Hallo,
wir haben gestern eine Verkostung
Bordeaux 2011 gemacht. Die Weine wurden ca. 1.5 - 2 h vorher in kleine Fläschchen gefüllt und anschließend blind verkostet. Wir wussten welche Weine dabei sind, es gab keine thematische Sortierung, die Reihenfolge ganzlich zufällig. Meine Eindrücke sind nicht in der Reihenfolge der Verkostung geschrieben.
Die Weine waren alle auf einem guten bis sehr guten Niveau, alles qualitativ recht einheitlich, ohne einen wirklichen Ausreißer nach unten oder oben. Die Weine sind recht gerbstoffreich, obwohl m.M. nach eher sanft extrahiert. Die Gerbstoffe sind reif, nicht bitter oder grün, aber tendenziell trocknender Natur. Es sind viele Anthocyanine vorhanden, die Weine sind intensiv gefärbt. Die Weine haben im Vergleich zu anderen Jahren wenig Extrakt und auch keinen wirklichen Süßeeindruck dadurch. Die Frucht hat eine knappe Reife und ist wenig expressiv, ich denke, auch aromatisch wenig vorhanden. Aroma von grüner Paprika (Isobutylmethoxypyrazin), was auf Unreife beim Cabernet schließen lässt, ist jedoch nicht wahrnehmbar vorhanden.
Chateau Beau-Sejour Becot - Saint-Èmilion Premier Grand Cru Classé - 2011:
Aromatisch nicht besonders komplex und auch nicht so klar. Von der Intensität ansprechend, aber noch recht verschlossen wirkend. Die Gerbstoffe etwas gröber als vom nächsten Wein aus St. Émilion:
Château Beauséjour - Héritiers Duffau-Lagarrosse - Saint-Èmilion Premier Grand Cru Classé - 2011:
Der wirkt noch enorm jung, als wäre der gerade erst abgefüllt. Immer noch lila in der Farbe und keinerlei Reifezeichen. Aktuell sehr verschlossen und für mich nicht zu bewerten. Im Vergleich zum Beau-Sejour Becot die Gerbstoffe feiner, mehr Säure und diese frischer, knappere Reife.
Das Weingut wurde Anfang diesen Monats an eine Tochter der Familie (Joséphine Duffau-Lagarrosse) und die Clarins-Gruppe (Kosmetik) verkauft. Andere Interessenten waren die Familie Cuvlier (Clos Fourtet) und Stéphanie de Boüard-Rivoal (Château Angélus), bei letzterer wurde befürchtet, dass das Chateau in Angelus aufgeht.
[Link]Vom gleichen Gespann (Thienpont/Derenoncourt) wie bei HDL stammt auch der nächste Wein. Beide Weine hatten sehr viel, ganz feines, Depot.
Château Larcis Ducasse - Saint-Èmilion Grand Cru Classé - 2011:
Die Gerbstoffe sehr fein und sanft, ganz ähnlich wie beim HDL, ich meine, man merkt dasselbe Team. Der Wein ist wenig expressiv, wenig Frucht. Die Gerbstoffe präsent und leicht trocknend, dadurch fehlt auch hier der Eindruck von Tiefe (wie beim HDL).
Die drei Weine aus St. Émilion haben eine recht frische Säure, in 2011 hatte der Merlot einen sehr niedrigen, durchschnittlichen pH-Wert von 3.2 (im Vergleich, in den letzten fünf Jahren etwa 3.4). Deshalb auch die Frucht frisch, rotfruchtig und mit knapper Reife. Alle drei Weine wirkten noch sehr jung, auch an der lila Farbe zu merken. Ich hatte mich gefragt, ob das nicht auch ein Effekt vom Merlot sein könnte. Der nächste Wein besteht aber auch hauptsächlich aus Merlot und zeigt dieses nicht.
Château Montrose - La Dame de Montrose - Saint-Estèphe - 2011:
Aromatisch unterscheidet sich das trotz der 72% Merlot von der Frucht merklich von den Weinen aus St. Èmilion. Auch nicht sanft, sondern mit Spannung und etwas Rustikalität. Eine gewisse aromatische Dichte ist vorhanden, dabei aber nicht soviel Frucht sondern durchaus einige hitzegeprägte bzw. tertiäre oxidativ geprägte Aromen.
Château Grand-Puy-Lacoste - Pauillac - 2011:
Der hat m.M. nach von allen Weinen in der Verkostung am meisten Fass gesehen, aber ist damit noch in Balance. Der Wein wirkt noch sehr jung, aber durchaus zugänglich jetzt. Ebenfalls unter Beteiligung des önologischen Beraters Eric Boissenot ist dieser Wein entstanden:
Château Haut-Bages Liberal - Pauillac - 2011:
Mit der auffallenden Bleistiftminen-Note blind leicht im Pauillac zu verorten. Beide Weine sind in der Probe durch ihre Eleganz und Ausgewogenheit aufgefallen. Viele Weine konnten aktuell wegen der trocknenden Tannine keinen Eindruck von Tiefe und Komplexität erzeugen, diesen beiden ist das zur Zeit am besten gelungen. Der Grand-Puy-Lacoste hat das kraftvollere, maskulinere Auftreten, ist dichter und substanzhaltiger, die Gerbstoffe etwas griffig-knackiger. Der Haut-Bages-Liberal ist dafür feiner (auch die Gerbstoffe) und eleganter, hat eine schöne Klarheit. Haben mir beide gut gefallen, gerade würde ich den HBL vorziehen.
Chateau Lagrange - St. Julien - 2011:
Nicht so leicht einzuschätzen, aktuell wenig zugänglich, aber eine wirklich bessere Zukunft will ich dem Wein nicht wirklich zutrauen. Er ist doch etwas dünn und hat auch ein paar oxdierte Aromen, sei es durch Hitzestress am Stock oder durch Reife. Ich halte ersteres für wahrscheinlicher, der Korken war (im Gegensatz zum 2010 Lidlgrange) in perfektem Zustand.
Château du Tertre - Margaux - 2011:
Der Wein ist von der Frucht nicht auffallend reif, aber reifer als alle anderen in der Verkostung. Auch recht substanzreich. Am ersten Tag hat mich das, in der Nase nicht so edel wirkende, Fass mit den vegetabilen Noten etwas an deutschen Spätburgunger erinnert. Die verfliegen aber, das Fass integriert sich besser und der hohe Anteil an Petit Verdot kommt mit Veilchen und Kirschen deutlich rüber. Der Wein ist in seinem Wesen etwas grobschlächtiger als die meisten anderen. Außer La Dame de Montrose wirken die anderen Weine feiner.
Was ist jetzt mein Gesamteindruck? Die Weine waren schön zu trinken, so richtig einnehmend war aber keiner. Die Weine haben recht wenig Frucht und auch nicht so viel Substanz, als das ich denken würde, da ist noch viel Frucht in Reserve. Der Holzeinsatz ist aber sehr gut an diesen Mangel an Substanz und Frucht angepasst, die wirken weitestgehend balanciert. Alle Weine wirken wenig komplex, die trocknenden Gerbstoffe nehmen Länge und Tiefe. Ich habe auch schon etwas Sorge, ob sich das noch fangen wird, und ich habe etwas Zweifel, ob genug Frucht da ist, bis die Gerbstoffe abgebaut sind. Die beiden aus Pauillac haben mir am besten gefallen, Larcis Ducasse macht mich auch etwas neugierig, wie er sich in Zukunft entwickelt.
Der Jahrgang ist auch von extremen Witterungsbedingungen geprägt. Hitze und früher Austrieb in der ersten Jahreshälfte, dann das Wachstum und die Reife durch den kalten und sonnenarmen Juli gebremst. Man merkt zum Einen, immer wieder aufblitzend, Hitze in der Aromatik. Zum Anderen, die frische Frucht, und gerade in St. Èmilion, eine prägende Säure durch die knappe Reife. Die aromatische Dichte ist eher niedrig, die Weine sind wenig expressiv. Vor und während der Veraison, im Juli, gab es rekordverdächtig wenig Sonnenstunden. Ich bin geneigt, dass als Hypothese für den Ursprung heran zu ziehen.
Grüße, Josef
EDIT: Minze finde ich eingentlich eher selten in Wein, keine Ahnung ob Tagesform oder Jahrgang, gestern war es in fast jedem drin.