Di 18. Jun 2013, 16:17
Also dann, Barbaresco.
Barbaresco wurde über Jahrzehnte hinweg als der kleinere Bruder des Barolo angesehen: weniger tanninstarke, leichtere, vielleicht auch etwas elegantere Weine, mit geringerer Haltbarkeit. Schaut man sich mittlerweile die Preise an, die von Gaja, La Spinetta, und zwei oder drei weiteren Winzern im Gefolge für ihre Weine aus der DOCG Barbaresco verlangt werden, ist zumindest preislich die Rangordnung mittlerweile wohl weit weniger klar als vor zwanzig Jahren. Inwieweit die gängigen Meinungen über die Unterschiede zwischen Barolo und Barbaresco stimmen, kann ich nicht beurteilen; dazu habe ich schlicht zu wenig Umgang mit den Weinen. Angesichts der extrem heterogenen Stilistik verschiedener Winzer sowohl in Barolo als auch in Barbaresco kann ich mir aber vorstellen, dass auch Piemont-Experten hier gelegentlich ins Schleudern geraten.
Im Jahr 2007 hat man sich nach jahrelanger (jahrzentelanger ?) Mahnung durch die EU dazu bequemt, die Grenzen der einzelnen Lagen in Barbaresco genau zu definieren und katastermäßig zu erfassen. Vorher gab es hier Wildwuchs; letztlich durfte jeder Winzer entscheiden, wo eine Lage anfängt und wo sie aufhört, was dazu geführt hatte, dass einige Lagen mit gutem Namen wie Rabajà oder Asili im Laufe der Jahre einen ganz enormen Flächenzuwachs erfahren hatten.
Was das Unterfangen jetzt dem Konsumenten nützt, bleibt abzuwarten – manche Lagen scheinen schon auf den ersten Blick extrem heterogen zu sein.
Ovello z.B. erstreckt sich über eine Hügelkuppe hinweg und hat deshalb sowohl Anteile mit einer Nordost-Exposition als auch Anteile mit einer Südwest-Exposition, was nach Aussage lokaler Winzer deutlich unterschiedliche Weine ergibt. Darüber hinaus haben etliche Winzer für einige ihrer Weine nie Lagennamen benutzt, sondern Parzellennamen oder Fantasiebezeichnungen, und wo die Weine gut eingeführt sind, wird man dies beibehalten (ein Beispiel folgt gleich). Die meisten Lagennamen in den Randgebieten von Treiso und Neive scheinen mir darüber hinaus eher unbekannt und nur von ein oder zwei Winzern verwendet worden zu sein, wenn denn überhaupt.
Der kürzlich freigegebene Jahrgang ist 2010 – klimatisch gesehen wohl ziemlich problematisch, aber im Ergebnis sehr gut. Die Weine sind etwas schlanker, straffer und klarer definiert als die aus dem opulenteren Hitzejahrgang 2009, was bei Parallelverkostungen des gleichen Weins aus beiden Jahrgängen klar zu erkennen ist.
Der erste Betrieb, den wir besucht haben, war
Moccagatta. Der Grund hierfür war eine einige Wochen zuvor geöffnete Flasche Bric Balin 2004, die ganz wunderbar gereift war und mich sehr begeistert hat. Empfangen wurden wir von der Tochter des Hauses, die leidlich Englisch spricht. Zu verkosten gab es zwei Einzellagen-Barbaresco: zunächst
Basarin, aus einer recht großen Lage in Neive, mit sandhaltigen, etwas leichteren Böden: der Wein ist schon ziemlich offen, fruchtig, sehr elegant, dürfte nicht viel Zeit brauchen. Ganz anders dann der
Bric Balin, von schwereren Böden direkt beim Gutsgebäude: deutlich fester, tanninstärker und straffer; schwerer zugänglich, aber mit mehr Reserven. Sehr schön.
Der
Bric Balin kommt ausschließlich aus der Lage
Muncagöta. Der Umlaut „ö“ ist in der offiziellen Lagenkarte genau so verzeichnet, keine Ahnung, wie sich das ausspricht; verballhornt wird der Lagenname zu
Moccagatta – daher dann auch der Betriebsname. Da der Name
Bric Balin für den Wein etabliert ist, bleibt es jetzt dabei – Moccagatta macht keinen
Muncagöta. Nur noch am Rande – die lokale, wirklich erstklassige Genossenschaft
Produttori del Barbaresco macht eine Einzellagen-Riserva aus Muncagöta; auf dem Etikett erscheint der Lagenname aber als -
Moccagatta…
Als weiteren Einzellagen-Barbaresco gibt es auf Moccagatta auch noch einen
Cole, aus irgendwelchen Gründen gab es den aber nicht zu verkosten. Im Ergebnis gefiel meiner Frau der
Basarin besser, mir aber der
Bric Balin – also ging von beiden Weinen etwas in den Kofferraum.
Der zweite Betrieb, der besucht wurde, war
Albino Rocca – nur einige Hundert Meter Luftlinie von Moccagatta entfernt. Der langjährige Besitzer Angelo Rocca ist im Herbst 2012 bei einem Flugzeugabsturz tödlich verunglückt. Der Betrieb wird mittlerweile von der Tochter geführt, die uns auch empfangen hat, ganz ausgezeichnet Englisch spricht und in jeder Hinsicht den Eindruck macht, alles im Griff zu haben.
Die Betriebsphilosophie ist hier eine etwas andere als auf Moccagatta. Auf Moccagatta werden die Lagenweine im Barrique ausgenbaut, wobei jährlich 1/3 der Fässer erneuert wird (was allerdings nicht zu dominanten Neuholznoten führt), während bei Albino Rocca ausschließlich mit 2000-Liter-Holzfässerrn von Stockinger gearbeitet wird, von denen alljährlich weniger als 1/10 erneuert werden. Dafür erfolgt hier die Vinifikation seit Jahren mit hochmodernen Edelstahl-Rotovinifikatoren, während bei Moccagatta die klassische offene Maischegärung praktiziert wird. Wer ist jetzt der Modernist und wer der Traditionalist?
Auch hier gab es zwei Lagen-Barbaresco zu verkosten:
Ovello „Vigna Loreto“ und
Ronchi. Der Ovello kommt aus einer nur 0,5 ha großen Parzelle mit Südwestausrichtung, die gerade einmal ein 2000-Liter-Fass ergibt. Der 2010er zeigt eine Farbe, die bei mir als Bordeaux-Trinker alle Alarmglocken läuten lässt – Granat mit Orangetönen am Rand, das geht bei jungem Bordeaux gar nicht – aber bei Nebbiolo liegt es im Bereich des Möglichen. Betörend komplexe, balsamische Nase, wirkt fast trinkreif – hinsichtlich der Haltbarkeit für mich doch etwas fragwürdig; lieber früher als später trinken. Der 2010er
Ronchi, von 50 bis 70 jährigen Reben von schwereren Böden, könnte kaum kontrastreicher ausfallen; wesentlich dunklere Farbe, mit einem ganz enormen Fruchtkern, aber im Moment etwas schroff und abweisend. Gleiches Spiel wie bei Moccagatta - meiner Frau gefiel der
Ovello besser, mir aber der
Ronchi – also ging auch hier von beiden Weinen etwas mit.
Noch ein paar Worte zur Haltbarkeit. Ja, die Weine sind haltbar, ein Jahrzehnt dürfte überhaupt kein Problem sein. Aber übertreiben sollte man es nicht. Ein
Bricco Asili 1999 von
Ceretto, von dem man uns im Rahmen einer Weinbegleitung zu einem Degustationsmenü freundlicherweise ein Glas spendierte, war zwar noch trinkbar, pfiff aber für meinen Geschmack doch schon ziemlich aus dem letzten Loch – und das bei einem Wein, bei dem aktuelle Jahrgänge vor Ort über 100 Euro die Flasche kosten. Barbaresco ist eben doch kein Bordeaux…
Sonst noch in Erinnerung geblieben sind mir zwei Weine, die ich im Restaurant Rabajà in Barbaresco getrunken habe (das Restaurant ist übrigens jede Empfehlung wert): 2008er
Pajè von
Boffa – ein ziemlich harter, traditioneller Knochen, könnte aber noch was werden; und ein 2007er
Roncaglie der
Poderi Colla, superelegant und wirklich enorm trinkig. Colla ist für einen der nächsten Besuche vorgemerkt.
Gruß
Ulli