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Pfälzer Riesling (Blindverkostung)

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jessesmaria

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Pfälzer Riesling (Blindverkostung)

BeitragSo 26. Dez 2021, 11:48

Blindverkostungen an Weihnachten haben bei uns schon Tradition. Letztes Jahr verleiteten meine Erfahrungen mit der Sangiovese-Verkostung mich zur Annahme einer Korrelation von Preiskategorie und Weincharakter, worüber im entsprechenden Thread angeregt diskutiert wurde. Dieses Jahr sollte der mir bislang noch wenig vertraute Pfälzer Riesling das Thema bilden und es ging nicht zuletzt auch diesmal wieder darum, verschiedene Preiskategorien einander blind gegenüberzustellen.

Über 4 Tage hinweg tranken wir blind 6 verschiedene Rieslinge vom Ortswein bis zum Großen Gewächs, darunter ein Solitär aus Rheinhessen, die restlichen 5 eben aus der Pfalz. Erst ganz zum Schluss am 4. Tag, nach der Bepunktung, erfolgte die Auflösung.
Zum Auftakt gab es, gleichsam als erste Referenz, als Essensbegleiter (und nicht blind) den 2020er Gutswein von Bürklin-Wolf. In dieser Rolle gefiel er uns ausgezeichnet – meine Frau urteilte »wie Wasser, aber leckerer«. Ein gelegentlicher Schluck im weiteren Verlauf unserer Studien erhellte aber die doch sehr deutliche Diskrepanz zu den übrigen Weinen: in der Nase die mir so häufig bei Basisweinen auffällige "Eisbonbon"-Note, eindimensional süß-fruchtig, von geringerer Substanz und vergleichsweise kurz im Abgang. Einzig meine Schwiegermutter trank ihn auch weiterhin am liebsten, da er weniger »gehaltvoll« sei und entsprechend weniger Kopfschmerzen bereite.

Der erste Blind-Wein war Von Winning, GG Ungeheuer 2017 und bildete zum Gutswein sogleich den größtmöglichen Kontrast. In der Tat war dies von den 6 Weinen der herausstechendste und letztlich von mir am höchsten bepunktete (8-9/10). In der Nase eine Wucht von exotischer Frucht (vor allem sehr reife Cantaloupe-Melone, Ananas), Honig, aber nicht plump-süß, sondern auch harzig und eine gewisse hintergründige Herbheit. Am Gaumen füllig, cremig weich, ein extrem schmeichelnder Wein. Ganz abseits der Charakteristik der übrigen und in seiner holzbetonten, voluminösen und einnehmenden Art mich entfernt, bei gleichzeitiger totaler Verschiedenheit qua Rebsorte&Region, an z. B. einen Chardonnay von Aldo Conterno erinnernd, erscheint er mir allerdings als schwieriger Essensbegleiter. Zum Rinderbraten passte er erwartungsgemäß gar nicht. Nach 4 Tagen wurde mir auch zunehmend klar, dass ich diese Stilistik in bescheidener Frequenz genießen muss, um ihrer doch eher aufdringlichen Art nicht überdrüssig zu werden.

Der zweite Blind-Wein war der Solitär aus Rheinessen, das Gunderlich Pettenthal Riesling GG 2017. Im direkten Vergleich mit Von Winnings GG eine etwas wildere deutliche Spontinase, dabei zunächst gleichfalls, wenngleich etwas weniger drastisch, exotische Frucht (Ananas), die sich aber im Laufe der Tage zugunsten herb-kräutriger Aromen verflüchtigte. Am Gaumen wiederum im unmittelbaren Vergleich etwas stärkere Säure, kantiger und mit einer feinen Bitternote. Deutlich zarter besaitet und gleichsam geziemter, bewahrte dieser weniger einnehmende Wein allerdings bis zum Schluss seinen Reiz durch seine vielschichtige herbal-trockene Art. In der Bepunktung landete er nur knapp hinter dem Ungeheuer (7/10).

Der dritte Wein war Bürklin-Wolf Wachenheimer Altenburg P.C. 2016. Farblich etwas blasser als die bisherigen beiden, erscheint er in der Nase leicht und floral, wobei eine sehr markante Note von Blütenhonig dominiert. Im Gegensatz zu den ersten beiden Weinen ist hier von Anfang an wenig Frucht, vor allem keine exotische. Auch am Gaumen ist dieser Wein nicht fruchtbetont, sondern würzig, kräutrig, leicht mit starker Säure und weiterhin floraler Honignote. 5-6/10 Punkte.

Ein weiterer Von Winning war unser vierter Wein, eine E. L. Reiterpfad 2016. Dieser Wein zeigt in der Nase auch etwas Honig, das Bouquet ist aber alles in einem etwas undefiniert. Am Gaumen auch eher würzig-kräutrig und mit guter Säure, aber etwas flach und deutlich einfacher als die bisherigen. 4/10 Punkte.

Unser fünfter Wein war der Wachenheimer Ortswein 2016 von Bürklin-Wolf, der gegenüber den anderen noch viel deutlicher abfiel. In der Nase noch einigermaßen interessant mit etwas Rauch und weißer Frucht, durchaus subtil, zeigte er sich am Gaumen weich, dünn und mit wenig Spannung, im Abgang kurz. Die Aromatik blass. 2/10 Punkte.

Als letztes überraschte uns noch ein ausgesprochen gutes Buhl Kieselberg GG 2017 mit einem sehr reichen und vielschichtigen Bouquet, das süße Honignoten, Rauch und Kräuteraromen (Estragon) zu einem etwas ungestümen Gesamtbild vereint. Am Gaumen ist der Wein sehr ausgewogen und rund und dabei doch ebenfalls vielschichtig, wiederum eher auf der herbalen als fruchtigen Seite. 8/10 Punkte.

Ich hatte noch einen Mitbepunkter, der zwar geringfügig anders gewichtete, aber doch die genau gleiche Rangfolge zum Ergebnis hatte. So bestätigte sich doch wiederum eine Korrelation von Preis und Bewertung: die drei GGs waren deutlich vorne, gefolgt von P. C. und E. L., mit dem Ortswein als deutlichem Schlusslicht. Wäre es keine Blindverkostung gewesen, wäre das als wieder einmal deutlicher Fall von confirmation bias erschienen. So aber scheint mir als vorläufiges Fazit, dass es sich doch lohnt, tiefer in die Tasche zu greifen. Zumindest aber sollte man wohl einem Guts- oder Ortswein kein offensichtlich überlegenes, hochpreisiges Referenzobjekt gegenüberstellen, sondern ihn als Essensbegleiter für sich stehen lassen. Wahrscheinlich hätten wir den Wachenheimer Ortswein ohne Blindprobe, vom Bürklin-Wolf-Nimbus umgeben, für sich alleine als großartigen Wein gewürdigt und genossen.

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