Naja, daß die Nächte warm waren, wird zweifellos einen Einfluss auf die Terminalaromatik gehabt haben. Die Frage ist aber: wie viel Einfluss? Ist es echt so einfach, die nächtliche (also Dauer der photosynthesefreien Zeit) Wärmesumme mit der freien Feldkapazität zu falten, die mittlere Gangabweichung der Armbanduhr des Besitzers zu addieren und das ganz durch Pi Etel zu teilen, um auf eine jahrgangstypische Aromatik zu kommen - und
daran festzumachen, ob es ein Cabernet- oder ein Merlotjahr war? Oder einigen wir uns auf "Gelungene Weine kommen aus Lagen mit guter Wasserversorgung", also lehmhaltige (St-Estèphe) oder Kalksteinlagen (Plateau von St-Emilion und Castillon), wie es B&D schreiben? Was erklären würde, weshalb auch bei der RVF die Top-Châteaux und die Drei Großen aus St-Estèphe linksufrig mal wieder ganz oben stehen (mit teilweise extrem hohen Cabernet-Anteilen in der Assemblage), zzgl. quasi ganz Pauillac und St-Julien mit einem wenn nicht überdrüberen, dann doch sehr guten Jahr.
Rechtsufrig mach die üblichen Verdächtigen vom Kalk sowie die besten Pomérol das, was sie am besten machen, mit den (übrigens die seit Jahren von B&D und RVF favorisierten) Fonplégade, Villemaurine, Beau Séjour Bécot, Canon, Belair Monange, Berliquet (ist ja Chanel), Dom. de l'A, Alcée usw. usf. Trotte Vieille scheint allerdings extrem gute Lagen zu haben, schon wieder sehr viel Alkohol im Wein trotz des hohen CabFranc-Anteils. Aber wenn der Wein es abkann...
Was auch in die Betrachtungen einfließen sollte, ist das extrem große Know-How der Winzer verbunden mit den massiven Anstrengungen, Weinbergs- und Kelleriwrtschaft zu verbessern. (Das Geld von 2009/10 wurde offenbar doch investiert.) Anders sind die Qualitätssteigerungen bei so vielen Weingütern nicht erklärlich. Das ist nicht nur Punkteinflation verkosterseits, sondern auch ein Artefakt, daß das 100er-System aus Zeiten kommt, wo wirklich nur wenige sehr gute Weine hohe Bewertungen erhielten. Kombiniert mit dem Stilwechsel (teilweise klima-, teilweise post-Parker-bedingt) ist es echt schwierig, einem für seine Verhältnisse superfruchtigen und charmanten, geradezu ausgelassenen Léoville Barton keine 96 Punkte zu geben,
wenn alles andere, was den Wein definiert, immer noch da ist. Die Frage seit 2015 lautet also: Ist das noch
anders, oder ist das schon
besser?
Mal sehen, wie sich die Preise entwickeln. Persönlich glaube ich nicht, daß Preise über 2019 am Markt darstellbar sind, dazu war 2019 zu gut und (in der großen Breite, teilweise auch in der Spitze) zu unerreicht, wenn man sich Quarin als Frühindikator anschaut. Ich denke, wir werden Preise knapp unter oder an den 2019ern sehen. Die Hauptexportmärkte haben keine Wechselkursschwankungen gesehen, China und USA boomen, Geld ist da (cf. Dow Jones etc.), aber die Strafzölle nicht mehr. Der Rest der Spekulation geht im Brexit-Rauschen bzw. in der Hong-Kong-Situation unter, mal sehen, was unsere britischen Freunde treiben werden. Ausgenommen sind oben genannte Appellationen sowie alle Weine, die zugelegt haben. Wenn Giscours etwa einen
best Wein evarrr macht, wird 2020 natürlich teurer. Ebenso bezweifle ich, daß wir von den Erzeugern nochmal so gepampert werden wie letztes Jahr. Die Dynamik wird eine deutlich andere sein als in der 2019er Kampagne. Wenn ich also schreibe "2019er Preise", meine ich nicht "erste Tranche Clinet zu 42* Euro", sondern den Preis am Ende der Kampagne (
not at all 42 Euro anymore), gegen den es dann sehr schnell bis instantan konvergieren wird.
Mein Boole'scher Subs-Plan (der nach Clausewitz sofort nach dem ersten Release wertlos wird) ist, alles in Betracht zu ziehen, was ich sonst auch subsen würde UND was mir in den 2015er UND 2018er Versionen gefallen hat UND bei den Preisen plausibel bleibt UND ich mag ODER Calon-Ségur heißt ODER beides. Und da ich Bayesianer bin, werde ich natürlich alles über den Haufen schmeißen, sobald Lisa Galloni-Martin mit ihren Bewertungen draußen ist, weil: Ziegenproblem ist für Loser. (Sicherheitshinweis: Die ist eine Meinungsäußerung, keine Tatsachenfeststellung. Es sei denn, man ist Ziege.)
In hundert Seiten werden wir ja wissen, wer alles "nur eine Kiste" gesubst haben wird.
Let The Game begin.Cheers,
Ollie
PS: Jemand meint neulich zu mir, das Forum sei der perfekte Kontraindikator.
*Ich weiß. Ist nur ein Beispiel.