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Bordeaux 2002 - ein überflüssiger Jahrgang?

Medoc und seine Appellationen, Bourg und Umgebung, Fronsac, Pomerol, Saint Emilion und Umgebung, Entre Deux Mers, Graves und Pessac-Leognan, Sauternes und Co.
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Frankie Wilberforce

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Re: Bordeaux 2002 - ein überflüssiger Jahrgang?

BeitragSa 5. Jul 2014, 22:58

Hallo zusammen,
während sich Holland vergeblich gegen Costa Rica abmüht,wird parallel dazu ein kleiner Wein getrunken.

Chateau La Garde, Pessac-Leognan, 2002
dunkles Rot, satt schwarz in der Mitte ohne Reiferand, in der Nase deutliche Holzaromatik, rote und schwarze Johannisbeeren, Zigarren, Leder, am Gaumen saftg, schmatzig, mittlerer Körper, jugendliche Säure, stramme holzige Tannine, Johannisbeeren rot und schwarz,nicht so elegant wie der 2000er vor kurzem , dennoch ein langer ebenselbiger Abgang leider ohne aristokratischem Charme. 88 FW Punkte.

Mein Tipp:
Holland : Costa Rica 1:0

Holland kommt sehr sehr weit.
Grüße Armin

Sie fragen mich nach den besten Wein, den ich getrunken habe? Der ist wahrscheinlich im nächsten Glas ...
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UlliB

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Re: Bordeaux 2002 - ein überflüssiger Jahrgang?

BeitragFr 18. Jul 2014, 18:20

Vor einigen Tagen gab es in nicht allzu großem Kreis die fünf „offiziell“ klassifizierten 2002er 1ers vom linken Ufer: Lafite, Latour, Margaux und Mouton sowie last but not least Haut Brion.

Nun, was soll man groß von einer Probe berichten, die letztlich die in sie gesetzten hohen Erwartungen vollständig erfüllt hat und eindrucksvoll bewiesen hat, dass ein Pauschalurteil über den Jahrgang 2002 als „klein“ oder – wie der Titel dieses Threads nahelegt – womöglich gar „überflüssig“ zumindest auf diesem Niveau ziemlich weit daneben liegt?

Die Weine waren alle nach kurzer Dekantierzeit zugänglich, wenn auch naturgemäß noch nicht voll entwickelt (das trifft insbesondere auf Latour zu) und machten eine Menge Spaß. Von Korkschmeckern und sonstigen Flaschenfehlern sind wir glücklicherweise verschont geblieben.

Eine kurze Zusammenfassung meiner Eindrücke zu den einzelnen Weinen:

Haut Brion: zunächst eine irritierende, metallisch-herbe und nicht ganz „hasenreine“ Nase, stabilisiert sich aber schnell an der Luft, wird sauber und zunehmend typisch. Hohe Dichte, sehr würzig, kräftiges, noch etwas flockiges Tannin. Im Rückblick der aromatisch am weitesten entwickelte Wein der Probe. Was hier am meisten beeindruckt hat, ist die Länge des Abgangs; der Wein klingt wirklich minutenlang nach. In seiner Art absolut beeindruckend, lag aber für mich diesmal auf den hinteren Rängen.

Weiter nach Norden - Chateau Margaux. Zeigt ganz genau das, was ich an einem gelungenen Chateau Margaux so liebe: absolut perfekte Proportionen. Da ist nichts zu viel oder zu wenig, alles sitzt genau an der richtigen Stelle, und alle Komponenten sind harmonisch verbunden, das ist Schönheit pur. Ein Volltreffer und für mich der Wein des Abends. Wobei ich gerne zugebe, dass ich für Chateau Margaux eine ziemliche Schwäche habe :oops:

Latour: ok, das war Kindermord. Zwar zugänglich, aber doch reichlich unentwickelt, mit einem unglaublich dichten, undurchdringlichen Fruchtkern (Blaubeerkonzentrat der Extraklasse), superklar, superstraff, superfest. Wenn man die gleiche Probe in zwanzig oder dreißig Jahren wiederholt, könnte er vielleicht alle anderen hinter sich lassen. Könnte – oder auch nicht. Wer davon hat: erst mal die Finger davon lassen.

Dann Lafite. Wer wissen möchte, was Präzision bei einem Wein bedeuten kann, sollte versuchen, diesen Wein einmal ins Glas zu bekommen. Messerscharfe Definition, blitzsaubere Linien und Kanten, spiegelblanke Politur, dabei betörend elegant und superkomplex. Ein bekannter norddeutscher Händler spricht in manchen seiner Notizen von „Geradeauslauf“, dieses Bild passt hier für mich einmal sehr gut. Der aktuelle Marktpreis ist zwar einigermaßen absurd, aber bei diesem Wein versteht man schon, wie Lafite zu seinem Ruf gekommen ist. Für die anderen am Tisch Nummer eins des Abends, ich mochte den Margaux noch einen Tick mehr. Aber das ist wirklich rein subjektiv.

Schließlich noch Mouton. Ja, auch der entsprach voll und ganz meinen Erwartungen; leider. Mouton nach 1990 und ich: das wird keine echte Freundschaft mehr. Der absolute Gegenpol zum Nachbarn Lafite: springt einen unmittelbar aus dem Glas an, üppig und opulent, gewissermaßen vollbusig (in der rein männlichen Verkostungsrunde hat einer dafür einen etwas drastischeren Terminus verwendet), dekliniert das gesamte Spektrum an reifer roter Frucht durch, wie bei Mouton üblich ist das Ganze mit viel röstigem Holz unterlegt. Breitwandkino in Technicolor, nur kommt hinter der bunten Fassade nicht mehr allzu viel Substantielles. Wie zur Bestätigung ist der Abgang der kürzeste aller Weine dieser Probe.

Ok, um die Sache ins richtige Verhältnis zu rücken: in einem anderen Kontext hätte der Mouton vermutlich immer noch geglänzt und wäre in vielen Proben ganz sicher ein absolutes Highlight. In diesem Umfeld konnte er sich aber nicht behaupten, und in der Bordeaux-erfahrenen Tischrunde konnte sich auch niemand für ihn erwärmen. Für mich hat sich hier zum wiederholten Male gezeigt, dass Mouton nach dem Tod des Barons 1988 aus dem Tritt gekommen ist und mittlerweile seinen nominellen Rang nicht mehr verdient. Aber das werden ein paar Mouton-Fans sicher anders sehen.

Einerlei: die Probe hat mir mal wieder gezeigt, warum ich ein Bordeaux-Fan bin und bleibe :geek:

Gruß
Ulli
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octopussy

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Re: Bordeaux 2002 - ein überflüssiger Jahrgang?

BeitragSa 19. Jul 2014, 21:06

Hallo Ulli,

tolle Notizen, vielen Dank. Kaufst du immer noch jedes Jahr alle Premiers? In 2002 dürften die noch bezahlbar gewesen sein. Und ehrlich gesagt hören sich deine Notizen so an, als würde sich der damalige Preis auch gelohnt haben. Gerade die Notizen für den Lafite und den Margaux klingen wahnsinnig toll. Präzision und Finesse, ich gebe dir recht, das können die besten Bordeaux in wunderbarer Weise liefern.
Beste Grüße, Stephan
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UlliB

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Re: Bordeaux 2002 - ein überflüssiger Jahrgang?

BeitragSa 19. Jul 2014, 21:59

octopussy hat geschrieben:Kaufst du immer noch jedes Jahr alle Premiers?

Nein. Alle habe ich eh nie gekauft. Aber mittlerweile sind es gar keine mehr. Es gibt Grenzen, leider.
In 2002 dürften die noch bezahlbar gewesen sein.

Ja, alle lagen damals en primeur knapp unter 100 Euro incl. MwSt.
Und ehrlich gesagt hören sich deine Notizen so an, als würde sich der damalige Preis auch gelohnt haben.

Absolut. Der Lafite z.B. kam aus meinem Keller, 92,80 € en primeur. Rückblickend betrachtet hätte ich davon ein paar Dutzend plus einige Magnums kaufen sollen, und jetzt (oder noch besser vor zwei Jahren) ein Viertel der damaligen Einkäufe über ebay verscherbeln müssen und hätte damit den Rest komplett durchfinanziert und nebenbei immer noch eine satte Rendite erwirtschaftet.

Aber wie heißt es so schön: "die besten Geschäfte sind immer die, die du nicht gemacht hast" :evil:

Gruß
Ulli
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Desmirail

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Re: Bordeaux 2002 - ein überflüssiger Jahrgang?

BeitragMo 6. Okt 2014, 19:27

In den letzten Wochen waren mehrere BDX unterschiedlicher Jahrgänge der unteren und mittleren Preisschraube im Glas.


Chateau Reignac, Bordeaux Superieur AOC ( Entre Deux Mers), 2002


... fand damals die Bewertungen und die Diskussion um den Wein spannend, heute übrigens auch noch. 8-)


Im Glas sehr dunkel, fast violett, kaum durchscheinend, kein Alterungsrand.

In der Nase ebenfalls ehr die dunklen Mächte bedienend. Überreife Brombeere, schwarze Johannisbeere, Veilchen, Zigarrenkiste, Tiefe zeigend, sehr verwoben, Waldboden, Lakritze, Bleistiftmine, schwarzer Tee, gekalkte Kellerwand (Mörtel oder so), Trüffelartig.
Wirkt für die Aromenpalette erstaunlich frisch!

Am Gaumen präsentiert sich der Wein dann so wie zuletzt bzgl. der Nase angemerkt. Wow, schöner Auftritt, der Wein steht voll auf der Frucht, frisch, klasse gereift, klasse Säure, dezente Gerbstoffe. Reife, süße Brombeere, Süßkirsche, Pflaumenmus, Vanille, fleischig, saftig, ganz dezent ist der starke Holzeinsatz schmeckbar (100% Neuholz).


87 MDP, in den nächsten 3-5 Jahre austrinken.
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weinaffe

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Re: Bordeaux 2002 - ein überflüssiger Jahrgang?

BeitragSo 12. Okt 2014, 13:39

Hallo zusammen,

kürzlich folgenden angenehmen Jahrgangsvertreter getrunken:


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Grüsse
Bodo
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octopussy

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Re: Bordeaux 2002 - ein überflüssiger Jahrgang?

BeitragSo 26. Okt 2014, 18:05

Am Freitag blind im Glas: 2002 Château Léoville-Barton. Vielleicht hatten wir davon eine schlechte Flasche oder der Wein hatte an dem Abend einfach keine Lust, sich gut zu präsentieren, jedenfalls hat der Wein ziemlich enttäuscht. Als aufgedeckt wurde, fiel es uns schwer, zu glauben, dass wir einen Léoville-Barton im Glas hatten. Irgendwie war da nichts zum Festhalten, kein Grip, eine erstaunlich moderne Stilistik mit durchaus präsentem Holz, nur wenig Profil. Hatte den Wein in letzter Zeit noch jemand anderes und hat positive oder negative Erfahrungen gemacht?

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Beste Grüße, Stephan
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UlliB

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Re: Bordeaux 2002 - ein überflüssiger Jahrgang?

BeitragSo 26. Okt 2014, 18:17

octopussy hat geschrieben:Am Freitag blind im Glas: 2002 Château Léoville-Barton. Vielleicht hatten wir davon eine schlechte Flasche oder der Wein hatte an dem Abend einfach keine Lust, sich gut zu präsentieren, jedenfalls hat der Wein ziemlich enttäuscht. Als aufgedeckt wurde, fiel es uns schwer, zu glauben, dass wir einen Léoville-Barton im Glas hatten. Irgendwie war da nichts zum Festhalten, kein Grip, eine erstaunlich moderne Stilistik mit durchaus präsentem Holz, nur wenig Profil. Hatte den Wein in letzter Zeit noch jemand anderes und hat positive oder negative Erfahrungen gemacht?

Hallo Stephan,

das ist jetzt aber echt ein Zufall. Ich hatte weiter oben im Thread etwas zum 02er LB geschrieben (Beitrag vom 30. Mai) und dort angekündigt, dass ich in absehbarer Zeit eine weitere Flasche aufziehen werde. Am Freitag war es soweit - d.h. wir haben den Wein etwa zeitgleich im Glas gehabt ;)

Die von mit weiter oben beschriebene Enttäuschung hat sich leider wiederholt. Der Wein zeigte sich diesmal zwar nicht mehr ganz so verbockt, aber merkwürdig lose geknüpft und eindimensional. Einen Flaschenfehler würde ich nunmehr ausschließen. Der Wein taugt einfach nichts; ein ganz schwacher LB.

Gruß
Ulli
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Kle

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Re: Bordeaux 2002 - ein überflüssiger Jahrgang?

BeitragSo 26. Okt 2014, 22:14

octopussy hat geschrieben: Als aufgedeckt wurde, fiel es uns schwer, zu glauben, dass wir einen Léoville-Barton im Glas hatten. Irgendwie war da nichts zum Festhalten, kein Grip, eine erstaunlich moderne Stilistik mit durchaus präsentem Holz, nur wenig Profil.


Hallo Stephan,

anders als dich hat mich leider auch der 2004er nicht so glücklich gemacht. Ich habe fast das Gefühl, mich in der rasanten BDX-Entwicklung der letzten 15 Jahre irgendwo festhalten zu müssen. I know something is happening and hope I don´t know what is. Noch habe ich zu wenig seit 2000 probiert. Aber subjektiv häufen sich die Symptome, dass ein Weinstil entsteht, der mir oft nicht mehr schmeckt.

Gruß, Kle

PS: Das Schlechte an schwachen Jahrgängen, so kommt es mir bisweilen vor, ist nicht ihre Schwäche, die Charme haben kann. Sondern, dass die Weine aufgedonnert werden, um Erwartungen zu entsprechen.
—People may laugh as they will—but the case was this.
Tristram Shandy
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octopussy

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Re: Bordeaux 2002 - ein überflüssiger Jahrgang?

BeitragMo 27. Okt 2014, 11:02

Kle hat geschrieben:PS: Das Schlechte an schwachen Jahrgängen, so kommt es mir bisweilen vor, ist nicht ihre Schwäche, die Charme haben kann. Sondern, dass die Weine aufgedonnert werden, um Erwartungen zu entsprechen.

Das ist in vielen Fällen sicher richtig. Allerdings ist Léoville-Barton ja nicht unbedingt dafür bekannt, seine Weine auf Teufel komm raus aufzupimpen. Was mich so stutzig macht bei dem 2002 Léoville-Barton, sind die unterschiedlichen Wahrnehmungen. Ich traue hier unserer Runde und insbesondere auch Ulli. Aber beispielsweise Rene Gabriel scheint einen völlig anderen Wein im Glas gehabt zu haben:

Rene Gabriel hat geschrieben:In der Farbe extrem dunkles Grant-Violett mit schwarzen Reflexen. Bereits in der Nase eine Orgie von Aromen, Geschmack von Cassis, Flieder, Zedern und Trüffel, sehr intensive Fruchtprägung. Cremiger, feingliedriger Gaumen mit einer extremen Konzentration, sensationelle Adstringenz, schwarze Kirschen, Teakholz und sehr lange Rückaromatik. Wieder eine Meisterleistung von Anthony Barton. Léoville-Barton kann einmal mehr bei den besten Klasseweinen des Bordelais mithalten. 19/20 Punkte

Ich dachte bei dem Wein einfach nur "what the..."
Beste Grüße, Stephan
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