Matthias Hilse hat geschrieben:duhart09 hat geschrieben:Das ist eine interessante Analogie. Ich liebe die Pontet Canets der (vor)letzten Jahre (mindestens ab 2003), aber 2015/16 empfand ich schon als wirklich reichlich abwegig und nicht unbedingt den großartigen Qualitätstrend der Jahre davor fortsetzend. Wie Jochen schreibt empfand auch ich die Pauillac- oder sogar Bordeaux-Zugehörigkeit hier als fraglich. Daher: schmeckt denn LCHB 2016ff. noch nach Bordeaux? Oder wird hier irgendetwas Spektakuläres, extra auf andersartig Getrimmtes quasi als Selbstzweck und verkaufsfördernder Proben-Star inszeniert? Und, lieber Matthias, sind 14/15/16 LCHB jetzt wirklich schön zu genießen? Brauchen die Luft oder gleich p&p? Würde mich dann mal reizen...
Gruß
Ich denke, jetzt wird es kompliziert; und zwar aus verschiedenen Gründen. Zunächst der der Kalibrierung. Im letzten Jahr war Justine Tesseron zu Gast im METAMORPHEUM und führte durch einen Abend mit den Jahrgängen 1994, 1998, 2000...2009, 2010....2016. Um jetzt das zu verstehen, was ich im Begriff zu Schreiben bin, muss ich noch etwas vorausschicken. Es geht um die Verantwortung, die ein professioneller Verkoster bei einem Fassmuster (von einem Wein, den man in Subskription kaufen kann) hat. Und dies berührt wiederum die Frage, ob eine Fassmusterverkostung den Eindruck des Fassmusters oder aber dessen Potential reflektieren soll. (Was soll man denn mit den Bewertungen anfangen, die den "Jetzt-Zustand-des-Weins" beschreiben? Nach meinem Verständnis muss es doch wohl um das Potential des Weins gehen).
In diesem Sinn ist der Pontet Canet 2016 der beste Pontet-Canet, den ich kenne. Er hat periphere Konkurrenz besonders im 2010er (der 2009er ist natürlich momentan schon etwas weiter), aber sein Maß an Transparenz und Gravitationsenthobenheit ist eine Nummer zu groß für 2009/2010. (Das Gleiche gilt für Montrose 2016/2009/2010).
Nun lese ich aber ja gerade, dass der 2016er eher durchgefallen ist. Insofern ist das jetzt ein wenig wie bei Adorno und das Richtige im Falschen.
Wenn ein Wein nun anders schmeckt, als man es von Bordeaux gewohnt ist, könnte das ja auch die Frage berühren, was denn einen klassischen Bordeaux ausmacht. Vielleicht ist da ein Blick auf Literatur und Musik hilfreich. Hier orientiert sich der Begriff Klassik u.a. an Goethe, Schiller und Beethoven. Auch wenn die Klassifikation von 1855 deutlich später erfolgt ist, beruht die Wertschätzung, die Bordeaux heute genießt, gerade auf dieser historischen Verwurzelung. Nur: was haben die Weine von heute mit denen von damals gemein?
Die Geschichte von Liber Pater halte ich für eine geniale Absurdität, nur in einem Punkt nicht: den Überlegungen, was denn heutige Bordeaux mit denen von 1855 gemeinsam haben. Ich fürchte, es ist nicht viel.
Es gibt nun widerum Bordeaux, deren Rebbestand so alt ist, dass man anhand ihrer Verkostung einen Eindruck davon bekommen kann, wie denn Bordeaux einst war. Spontan fallen mir zwei Weine ein, deren "Hardware" aus den Zeiten der Pariser Weltausstellung von 1855 stammt: Clos Louie und Clos Manou 1850.
Ich würde meinen, ihnen geht die Typizität, die bei Pontet Canet vermisst wird, ebenso deutlich ab.
Auch wenn ich natürlich die finale Motivation, mit LCHB etwas Aussergewöhnliches zu produzieren, nicht kenne: man kann einem "Newcomer", der den Begriff der Avantgarde um seinen genuinen Anteil erweitert, immer entgegen halten, er würde das nur für die "Show" machen.
Läßt man dieses insinuive Moment aussen vor, geht es rein sachlich darum, dass jemand Grenzen sprengt. Vielleicht ja, weil er sich eingeengt und in der Lage sieht, eine terra incognita urbar zu machen.
Tendenziell beschäftige ich mich überwiegend mit jungen Weinen (für die Altstars gibt es ja mit cellartracker und diversen Foren genügend Nachschlagepotential); insofern empfinde ich möglicherweise solitär ganz großen Genuß bei solchen Weinen wie LCHB 2014 und 2016. Einfach ohne irgendwelches Gedöns aufmachen, über zwei Tage verteilt trinken und besonders darauf achten, wo Pontet Canet, Clos Louie, Clos Manou 1850 und LCHB interferieren.
Denn darum ging es mir ja ursprünglich.
Kurze Nachbemerkung: im letzten November bin ich nach Zürich gefahren, um die BDX 2016 aus der Flasche zu probieren. Obwohl hochrangiges Publikum anwesend war (Figeac MH 100 Punkte, Pichon Comtesse MH 99 Punkte...) war LCHB der Wein, für den alleine die Reise wert war.
Nur habe ich meine Zweifel, dass nach Ihren Prolegomena beim Probieren kein Unheil droht
Herzliche Grüße,
Matthias Hilse