So 22. Mär 2020, 19:39
Domaine de Chevalier Pessac-Léognan 2012 GGC de Graves
Der Wein ist pures understatement. Das einzig Laute findet nach P&P bei 13° in der Nase statt. Da entströmt der Flasche zunächst eine wahre Fruchtbombe von knapp reifer Amarenakirsche und ganz wenig Griotte. Am Gaumen zunächst wenig ansprechend. Die Flasche wird 1.5 Stunden offen stehen gelassen, der Wein erwärmt sich auf zunächst 16, später auf 18°. Dieser Bereich ist auch ganz klar die ideale Trinktemperatur des Weins.
Alles Weitere ist maßvoll und rein. In der Nase ergänzen ganz klein geschnittener, ultrafeiner Tabak (wie früher Montecristo), etwas Zeder und ganz wenig grob geschnittener Anis die Kirsche.
Auch die Farbe, dunkles Purpur, aber kein Schwarz, wunderbar klar, Oberflächentransparenz in der Abendsonne – understatement eben.
Am Gaumen mit noch ganz leicht aufrauhenden, aber extrem feinen Tanninen, der Wein fließt so reibungslos über Zunge und Gaumen, dass die Geschmacksnuancen sich nahtlos wie ein Seidenteppich entfalten können: hier zunächst kaum mehr Frucht, dafür exotische Hölzer allererster Qualität, wieder ganz fein geschnittener Tabak, dann doch etwas Cassis und schliesslich eine Spur süße, aber mitnichten zuckrige Himbeere, die ganz kleinen, konzentrierten Beeren.
Mittellanger bis langer Abgang, der am Schluss einen Nachhall von feinem, frisch geschnittenem Dinkelbrot hinterlässt.
Insgesamt ist das ein wunderbar dezenter, ganz präzis gezeichneter Wein, nuancenreich und bis ins kleinste Detail genau zu beschreiben. Kein spektakulärer Bluffer, kein Hammerwein, aber eine superfeine Delikatesse.
(94 Punkte / um ganz groß zu sein, um satte 95 Punkte zu erreichen, fehlt ihm – das ist meine Meinung – an der einen oder anderen Stelle halt eben das Spektakuläre, das eine oder andere Moment von Komplexität, die leicht auch anecken kann, gleichsam ein Wagnis, eine Grenzüberschreitung über die subtile Gefälligkeit hinaus).
Aber der Wein passt wie kein anderer zu einem Sonntagabend in Krisenzeit. Nach einem Spaziergang allein oder zu zweit. Ein stiller und ruhiger Wein, dezent und stilvoll. Wie nach einem fast unmerklichen Weltuntergang, der alles Schlechte, Üble, Laute überwunden hat, und übrig bleibt: eine edle Stille, Friede mit der Natur, einzelne ruhig-überlegte Menschen statt Menschenmassen. So könnte Andacht sein – ohne Kirchenglocken und Muezzin. Und der DdC 2012 wäre der passende Wein dazu… und die passende Musik? Jedem selber überlassen.
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