Ingo hat geschrieben:Hawesko verlangt ("nur") 110 € für Carmes, LOB in der 2. Tranche (hört hört!) schlappe 179 € mit 100+ P ("LOL"). Kunterbunt. Die Bewertungen der Profis bis auf Suckle, der kaum erst genommen werden dürfte, eher durchwachsen. Im Kontext der allgemeinen Punkteinflation jedenfalls ernüchternd. Die Verkostungsamateure dürfen verfassen, wie es ihnen beliebt, für mich ohne Relevanz. Das ist alles nur noch absurd.
Es könnte an dieser Stelle für diejenigen, die sich Les Carmes Haut Brion als LCHB anschauen, und die Absurdität nicht Preisen zuweisen, da diese doch kein agierendes Subjekt, sondern (den Geschehnissen) nachlaufendes Objekt sind, interessant sein, kurz etwas zu den zweiten Tranchen zu sagen.
Zunächst setzen zweite Tranchen eine Preisvolatilität voraus, ohne die sie ja keinen Wind hätten, mit dem sie segeln können. Zweite Tranchen sind eine Erfindung aus der Not heraus. Denn sie sagen über die Marktkenntnis des Erzeugers nichts anderes aus, als dass er es auch nicht weiß, um es damit mit einem nichtadeligen deutschen Kaiser, dem aber jüngst ein paar Zacken aus der Krone gefallen sind, zu sagen ("Schau mer mal").
Sie haben auch etwas damit zu tun, dass dem Tranchengeber Arbitrage suspekt ist. Es möchte keinen Dritten an seinem Publizitätswachstum partizipieren lassen.
So gesehen, ist das Feld der zweiten Tranchen fast ausschließlich den Premier Cru vorbehalten (Cheval Blanc beispielsweise ist da viel weiter, weil ihr "Marktmonitoring" vorausschauend die Allokationen dorthin steuert, wo sie auch gebraucht werden); es war schon eine Chuzpe der besonderen Art, dass sich Pontet Canet in der Vergangenheit verschiedentlich der preisheilenden Wirkung einer zweiten Tranche bedient hat.
LCHB wäre nicht es selbst, wenn es nicht versuchte, die zweite Tranche per se neu zu definieren. Denn: zweite Tranchen waren bisher von ephemerer Wirkung: ein Kauf in der zweiten Tranche hat gerade eben keine Allokation für den nächsten Jahrgang ausgelöst.
Schon im letzten Jahr hat LCHB eine zweite Tranche lanciert (und ja: es gibt diese zweiten Tranchen tatsächlich; ich möchte hier einmal ganz ausdrücklich Heiner Lobenberg in Schutz nehmen; das ist kein Marketingtrick von ihm), mit einer Novität, die es so noch nicht gegeben hat. Die Käufe der zweiten Tranche wurden zum Teil als Allokation für die Subs 2020 angerechnet.
Die zweiten Tranchen der bisherigen Machart waren eine Art Überlaufventil: der Erzeuger hat gemerkt: "da geht noch was" und hat "nachgeschossen".
Die "Zweite Tranche 2.0" ist ein sehr intelligenter Schachzug: nur wer als Händler wirklich Kundschaft für diesen Wein hat (und eben nicht nur die Arbitrageure, die das Licht der Öffentlichkeit scheuen, sobald der günstiste Preis vergriffen ist), wird in der zweiten Tranche kaufen, und damit seine Allokationen für das nächste Jahr stärken. Ob man darüber aber reden muss, um den erhöhten Preis zu rechtfertigen, ist eine andere Sache.
Wenn man nun annimmt, der Erzeuger werde jedes Jahr die Allokationen in der ersten Tranche kürzen (das darf man getrost als Realität betrachten), gleichzeitig eine zweite, meist deutlich teurere Tranche ausrufen, die widerum zum Aufbau von Allokationen dient, so scheint es mir folgerichtig, dass LCHB alles tut, um die Kunden herauszufiltern, denen es wirklich um den Wein geht.
Ich kann mir gut vorstellen, dass weitere Erzeuger diesem Beispiel folgen werden.
Herzliche Grüße,
Matthias Hilse