Vielen Dank für deine Einschätzungen Zaccetti!
Wie angekündigt, war ich auch bei der Gerstl-Veranstaltung. Konnte mir leider nur wenig Notizen machen, da ich relativ knappes Zeitfenster hatte, aber paar Eindrücke sind mir natürlich doch in Erinnerung geblieben. Man möge mir verzeihen, dass ich keine Punkte vergebe, aber das würde den Weinen auch nicht gerecht werden, da ich das Programm in gut 100 Minuten runtergerasselt habe und es sich nur um eine Momentaufnahme handelt. Zudem fehlen mir bei den meisten Weinen die historischen Vergleichsmomente. Meine höchste Anerkennung deshalb allen Weinkritikerin/innen!
Der Anlass war wie bei der letztjährigen 2018 Arrivage (2021 im Herbst) gut organisiert, allerdings gab es damals weniger Publikumsandrang. Das Programm war zudem über eine App bereits vorher abrufbar.
Kleines Detail am Rande: Mir ist aufgefallen, dass nur einzelne Stände ihre Rotweine leicht runtergekühlt haben. Die meisten Weine waren also in Zimmertemperatur und es war doch etwas warm.
Zahlreiche Vertreter/-innen, teilweise auch die Winzer/Besitzer/-innen, von Weingütern waren ebenfalls präsent, was ich gerne für paar Gespräche "ausgenutzt" habe. Allgemein, bestimmt nix neues für die Profis hier im Forum, wurde dabei bezüglich der Sorten der zunehmende Trend zu mehr Petit Verdot im Médoc von vielen bestätigt. Es werden im Ausbau mehr Amphoren eingesetzt, dafür oft etwas weniger Neuholz. Alles mit dem Ziel die "buvabilité" zu steigern. Also mehr "Trinkigkeit" und Trinkgenuss. Natürlich auch etwas Marketinggerede, aber jedenfalls präsentierten sich die Weine ausnehmend "frisch", teilweise mit sehr präsentem, aber voll ausgereiften (im Sinne von nicht "grünen") Tanninen und nicht so "hitzig" wie beispielsweise einige 2018 - bin da recht empfindlich.
Weissweine habe ich leider nur zwei probiert: Le Retout 2019: Etwas fast exotische Nase (Tropenfrüchte), schön fruchtig, etwas Säure, geschmeidiger Trinkfluss, aber einen Hauch zu süss. Toll war der weisse Malartic-Lagravière - klar ein deutlich anderer, klassischer Sortenspiegel, entsprechend Aromen von reifen Zitronen, Grapefruit. Frisch, elegant und gehaltvoll. Wäre mein Wein! Leider bereits ausverkauft ...
Von den Gerstl/Lobenberg-Lieblingen fand ich den Seguin weiterhin sehr schön - wird allerdings auch immer teurer - jetzt Normalpreis 55 CHF (aktuell Aktion für 49). Zum ersten mal richtig gut gefallen hat mir auch der Chateau Carmenère. Diesmal hatte der schön strukturierte Wein neben voller Frucht auch äusserst präsente, aber knackige Tannine (fast zum reinbeissen!) und damit verbunden eine tolle Länge. Clos Manou war auch schön, aber noch etwas "unfertig", braucht wohl etwas mehr Zeit (den 2016er solle man übrigens auch noch liegenlassen). Chateau Belgrave ist auch sehr gelungen. Allerdings hier deutlich mehr Barrique-Würze und Cabernet-Duft, bei etwas weniger Fleisch am Knochen. Sociando deutlich kräftiger, rustikaler im direkten Vergleich, aber frischer als 2018. Gefällt mir wieder besser. Vielleicht ein Kauf wert?
Castillon: d'Aiguilhe mit toller Preis-Leistung! Der ideale Grill-Wein, wenn es denn Bordeaux sein soll? Mit viel Frucht und Spannung, toller Trinkfluss. Seit dem 2016er mag ich den irgendwie ... Clos Louie mag ich ebenfalls, aber natürlich anderer Stil. Hochkomplex, intensiv, dicht, relativ frisch - aber ist das noch Bordeaux? Ja!
Ausgezeichnet gefallen hat mir der Fonroque. Ausfallend duftig, saftiger Antrunk, etwas Schmelz, kein Gramm Fett zu viel, animierende Säure und schöne Tannine ... ja, das Kalkstein-Terroir macht sich offenbar schön bemerkbar. Bei dem Preis von 29 CHF kaum zu schlagen. Zudem noch biodynamisch ... (glaube nicht an den Hokuspokus, aber für die Böden ist es sicher gut). La Voute war ebenfalls ein Traum, hier war der Fokus natürlich deutlich mehr auf der Frucht (Nase und Körper) und weniger auf der Struktur - aber keine übermässige Extraktsüsse oder fehlende Säure, daher mit super Trinkfluss (ja, die buvabilité!) - leider ausverkauft.
Tour Saint-Christophe war ebenfalls sehr schön, duftig, mit viel Schmelz und schön ausgewogen. Vielleicht noch etwas "unruhig" (wie formuliere ich das?) und deshalb leicht enttäuschend im direkten Vergleich war für mich der Bellefont-Belcier. Jean-Faure war dagegen wieder voll auf meiner Linie: Komplex, dicht, frisch und immer elegant mit deutlich weniger Holzeinsatz als z.B. 2016, den ich, etwas böse formuliert, fast als verschlossenen Bieberwein in Erinnerung habe.
Generell gut gefallen haben mir die Weine aus Pessac-Léognan: Malartic-Lagravière (was für ein schöner Trinkfluss!), Haut-Bailly (sorry, wird einfach zu teuer - aber wer kann, der soll kaufen. Irgendwie muss man ja den Neubau der Keller finanzieren), Pape-Clement (bleibt seiner neuen Linie zu mehr "buvabilité" treu), DdC (genial! Tolle Frucht- und dezente Barriqewürze, frisch-fruchtiger Antrunk, dicht, gute Länge, dazu noch dieser Preis!). Auch La Garde war schön, etwas sehr "gastronomisch", drängt sich jetzt aber weniger auf. Da interessieren mich die Zweitweine der oben genannten mehr ...
Durfort war natürlich schön, aber überrascht hat mich der Haut-Bages Libéral mit einem sehr expressivem Duftbild, viel kirschigem Körper und toller Struktur.
Lagrange und Du Tertre gefielen durch viel Fruchtigkeit, mehr fällt mir nicht mehr ein. Falsch machen kann man mit den beiden nichts. Der Poyferré war war schön, aber kann man bei dem Preis auch erwarten.
Chateau Giscours war faszinierend: Tiefe, aromatische und hochkomplexe Nase, richtiges Margaux-Parfüm, im Gaumen mit einer wirklich extremen Feinheit, frische Säure, etwas Extraktsüsse, feine, seidige Tannine ... irgendwie nicht von dieser Welt. Ok, jemand am Stand sagte, der Wein schmecke etwas dünn ... was für ein Frevler!
In diesem Kontext noch ein Hinweis, auch wenn etwas Off-Topic: Caiarossa (Toskana) gehört dem gleichen Besitzer und es wurde dort ebenfalls sehr viel Geld investiert. Es geht dort seit 2017/18 ebenfalls in Richtung "Feinheit, Eleganz, aromatische Tiefe" und alles biologisch/biodynamisch (neu aber nicht mehr offiziell biodynamisch, offenbar aus kellertechnischen Gründen?!). Hatte den 2018er im Glas und wirklich sehr schön, wenn auch noch zu jung... Holz muss sich noch etwas integrieren.
Ein komplett gegensätzlicher Weinstil aus dem Pauillac: Grand-Puy-Lacoste: Das ist auch 2019 ein Hammerwein, mit toller Frucht und fast rustikaler Struktur, bei einem noch fairen Preis. Allerdings fand ich hier einen Hauch "Hitzigkeit". Ganz salopp gesagt: Toll, aber schmeckt wie ein 2018er
Meyney (bereits mit 16% Petit Verdot!) und Le Boscq (natürlich etwas schlanker, dadurch mit präsenteren Säure als der Meyney, dafür besserer Trinkfluss) fand ich deutlich frischer als 2018 und beide waren schön. Phélan-Ségur ist aber klar der Sieger dieser Runde. Duftig, tolle Struktur mit viel Extrakt, viel Frische, lang ... noch etwas unfertig vielleicht, aber wird ein toller Wein! Lafon-Rochet und Lilian Ladouys hatte ich ebenfalls im Glas, da ist mir aber nichts wirklich in Erinnerung geblieben, ausser das sie ganz ok waren. Da fehlte mir vielleicht einfach die emotionale Nähe, um mir die zu merken.
Persönliches Fazit: Mit dem 2019er Jahrgang kann man eigentlich nichts falsch machen. Wie gesagt, mir fehlen die historischen Vergleichsmöglichkeiten und ob man jetzt teilweise 100+ (Potential-)Punkte vergeben kann, weiss ich nicht. Was ich bisher im Glas hatte, schmeckte mir jedenfalls!
LG Christian