der Probe aus einem sehr kühlen Keller stammte.

Dann ging es weiter mit den roten Bordeaux und einem "No-Name-Chateau:

1985er Franquet Grand Poujeaux Haut-Medoc
leicht trübes Rubinrot, aber keine bräunlichen oder Ziegelrot-Töne, noch deutliche Fruchtnoten (Brombeere, etwas Cassis), dezent kräutrig, am Gaumen noch Spuren von Tannin, saftige Säure, auch hier keinerlei Oxidationsnoten, ein Hauch Joghurt, dezent käsige Nuancen, die aber nicht wirklich stören, mittellanger Abgang. Ein angenehmer, noch völlig intakter Wein mit Restfrucht und Würze, der in seiner leicht rustikalen Art noch viel Trinkspass macht.

dann kam ein Wein aus einem großen Bordeauxjahr von einem damaligen Underperformer-Grand-Cru-Classe:

1982er Chateau Marquis-de-Terme 4e Grand Cru Classe Margaux
Das Weingut war zu dieser Zeit eher für robuste, strenge Weine bekannt. Weder in den Büchern von Parker noch bei Gabriel habe ich Notizen zu diesem Wein gefunden. Sicherlich kam die allgemeine Güte des Jahrgangs, bei dem nicht so selektiert werden musste, dem Stil des Weinguts entgegen. Der Wein konnte jedenfalls überzeugen:
noch sehr lebendiges Rubinrot, deutliche, rotbeerige Frucht, Holz ganz dezent im Hintergrund (vermutlich wenig neue Barriques),relativ gute Fruchtdichte, die allerdings nicht an die Top-Vertreter des Jahrgangs herankommt, gute Harmonie,Tabak und Leder, Tannin sehr feinkörnig und größtenteils weggeschmolzen, noch in bester Verfassung, hat sicherlich nicht den großen Punch des Jahrgangs, die Extraktsüsse ist nur angedeutet und er ist auch nicht ewig lang. Zweifelsohne aber ein gelungener, traditioneller Bordeaux.

Weiter ging es mit Pauillac:

1985er Chateau Batailley 5e Grand Cru Classe Pauillac
ganz klar cabernet-betont und sehr klassisch: Cassis, knapp reife Kirsche, etwas Bret, Tabak,Leder, Graphit, schlank und rank, aber keineswegs dünn, saftige Säure, die für Frische sorgt, Tannin weitgehend abgeschmolzen, aber noch in guter Verfassung, klare Frucht mit Würze, kein Blockbuster, aber sehr fein mit bestem Trinkfluss.

Und nun 2 Top-Chateaux hintereinander, allerdings aus einem eher kleinen Jahrgang:

1987er Chateau Leoville-Las-Cases 2e Grand Cru Classe St. Julien
Angesichts des Alters und des eher schwachen Jahres eine echte Überraschung: sogar fast noch jugendliches, nur leicht durchscheinendes Rubinrot, sehr feine Kirsch/Brombeer/Cassis-Nase ohne jegliche unreife Aromatik, am Gaumen ebenfalls glasklar mit elegantem Holzeinsatz,durchaus Fruchtdichte, aber nicht auf dem Niveau besserer Jahrgänge, wenn man genau hinschmeckt, findet man eine wirklich nur ganz dezent grüne Aromatik, mittellanger Abgang. Hier wurde das Traubengut sicherlich extrem selektiert, sonst hätte man dieses Niveau nicht erreicht. Toller Jahrgangsvertreter, besser gings wohl nicht in diesem unreifen Jahrgang.

1987er Chateau Cos d`Estournel 2e Grand Cru Classe St. Estephe
In kleineren Jahren zeigt sich vor allem das Qualitätsdenken eines Chateau, aber kommt hier besonders auch das Terroir besser zum Vorschein. Gegenüber dem Vorgänger bewegen wir uns absolut auf Augenhöhe, nur ist die Stilistik deutlich anders: kräftiger und etwas "wilder" (feines Bret) in der Aromatik (Preiselbeeren, Granatapfel, Cassis), vermischt mit etwas Kräutern, am Gaumen noch deutlich Tannin, es fehlt die Feinheit und Eleganz des Vorgängers, aber hier ist etwas mehr Fleisch am Körper, hat sogar noch etwas Reserven, entspricht ganz gut dem Pauschalbild des etwas rustikaleren und fleischigeren St.-Estephe-Typ. Macht jedenfalls sehr viel Spass!

Als nächstes war nun St. Emilion an der Reihe mit dem Zweitwein eines der berühmten Weingüter:

1995er Le Petit Cheval (Cheval Blanc)
hier ist schon im Geruch spürbar, dass hier vor allem Merlot und Cabernet franc im Spiel sind:
sehr feine, gerundete und aromatische Nase, reife Herzkirsche, Hauch Barrique, schon die Nase ist Samt und Seide,auch am Gaumen jugendlich und samtig, feinkörniges, fast kuschliges Tannin,ausgewogene Säure, kräftige Dunkelfrucht (Herzkirsche, Brombeere, Cassis), alles ist in bester Harmonie, hat Stoff, aber in ausgewogener Manier, keine Ecken und Kanten, fein und elegant, gute Länge. Ein echter Schmeichler, voll auf der Höhe.

Als vorletzter Rotwein wieder ein bekanntes Weingut, diesmal Pomerol, aus sehr gutem Jahrgang:

1982er Chateau Clinet Pomerol a. c.
die Füllhöhe des Weines war nicht ganz optimal, aber das hat den Wein nicht beeinträchtigt: reife Dunkelfrucht, konzentriert, am Gaumen deutlich extraktsüss, man erkennt die Reife des Jahrgangs, bestens gereift, Havanna-Tabak, altes Leder, feine Würze, reife Frucht, Alkohol bestens integriert, gute Länge. Feiner Wein in bester Reife, der aber wahrscheinlich nicht mehr besser wird.

Zum Abschluss noch ein Grand Cru Classe aus einem der besten Nachkriegsjahrgänge überhaupt:

1961er Chateau Lascombes 2e Grand Cru Classe Margaux
Parker hat diesem Wein kein langes Leben vorausgesagt... aber es kommt halt immer auf die Einzelflasche an. Bei dieser Flasche liegt er jedenfalls völlig falsch: sicherlich der Höhepunkt des Abends, absolut perfekte Flasche, sehr tiefe Nase mit toller Reife, noch viel Frucht vorhanden, satte Cassis/Kirschfrucht, reifer Extrakt, vollkommen im Lot, trotz einiger Fülle die pure Eleganz, feine Säure, das Tannin fast komplett abgeschmolzen, komplexer Mix aus reifer Frucht und würzigen Aspekten, mittelgewichtig bis kraftvoll, dennoch absolut auf der eleganten Seite, langer, ausgewogener Abgang. Eine absolute Schönheit. Bei so alten Flaschen schwebt man immer zwischen Himmel und Hölle, diesmal war die Flasche einfach höllisch gut :lol:

Zum Abschluss der Weinverkostung (danach gab es noch das exzellente "Galaxy von Pax-Bräu) musste es noch ein reifer Sauternes sein, der sich ebenfalls bestens präsentierte:

1976er Chateau Giraud 1er Cru Classe Sauternes
kräftiges Gelbgold mit leicht rötlichen Akzenten, in der Nase feine, reife Trockenfrüchte(kandierte Orangen,Mango) mit elegantem Holzeinsatz, am Gaumen feine Süsse, kräftiger Extrakt, Alkohol etwas spürbar, reife gelbe Früchte, etwas Würze (Safran, etwas Pfeffer), kraftvoll, gute Länge. Der Wein ist noch in sehr guter Verfassung, sollte aber jetzt getrunken werden.

Insgesamt eine tolle Veranstaltung ohne jegliche Ausfälle, was bei einer Altwein-Probe nicht die Regel ist.

Demnächst folgt noch eine Zusammenfassung der Rieslingprobe (mit Riesling-Kreuzungen) vom letzten Freitag.

LG
Bodo

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