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Bordeaux 2018

Medoc und seine Appellationen, Bourg und Umgebung, Fronsac, Pomerol, Saint Emilion und Umgebung, Entre Deux Mers, Graves und Pessac-Leognan, Sauternes und Co.
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UlliB

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Re: Bordeaux 2018

BeitragSa 26. Jun 2021, 20:38

Gleich der nächste 18er, eine Erstbegegnung: Chateau Lassègue (St. Emilion GC).

Den hat weiter oben schon Ollie beschrieben, ich zitiere mal seine VKN:
Ollie hat geschrieben:Bild

Ich sehe den Wein in ein paar Details doch etwas anders. Zunächst einmal ist der Wein verglichen mit dem Marquis d'Alesme von gestern völlig offen. Dunkle Würze kann ich bestätigen (die empfinde ich sogar als dominant), auch die getrockneten Erdbeeren, eingelegte Kirschen mag auch sein. Holz ist da, aber unaufdringlich.

Das mit dem "Unkomplexen" empfinde ich aber nicht so, auch nicht das Verwaschene, das hat schon ein gewisses Spiel und ist in der Frucht recht klar definiert. Leichte Bitterkeit passt wiederum, den Körper empfinde ich eher als mittelgewichtig als schlank, da ist auch ordentlich Tannin. Den Alkohol merke ich als gewisse "Feurigkeit" am Gaumen, aber nicht als scharf. Alles ein wenig rustikal.

Ich denke nicht, dass Ollies Flasche fehlerhaft war, meine Einschätzung unterscheidet sich auch nur in Details von seiner Beurteilung. Ein Held ist das wirklich nicht, ich würde aber zwei oder auch drei Punkte mehr ziehen - aber mit Punkten muss man ja aufpassen. Heute scheint ja alles, was nicht mindestens 90 Punkte hat, untrinkbar zu sein, und das ist der nun ganz gewiss nicht. Ideal für die gehobene Grillparty, würde ich sagen.

Ja mei - St. Emilion Grand Cru, so heißt in dieser AOC ja auch alles, was aus roten Trauben im Gebiet erzeugt wird. Dafür ist das sehr in Ordnung.

Gruß
Ulli
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Ollie

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Re: Bordeaux 2018

BeitragSo 27. Jun 2021, 18:54

UlliB hat geschrieben:Ich denke nicht, dass Ollies Flasche fehlerhaft war, meine Einschätzung unterscheidet sich auch nur in Details von seiner Beurteilung.


Freut mich sehr, daß dir der Wein besser gefallen hat, Ulli, aber meine Wahrnehmung des Weins ist offenbar doch eine andere als deine - daher auch eine andere Bewertung. 88-90 oder so haben bei mir ein Lanessan oder ein Sénéjac aus einem guten Jahrgang, aber nicht der Lassègue. Also, nicht dieser Lassègue.

Meine Vermutung, die Flasche sei verschlossen oder fehlerhaft, stützt sich auf die en-primeur-Beschreibungen:

Jane Anson hat geschrieben:A cluster of damson and black cherry notes dominate the nose. It takes a minute in the glass before peeling back the layers. It's clearly a complex, well constructed and enjoyable wine with lovely sweetness to the cherry and blackberry fruits, showing a touch of raspberry as things open up, with a fresh finish. There is excellent oak integration, as ever (from 20 different forests, one of the real specificities of this estate under winemaker Pierre Seillan). Malo took place in vat, then the wine was racked into barrels for ageing, with 60% new oak. 3.75pH. Harvested 24 September to 13 October, giving a good yield of 49hl/ha. 94 Points


Jean-Marc Quarin hat geschrieben:Couleur sombre, intense et belle. Nez moyennement aromatique, au fruité mûr et suave, avec pour la première fois dans ce vin une note florale. Moelleux à l'attaque et très fruité, le vin se développe juteux et très bien construit, avec un peu plus de minutie que de coutume. Il évolue gras, savoureux, long et sans angle, avec une nuance florale de violette inédite à cet âge. C'est très bon ! Assemblage : 62 % merlot, 35 % cabernet franc, 3 % cabernet sauvignon. Cette faible proportion de cabernet sauvignon, 3 % au lieu de 10, induit ce caractère plus raffiné et plus délié. Degré d'alcool : 13°3 (moyenne) - pH : 3,75 (moyenne plus). Rendement 49 hl/ha. 2030 – 2050. 95 Points


Yves Beck hat geschrieben:Rouge grenat aux reflets pourpres. Bouquet complexe aux notes fruitées et rafraîchissantes avec des notes crayeuses, de la menthe et des baies noires. Touche de café. Caractère friand et juteux en bouche. Lassègue est doté de tannins qui assurent idéalement les arrières et qui sont en harmonie avec la race de la structure. Cette dernière soutient idéalement l’expression aromatique en bouche et en finale. Belle tension calcaire en fin de bouche. Un vin marqué par son terroir et qui mérite à ce que l’on s’y intéresse. 93-94 Points


Das ist von der sensorischen Wahrnehmung schon sehr weit weg. Von den Bewertungen mal ganz abgesehen. Vielleicht ist der Wein ja wirklich schmollig?

Wobei immer Vorsicht angesagt wird, wenn ein U30-Euro-Wein mit 95 Punkten bedacht wird. If it's too good to be true...

Cheers,
Ollie
Parfois, quand c'est trop minéral, on s'emmerde.
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UlliB

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Re: Bordeaux 2018

BeitragSo 27. Jun 2021, 19:33

Ollie hat geschrieben:Freut mich sehr, daß dir der Wein besser gefallen hat,

Nun, etwas besser. Zwei oder drei Punkte mehr ist nicht die Welt und bewegt sich selbst bei den Profis im Bereich der Reproduzierbarkeit. Von irgendwas Mitte der 90er ist der jedenfalls weit entfernt.
Meine Vermutung, die Flasche sei verschlossen oder fehlerhaft, stützt sich auf die en-primeur-Beschreibungen:
Ah ja, danke. Das erklärt die Frage nach der Fehlerhaftigkeit. Ich hatte die Flasche geöffnet, ohne über irgendwelche Profi-Bewertungen im Bilde zu sein, und sie so genommen, wie sie gerade ist. Und ich bin ziemlich sicher: da kommt nichts mehr im Bereich von 94 oder 95 Punkten.

Da vermute ich mal ganz flott: die Profis hatten gefakete Primeur-Muster. Soll ja mal vorkommen :|

Gruß
Ulli
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pessac-léognan

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Re: Bordeaux 2018

BeitragSo 27. Jun 2021, 20:56

UlliB hat geschrieben:
Da vermute ich mal ganz flott: die Profis hatten gefakete Primeur-Muster. Soll ja mal vorkommen :|

Gruß
Ulli


Gerade in Saint-Émilion, und ganz besonders wenn's wieder in Richtung Neuklassierung geht, soll das nicht gar so selten vorkommen, wie man hört. Ein GCC ist ja doch für die Meisten was anderes als ein simpler Saint-Émilion GC... Allerdings sollten das die Profis auch wissen, v.a. wenn man so lange unterwegs ist wie ein Quarin.
Jedenfalls bin ich da ja mal gespannt, was der Laroque 2019 bringt, der von den Profis ebenfalls in den Himmel gelobt wurde. (Der 15er jedenfalls ist ein eher kleines Weinchen - und Wunder geschehen auch in Saint-Émilion wohl nicht alle Tage...).
Gruß
Jean
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Matthias Hilse

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Re: Bordeaux 2018

BeitragSo 27. Jun 2021, 21:08

Da ich selbst als "Kritiker" den Lassegue 2018 sehr gut verkostet hatte (das Fassmuster mit 94-96 Punkten), möchte ich dazu kurz etwas schreiben. Wenn mich jemand fragt, ob er den Lassegue 2018 jetzt probieren soll, sage ich "nein, nehmen Sie den 2015er".

Als der 2018er bei uns im Lager ankam, habe ich eine Flasche davon geöffnet und war etwas irritiert, dass der "Ist-Zustand" doch relativ wenig mit meiner Prognose zu tun hat. Der Wein war ein Schatten dessen, was ich zwei Jahr zuvor verkostet hatte.

Nun ist es vielleicht hilfreich, zu wissen, dass Lassegue zum ersten Mal im Jahr 2018 en primeur verkauft wurde. Ich kenne das Weingut seit vielen Jahren, und bisher war es so, dass die Weine viele Jahre Flaschenreife benötigten, um sich zu entfalten.

Nehme ich dagegen den Jahrgang 2015 aktuell, dann zeigt er (obwohl er in der Decanter-Vertikale von Jane Anson eher schlecht wegkommt mit 93 Punkten), dass es hier offenbar Momente des Lichts und des Schattens gibt.

Was mich dagegen irritiert, ist die für mich dem momentanen Genusszustand völlig zuwider laufende Bewertung bei Jane Anson. Man könnte meinen, 2018 jetzt probieren zu sollen, aber das macht man besser nicht.

Bei Weingütern, die ihre "Inverkehrbringungsstrategie" ändern, ist es manchmal schwer, die Arrivagetauglichkeit des Weins einzuschätzen.

Herzliche Grüße,
Matthias Hilse
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UlliB

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Re: Bordeaux 2018

BeitragSo 27. Jun 2021, 21:16

pessac-léognan hat geschrieben:
UlliB hat geschrieben:
Da vermute ich mal ganz flott: die Profis hatten gefakete Primeur-Muster. Soll ja mal vorkommen :|


Gerade in Saint-Émilion, und ganz besonders wenn's wieder in Richtung Neuklassierung geht, soll das nicht gar so selten vorkommen, wie man hört. [...] Allerdings sollten das die Profis auch wissen, v.a. wenn man so lange unterwegs ist wie ein Quarin.

Was soll der Profi denn machen - das Muster ist das Muster, ein anderes bekommt er nicht. Auch als Parker noch der völlig unumstrittene Platzhirsch war, wurden ihm häufig "parkerisierte" Muster vorgesetzt, und er konnte auch nichts anderes machen, als bei der finalen Bewertung aus der Flasche seine Note entsprechend einzuziehen. Aber da war der Wein schon verkauft.

Bei mir verstärkt so etwas nur die Einschätzung der AOC St. Emilion: zwar nicht alles Lumpen dort - aber immer noch viele :evil:

Gruß
Ulli


PS. @ Matthias Hilse: Kreuzpost. Ihre Einschätzung, "Der Wein war ein Schatten dessen, was ich zwei Jahr zuvor verkostet hatte", bestärkt mich eher darin, dass Sie wie auch die Profis einem Primeur-Muster-Panscher aufgesessen sind. Ich sehe in dem Wein keinerlei Potential Richtung der Mitt-90er - und völlig ahnungslos bezüglich Potentialeinschätzungen bin ich nun auch nicht.
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stollinger

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Re: Bordeaux 2018

BeitragSo 27. Jun 2021, 21:26

UlliB hat geschrieben:Was soll der Profi denn machen - das Muster ist das Muster, ein anderes bekommt er nicht.

Quarin hat ja sogar die technischen Werte in seiner Notiz dokumentiert. Die 13.3vol% lassen leicht erkennen, dass die Unterschiede zur Flasche (14.5vol%) signifikant sind.
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UlliB

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Re: Bordeaux 2018

BeitragSo 27. Jun 2021, 21:44

stollinger hat geschrieben:
UlliB hat geschrieben:Was soll der Profi denn machen - das Muster ist das Muster, ein anderes bekommt er nicht.

Quarin hat ja sogar die technischen Werte in seiner Notiz dokumentiert. Die 13.3vol% lassen leicht erkennen, dass die Unterschiede zur Flasche (14.5vol%) signifikant sind.

Danke - damit dürfte der Fall wohl klar sein.

Wahrscheinlich hat der Erzeuger solche Muster auch der Klassifizierungs-Kommission vorgelegt, und damit werden wir nächstes Jahr einen neuen St. Emilion grand cru classé begrüßen. Das passt perfekt zu dieser Konsumenten-Vera***ungs-Klassifikation, in der der hinterletzte Supermarkt-Müll immer noch ein grand cru ist.

Gruß
Ulli
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pessac-léognan

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Re: Bordeaux 2018

BeitragMo 28. Jun 2021, 09:02

UlliB hat geschrieben:
stollinger hat geschrieben:
UlliB hat geschrieben:Was soll der Profi denn machen - das Muster ist das Muster, ein anderes bekommt er nicht.

Quarin hat ja sogar die technischen Werte in seiner Notiz dokumentiert. Die 13.3vol% lassen leicht erkennen, dass die Unterschiede zur Flasche (14.5vol%) signifikant sind.

Danke - damit dürfte der Fall wohl klar sein.

Wahrscheinlich hat der Erzeuger solche Muster auch der Klassifizierungs-Kommission vorgelegt, und damit werden wir nächstes Jahr einen neuen St. Emilion grand cru classé begrüßen. Das passt perfekt zu dieser Konsumenten-Vera***ungs-Klassifikation, in der der hinterletzte Supermarkt-Müll immer noch ein grand cru ist.

Gruß
Ulli


Kein Wunder wiederum, dass in Saint-Émilion so sehr nach dem 1er GCC gegiert wird, und hier wieder nach dem 1er GCC A, um sich von besagtem Supermarktmüll abzuheben. So ist und bleibt Saint-Émilion in Bdx in der Tat die problematischste Appellation, in der Kraut und Rüben Engeln und weißen Pferden gegenüber stehen. Dann halt doch lieber gar keine Klassifikation wie in Pomerol! Andererseits erfordert die ungleich größere Fläche in Saint-Émilion halt wohl doch mehr äußere Differenzierungsmerkmale, die im kleinflächigen Pomerol sich erübrigen, indem der (lokale) Markt die Sache regelt. Hier schaffen es die paar kleinen Wirtshauspomerols (so einen hatte ich letzthin tatsächlich im Glas!) kaum über die dortige Gastronomie hinaus.
Gruß
Jean
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Ollie

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Re: Bordeaux 2018

BeitragMo 28. Jun 2021, 16:55

Also mir liegt es jetzt fern, die lieben Erzeuger auf Château Lassègue kreativer Enchantillonisierung zu bezichtigen, deshalb halte ich zum 2015er fest, daß Lisa "70% Merlot, 20% Cabernet Franc and 10% Cabernet Sauvignon", Jean-Marc hingegen "55% merlot, 40% cabernet franc et 5% cabernet sauvignon" vermerkt. Seltsam? Aber so steht es geschrieben...

Bezüglich der Impressionen nach Boutelljisierung des finalen Oeuvres schreibt Quarin zum 2015er weiter (Kühnfazisierung* durch mich): "Pour information, Lassègue n’est élevé que 14 mois, ce qui le rend toujours un peu plus ferme que ses concurrents en dégustation de fin d’élevage. Pierre Seillan argumente en précisant que les vins ne sont mis en vente qu’après 4 ou 5 ans de bouteille quand ils commencent à se fondre. C’est une autre stratégie."

Noch 'ne andere Strategie wäre es freilich, die paar Monate abzuwarten und die Arrivierten mit besseren Antworten für die hochnotpeinliche Degustation zu versehen. Aber was sag' ich dem Winzer, wie er seine Arbeit machen soll? Hätte ich mir für die paarunddreißig Euro mal lieber noch eine Flasche 18er Closerie des Moussis gegönnt. Aber dazu später mehr, und bis dahin eine Hausaufgabe für alle: Geht in den nächstbesten Ziergarten und probiert die reifen Früchte der Felsenbirne; ihr werdet diese Assoziation noch brauchen. :ugeek:

Cheers,
Ollie

*Mir war danach, kein tieferer Sinn.
Parfois, quand c'est trop minéral, on s'emmerde.
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